Jüngst konnte im Florentiner Palazzo Strozzi erfahren werden, wie vielfältig Blattgold in zeitgenössischer Kunst eingesetzt werden kann: Unter dem Titel Angeli caduti präsentierte Anselm Kiefer u.a. speziell für den Renaissance-Palast konzipierte Arbeiten und machte Blattgold durch dessen hohe Verwendung zum Protagonisten der Schau.[1] Das evozierte Rezeptionsmomente, die in Florenz für gewöhnlich bei der Betrachtung von Fra Angelicos Bildern im Dominikanerkloster San Marco erlebt werden können. Neben dem Material eröffnete das Bildmotiv des Engels Bezüge zwischen Kiefers Schau und Angelicos Kunst, denn sowohl das Gold als auch die überirdischen Wesen ermöglich(t)en eine imaginäre Reise „tra allegorie e forme che fanno riflettere sul rapporto tra spirito e materia, memoria e presente, mito e storia“[2].
Doch wie ist das kostbare Edelmetall in den Werken von Fra Angelico „im Glanz des Quattrocento“ zu erfassen und zu verstehen? Mit solch grundlegenden Fragen hat sich Saskia C. Quené in ihrer 2022 im Deutschen Kunstverlag veröffentlichten Dissertationsschrift beschäftigt und einen wichtigen Beitrag zur überfälligen Aufarbeitung der Goldgrundforschung geleistet: Es ist ihr Verdienst über die in der deutschsprachigen Kunstgeschichte nahezu ausschließlich rezipierten Positionen Alois Riegls [3] und Ellen Beers [4] hinaus, „die ihre Entsprechung im bildtheoretischen Gegensatzpaar von Mimesis und Selbstreferenzialität finden“ (14), sämtlichen Stimmen im Diskurs darüber, ob es den Goldgrund gibt und was er genau ist, Gehör verschafft zu haben. Für zukünftige Beschäftigungen mit dem Goldgrund ist Quenés Arbeit damit unverzichtbar. Hervorzuheben ist die aufmerksam ästhetische Gestaltung ihres Buches, es ist sorgfältig lektoriert sowie erkenntnisbringend illustriert und besticht mit vielen, bemerkenswert hochqualitativen (Detail-)Abbildungen. In drei Hauptteilen, die jeweils einem Bildmotiv – Demutsmadonna, Verkündigung und Marienkrönung – gewidmet sind, mit insgesamt sechs Kapiteln untersucht Quené nach einem historiographischen, ikonographischen und materialtechnischen Abriss („Prolegomena zu einer anderen Geschichte des Goldgrundes“, 27-75) auf gut 250 Seiten Fra Angelicos Auseinandersetzung mit Goldgrund und Perspektive: „Denn die Frage nach den Grenzen und Möglichkeiten des Blattgoldes im Spannungsverhältnis zwischen Figur und Grund, Transparenz und Opazität, Mimesis und Materialreferenz hat nicht nur mich [d.A.] beschäftigt, sondern auch Fra Angelico, und zwar von Anfang an.“ (22)
Quenés Vorbemerkungen auf knapp 50 Seiten sind als Einleitung recht lang, obschon sinnvoll zweigeteilt. Sie beginnt mit einer fundierten Zusammenfassung der Forschungsgeschichte zum Goldgrund und jenem Satz Riegls, der, obwohl auf die byzantinische Mosaikkunst bezogen, einen medien- und epochenübergreifenden Diskurs anstieß und prägte. Riegl erklärte den Goldgrund ohne genauere Spezifizierung zum „idealen Raumgrund“, womit so Quené „die Frage nach Sinn und Deutung des Goldgrundes bereits bei Riegl nicht von der Frage der Darstellung des Raumes“ (27) getrennt wird. Sein Verständnis vom Goldgrund explizit als Bildelement, das in räumlichen Darstellungen zeitgleich naturalistischen und idealistischen Bedingungen entsprechen kann, leitet die Diskussion darum ein, ob der Goldgrund räumlich, ikonographisch oder rein als Materie zu deuten ist. Quené bespricht die auf Riegl folgenden Forschungsmeinungen durchaus kritisch und führt die/den Leser:in, auch mittels ihrer thematisch-begrifflichen Unterteilung der chronologisch behandelten Positionen, durch die Forschungsgeschichte zum Goldgrund.
Die Schwierigkeit, das Wesen des Goldgrunds eindeutig und allgemeingültig zu determinieren, prägt auch den „Material, Technik, Form, Funktion“ gewidmeten zweiten Teil der Prolegomena. Quenés Ansatz ist hier breit angelegt: Sie bespricht sowohl die Herkunft des mittelalterlichen Goldes in der europäischen Kunst, seine chemische Zusammensetzung als auch dessen reale Bezugswelt. Den Goldschlägern widmet sie viel Raum, wobei es auch in Florenz die Tafelmaler selbst waren, die in der ersten Quattrocentohälfte das Blattgold bearbeiteten und als Auflagen anschossen. Interessant ist der Verweis auf jüngere Röntgenfluoreszenzanalysen, die nach Untersuchung von Anordnung und Größe der Blattgoldfolien Rückschlüsse für Zuschreibungsfragen bieten. Nach einer Beschreibung der Polimentvergoldung und Cenninis Mal- und Vergoldungstechniken stellt Quené dann die Frage nach dem Verschwinden des Goldgrunds im 14. bis 16. Jahrhundert und kommt zur Konklusion, dass das Manko einer „Geschichte [des Verschwindens] des Goldgrundes“ (74) auf Historiographie, Ikonographie, Materialästhetik und Formanalyse zurückzuführen ist. Aus der modernen Kunstwissenschaft kommend, steht der Begriff des Goldgrundes für etwas, was es nie eindeutig und universell gegeben hat.
Im ersten Hauptteil („Von Gold getragen: Die Madonne dell’Umiltà“, 79-112) untersucht Quené, im Anschluss an einen biographischen Abriss zu Fra Angelico, dessen Auseinandersetzung mit der Darstellung der Muttergottes der Demut und geht der Frage nach, wie er mit Figur und Grund, Bildraum und Bildfläche sowie den Möglichkeiten der Wahrnehmung dieser Elemente in dem spezifischen Andachtsbildmotiv operierte. Über 15 Mal hat der Frate die Madonna dell’Umiltà gemalt, so dass Quené Werke unterschiedlicher Maße und aus verschiedenen Kontexten behandelt. Sie betont, dass die Begriffe „Figur“ und „Grund“ aus der modernen Kunstgeschichte stammen und es bei Cennini keine Entsprechung dafür gibt. Ihre etymologische Analyse weiterführend, verknüpft sie die dem Bildmotiv namensgebende Tugend der Demut mit dem Begriff des „Grundes“ vor dem Hintergrund dominikanischer Theologie und dem Fakt, dass die Madonne dell’Umiltà kein spezifisches Attribut aufweisen, dafür aber immer (auf dem Boden) sitzend dargestellt sind. Besonders Quenés aufmerksame Beobachtungen zu den Wahrnehmungsmöglichkeiten von Grund und Figur im Zusammenspiel mit der Aufarbeitung von Cenninis Goldgrundtechniken sind eine Bereicherung für die Fra Angelico-Forschung.
Quené vertieft ihre Analyse von Fra Angelicos technischem Können und seiner künstlerischen Experimentierfreude anhand des Tabernacolo dei Linaioli, mit dem die Zunft der Linaoli e Rigattieri den Maler 1432 beauftragte. An diesem Beispiel, bei dem der goldfarbene, aufwändig punktierte und trassierte Stoff mit Raffungen und Umschlägen selbst zum Protagonisten des Bildes wird, entwickelt Quené die These, dass es solche zunehmend gewagteren Materialfiktionen waren, die Albertis 1435 formulierte Ablehnung von Blattgold provozierten. Die Aufarbeitung des tradierten Albertianischen Narrativs zum Verschwinden des Goldgrundes verdeutlicht, wie fruchtbar die von Quené untersuchten Jahre waren und es nicht immer eindeutig ist, ob nun die Praxis der Theorie folgte oder umgekehrt.
Der zweite Hauptteil („Punkt und Linie zu Fläche: Inkarnation“, 117-224) ist dem Bildmotiv der Verkündigung und Fra Angelicos Interesse an perspektivischen Darstellungen sowie den Visualisierungsmöglichkeiten von Zeit, Zeitlichkeit und Ewigkeit gewidmet. Über die von ihr in der Verkündigungstafel für San Domenico in Fiesole (ca. 1425-26, heute im Prado) ausgemachten unterschiedlichen Ansätze räumlicher Vorstellungen, kommt Quené zur Feststellung, dass Fra Angelico mit der Einfügung der alttestamentarischen Vertreibung aus dem Paradies im Bild der Verkündigung außerdem eine „Gegenwart der Ungleichzeitigkeit“ (141) realisierte. Dass der Künstler den realen Einfall des Lichtes vor dem Hintergrund der Bewegungen des Betrachters mitgedacht hat, belegt Quené an den Goldauflagen im Ehrentuch, den Engelsflügeln, Nimben und Gewandsäumen im Bild. Er reflektierte neben Punkt, Linie und Fläche zur Perspektivdarstellung also auch optische Phänomene.
Mit Fra Angelicos Verkündigungstafel in Cortona (1430-31) argumentiert Quené gegen Panofsky und die im 19. und 20. Jahrhundert aufkommende Überlieferung, die perspektivisch konstruierte Raumerfassung führe zu ebensolchen Bildräumen, indem sie auf die von Angelico mit dem Stechzirkel perspektivisch konstruierten, teils verkürzt dargestellten Nimben verweist. Sie bezeichnet diese goldenen Kreise als „Orte“, da der Maler sie mit einer schwarzen Linie umfasste und so eben keinen unendlichen, homogenen oder isotropen Raum schaffte (161-62). Erst durch ihr Nebeneinander zeigen Blattgoldauflagen und perspektivische Raumerschließungen, dass alle Kunstwerke, mit Riegl formuliert, die „naturalistische Seite und die idealistische Seite […] in sich vereinig[en]“[5]. Eine Überprüfung, ob diese These bereits früher angesetzt werden kann, in der italienischen Kunst etwa bei Duccio oder Giotto, wäre durchaus lohnenswert.
Und wieso ist speziell das Bildmotiv der Verkündigung prädestiniert für perspektivische Raumerfassungen? Was hat Zeit, haben die Konzepte von Unendlichkeit und Ewigkeit, damit zu tun? In der Cortona-Verkündigungstafel erfolgt die bei der Verkündigung stattfindende Inkarnation nicht über Lichtstrahlen, sondern über einen mehrzeiligen Wortwechsel zwischen Engel und Maria. In der heute in der National Gallery London aufbewahrten Verkündigung (um 1450) hingegen ist die Flugbahn der Taube zur Sichtbarmachung des pneuma („Atem“, „Hauch“, „Wind“) als rotierende, windgenerierende Bewegung von Gott hin zu Marias Körper dargestellt. Die im Mutterleib stattfindende Menschwerdung Jesu ist außerdem durch die goldenen Lichtpunkte um das Loch ihres Gewandes verbildlicht. Quené zieht weitere theologische, insbesondere dominikanische, und philosophische Quellen heran, um das von Fra Angelico unter dem Aspekt des Zeitbegriffs verhandelte Verkündigungsmotiv zu erklären und fasst für sein Fresko in San Marco zusammen: „Fra Angelico strebt […] eine Figuration der Ewigkeit in der Zeit an, die von perspektivischen Darstellungsformen getragen wird: Er stellt Gabriel und Maria nicht nur auf einen leuchtenden goldgelben Grund, sondern mischt dem Putz seines Freskos feinste Glitzerpartikel unter, in die er anschließend die schattenlosen Flügel des Lichtwesens des Engels malt.“ (221) Wichtig ist Quenés Warnung, die Perspektive nicht für profan-ikonographische Deutungen instrumentalisieren und ein Kunstwerk ohne Goldgrund als weltlich charakterisieren zu wollen, vor allem nicht in einer zwanghaften Gegenüberstellung zum angeblich göttlich-sakralen Goldgrund.
Im dritten Teil ihrer Schrift („In goldenes Licht gehüllt: Paradiso“, 229-290) beschäftigt sich Quené mit dem Motiv der Marienkrönung bei Fra Angelico und dessen Auseinandersetzung mit Licht: Wie lässt sich dieses, sowohl das überirdische als auch das natürliche, darstellen, und wie können Farbe und Gold genutzt werden, um es metaphorisch oder medial zu verbildlichen? Die Darstellung der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel reflektiere die Beziehung zwischen Leib und Seele, womit der Maler dem Betrachter die Möglichkeit zur inneren Versenkung über die augustinisch-dominikanischen Konzepte visio corporalis, visio spiritualis und visio intellectualis ermögliche.
Mit der als „Paradiso“ bezeichneten Tafel der Marienkrönung für die Kirche des Armenkrankenhauses Santa Maria Nuova in Florenz geht es Quené noch einmal um eine Aufhebung des Antagonismus von Goldgrund und Perspektive.[6] Nach einer Abhandlung insbesondere der mittelalterlichen theologisch-philosophischen Auslegungen zu Wesen und Wirkung von Licht, konzentriert sich Quené auf das himmlische Paradies. Dieses ist im Empyreum angesiedelt, dem Ort des Lichtes, in dem die Engel und Seligen ihren Platz gefunden haben. Zugleicht steht das Empyreum, in dem Körper und Seele der Auferstandenen nach dem Jüngsten Gericht vereint werden, nach thomistischem Verständnis für die im irdischen Leben nur bruchstückhaft erfahrbare und nun vollkommene Anschauung, die letztlich jeglicher Erkenntnis zugrunde liegt. Quené erkennt in Fra Angelico den schöpfergleichen artifex, der die konzentrischen Trassierungen im Blattgold und die kompositionell bestimmenden Ellipsen mit Zirkel und Lineal konstruiert. Das Liniennetz der empyreischen Strahlen sei als fließendes Licht zu verstehen und die Quelle des alles umstrahlenden Lichtes des Paradieses in der Krönungsszene nicht ausmachbar. Durch die Auflösung der dem Bild innewohnenden Botschaft von der unmittelbaren Gottesschau (Visio Dei) in den Lichtlinien im Zentrum der Bildfläche, vor der sich die Marienkrönung abspielt, gibt es für den Betrachtenden keine Erwiderung, sondern er ist „auf sich selbst zurückgeworfen und [blickt] auf den Goldgrund wie in einen Spiegel“ (283). So ist Fra Angelicos Paradies-Darstellung eine Aufforderung an den Betrachter, die je nach Lichteinfall und Betrachterstandpunkt hervor- oder zurücktretenden Trassierungen als Vorder- und Hintergrund wahrzunehmen und das Gold als Lichtkörper zu rezipieren: „Fra Angelicos dynamische Trassierungen provozieren ein peripatetisches Sehen vor dem Bild […]. Goldgrund und Perspektive stehen sich somit nicht antagonistisch gegenüber, sondern gehen eine Allianz ein.“ (288)
Quené endet ihren bedeutenden Beitrag zu Fra Angelico also tatsächlich mit der Aufhebung des von einer bestimmten Kunstgeschichte zementierten Widerspruchs zwischen Goldgrund und Perspektive! Dass sie mit ihren Untersuchungsthemen aktuellen Projekten zu Gold als Werkstoff vorausgeht, belegen die kürzlich vom AORUM project publizierten Unternehmungen [7] und die nicht mit wenig Spannung erwartete große Fra Angelico-Ausstellung im Herbst/Winter 2025-26 im Palazzo Strozzi – womit sich an dieser Stelle der Kreis zu Anselm Kiefer schließt. Wenn an Quenés Arbeit überhaupt etwas kritisiert werden will, sind es vielleicht die für deutsche Hochschulschriften typisch kleinteiligen Kapitel, die den Lesefluss stören mögen sowie die teils überstrapazierte Theoretisierung des Auratisch-Spirituellen in Fra Angelicos Kunst, macht doch gerade deren emotionale Wahrnehmung dessen Zauber aus.
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[1] Anselm Kiefer: Angeli caduti, Florenz, Palazzo Strozzi, 22. März – 21. Juli 2024.
[2] Aus dem Einführungstext in der Ausstellung.
[3] Riegl, Alois: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn, Wien: Kaiserlich-Königliche Hof- und Staatsdruckerei 1901.
[4] Beer, Ellen J.: Marginalien zum Thema Goldgrund. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 46.1983, 271-286.
[5] Riegl 1901, 212.
[6] Jüngst erschien ein neuer Beitrag zu dem Werk, der Quenés Überlegungen um eine Vertiefung auf Angelicos Fähigkeit, mit Gold optische Manipulationen und dadurch sogar eine Transformation der Wahrnehmungseffekte sowie der Bedeutung der Darstellung erzielen zu können, erweitert: Wright, Alison: Compelling radiance: Fra Angelico’s shine. In: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 65. Band, Heft 2/3 (2023), 138-171.
[7] CFP: Knowledge, Symbolics and Uses of Gold in Europe (1450-1550). In: ArtHist.net, 04.12.2024. Letzter Zugriff 05.12.2024. https://arthist.net/archive/43468; ANN: Gold and its Uses in Early Modern Painting (Paris, 14 Jan-3 Jun 25). In: ArtHist.net, 12.12.2024. Letzter Zugriff 14.12.2024. https://arthist.net/archive/43522.
Quené, Saskia C.: Goldgrund und Perspektive. Fra Angelico im Glanz des Quattrocento, Berlin/München: Deutscher Kunstverlag 2022
ISBN-13: 978-3-422-98938-2, 332 S., 42,00 €
Empfohlene Zitation:
Katharina Weiger: [Rezension zu:] Quené, Saskia C.: Goldgrund und Perspektive. Fra Angelico im Glanz des Quattrocento, Berlin/München 2022. In: ArtHist.net, 19.12.2024. Letzter Zugriff 19.12.2024. <https://arthist.net/reviews/43598>.
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