REV 12.01.2004

Zupancic/Schilp (Hgg.): Der Berswordt-Meister und die Dortmunder Malerei

Rezensiert von Sylvie Tritz
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Die neueste Publikation über den wenig bekannten Berswordt-Meister ist auf den ersten Blick eine Augenweide, denn die farbenfrohen Reproduktionen der Gemälde sind von höchster Qualität. Gute Abbildungen evozieren aber auch den Anspruch an die inhaltliche Qualität des Bandes, um nicht als Coffee-Table-Book zu enden. Das Buch über das Werk des Dortmunder Meisters wird diesem Anspruch weitgehend gerecht. Denn es fasst nicht nur den neuesten Forschungsstand zusammen, sondern garniert ihn darüber hinaus mit bislang wenig beachteten archivalischen Dokumenten und sozialhistorischen Hintergründen zu einem facettenreichen, stellenweise allerdings ermüdend detailreichen Gesamtbild des bislang unterschätzten Malers.

Von diesem in den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts tätigen Maler wissen wir nicht einmal den Namen, und so musste er bislang das Schicksal vieler seiner Zeitgenossen erleiden: Eine "Kunstgeschichte mit Namen" neigt immer wieder dazu, herausragende Werke einem namentlich bekannten Meister wie z.B. Stefan Lochner zuzuschreiben. Ebenso wie die Rezeption der gleichzeitig tätigen Kölner Maler im Schatten Lochners steht, wurden die Werke des Berswordt-Meisters lange Conrad von Soest zugeschrieben oder als Werke aus dessen Nachfolge eingestuft; so schwankte bis in die jüngste Literatur die Datierung des namengebenden Altarretabels über einen Zeitraum von nahezu 50 Jahren (1385-1431). Dabei ist er kein unbeschriebenes Blatt: Nach einer in den frühen 1980er Jahren verfassten Dissertation zum Thema [1] stand vor wenigen Jahren eines der Werke aus dem ¼uvre des Meisters im Zentrum einer internationalen Tagung [2]. Die bislang erzielten Ergebnisse konnte nun ein interdisziplinär angelegtes Forschungsprojekt unter der Leitung des Dortmunder Stadtarchivs ergänzen und im vorliegenden Band präsentieren. Der Band fasst den jüngsten kunstgeschichtlichen Forschungsstand nicht nur transparent zusammen, er bietet darüber hinaus auch neue Deutungen in bezug auf Zuschreibung, Datierungsfragen und stilistische Einordung des Meisters. Das erklärte Ziel der Publikation ist es jedoch, einem breiteren Publikum die Funktion eines solchen Meisters von internationalem Rang im Umfeld der spätmittelalterlichen Stadt vor Augen zu führen - die durchgängige Anschaulichkeit des Schreibstils trägt dem Rechnung.Das Buch setzt sich aus elf Aufsätzen fünf verschiedener AutorInnen zusammen, die sich thematisch in drei Abschnitte gliedern: Die ersten Beiträge erläutern aus historischer und kunsthistorischer Sicht grundlegende Facetten des Themas, wobei der historische Teil stark auf die Publikationen über "Deutsche Erinnerungsorte", "Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit" und den Komplex der Memorialforschung rekurriert - der grundlegende Sammelband zum Thema von Schmid und Wollasch wird dagegen nicht genannt, die zur Stiftungsproblematik zentralen Publikationen Michael Borgoltes werden nicht einmal erwähnt [3]. Auf diese Einleitung folgt die historische Betrachtung der Auftraggeberseite, während der Band mit einer Einordnung der Kunst um 1400 in das zuvor betrachtete städtische Umfeld schliesst.

Der erste Beitrag von Thomas Schilp über "Stadtkultur im spätmittelalterlichen Dortmund" bietet auf 55 Seiten ein detailreiches Bild der städtischen Sozialstruktur, wobei die Betrachtung des Wirtschaftslebens ebenso wie die von Jenseitsvorstellungen geprägte Mentalität der Einwohner in ihren Folgen für das Zusammenleben analysiert werden. In diesem Umfeld, innerhalb der Denkkategorien von Memoria und Repräsentation, hatte die Produktion religiöser Bilder ihren Sitz im Leben.

Auf diese ausführliche Kontextualisierung folgt die Beschreibung des Altarretabels durch Andrea Zupancic, die zunächst das ikonographische Programm des Triptychons vorstellt, dessen Aussenseite eine Verkündigung schmückt, während auf der Innenseite mit Kreuztragung, Kreuzigung und Kreuzabnahme die Passion geschildert wird. Auf die in ihrer Ausführlichkeit manchmal ermüdende, für Laien in ihrer Klarheit aber sicherlich wertvolle Entschlüsselung des theologischen Sinngehalts folgt schliesslich die Interpretation der erhaltenen Dokumente zum Heilig-Kreuz-Altar in der Marienkirche, auf dem das Retabel aufgestellt ist. Anlässlich der häufigen Neudotierung des Altars durch verschiedene Familien geht Zupancic dabei der interessanten Frage auf den Grund, wie dem theoretischen Ewigkeitsanspruch einer Messstiftung in der Praxis entsprochen wurde. Das Retabel selbst als Ausstattung einer Messstiftung legt Zeugnis davon ab: Wahrscheinlich wurde es um 1386 für Heinrich Lemberg angefertigt; es blieb aber nicht im Besitz von Lembergs Nachfahren, sondern wurde später durch das heute noch sichtbare Wappen mit dem springenden Eber als Besitz der Familie Berswordt gekennzeichnet. Die sowohl auf schriftliche Quellen zum Altar als auch auf kostüm- und stoffkundliche Details im Bild selbst gestützte Frühdatierung wird durch das Ergebnis einer dendrochronologischen Untersuchung bestätigt - mit dem spektakulären Resultat, dass Conrad von Soest fortan als Nachfolger des Berswordt-Meisters betrachtet werden muss.

Gerade die auf dem Retabel dargestellten Realien wie etwa die von Annemarie Stauffer als zentralasiatisch identifizierten Stoffe, die über günstige Handelswege nur für kurze Zeit bis etwa 1360 nach Europa importiert werden konnten, führen zurück zur Schicht der Dortmunder Auftraggeber. Die drei folgenden Beiträge umreissen die Situation der auf den Handel gestützten, auch politisch führenden Familien der Stadt, deren Reichtum sie zu religiös motivierten und sozial wirksamen Wohltaten verpflichtete. Gleichzeitig konnten diese guten Werke für die Stifter einen Ausweg aus der subjektiv zu hoch empfundenen Steuerlast bilden, was der Beitrag von Monika Fehse in erfrischender Knappheit erläutert, damit leider einen Kontrast zur Redundanz der übrigen historischen Aufsätze in diesem Abschnitt bildend, die vor allem auf die ausführliche Einleitung von Thomas Schilp zurückgreifen - dieser rekurriert seinerseits auf eigenes, in der gleichen Reihe in ähnlicher Form bereits veröffentlichtes Material [4].

Nach diesem sozialgeschichtlichen Überblick zur Auftraggeberseite versucht Andrea Zupancic in mehreren Beiträgen die kunstgeschichtliche Verortung des Berswordt-Meisters, die vor allem auf den neuen Ergebnissen der dendrochronologischen Untersuchung basiert. Sein Oeuvre beläuft sich neben dem Berswordt-Altar auf zwei weitere Werke. Von diesen ist eine Predella aus Osnabrück nur durch frühe Fotografien, das grossformatige Retabel aus Bielefeld dagegen bis auf wenige Bildtafeln vollständig erhalten, wobei letzteres häufig Conrad von Soest zugeschrieben wurde, eine These, die nun nicht mehr haltbar ist. Nach einer beschreibenden Analyse dieser Werke wagt Zupancic eine Neubestimmung der künstlerischen Wurzeln des Berswordt-Meisters. Seine bislang akzeptierte Schulung im franko-flämischen Kunstkreis lehnt sie ab (S. 250-253); sie sieht im Berswordt-Meister vielmehr den Exponenten einer eigenständigen, in Dortmund ansässigen und quellenkundlich belegten Malerschule. Freilich wird die stilistische Einordnung seines Werkes erschwert durch die Tatsache, dass der grösste Teil der mittelalterlichen Malerei der Stadt nicht überliefert ist; schon durch die wirtschaftliche Stagnation während und vor der Grossen Fehde 1388/89 verlor die Stadt und mit ihr die Malerschule an Rang. Für den hohen Stellenwert der Maler im Sozialgefüge des spätmittelalterlichen Dortmund spricht jedoch der im Anhang wiedergegebene Ehevertrag Conrads von Soest, der die Wertschätzung des Mei sters durch die führenden Familien der Stadt eindrucksvoll dokumentiert; offensichtlich sollten gerade diese Handwerker an die Stadt gebunden werden, denn die Kunst diente der städtischen Führungsschicht als Mittel zur Repräsentation. Auf der Basis dieser Überlegungen vertritt Zupancic überzeugend die abschliessende These, dass nicht nur die höfischen Zentren, sondern auch und vor allem die städtische Kultur für die Entwicklung der Malerei um 1400 eine grosse, bislang nicht genügend beachtete Rolle spielte - eine Rolle, zu deren Erforschung gerade in Dortmund einiges bewegt wird [5].

Die Gesamtheit der Beiträge wird durch ein Register erschlossen und ergibt eine kunstsoziologisch grundlegende, interdisziplinär verwertbare Monographie zum Berswordt-Meister, die sich vor allem interessierten Laien dank der lebendigen und anschaulichen Darstellung unmittelbar erschliessen dürfte, wohingegen das bereits mit der sozialgeschichtlichen Thematik befasste wissenschaftliche Publikum gewisse Redundanzen in Kauf nehmen muss. Auf den breiten Adressatenkreis, an den sich der Band in erster Linie richtet, ist möglicherweise die Ungenauigkeit der Bildunterschriften zurückzuführen, die nur den Namen und nur selten den Ort der Objekte (Dokumente, Siegel, Tafelgemälde) präzise benennen - was bei einem Verweis innerhalb des Textes auf die Provenienz verschiedener Bilder die Orientierung nicht gerade erleichtert (S. 283). Die Qualität der Abbildungen einschliesslich der bereits erwähnten Klapptafeln ist hervorragend - bis auf drei Ausnahmen auf S. 243 und 246, wo die Farblagen verrutscht sind: "Das kostbare blaue Ultramarin steigert die Wirkung des leuchtenden Rots, kleinere gelbe und hellgrüne Flächen dazwischen erzeugen ein Feuerwerk der Farben" (S. 243). Nicht zuletzt durch diese kostspielige, von Dortmunder Initiativen grosszügig geförderte Ausstattung des Bandes wird der Berswordt-Meister in Zukunft stärkere Beachtung gewinnen, wenngleich dem hohen Niveau seines Werkes eine insgesamt gestraffte, stärker an eine Monographie angelehnte Darstellung besser entsprochen hätte.

Anmerkungen:

[1] Friedrich Jacobs: Der Meister des Berswordt-Altares (Göppinger akademische Beiträge, Bd. 117), Phil. Diss. 1981, Münster 1983.

[2] Vgl. Thomas Lüttenbergs Tagungsbericht über "Hohe Kunst im Zeitalter des Schönen Stils. Das Bielefelder Retabel im Kontext spätmittelalterlicher Geschichte, Frömmigkeit und Kunst" im Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung, 22.-24. Juni 2000, in: Kunstchronik 54 (2001), S. 105-109, aber auch die Stellungnahme Brigitte Corleys auf S. 243f.

[3] Etienne François (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001; Hans Belting / Dieter Blume (Hgg.): Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Die Argumentation der Bilder, München 1989; Karl Schmid / Joachim Wollasch (Hgg.): Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter (Münstersche Mittelalter-Schriften, Bd. 48), München 1984; zu Borgolte z. B. "Totale Geschichte" des Mittelalters? Das Beispiel der Stiftungen (Öffentliche Vorlesungen der Humboldt-Universität zu Berlin, Bd. 4), Berlin 1993.

[4] Vgl. z.B. Ders. (Hg.): Himmel, Hölle, Fegefeuer. Jenseitsvorstellungen und Sozialgeschichte im spätmittelalterlichen Dortmund (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Dortmund, Bd. 12), Essen 1996.

[5] Vgl. etwa die in Kürze stattfindende Tagung zu "Stadtgesellschaft, Kunst und Künstler im spätmittelalterlichen Dortmund" (Dortmund, 29. bis 31. Januar 2004).

Zupancic, Andrea; Schilp, Thomas (Hrsg.): Der Berswordt-Meister und die Dortmunder Malerei um 1400. Stadtkultur im Spätmittelalter, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2002
ISBN-10: 3-89534-488-5, 341 S

Empfohlene Zitation:
Sylvie Tritz: [Rezension zu:] Zupancic, Andrea; Schilp, Thomas (Hrsg.): Der Berswordt-Meister und die Dortmunder Malerei um 1400. Stadtkultur im Spätmittelalter, Bielefeld 2002. In: ArtHist.net, 12.01.2004. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/44>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^