REV 15.01.2004

Werner Busch: Caspar David Friedrich

Rezensiert von Joseph Imorde, Universität Siegen
Redaktion: Claudia Sedlarz

Caspar David Friedrich war ein religiöser Mann. Unzweifelhaft verstand er sein künstlerisches Tun als "Gottesdienst", seine Arbeit als Andachtsübung [8, 39, 42, 76, 136]. Daß er sich auch - im Sinne Friedrich Schleiermachers - als Priester des Höchsten begreifen konnte und eben darum in der Aufgabe sah, seinem Publikum das Göttliche im Eigenen und auch als Eigenstes nahe zu bringen, versucht Werner Busch in seinem Buch auf neue Weise zu begründen. Er vertritt dort die These, daß "Schleiermacher für Friedrichs gedankliche Prägung den bedeutendsten Einfluß überhaupt darstellt[e]" [74], und präzisiert dahingehend, daß "allein die Theologie Schleiermachers oder genauer seine Reden ‚Über die Religion' von 1799 Friedrich eine gedankliche Anleitung bieten konnten, Kunst und Religion zu verbinden, ja Kunst religiös zu betreiben" [161]. Friedrich soll am Ende der historisch und strukturell vorgehenden Untersuchung wieder als religiöser Künstler dastehen, als ein Maler, der nach einer subjektiven Form des Gottesdienstes durch Kunst sucht, ohne dabei von einer demütigen Gnadenauffassung zu lassen [8].

Das, was im Werkprozeß die malerische Demut anzeigt, ist Friedrichs fleißiges Naturstudium, seine nicht zu leugnende Naturrichtigkeit [48], die von der Zeichnung oft mit "abenteuerlicher Präzision" [93] in das Werke überführt werden kann. Subjektiv ist hingegen die Anordnung dieser "Naturversatzstücke" im Bild, die flächenorganisierende Verhältnisbestimmung der verschiedenen "Naturpartikel", kurz das, was Werner Busch mit dem Wort "ästhetische Ordnung" zu umreißen sucht. In der abwägenden Verbindung von Naturrichtigkeit und geometrischer Setzung [26] wird das Programm Caspar David Friedrichs erkannt: Fehlt die mit mathematischer Logik und Kühle konstruierte Form bleibt das Werk bei der "unordentlichen" Naturwiedergabe stehen, fällt aber die Setzung zu schematisch aus, laufen die Bilder - besonders die religiösen Gemälde - Gefahr, eintönig zu wirken. Aus diesem Grunde muß die geometrische Grundform, das heißt die subjektive Entscheidung zu einer ästhetischen Ordnung, immer wieder vom Künstler mit Kunst verhüllt werden. Denn zu große Bestimmtheit erstickt die Empfindung und läßt damit die von Schleiermacher geforderte "höhere Realität" verkümmern [134].

Wo die sinngebende Setzung aber gelingt, wo Friedrich die Gegenstände durch Ästhetisierung transzendiert [76], macht der Interpret geheime Wirkformen aus [154], dort sieht er innere Zusammenhänge [185] und geheime ästhetische Zentren [179], kurz neuralgische Bildpunkte, die überwiegend nach der Regel des Goldenen Schnitts konstruiert sind. Diese Punkte bleiben dem ersten Blick zwar verborgen, werden aber durch die hier dezidiert strukturanalytisch vorgehenden Kunstwissenschaft objektivierbar gemacht. Werner Busch geht diesem wichtigsten ästhetischen Teilungsprinzip im ¼uvre Friedrichs [27] mit größter Genauigkeit nach, mit einer ikonischen Akribie, die dem Relativen des apostrophierten Geheimnisses manchmal den Empfindungsraum abzuschnüren scheint.

Dabei ist nicht daran zu zweifeln, daß Friedrich seine Bilder exakt konstruiert hat, vielleicht wirklich - wie oft zu lesen ist - auf den Millimeter genau [23, 28, 32, 96, 121], doch scheinen Bedenken da angebracht, wo von der Wirkung dieser exakten "ästhetischen" Setzung mit Bestimmtheit gesprochen wird. Natürlich mag es zutreffen, daß "dieses Teilungsverhältnis seit jeher als ästhetisch angenehm empfunden" wurde [22], auch soll hier die Aussage nicht widerlegt werden, daß "der Goldene Schnitt unmerklich ästhetisches Wohlbefinden" auslöst [28], doch bereitet es Probleme, mit dem Autor anzunehmen, daß sich allein durch den Nachvollzug dieser vom Künstler subjektiv verfügten Ordnung, das heißt vereinfacht gesagt, mit dem Auffinden des Goldenen Schnitts, im Betrachter ein religiöses Gefühl einstellen kann, eine selbstbeobachtende Verwahrung einer höheren Realität, die der Zielrichtung Schleiermachers folgt, "das Unendliche in uns selbst zu erkennen" [164]. Auch wenn es auf Caspar David Friedrich zutrifft, daß "für ihn selbst der künstlerische Prozeß und sein Nachvollzug den Ort markieren, an dem Religiöses sich allein ereignen kann" [8], so muß dies noch lange nicht für den vom Autor vielleicht zu häufig vereinnahmten Betrachter gelten.

Fraglich bleibt, ob das "Strukturmodell" Friedrichs wirklich in der Lage ist, "über das Verhältnis von Wirklichem, gegenständlich Einzelnem und transzendentem Unendlichen anschaulich zu reflektieren und die Reflexion dem Betrachter als einen vom Gefühl getragenen Denkraum zu eröffnen" [166]. Fraglich auch, ob der die handlungsarmen Landschaftsbilder Betrachtende wirklich "die abstrakte Figur als Verweis auf Göttliches" erfährt [167]. Um die in der geometrischen Ordnung aufgehobenen und dabei eher schwach ausfallenden Empfindungspotentiale des ästhetischen Wohlgefallens als religiöse Gefühle zu retten, wird von Schleiermacher ein ideales Modell der Affekttransmission entliehen und auf Friedrichs Arbeiten angewandt. Da die Werke ihr Objekt im Endlichen und in der Wirklichkeit haben, bedürfen sie der Einbindung in eine verweisende höhere, aber abstrakte Ordnung, die der Künstler als Mittler auf der Basis seines religiösen Affiziertseins vorschlägt. Das Affiziertsein gibt ihm eine Ahnung des Unendlichen, und da er als Mittler und als religiös Affizierter, das Werden seines religiösen Bewußtseins verspürt hat, drängt es ihn auch, dieses wieder zu entäußern [166-167]. "Auch Friedrich" - so wird gesagt - "produziert nur im Moment des religiösen Affiziertseins, und er tut dies wie Schleiermacher in Demut" [169]. Was die Anschauung des Unendlichen dem Inspirierten zeigt, stellt er demütig in endlichen Gegenständen dem Uninspirierten vor Augen. Auf der Grundlage eines religiösen Gefühls werden die Naturgegenstände in eine ästhetische Ordnung überführt und dadurch die Findung in eine nachvollziehbare und ordentliche Empfindung transformiert [94].

Die Aufgabe des Mittlers erfüllt sich in der statthabenden Wirksamkeit dieser abstrahierten Empfindungsordnung, erst der erfolgreiche Nachvollzug läßt ihn zum priesterlichen Lehrer werden [76]. Die geometrischen Setzungen in den Bildern zeugen, so meint der Autor, von dem unaufhörlichen Versuch Friedrichs, "der Idee Gottes, wie sie sich in der Natur offenbart, näherzukommen. Für den Künder scheint diese Idee im Prozeß des Malvollzuges auf, für den Betrachter im Prozeß des Nachvollzuges des Malprozesses" [169]. Auf diesen pünktlichen Nachvollzug will uns der Interpret festlegen. Er fordert, was er sich selbst in der empathischen Annäherung an seinen Gegenstand auferlegt hat, nämlich eine demütige und vor allem geduldige Anschauung, eine eingehende Strukturanalyse. Das deshalb, weil die Funktion der oftmals schwer zu realisierenden Formfiguren darin besteht, die nicht mehr zu erreichende Sinneinheit ästhetisch zu kompensieren, was für den "Betrachter" idealerweise nichts anderes heißen kann, als die Empfindung des Künstlers im eigenen Gefühl als Religion zu verwahren, um dadurch Sinn für sich zu restituieren [48].

Der Interpret wird mit diesem Anspruch selbst zum Mittler, Künder oder Priester, zu einem allerdings, der es - um Schleiermacher zu paraphrasieren - ertragen muß, daß dicht neben ihm einer steht, dem auch alles anders erscheinen kann [163]. Denn um es hier ganz deutlich zu sagen: mir sind die Berliner Bilder Friedrichs auch nach fleißigster Betrachtung nicht als die religiösen Erfahrungen ins Bewußtsein gedrungen, die ich nach der Analyse hätte erwarten dürfen, ja selbst als vom Künstler induzierte ästhetische Empfindungen haben sie sich nur wie von ferne vernehmen lassen. Ich glaubte als Kryptokatholik gescheitert zu sein, gescheitert an dem hohen und heute vielleicht nur mehr schwer einlösbaren Anspruch, der in Friedrichs Gemälden greifbar wird, gescheitert aber auch an jener eindringlichen und durchaus "protestantischen" Sinndeutung des Werner Busch, die sich mit enormer wissenschaftlicher Exaktheit darum bemüht, der vermeintlich gefühlswirksamen Ordnung auf sehr rationale Weise gleich auch die religiöse Empfindung beizumessen. In diesem Punkt darf man anderer Meinung sein, hier darf auch jeder eigene Empfindungen haben. Die Unternehmung des Autors aber, anhand einer ikonischen Ordnung des Bildes eine höhere Realität für sich selbst dingfest zu machen, nötigt auch wegen des methodisch fundierten Ein-Sehens Respekt ab und erinnert an das hermeneutische Vorgehen Max Imdahls, dem zu seiner Zeit die Ikonik auch das Mittel war, dem eigentlich Unsagbaren sprachlich so nahe als möglich zu kommen. Imdahl steht im Buch von Werner Busch - offenbar verborgen - auf der rechten senkrechten Linie des Goldenen Schnitts, auf dem Lieblingsplatz der Bildhelden [96], und das schließlich bemerkt zu haben, war etwas Schönes an sich.

Busch, Werner: Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion, München: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 2003
ISBN-10: 3-406-50308-X, 222 S.

Empfohlene Zitation:
Joseph Imorde: [Rezension zu:] Busch, Werner: Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion, München 2003. In: ArtHist.net, 15.01.2004. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/45>.

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