REV-CONF 03.08.2004

Stadt-Raum-Geschichte

Kunsthistorisches Institut in Florenz, 13.–15.07.2004

Bericht von Thomas Rohark

Stadt-Raum-Geschichte. Die italienische Architektur der Frühen Neuzeit im Gespräch zwischen Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaft

Sowohl die Kunstgeschichte als auch die Geschichtswissenschaft nehmen die kontextualisierte Analyse von Architektur, Städtebau und Raumgestaltung als Betätigungsfeld wahr. Trotz der gemeinsamen Untersuchungsobjekte ist ein zielgerichteter Austausch der beiden Fächer zu entsprechenden Themen jedoch bislang ausgeblieben. Nur in Ausnahmefällen [1] gelang es überhaupt, das Erkenntnisinteresse auf gemeinsame Fragestellungen auszurichten und die unabhängig voneinander stattfindenden Diskurse zu vereinen. Die auf Anregung von Prof. Dr. Otto Gerhard Oexle (Göttingen) und mit Unterstützung von Prof. Dr. Gerhard Wolf (Florenz) am Kunsthistorischen Institut in Florenz stattgefundene Tagung hatte sich zum Ziel gesetzt, diesem Defizit zu begegnen und eine Plattform für das gemeinsame, disziplinenübergreifende Gespräch zu bieten. Die Organisation lag in den Händen von Dr. Jörg Stabenow (Florenz) und Dr. Stefan Schweizer (Göttingen).

Der Abendvortrag „Kanon, Zeitstil, Personalstil im Werk Vignolas“ von Christof Thoenes (Rom) diente zur Einführung in das Thema. Aus Krankheitsgründen hatte der Referent sein fertig ausgearbeitetes Manuskript zur Verfügung gestellt, welches durch Wolfram Pichler (Florenz) vorgetragen wurde. Dabei wurde deutlich, dass die Tätigkeit des Architekten Jacopo Barozzi da Vignola insgesamt aufzuwerten ist. Während seine Zeitgenossen ihm die Anerkennung überwiegend verweigerten, vermitteln Vignolas z.T. erst jüngst identifizierte Zeichnungen und Entwürfe eine Vorstellung von seinen überragenden Planungstechniken. Da seine Werke „überpersönlicher Natur“ (Thoenes) seien, was beispielsweise deren Qualität und die korrekte Verwendung der „ornamenti“ betrifft, lehnt Thoenes die Identifizierung eines Personalstils bei Vignola ausdrücklich ab und gab der Tagung damit eine wichtige Perspektive vor.

Im folgenden stand besonders der Traktat „Regola delli cinque ordini d'architettura“ im Zentrum der Ausführungen. Ursprünglich für Praktiker gedacht, wurde der zweite Druck bereits so modifiziert, dass weitere Leserschichten erreicht werden konnten. Anmerkungen und Erklärungen machten das Werk nun zu einem „Bilderbuch für Dilettanten“ (Thoenes), als welches es heute oft noch angesehen wird. Entsprechend geteilt ist die Meinung der Fachwelt zum Beitrag des Architekten Vignola zur Architekturtheorie. Übersehen wurde bislang jedoch, dass Vignolas Traktat in einem breiteren Kontext zu verorten ist. Dieser ist in der Suche nach einem aus der Antike ableitbaren Kanon für die Säulen-Gebälk-Tektonik in der Frühen Neuzeit zu sehen. Neu war, dass Vignola im Rückgriff auf Vitruv keine absoluten Maße verwendete, sondern sich auf Verhältniszahlen stützte, welche auf die konkrete Bauaufgabe anwendbar waren. Damit schuf er freilich nicht nur ein neues System der Architekturformen, sondern ersetzte das historische Gesetz durch die „Ratio“ des Architekten. Zudem sei nach Thoenes schließlich auch die Sicht auf die ausgeführten Bauten des Vignola zu ändern. Das Schloss in Caprarola beispielsweise kann zweifelsohne auch als symbolischer Ausdruck des Machtanspruches des Auftraggebers Alexander Farnese interpretiert werden. Beachtet man jedoch die Geschlossenheit und Symmetrie des Ganzen, welches auf dominierende Achsen oder Akzente verzichtet und stattdessen eine schematische Architektur schafft, wird hier Macht weniger repräsentiert als kontrolliert. Ob sich darin auch der ambivalente Charakter der Farnese-Herrschaft ausdrückt, wird allerdings noch nachzuweisen sein.

Nach einer kurzen Begrüßung folgte am nächsten Tag als erster Referent Michael Lingohr (Leipzig) mit „Architektenstil, Zeitstil oder Politikum? Zur Fassadengestaltung des Florentiner Renaissancepalastes“. Ausgehend vom Beispiel des Palazzo Gagliano in der Via del Cocomero (heute Via Ricasoli), der zwischen 1522-26 unter der Leitung von Baccio d'Agnolo erbaut wurde, sprach Michael Lingohr über weitere Bauten des gleichen Architekten und ihre stilistische Ausformung. Wurde bislang angenommen, dass in den Werken des Baccio d'Agnolo nach einer Romreise um 1515 eine stilistische Veränderung wahrnehmbar sei [2], kann angesichts des Palazzo Gagliano diese These nicht aufrecht erhalten werden. Darüber hinaus trat der in diesem Palazzo erkennbare Fassadentypus, auch an anderen Stadtpalästen dieser Zeit, wie z.B. dem Palazzo Corsi-Horne, auf. Offensichtlich handelt es sich dabei um einen Typus (den der Referent mit „republikanisch“ attribuierte), der unabhängig von der Person des Architekten existierte. Daran schließen sich natürlich neue Fragen nach den Intentionen und Einflüssen anderer in das Bauprojekt involvierter Personen an, in dessen Mittelpunkt selbstverständlich der Auftraggeber steht. Der besondere Verdienst des Vortrages von Michael Lingohr lag darin, dass er selbst ein überzeugendes Beispiel dafür bot, wie fundierte Bauanalyse die Basis weiterer Überlegungen und die Grundlage, nicht das Ausschlusskriterium, sozial- und wirtschaftshistorischer Interpretationsansätze bilden kann.

Jörg Stabenow (Florenz) sollte noch einmal zu der Frage zurückkehren, welche Einflussfaktoren den spezifischen Stil von Architektur prägen können. Wie schon im Titel seines Vortrages: „Die Kuppel der Barnabiten. Identitäten und Konkurrenz als Themen der Baugeschichte von S. Carlo ai Catinari in Rom“ angesprochen, zeigte sich in seinem Fall die Konkurrenz zum unweit entstehenden Bau von S. Andrea della Valle und damit dem Orden der Theatiner, welcher die Planung und Ausführung von S. Carlo ai Catinari ganz wesentlich prägte. Besonders überzeugen konnte die Darstellung Stabenows, da der dokumentierte Diskurs um den gesamten Bau und die dahinterstehenden Implikationen von ihm ausführlich dargelegt wurden. Damit bewies er, wie erfolgreich gründliches Quellenstudium und kunstgeschichtliche Formen- und Stilanalyse synthetisiert werden können.

Simona Slanicka (Bielefeld) widmete sich als Historikerin dem Phänomen, wie die uneheliche Herkunft von Herrschern besonders im 15. Jahrhundert eine positive Bewertung erfuhr („Bastarde als Architekten. Repräsentation als Kompensation von Illegitimität im Quattrocento“). In der „Ära der Bastarde“ wurde der illegitimen Herkunft eine Reihe positiver Eigenschaften zugeschrieben, wie beispielsweise ein Übermaß an Energie und besondere Tüchtigkeit. Tatsächlich traten viele unehelich geborene Herrscher auch als aktive Patrone von Kunst auf. Am Beispiel der Ikonographie der Fresken in der Sala dei Mesi im Palazzo Schifanoia in Ferrara (wünschenswerter wäre ein Beispiel aus der Architektur oder dem Städtebau gewesen) demonstrierte Simona Slanicka, wie sich die Überkompensation des Herkunftmakels in den bildenden Künsten niederschlagen konnte. In der anschließenden Diskussion zeigte sich jedoch, wie skeptisch einige Kunsthistoriker diesem Erklärungsansatz gegenüber standen und dies verdeutlichte einmal mehr den Gesprächsbedarf zwischen beiden Disziplinen.

Als ein weiterer Historiker sprach Lucas Burkart (Basel/Rom) mit „Blicke auf Rom. Interventionen im städtischen Raum der ewigen Stadt zwischen 1450 und 1600“ über die Umgestaltung Roms seit Urban V. Burkart ging dabei besonders auf die Operationalisierung des Raumbegriffs ein und bot eine Fülle von Anknüpfungspunkten. Die Interpretationsangebote gingen dabei von der Nutzung des Raumes bis zu seiner Darstellung in Bildern und der Wahrnehmung des „Stadtkörpers“ durch die Zeitgenossen, welche sich beispielsweise in einem zunehmenden Schutz der antiken Überreste äußerte.

Constanza Caraffa (Rom) zeigte mit „Dresden 1738. Brückenschlag nach Rom“ eine Darstellung aus vergleichbarer Perspektive. Die katholische Hofkirche in Dresden, 1738-49 von dem römischen Architekten Gaetano Chiaveri erbaut, stellte unter August III. den äußeren Anlass dar, die gesamte Altstädter Seite um die Augustusbrücke zu transformieren und das Projekt einer umfangreichen urbanistischen Umgestaltung zu beginnen. Besonders aufschlussreich erweist sich der Blick auf Dresden, da eine vor allem von Rom ausgehende „katholische“ Formsprache an das protestantische Umfeld angepasst werden musste. Cornelia Jöchner (Cottbus) („Städtische Räume als dynastische Narration: S. Maria di Natività [gen. Superga] in Turin“) widmete sich ebenfalls der Nutzung des Raums und seiner Gestaltung. In ihrem Fall veränderte Turin mit der Etablierung als Machtzentrum seine Struktur, was an der monumentalen Sichtachse Rivoli-Turin-Superga besonders deutlich wird. Die Schaffung eines solchen „phänomenologischen Fernraums“ (Jöchner) brachte die Referentin anschließend überzeugend mit politischen und machtverändernden Gegebenheiten, hier besonders in der Folge des Friedens von Utrecht, in Zusammenhang.

Stefan Schweizer (Göttingen) leitete mit seinem Beitrag „Referenz Geschichte? Die Architekturgeschichtsschreibung der italienischen Renaissance von Burckhardt bis Wittkower“ bereits zur Abschlussdiskussion über. Das Schreiben über Architektur, so legte Schweizer dar, kann nur unter Beachtung des Zeitkontextes der Autoren und im Zusammenhang mit der Herausbildung von Kunstgeschichte als akademischer Disziplin verstanden werden. Gerade die Missverständnisse zwischen Geschichte und Kunstgeschichte können aus den historischen Bedingtheiten heraus erklärt werden.

Die das Kolloquium abschließende Diskussion gewann durch einige anwesende namhafte Vertreter beider Fächer (Prof. Dr. Elisabeth Kieven, Rom; Prof. Dr. Bernd Roeck, Zürich, Diskussionsleitung), sehr erfreulich an Gewicht und inhaltlicher Präzision. Wie vorteilhaft es war, das Kunsthistorische Institut als Ort des Kolloquiums zu wählen, hatte sich bereits am Nachmittag des ersten Veranstaltungstages deutlich gezeigt. Matteo Burioni (Florenz), der über „Vasaris Uffizien: Transformation stadträumlicher Bezüge im Übergang von der Republik zum Prinzipat“ referierte, führte die Teilnehmer auf die Piazzale degli Uffizi und zeigte am Objekt, was für ein ambitioniertes Objekt die Medici unmittelbar neben dem Palazzo Vecchio und der Piazza della Signoria errichtet hatten. Als Bereicherung wurde von den Anwesenden auch empfunden, dass durch die Wahl des Tagungsortes Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und Nationalitäten zusammengeführt wurden. Nicht zuletzt bot das Kunsthistorische Institut in Florenz dem Kolloquium einen idealen Rahmen und sorgte mit seiner Gastfreundschaft dafür, dass die Teilnehmer auch am Rande der Veranstaltung in regem Gedankenaustausch standen.

Anmerkungen

[1] Peter Burke: Städtische Kultur in Italien zwischen Hochrenaissance und Barock, Berlin 1987. Bernd Roeck: Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität, 2. Bde, Göttingen 1989.

[2] Vgl.: Cecchi, Alessandro: Percorso di Baccio d'Agnolo legnaiuolo e architetto fiorentino, Teil 1: Dagli esordi al Palazzo Borgherini, in: Antichità viva, XXIX, 1990, Nr. 1, S. 31-46. und Teil 2: Dal Ballatoio di Santa Maria del Fiore alle ultime opere, in: Antichità viva, XXIX, 1990, Nr. 2-3, S. 40-57.

Empfohlene Zitation:
Thomas Rohark: [Tagungsbericht zu:] Stadt-Raum-Geschichte (Kunsthistorisches Institut in Florenz, 13.–15.07.2004). In: ArtHist.net, 03.08.2004. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/443>.

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