REV-CONF 22.06.2004

Christliche Kunst im Umbruch

Georg-August-Universität Göttingen, 27.–29.02.2004

Bericht von Claudia Rückert
Redaktion: Livia Cárdenas

Christliche Kunst im Umbruch. Hispaniens Norden im 11. Jahrhundert - El Norte hispánico en el siglo XI. Un cambio radical en el arte cristiano

Die Kunst Spaniens fristet - im Gegensatz zu der Italiens oder Frankreichs - eher ein Schattendasein an deutschen Universitäten. Seit Jahren streiten besonders die Mitglieder der Carl-Justi-Vereinigung e.V. (CJV) für die Aufwertung Spaniens im kunstgeschichtlichen Lehrbetrieb. Ihr Engagement scheint allmählich Früchte zu tragen. Die Generation von Forschern, die in den letzten 10-15 Jahren mit spanischen Themen promovierten oder habilitierten, führen oder übernehmen jetzt Lehrstühle, so daß zukünftig die spanische Kunst in den Vorlesungsverzeichnissen mit größerer Selbstverständlichkeit vertreten sein wird. In diesem Kontext ist auch das Ende Februar abgehaltene Kolloquium zur Kunst Nordspaniens im 11. Jahrhundert zu sehen, dessen Organisatoren nicht nur durch die CJV verbunden sind, sondern auch durch ihre Forschungstätigkeit am Deutschen Archäologischen Institut in Madrid. In Ermangelung eines in Spanien situierten deutschen Instituts für Kunstgeschichte hat sich gerade dieses Institut mit seinen auch jenseits der Antike liegenden Schwerpunkten der frühchristlichen, islamischen und frühmittelalterlichen Kunst als Anlaufstelle und Forum für deutsche und internationale Kunsthistoriker etabliert. Daß es den Organisatoren gelungen ist, eine beachtliche Anzahl von spanischen Forschern nach Göttingen einzuladen, ist neben der finanziellen Unterstützung der Förderer (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Spanisches Ministerium für Bildung, Kultur und Sport, Universität und Stadt Göttingen sowie die CJV) nicht minder dem Deutschen Archäologischen Institut in Madrid zu verdanken, das für persönliche Kontakte, wissenschaftlichen Austausch und die Zusammenarbeit mit den spanischen Kollegen steht.

Dreh- und Angelpunkt des Göttinger Kolloquiums waren die künstlerischen Leistungen Nordspaniens im 11. Jahrhundert, einem Jahrhundert, an dessen Ende sich in der christlichen Kunst ein sichtbarer Wandel vollzogen hatte. Die Romanik im Norden der Pyrenäenhalbinsel scheint mit einem „Urknall“ plötzlich zu beginnen, um im selben Moment alle vorhandenen Kunstströmungen zu verdrängen. Diese bislang wenig beachtete Wende im 11. Jahrhundert war Ausgangspunkt der Tagung. Welches waren die Auslöser für diesen radikalen Bruch? Basierte der Umbruch der Kunstformen auf einer genuinen Entwicklung oder wurde die Erneuerung von außen hereingetragen? Welchen Anteil hatte die islamische Kultur der Hegemonialmacht im Süden, in al-Andalus? War die Romanik flächendeckend „ein Phänomen aus einem Guß“ oder lassen sich verschiedene Zentren ausmachen?
Es sei vorausgeschickt, daß die zu Beginn aufgeworfenen Fragen schwer zu beantworten waren, während ein Überblick über den Forschungsgegenstand, Einblicke in neue Forschungen und die daraus resultierenden Anregungen als primäre Ergebnisse der Tagung anzusehen sind. Daß die Synthese schwierig war, hängt nicht zuletzt mit dem Umstand zusammen, daß aufgrund der Zuständigkeiten innerhalb des Faches dieser Umbruch bislang selten thematisiert worden ist. Haben sich doch hauptsächlich die Archäologen dem Frühen Mittelalter auf der Iberischen Halbinsel gewidmet, die Kunsthistoriker dagegen der Romanik verschrieben. Ein Blick über das jeweilige Forschungsgebiet hinaus wurde kaum gewagt, weshalb es den Organisatoren um so höher anzurechnen ist, mit dieser Tagung erstmals eine Plattform für beide Seiten eingerichtet zu haben. Das Programm setzte sich demzufolge aus Beiträgen zusammen, welche die Zeit vor der Romanik behandelten, jene, die eng um ein romanisches Thema kreisten sowie jene, die eine Synthese im Blickfeld hatten.
Bettina Marten umriß in ihrer Einführung den topographischen, kunsthistorischen, geopolitischen und theologischen Rahmen der Tagung und problematisierte den in der Forschung mißverständlichen Begriff „vorromanisch“. Für die Kunst Nordspaniens vor der Romanik sei die neutrale Bezeichnung hispanisch-frühmittelalterlich geeigneter, die nicht per se den Entwicklungsgedanken suggeriere. Angesprochen wurde die Sonderstellung Kataloniens, das als fränkische Mark im Vergleich zu den übrigen hispanischen Machtterritorien bereits seit karolingischer Zeit enge Kontakte zur ultrapyrenäischen Christenheit pflegte und somit anderen Bedingungen in der Kunstproduktion unterlag. Der inhaltliche Einstieg erfolgte mit einem Beitrag von Achim Arbeiter, der neben Sabine Noack-Haley (Hamilton, Ontario), die den Festvortrag am Abend mit dem Titel „Der Bezug auf das Römische im Mittelalter“ hielt, zu den besten deutschsprachigen Kennern des frühchristlichen und frühmittelalterlichen Spanien zählt. Arbeiter präsentierte einen Abriß der Kunstproduktion vor der Romanik, d.h. einen Überblick über die frühchristlichen, westgotischen, asturischen, mozarabischen und katalonischen Hauptwerke, kontrastierte islamisches und christliches Formengut sowie hispanisch-frühmittelalterliche und romanische Bauskulptur. Er provozierte mit der These, daß nach Sichtung des Materials unmöglich von einem graduellen Übergang von der hispanisch-frühmittelalterlichen zur romanischen Kunst gesprochen werden könne.

Ein Gegenbild bot bereits der nachfolgende Vortrag von Etelvina Fernández González (León), der deutlich machte, daß zwischen den Kunstgattungen differenziert werden muß. Weisen die Objekte aus der Schatzkammer von León, die Fernando I. (Regierungszeit 1035-1064) und seine Gemahlin Sancha gestiftet haben, eindeutig außerspanische Einflüsse auf - im Falle des Schreins des heiligen Isidor lassen sich enge Bezüge zu den Bronzetüren in Hildesheim beobachten -, so läßt sich in der Architektur sehr wohl „einheimisches“ Erbe konstatieren. Grabungen haben gezeigt, daß der sogenannte Fernando-Bau, der Vorgängerbau der heutigen Kirche San Isidoro in León, der 1063 geweiht wurde, asturische Königsbauten des 8. Jahrhunderts zum Vorbild nimmt. Erhalten geblieben ist vom ihm der doppelgeschossige Narthex im Westen, der heute unter der Bezeichnung Königspantheon bekannt ist. Das Untergeschoß war die Grablege des kastilisch-leonesischen Herrscherhauses, das Obergeschoß diente bis zur Erneuerung der Kirche im 12. Jahrhundert als Königstribüne. Daß dieser Rückbezug kein Zufall ist, läßt sich durch die Kirche San Pedro de Teverga in Asturien (1069-1076) belegen, die neben der asturischen Raumstruktur mit Narthex auch die asturischen Doppelsäulen am Eingang zur Apsis rezipiert.

Ausführlich mit der Architektur und den Bauphasen der Krönungskirche San Isidoro in León beschäftigte sich der Beitrag von Franziska Müller-Reißmann und Frank Seehausen (Berlin). Erfrischend waren die Ausführungen, weil sie in bezug auf die umstrittene Datierung der einzelnen Bauphasen und damit der Portalskulptur von San Isidoro erstmals einen methodischen Weg aufzeigten, diesem Problem vom Objekt her zu begegnen. Denn die Kapitellskulptur im Kircheninnern, die einzelne Kapitelle aus dem Königspantheon adaptiert und variiert, läßt sich aufgrund der Unterteilung in verschiedene Motivgruppen einzelnen Bauabschnitten zuweisen. Mit ihrer Analyse vermochten die Referenten aber auch die kontrovers diskutierte These zu untermauern, daß der sogenannte Fernando-Bau vom Südwesten aus nach und nach umbaut worden sein muß. Die Untersuchung der Bauskulptur und von architektonischen Strukturen im ausladenden Querhaus wiederum hat deutlich gemacht, daß das Querhaus einem Planwechsel geschuldet ist und hier die Kathedrale von Santiago de Compostela Einfluß genommen zu haben scheint. Ob die im Vortrag vorgestellte Bauabfolge des Neubaus von San Isidoro auch Aufschluß über die Chronologie der Portalskulptur geben könne, d.h., eine Datierung der Puerta del Cordero um 1090 vor den Skulpturen der Puerta de las Platerías in Santiago rechtfertige, hat Peter K. Klein (Tübingen) anschließend in Zweifel gezogen. Sein Einwand, die Skulptur hätte sich vom Komplizierten zum Einfachen entwickelt, das Portal in León müßte demnach jünger sein als das in Santiago, offenbart zugleich das Dilemma, dem die Forschung in bezug auf die Skulptur des 11. Jahrhunderts gegenübersteht. Zum einen gibt es so gut wie keine sicheren Baudaten, zum anderen fehlen grundlegende bauarchäologische Studien. Die Puerta de las Platerías als chronologisches Meßinstrument heranzuziehen, ist insofern problematisch, da ihr jetziges, verwirrendes Erscheinungsbild auf mehrfache Umgestaltungen zurückzuführen ist, die nur bedingt Auskunft über die ursprüngliche Gestaltung geben.

Mit aus kunsthistorischer Sicht selten beachteten Aspekten der Bauarchäologie - Mauertechnik und Steinbearbeitung im 11. Jahrhundert - beschäftigte sich der Vortrag von Éliane Vergnolle (Besançon/Paris). Sie zeigte auf, in welcher Abhängigkeit die Bearbeitung zu dem in der Region vorhandenen Steinmaterial steht und machte anhand von Beispielen diesseits und jenseits der Pyrenäen die langsame Perfektionierung der Steinbearbeitung anschaulich. So scheint sich etwa der Spitzmeißel, der zwar in der Antike jedoch nicht im Frühen Mittelalter Verwendung fand und schließlich wieder seit Beginn des 11. Jahrhunderts vor allem in Gebieten mit weichem, gut zu bearbeitendem Kalkstein anzutreffen ist, im Laufe des 11. Jahrhunderts vor allem beim Kleinquadermauerwerk mit regelmäßigen Steinlagen durchzusetzen. Als Beispiel für diese Technik führte sie die Kirche Saint-Sernin in Toulouse an, deren Baubeginn inzwischen durch die Neuinterpretation von Quellen bereits in die Jahre 1050/60 zu datieren sei. Damit würde Saint-Sernin nicht nur im Hinblick auf die Bauskulptur, sondern auch auf die Steinbearbeitung eine besondere Rolle gewinnen. Ihrer Meinung zufolge scheint gerade Saint-Sernin für die schnelle Verbreitung dieser Steinmetztechnik in der Pyrenäenregion verantwortlich zu sein, die sich bereits Ende des 11. und zu Beginn des 12. Jahrhunderts in manchen Bauhütten Aragóns, z.B. der Kathedrale von Jaca, der Burgkirche von Loarre oder Santa Cruz de la Seros beobachten läßt.

Der Kathedrale von Santiago de Compostela waren die Beiträge von Jochen Staebel (Trier) und Judit Vega Avelaira (Fribourg) gewidmet. Bezüglich der Architektur werden in der Forschung vor allem die engen Bezüge zur französischen Baukunst und damit die internationale Rolle der Kathedrale betont. Daß aber auch Formengut von Bauwerken der westgotischen und asturischen Zeit in ihr Erscheinungsbild eingeflossen sind, haben beide Vorträge deutlich gemacht. Jochen Staebel beeindruckte durch den Vergleich zwischen der Chorscheitelkapelle von Santiago mit geradem Abschluß (Baubeginn 1074/75) und der kleinen westgotischen Kirche São Frutuoso Montélios bei Braga (Portugal) aus dem 7. Jahrhundert. Vor allem das rund- und spitzbogige Blendwerk am Außenbau demonstriert verblüffende Parallelen, die über das reine Architekturzitat hinauszugehen scheinen. Im Jahre 883 wurde der westgotische Zentralbau, der ursprünglich Salvator geweiht war, der Kirche in Santiago de Compostela geschenkt, die Chorscheitelkapelle der Kathedrale ist ebenfalls San Salvador geweiht und den Leichnam des heiligen Fructuosus ließ Bischof Gelmírez 1102 für den Reliquienschatz der Kathedrale rauben. Auch bautechnische Merkmale der Kathedrale lassen sich, so Judit Vega Avelaira, in der hispanischen Architektur vor der Jahrtausendwende beobachten. San Salvador de Valdediós (9. Jh.) weist bereits Pfeiler mit Säulenvorlagen auf und der Belvedere am Monte Naranco (9. Jh.) kennt die mit Gurtbögen unterstützte Tonnenwölbung. Die damit implizierte bautechnologische Kontinuität vom 9. bis zum 11. Jahrhundert läßt sich allerdings durch keinerlei architektonische Zwischenglieder belegen.

Den Einfluß der islamischen Kunst und Kultur auf die christliche Kunstproduktion des 11. Jahrhunderts behandelten die Vorträge von James Miller (Tunis), Christiane Kothe (Köln) und Cynthia Robinson (Ithaca). James Miller hob auf das 775 gegründete marokkanische Karavanenzentrum Sigilmasa ab, das in der Folgezeit durch den dort organisierten Goldhandel mit Europa eine immense Bedeutung gewann. Mit der Eroberung Marokkos Mitte des 11. Jahrhunderts durch die Almoraviden verlor Sigilmasa seine Unabhängigkeit. Zwar lief der Goldhandel zunächst weiter, doch spätestens Ende des 11. Jahrhunderts versiegten die Geldströme aus machtpolitischen Gründen. Christiane Kothe merkte die bisher vernachlässigte Rolle der islamischen Kultur an, die durch Kriege, Handel, Razzien und Tributzahlungen im christlichen Hispanien aber allgegenwärtig gewesen sei. Vor allem die höfische Kultur al-Andalus' habe den Kulturtransfer beflügelt, so etwa der Hof von Zaragoza, der für die Kontakte jenseits der Pyrenäen maßgeblich war. Ihr Beitrag und die anschließende Diskussion machten deutlich, welch entscheidenden Faktor das Gold aus Sigilmasa bei der Finanzierung der Großbauten des 11. Jahrhunderts gespielt haben muß, von dem beispielsweise auch Cluny durch die Zuwendungen der spanischen Könige erheblich profitierte. Daß ein direkter Zusammenhang besteht zwischen dem Aufruf zum 1. Kreuzzug durch Papst Urban II. 1095 und dem Sieg der Almoraviden 1094 über den Schwiegersohn von Alfonso VI., der ein Versiegen der Geldquellen befürchten ließ, scheint mehr als plausibel zu sein. Auch Cynthia Robinson unterstrich die Bedeutung der islamischen Hofkultur. Der Einfluß lasse sich beispielsweise an Luxusgegenständen demonstrieren, die als Geschenke an christliche Herrscher gelangten, etwa die fatimidische Bergkristallvase, die Wilhelm von Aquitanien erhielt und die später ihren Niederschlag in der Vasenform der 24 Ältesten am Westportal von St.-Denis findet. Auch die „höfische Liebe“ der Troubadourzeit gehe auf die Berührung mit Literatur und Gesang islamischer Hofkultur zurück.

In den Referaten von Bernabé Cabañero Subiza (Zaragoza) und Minerva Saénz Rodríguez (Logroño) ging es um die Ursprünge romanischer Kunst in Aragón und der Rioja. Neue Forschungsergebnisse zu den bisher kaum wahrgenommenen Westwerken katalanischer Kirchen des 11. Jahrhunderts präsentierte Francesca Español Bertran (Barcelona). Durch Grabungen und Quellen lassen sich Form und Funktion der oft im Mittelalter bereits aufgegebenen doppelgeschossigen Westwerke gut erschließen. Meist diente dabei das Untergeschoß als Grablege, Altäre mit wichtigen, meist Christusreliquien befanden sich im Obergeschoß.

Ikonographischen Problemen der skulpturalen Ausstattung waren die Vorträge von Stefan Trinks (Berlin), Horst Bredekamp (Berlin), Nicole Hegener (Berlin) und Peter K. Klein (Tübingen ) gewidmet. Mit dem Schlangenmotiv zwischen León und Jaca beschäftigte sich Stefan Trinks. Sehr überzeugend zog er die Verbindung zu Isidor von Sevilla, Vermittler antiken Wissens, Namenspatron der Leoneser Krönungskirche wie auch Augustinus' bedeutendster Exeget für das Augustinerchorherrenstift in Jaca. So spiegelt sich Isidors Hauptwerk, die Etymologiae, etwa in der komplexen Sündenfall-Ikonographie auf dem von Fernando I. und Sancha gestifteten Reliquienschrein in León. Die Ambivalenz der Schlange als Symbol des Bösen, das wiederum nach Augustinus Bedingung für das Gute ist, läßt sich auch auf Kapitellen aller Bauphasen sowie auf den Zodiacus-Reliefs in León beobachten. Gleichrangig der Rezeption des antiken Husillos-Sarkophages demonstriere die bildliche Umsetzung der Werke Isidors wie auch die teils wörtlichen Zitate auf dem überreich mit Schrift versehenen Tympanon in Jaca, so Trinks, einen bewußten Rückbezug auf antike Traditionen vor der arabischen Eroberung, um damit die bruchlose Kontinuität und Legitimität der christlichen Königreiche seit der Spätantike zu manifestieren. Horst Bredekamp stellte die Semantik von Tüchern in den Mittelpunkt seines Vortrages, die er als „Treibsegel der Formfindung“ beschrieb. Die dämonische Kraft von Stoff zeige sich nicht nur in der negativ konnotierten Bekleidungsszene von Adam und Eva auf dem Isidor-Schrein, sondern auch bei Kapitellen in Frómista oder Jaca, etwa dem Schleiertanzkapitell, den Turban tragenden Konsolfiguren in Frómista oder bei Hagar im Tympanon der Puerta del Cordero in León, die ihr Knie entblöße. Cynthia Robinson unterstrich in diesem Zusammenhang die Rolle von Stoffen in der islamischen Welt, ihre Wertschätzung und die Bedeutung gerade des Turbans zur Abgrenzung zwischen Muslimen und Christen. Die mehr als 300 Konsolfiguren der Kirche San Martín de Frómista waren Ausgangspunkt für die Überlegungen von Peter K. Klein. Anders als die bisherige Forschung, deren eindimensionaler Blick auf die sexuellen Motive zu kritisieren sei, eröffnete er für die Konsolsteine zunächst einen neuen Bezugsrahmen. So parallelisierte er sie mit den Randfiguren und -szenen, wie sie in der Buchmalerei oder beispielsweise in den Randstreifen des Teppichs von Bayeux anzutreffen sind. Im Vergleich damit seien die Darstellungen aber weder moralisierend noch apotropäisch gemeint, sondern die „unscharfe und diffuse Randzone“ diene zur Abgrenzung vom Fremden und zur Findung der eigenen Identität. Richtig ist zwar, daß das schon im lateinischen Wortsinn definierte „Marginale“ in der Buchmalerei existiert. Fraglich ist allerdings, ob dies auch für die Architektur gilt, wo es keine „nachrangigen“ Bauteile gibt und selbst an höchster Stelle Skulpturen noch vollständig ausgearbeitet sind.

Mit der Buchmalerei beschäftigten sich die Abschlußreferate von Soledad de Silva y Verástegui (Vitoria) und Fernando Galván Freile (León). Während in den Skriptorien der Klöster, z.B. San Millán de la Cogolla und Silos, im 11. Jahrhundert weiterhin die sogenannte mozarabische Tradition des vorangegangenen Jahrhunderts gepflegt wurde, so Soledad de Silva y Verástegui, lassen sich dagegen in denen der Höfe, d.h. Nájera und León, bereits Mitte des 11. Jahrhundert und damit erheblich früher als in der Skulptur oder Wandmalerei romanische Formen beobachten. Erst Ende des 11. Jahrhunderts hätten schließlich auch die klösterlichen Schreibstuben im Zusammenhang mit der gregorianischen Liturgiereform die neue Formensprache übernommen, wobei im Kloster von Silos das Nebeneinander von mozarabischer und romanischer Bildsprache noch zu Beginn des 12. Jahrhundert zu konstatieren sei. Im Zentrum des Vortrages von Fernando Galván Freile stand der in der Forschung selten berücksichtigte „Liber canticorum et orarum de Sancha“ aus dem Jahre 1059 (Salamanca, B.G.U.S., Ms. 2668). Im Vergleich mit dem „Beatus-Codex des Facundus“ von 1047 (Madrid, Biblioteca Nacional, Ms. Vitr. 14-2) und des sogenannten „Libro de Horas“ von 1055 (Santiago de Compostela, Biblioteca Universitaria, Rs. 1), beide im Auftrag von Fernando I. und Sancha gefertigt, wies er zunächst auf das Paradoxon hin, daß die beiden älteren Handschriften im Gegensatz zum Liber canticorum bereits eindeutig romanische Formen beinhalteten. Die Altertümlichkeit der jüngeren Handschrift machte sich Galván Freile zu nutze und markierte anhand einer genauen Detailanalyse den Umschwung von der mozarabischen zur romanischen Form.

Es war ein Charakteristikum der Tagung, daß die teils disparaten Vorträge nur selten einen roten Faden im Gesamtkontext erkennen ließen und man sich eher bruchstückhaft dem eigentlichen Anliegen der Tagung näherte. Als wären die Bedingungen des Phänomens der Romanik im 11. Jahrhundert geklärt, wurde von einem allgemeinen Konsens ausgegangen. Daß hier durchaus Diskussionsbedarf bestanden hätte, zeigten verschiedene Beiträge und Wortmeldungen. Die Tagung machte dennoch deutlich, daß vor allem die Rolle der christlichen Hofkultur Nordspaniens bisher unterschätzt geblieben zu sein scheint. Die These von Horst Bredekamp, der bereits früher die neuen Bilder in der Skulptur und ihre Plastizität in Verbindung mit den Höfen gesehen hat, wurde nicht nur durch die Forschungen von Soledad de Silva y Verástegui in bezug auf die neuen Formen in der Buchmalerei gestützt, sondern auch durch die islamischen Höfe, die weitaus wichtiger als die Pilgerwege für den Kulturaustausch gewesen zu sein scheinen. Zwar fehlte ein Beitrag, der sich ausschließlich mit der Rolle des Klosters Sahagún, dem sogenannten Cluny Spaniens, befaßte und hier vielleicht ein Gegengewicht hätte aufbauen können. Daß die Beziehungen der Königsfamilien untereinander jedoch entscheidend für den Kulturaustausch gewesen sind, bestätigen auch die Forschungen zum 12. Jahrhundert in Nordspanien. Fast scheint es, daß all die mobilisierten Kräfte, die im 11. Jahrhundert zum Umbruch in der Kunst geführt haben, vor allem auf den Antrieb der neuen christlichen Herrscher und ihrer dynastischen Geflechte zurückzuführen sind, die sich teils zwar in vorhandene, vor allem aber in von ihnen selbst begründete Traditionen stellen wollten.

Empfohlene Zitation:
Claudia Rückert: [Tagungsbericht zu:] Christliche Kunst im Umbruch (Georg-August-Universität Göttingen, 27.–29.02.2004). In: ArtHist.net, 22.06.2004. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/452>.

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