REV-CONF 07.10.2004

Bildtage Göttweig 04

Zentrum für Bildwissenschaften, Stift Göttweig, 24.–26.09.2004

Bericht von Benjamin Burkhardt
Redaktion: Godehard Janzing

Bildgedächtnis - Bildvergessen. Survival of the Images

Seit Jahren wird nun in Deutschland schon über Sinn und Zweck einer eigenständigen Bildwissenschaft debattiert. Von Anfang an zentral war dabei der Konflikt zwischen der Semiotik („Bilder sind Zeichen!“), ihren phänomenologisch orientierten GegnerInnen („Bilder sind keine Zeichen!“) und einigen verzweifelten Vermittlungsversuchen („Bilder sind nicht NUR Zeichen!“).

Während die Deutschen also noch stritten, wurde in Österreich längst gehandelt: An der Donau-Universität Krems gibt es bereits seit etwa zwei Jahren ein „Zentrum für Bildwissenschaften“. Abseits des Alltags an den Massen-Unis haben sich die Kremser Visualitätsforschenden ins herrlich gelegene Benediktinerstift Göttweig zurück gezogen. Dort arbeiten sie beharrlich an der Verbindung modernster digitaler Bildtechniken mit den soliden Traditionen der kunstgeschichtlichen Ikonographie. Während das Göttweiger Digitalisierungscenter auf dem neuesten Stand der Technik ist, ermöglicht die zehntausende Blätter umfassende grafische Sammlung der Benediktiner einen ebenso tiefen, wie authentischen Blick in die Bildgeschichte des christlichen Abendlandes. Wie bizarr und anregend Postmoderne und Mittelalter hier miteinander verschmelzen, zeigt die Tatsache, dass der Zentrumsleiter Gregor Lechner nicht nur ein ausgewiesener kunsthistorischer Fachmann ist (so war er lange Zeit Chefredakteur der Zeitschrift „Das Münster“), sondern zugleich ein Mönch. Lechner arbeitet zwar auch in Göttweig - aber in erster Linie lebt er dort. Die kunsthistorische Bibliothek mit ihren über 20.000 Bänden hat er persönlich zusammengetragen.

Kurz und gut: Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das „Zentrum für Bildwissenschaften“ aktiv in die Zeichendebatte einschalten würde. Der entscheidende Anlass dafür ergab sich nun auf den „Bildtagen Göttweig 04“. Eine ganze Reihe namhafter BildwissenschaftlerInnen aus unterschiedlichsten Disziplinen reiste zu dem hoch über dem Donautal gelegenen Benediktinerstift, um in der Abgeschiedenheit der niederösterreichischen Wachau zu debattieren. Es lag sicherlich auch an diesen herrlichen äußeren Umständen und am akribisch ausgefeilten Rahmenprogramm, dass die alten Konflikte in Göttweig weniger verbissen als in der Vergangenheit diskutiert wurden. Als Leitfaden der Tagung diente die Trias „Bildvergessen – Bildkonstruktion – Bildgedächtnis“. Schnell kamen dabei wieder einige der üblichen Verständigungsschwierigkeiten auf: Die diesmal (im Gegensatz etwa zur Magdeburger Mammuttagung im Herbst 2003) reichlich vertretenen KunsthistorikerInnen beschäftigen sich erfahrungsgemäß meist lieber mit konkreten Bildphänomenen als mit abstrakt-philosophischen Grundlagentheorien zur Natur der Bilder. Dabei sind ihre Analysen keineswegs - wie oft behauptet wird - auf den Bereich der Hochkultur festgelegt: So hielt etwa Pablo Schneider (Berlin) einen ausgezeichneten Vortrag über die „Fertigbilder“ US-amerikanischer Agenturen und deren subtiles Wechselspiel mit gesellschaftlich erwünschtem Verhalten. Auch Anja Zimmerman (Hamburg) zeigte in ihrem Vortrag über „Bild- und Körperkonstruktionen in der Medizin des 19. Jahrhunderts“, dass eine große Stärke der Kunstgeschichte in ihrer Arbeit am konkret fassbaren Bildmaterial liegt.

PhilosophInnen sind im Rahmen bildwissenschaftlicher Tagungen hingegen immer wieder dem Verdacht der „Bilderferne“ ausgesetzt. Der Magdeburger Klaus Sachs-Hombach zeigte sich in dieser Hinsicht kompromissbereit: Er reicherte seinen Vortrag über „Bildkritik und Bildgeschichte“ mit einigen visuellen Illustrationen an, obwohl er diese nicht für zwingend nötig zu halten schien. Ohnehin ist Sachs-Hombach geradezu die Personifizierung eines „Versöhnungs“-Ansatzes, der sowohl Semiotik und Phänomenologie als auch Philosophie und Kunstgeschichte zu einem fruchtbaren Miteinander anregen möchte. In die gleiche Kerbe schlug auch der „Hausherr“ Gregor Lechner, indem er mehrmals darauf hinwies, dass die Grundproblematik der Zeichendebatte in der „babylonischen Sprachverwirrung“ zwischen Kunstgeschichte, Semiotik, Medienwissenschaft und anderen Disziplinen zu suchen sei.

Am deutlichsten wurde die derzeitige Unhintergehbarkeit dieses Problems an Hand des Beitrags der Kunsthistorikerin Christiane Kruse („Vom Ursprung der Bilder aus der Furcht vor Tod und Vergessen“) und an Hand des daran anschließenden Co-Referats von Andreas Schelske. Während Kruse das„Phantasma des Überlebens“ als anthropologische Funktion der abendländischen Bildproduktion kennzeichnete, argumentierte der Soziologe Schelske – ebenfalls sehr überzeugend - aus semiotischer Perspektive gegen die „Unsterblichkeit der Bedeutung“ von Bildern. Allerdings schien es nicht nur Klaus Sachs-Hombach so, als ließe sich der damit erzeugte Widerspruch durchaus beseitigen: Einerseits hat Schelske Recht, wenn er die Bedeutung von Bildern aus deren veränderlichen Kontexten herleitet. Andererseits werden diese trotzdem sehr häufig in der Hoffnung auf die Fixierung einer Bedeutung produziert, die sonst für immer verloren wäre. Auch abseits der alten Debatten zwischen Semiotik und Phänomenologie tat sich in Göttweig so einiges. Der Wiener Medienwissenschaftler Johannes Domsich sprach über „Existenz und Identität in visuellen Konzepten“. Seine Analyse der Wechselwirkung von Sprache und Bild in Metaphern war insbesondere deshalb eine interessante Ergänzung des Tagungsprogramms, weil sie die gehirnphysiologische Dimension der visuellen Kommunikation mit ins Spiel brachte. In eine ähnliche Richtung dachte auch sein ungarischer Co-Referent, der Philosoph Kristof Nyiri. Vielleicht wird gerade der gehirnphysiologische Ansatz letztlich dazu beitragen, in der Bilderfrage einen „dritten Weg“ zwischen Semiotik und Phänomenologie zu weisen.

Der bildwissenschaftliche Nachwuchs war in Göttweig ebenfalls vertreten: Die Oldenburger Doktorandin Nicole Mehring brachte in ihrem Vortrag über„Um- und Neuschreibungen von Geschichte im musealen Raum“ den Gender-Aspekt in die Debatte ein. Sie legte überzeugend dar, dass Weltkriegs-Ausstellungen bis heute zu feminisierenden Opferkonstruktionen tendieren. Und auch ein Doktoratsstipendiat des französischen Bildungsministeriums, Bernhard Rieder, erweiterte die Perspektive der Tagung, indem er der „Aura des Algorithmus“ zu Leibe rückte. Dabei entwarf er eine Typologie der digitalen Bilder.

Auch wenn in den zahlreichen weiteren Vorträgen und Workshops die Lücke zwischen Philosophie und Kunstgeschichte keineswegs geschlossen werden konnte, waren die „Bildtage Göttweig 04“ sicherlich ein großer Gewinn für alle Beteiligten. Eine Hauptaufgabe von (Bild-)Wissenschaft besteht schließlich darin, intellektuelle Konflikte systematisch zu hegen und zu pflegen. Spätestens im November geht dieses Spielchen in die nächste Runde, wenn auf der Magdeburger Tagung die Frage gestellt wird: „Kunstgeschichtliche Interpretation und bildwissenschaftliche Systematik“

Empfohlene Zitation:
Benjamin Burkhardt: [Tagungsbericht zu:] Bildtage Göttweig 04 (Zentrum für Bildwissenschaften, Stift Göttweig, 24.–26.09.2004). In: ArtHist.net, 07.10.2004. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/439>.

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