REV-CONF 05.04.2005

Sektion "Bauten der 1960er Jahre"

XXVIII. Deutscher Kunsthistorikertag, Bonn, 16.–20.04.2005

Bericht von Heinrich Otten
Redaktion: Matthias Bruhn

Sektionsbericht Kunsthistorikertag Bonn: „Die Bauten der 1960er Jahre - schon veraltet, aber noch nicht historisch?“

Anschauliche Referate, lebhafte Diskussionen und eine zahlreiche und interessierte Zuhörerschaft kennzeichneten die Sektion „Bauten der 1960er Jahre“ des 28. Deutschen Kunsthistorikertages in Bonn. Unter der Fragestellung „Schon veraltet, aber noch nicht historisch?“ thematisierte die unter der Leitung von Prof. Adrian von Buttlar und Dr. Christoph Heuter geführte Sektion bereits im Titel die Problematik einer Architekturphase, die zum jetzigen Zeitpunkt weder als zeitgenössich noch als historisch betrachtet wird.

Prof. von Buttlar skizzierte in seinem Einführungsreferat Aspekte ökonomischer, technischer und formal-ästhetischer Dimension, die zu einer potentiellen Gefährdung der qualitätvollen und charakteristischen Bauzeugnisse der 1960er Jahre führen können. Als vorrangiges Problem machte er eine zu geringe Kenntnis und Wertschätzung der behandelten Bauten einschließlich ihrer künstlerischen, ethischen und sozialen Bedeutungen fest. Gegenüber antimodern eingestellten Vorurteilen müsse der Wert von zur Disposition gestellten Gestaltungen angemessen begründet werden können. Dies sei eine zentrale Aufgabe des Faches Kunstgeschichte.

Im Parallelvergleich mit der seit Jahren bearbeiteten Architekturgeschichte der 1950er Jahre stellte von Buttlar noch erhebliche Vermittlungsdefizite fest. Trotz der Begeisterung in Fachkreisen sei ein durchschlagender externer Erfolg noch nicht zu verzeichnen. Dies gilt in noch verstärktem Maße für die umstrittenen Bauten der 1960er und 1970er Jahre, deren angemessene Erforschung überdies nur in interdisziplinärer Arbeit zum Beispiel mit Stadtplanern oder Soziologen zu leisten sei. In dem nun anstehenden wissenschaftlichen Diskurs habe die Kunstgeschichte ihre spezifische Fachkompetenz selbstbewusster und offensiver als bisher einzubringen, um in der denkmalpflegerischen Praxis kulturelle und gesellschaftliche Verantwortung zu beweisen.

Daran anknüpfend untersuchte Dr. Christoph Heuter in einem zweiten Eingangsreferat die Herausforderungen, die für die Denkmalpflege mit zeitgenössischen bzw. mit noch nicht historisch akzeptierten Gestaltungen verbunden sind. Anhand der Gesetzeslage und anhand von Praxisbeispielen machte er deutlich, dass die Zuständigkeit der Denkmalpflege grundsätzlich auch für jüngere Bauten gegeben ist, allerdings gelegentlich Einschränkungen durch politische und juristische Entscheidungen erfährt. Im theoretischen Selbstverständnis ist diese Zuständigkeit ohnehin gegeben. Anschließend ging der Referent der Überlegung nach, ob Bauten der 1960er Jahre auch in fachlich interessierten Kreisen eine tendenziell negative Einschätzung erfahren, weil die sich in den 1970er Jahren formierende Bewegung eines erhaltenden und denkmalverträglichen Bauens an den Gestaltungen des vorhergehenden Jahrzehnts ihre Ablehnung und Neubestimmung festmachte. Von Vorteil für die Beurteilung sei insofern ein bestimmtes Maß an zeitlicher Distanz, eventuell verbunden mit der Definition der „abgeschlossenen Epoche“. So darf man sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass einst heftig bekämpfte Neubauprojekte heute selbst Denkmalcharakter aufweisen können.

Dieser Denkmalcharakter liegt nahe bei Bauten, die von überregional bekannten Architekten entworfen wurden. Kathrin Nessel und Alexander Krauss machten in ihrem Doppelreferat jedoch die erhebliche Diskrepanz deutlich, die sich in der öffentlichen Einschätzung eines bekannten Namens wie dem des dänischen Architekten Arne Jacobsen ergeben kann. Während die Design-Entwürfe des Künstlers sich einer hohen Wertschätzung erfreuen und in Ausstellungen gewürdigt werden, sei ein Schutz der Gebäude des Architekten mit erheblichen Durchsetzungsschwierigkeiten verbunden. Dies betrifft die qualitätvoll detaillierte Vorhangfassade der NOVO-Fertigungsanlagen in Mainz sowie die bis ins Detail gestaltete Inneneinrichtung des Mainzer Rathauses, die einem schleichenden Veränderungsprozess unterworfen sei. In ähnlicher Form sind veränderte Fassadendetails und Verluste der Originalausstattung am HEW-Verwaltungsgebäude in Hamburg festzustellen, wo eine Unterschutzstellung einschließlich Inneneinrichtung scheiterte.

Im anschließenden Referat weitete Angelika Schyma den Blick auf das überaus breite bauliche Erbe der 1960er Jahre, das im Rheinland zur Inventarisation ansteht. Dabei seien die Bauten vielfach jünger als die zuständigen denkmalpflegerischen Bearbeiter. Ausgehend vom Abriss der Mercator-Halle in Duisburg führte sie zahlreiche Beispiele vor Augen, unter anderem von Alexander von Branca, Gottfried Böhm und Aldo van Eyck, aber auch von unbekannten Architekten. Diese Bauten seien noch vor kurzem negativ bewertet worden, geraten heute aber zunehmend unter Denkmalverdacht. Daran schloss sich eine Diskussion im Plenum an, die sich vorzugsweise auf Fragen der Unterschutzstellung und der Vermittlung innerhalb einer breiten Öffentlichkeit konzentrierte.

Roman Hillmann widmete sich in einem anschaulichen Vortrag der Industrialisierung des Bauens in Gestalt von Fertigbau-Systemen. Obwohl sich die alleinige Verwendung von Fertigteilen wirtschaftlich nicht habe durchsetzen können, erweisen sich die Faltwerke und Rastersysteme neben ihrer Bedeutung für die Industrialisierung des Bauwesens auch als ausgesprochen ästhetisch entworfene Gestaltungen, die einen dezidierten Formwillen erkennen lassen. So machte er am Beispiel des für die Universität Marburg entworfenen Baukasten-Systems mit allseitiger Erweiterungsmöglichkeit deutlich, dass die umlaufenden Fluchtbalkone und Galerien letztendlich ein gezielt gestalterisch eingesetztes und kunsthistorisch zu bearbeitendes Motiv sind.

In Abgrenzung dazu beschäftigte sich Thomas Steigenberger mit individuell entworfenen Einfamilienhäusern der 1960er Jahre, die zumeist im Südwesten von Berlin unter anderem von Georg Heinrichs, Günter Hönow und Werner Düttmann entworfen wurden. Steigenberger ermittelte eine nur recht geringe Zahl von etwa 60 denkmalwürdigen Bauten, darunter zahlreiche Häuser für Künstler und Architekten. Hauptprobleme bei der Erhaltung sind die Tendenzen zur Nachverdichtung der oft großen Grundstücke und die erheblichen gestalterischen Veränderungen, die häufig mit einem Besitzerwechsel oder einem Erbgang in Zusammenhang stehen.

In ganz anderen Größenordnungen konzipierte Wohnanlagen führte Steffen Krämer im Anschluss vor Augen. Die verdichteten Großsiedlungen der 1960er Jahre, an denen sich heute vielfach die Ablehnung des gesamten Zeitabschnitts festmacht, suchten ursprünglich eine eigenständige urbane Kernbildung. Dazu dienten eine konzentrierte öffentliche Infrastruktur und ein oft überdimensioniertes Verkehrsnetz. Am Beispiel der Entlastungsstadt Neu-Perlach bei München machte der Referent den Versuch deutlich, die hohen Baumassen der verdichteten Siedlungen durch Farbe und durch Staffelung der Baumassen gestalterisch zu beleben. Gleichzeitig zeigte er die erhebliche Diskrepanz zwischen dem ursprünglichen Anspruch eines mannigfaltigen und kommunikativen Wohnens und der heutigen Realität, die von indifferenten Außenräumen, hoher Bewohnerfluktuation und Vandalismus geprägt ist. Auch dieser Vortrag wurde mit großem Engagement diskutiert.

Zum Abschluss der Veranstaltung sprachen sich die Anwesenden für eine von Herrn Fürst vorbereitete Entschließung aus, die den Erhalt des 1963 von Architekt Detlef Schreiber errichteten Verlagsgebäudes in München, Färbergraben 14, nachdrücklich einfordert.

Empfohlene Zitation:
Heinrich Otten: [Tagungsbericht zu:] Sektion "Bauten der 1960er Jahre" (XXVIII. Deutscher Kunsthistorikertag, Bonn, 16.–20.04.2005). In: ArtHist.net, 05.04.2005. Letzter Zugriff 26.12.2024. <https://arthist.net/reviews/422>.

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