REV-CONF 30.09.2003

Nation, Style and Modernism

München und Krakau, 06.–12.09.2003

Bericht von Ulrich Pfarr
Redaktion: Godehard Janzing

Zu einigen Implikationen der auflebenden Nationalstildebatte: die Tagung "Nation, Style and Modernism"

Das westliche Europa blickt derzeit nach Osten und könnte in beunruhigenden Erscheinungen das verdrängte Eigene erkennen. Nationalbewegungen und Formen des ethnischen und religiösen Nationalismus haben nicht nur die Emanzipation von Minderheiten gefördert und zur friedlichen Gründung neuer Staaten geführt, sondern auch Bürgerkriege und Verbrechen an der Zivilbevölkerung hervorgebracht. Mag gerade die Europäische Union für die Bewältigung dieser Konflikte eine bemerkenswert konstruktive Rolle spielen, so sind doch in vielfacher Weise Bedrohungen der staatlichen Einheit und ethnische Nationalismen auch in westlichen Staaten präsent. Lösungen lässt der Beitritt nord-, mittel- und südeuropäischer Länder im Mai 2004 erhoffen, insofern er die Zusammenarbeit der Regionen und eine neue, nicht nur von wirtschaftlichen Kräften und Mehrheitsverhältnissen bestimmte Balance zwischen großen und kleinen Staaten erfordern wird. Es ist offenbar die Kunstgeschichte, die einer solchen Binnenkultur zur Zeit in Form von Ausstellungen und die Nationalgrenzen überschreitenden Veranstaltungen vorgreift. Keinesfalls unbeabsichtigt war eine Symbolik der Tagung "Nation, Style and Modernism", die im Auftrag des Comité international d'histoire de l'art (C.I.H.A.) vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München gemeinsam mit dem International Cultural Center in Krakau veranstaltet wurde und an beiden Orten stattfand.

Ausgangspunkt waren die von Wolf Tegethoff (München) und Stefan Muthesius (Norwich) einführend demontierten Stildebatten des 19. Jahrhunderts. Als symptomatisch für die Unmöglichkeit, eine nationale Charakteristik von Werken der Moderne anhand überprüfbarer Kriterien zu objektivieren, erwies sich im Folgenden der Umgang vieler Referenten mit dem Bildmaterial. Zwar waren die Inhalte von Zeitschriften, deren Titelblätter die Vorträge illustrierten, tatsächlich Gegenstand der Analyse, selten jedoch die vorgeführten Kunstwerke. Nicht ohne List bediente sich dieses Verfahrens Agnieszka Chmielewska (Warschau), deren Bildbeispiele mit dem referierten, zeitgleichen Diskurs um die Konstruktion einer Nationalkunst aus volkstümlichen Überlieferungen und Artefakten der vermeintlich authentischen, von der tragischen Geschichte Polens unberührten Bauernkultur geradezu kontrastierten. Darin schien eine deutliche Parallele zur ungarischen Nationalkunstdebatte auf. Éva Forgács (Los Angeles) verfolgte das spannungsreiche Zusammentreffen der Bestrebungen nach nationaler Identität und Revolutionierung der rückständigen Gesellschaft auf die ungarischen Avantgarde-Zirkel um die charismatischen Gestalten Georgy Lucács und Lajos Fuelep zurück. Im "Galileo-Zirkel" und im "Sonntagskreis" schufen Poesie, Literatur, Philosophie und Psychoanalyse ein geistiges Klima, das die bildende Kunst außerordentlich befruchtete und die Politisierung von Künstlern und Intellektuellen im Ersten Weltkrieg vorbereitete. Die theoretischen Diskurse wollte Forgács als Entsprechung zu nationalen und internationalen Ausdrucksformen verstanden wissen, die in der ungarischen bildenden Kunst noch bis in die 90er Jahre greifbar seien. Ging es in der Konstruktion einer ungarischen Nationalkunst um Abgrenzung innerhalb der Doppelmonarchie und Distanzierung von der Internationalisierung Budapests, so galt es ab 1918 in Polen und der Tschechoslowakei, die Kultur eines neuen Staates zu schaffen. Dass die Architektur den weitaus größten Raum innerhalb der Tagungsthemen einnahm, war nicht nur den Interessen der Veranstalter geschuldet: "In the construct of the nation - as in Czech modern architectural practise - architectural history gave palpable reality to an otherwise imaginary community. Similarly, the notion of architecture as a creative act was the quintessential Masarykian metaphor for the building of a modern nation" (Dirk de Meyer, Montreal). Eine subversive Vertiefung fand diese mit Benedict Andersons Nationalismus-Konzept (1) argumentierende Darstellung einer sympathischen Nationalkunstgeschichte durch Rostislav Svácha (Prag), der den Metamorphosen und Bedeutungsverschiebungen der Dorischen Ordnung nachspürte. Ihrer expressiven Verformung im Prager Kubismus und in der Betonarchitektur Hans Poelzigs ging eine veränderte Sichtweise in der deutschen, französischen und tschechischen Kunsttheorie voraus, die sie zum Paradigma eines anti-historistischen Stils prädestinierte.

Es war eine glückliche Fügung, dass das Exkursionsprogramm zuvor in Breslau die Wahrnehmung solcher Konnotationen des Maskulinen und des gewaltsamen Formkonfliktes an Poelzigs Vierkuppelpavillon für die Jahrhundertausstellung von 1913 gestattet hatte. Ob der von Françoise Forster-Hahn (Riverside, California) empfundene "germanische" Charakter der Jahrhunderthalle Max Bergs auf Affinitäten zwischen der Weite und Transparenz dieses Betonbaus und Ansprüchen der völkischen Bewegung sowie dem Expansionsdrang des Wilheminischen Kaiserreichs beruht, erscheint zwar mehr als fraglich. Jedoch verwies Forster-Hahn damit zu Recht auf die Tatsache, dass die bereits von Muthesius kritisierte Feier der Moderne von deren Ambivalenzen abzulenken vermag. Zweifellos haben die fortschrittseuphorischen und in ihrer Rhetorik internationalistischen Projekte der künstlerischen Avantgarde auch Impulse des Nationalismus aufgenommen. Wie die Plattform internationaler Avantgarde-Zeitschriften von Bestrebungen mit nationalistischen Implikationen genutzt werden konnten, verdeutlichte An Paenhuyse (Leiden), indem sie das wechselnde Verhältnis der belgischen Expressionisten zum flämischen Nationalismus und den Bedeutungswandel Antwerpens von einer Kulisse des Futurismus zur Provinz in bemerkenswerter Dichte nachzeichnete. Hingegen unternahm der zunächst provokant nationalistisch auftretende Futurismus mehrere Versuche einer Internationalisierung (Maria Elena Versari, Paris).

Im Verlauf der Tagung wurden immer wieder komplexe Verschränkungen zwischen den theoretischen und formalen Ursprüngen von Stilparadigmen und den Orten ihrer nationalen Inanspruchnahme sichtbar. Freilich hätte die Beziehung zwischen dem Konzept des Nationalstils und den von Forgács differenzierten Begriffen Nationalismus und Nationalbewusstsein noch einer Klärung bedurft. Während die Veranstalter als Motivation des Forschungsinteresses die Gefährdung der Aufklärung durch im Zeichen der Globalisierung angeheizte Nationalismen erkennen ließen, beriefen sich einige Referenten explizit auf Anderson und implizit auch auf Anthony D. Smiths Apologie (2), die den inhärenten Zwang des Nationalismus zur politischen und ethnischen Homogenisierung mit all seinen Folgen ignoriert. Nannte Paenhuyse als Hintergrund ihrer Themenwahl den aktuellen flämischen Sezessionismus, so ist die Suche nach Nationalparadigmen in Ost- und Mitteleuropa zum Geringsten durch die bevorstehenden EU-Beitritte bedingt, sondern reicht in die Opposition gegen totalitäre Regime zurück. Allerdings sollten nationale und regionale Stilelemente auch als Ferment der Integration unterschiedlicher Volksgruppen in den polnischen Staat nach 1945 dienen und wurden ins Kalkül stalinistischer Herrschaftsarchitektur in der frühen DDR gezogen, wie Arnold Bartezko (Leipzig) luzide demonstrierte. Die Exkursion der Tagungsteilnehmer durch Oberschlesien führte wiederum zu Bauten der 20er Jahre, in deren Formvokabular sich politische Identitätsbildungen im Polen der Zwischenkriegszeit kristallisierten. Kenntnisreich betreut durch Irma Kozina (Kattowitz), konnten darüber hinaus vielfältige Eindrücke der ältesten Industrieregion des europäischen Kontinents gesammelt werden. Nach den Worten Kozinas bildet das heutige Oberschlesien eine Problemzone von europäischer Dimension, deren Umstrukturierung nur durch länderübergreifende Maßnahmen gelingen kann.

Anmerkungen:

(1) Benedict Anderson, Imagined Communities: Reflections on the origins of Nationalism. London 1991.

(2) Anthony D. Smith, Nationalism and Modernity. In: Timothy Benson (Hg.), Central European avant-gardes: exchange and transformation, 1910-1930. Los Angeles 2002, S. 68-80.

Empfohlene Zitation:
Ulrich Pfarr: [Tagungsbericht zu:] Nation, Style and Modernism (München und Krakau, 06.–12.09.2003). In: ArtHist.net, 30.09.2003. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/426>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^