REV-CONF 12.06.2003

Dialoge zur Bildfrage

Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin

Bericht von Sabine Kühl

Dialoge zur Bildfrage. Arbeitsgespräche am Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik

Mit den „Dialogen zur Bildfrage“ hat sich am Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik (HZK) innerhalb der Forschergruppe „Bild-Schrift-Zahl“ eine neue Reihe etabliert, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit Grundfragen des Bildes auseinandersetzt. Diese interdisziplinär angelegten Gespräche sind von einem philosophischen (Gernot Grube) und kunsthistorischen (Pablo Schneider) Blickwinkel aus konzipiert. Zielsetzung ist es, theoretische Ansätze zu sondieren, die sowohl die Frage nach der Verfasstheit des Bildes aufnehmen, als auch zum Spektrum einer projektierten Bildwissenschaft gehören könnten. Im Hintergrund steht die sich durchsetzende Konvention in den Geistes- und Naturwissenschaften, dass Bilder als Instrumente der Erkenntnis betrachtet werden. Vorrangig würden sie, wie die Veranstalter vermuten, nicht mehr als ästhetische Objekte reflektiert, sondern ebenso als Verständnisinstrumente einer sichtbaren wie auch unsichtbaren Welt gesehen. Diese Entwicklung sei bisher nur bruchstückhaft durchdacht worden. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob Bilder nun den Rang einer eigenständigen Kulturtechnik neben Schrift und Zahl erlangt hätten.

In der Flut der Erörterungen über das Bild, genannt seien hier stellvertretend nur die Münchner Veranstaltung „Iconic Turn“ und die geplante Tagung „Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung“ in Magdeburg, stellt sich die Frage nach der Abgrenzung, zumal es bei Referenten und Teilnehmern durchaus Überschneidungen gibt. Was die „Dialoge zur Bildfrage“ zumindest unterscheiden dürfte, ist ihr Aufbau. Jedes der Arbeitsgespräche wird durch zwei kurze Referate der Veranstalter eröffnet, die bereits mit der Thematik befasst sind. Daraufhin erhält der Gast als erster die Möglichkeit, mit einem ausführlicheren Kommentar auf die Eingangsreferate zu reagieren.

Eröffnet wurde die Reihe im Sommersemester 2002 mit Gottfried Boehm und fortgesetzt im Wintersemester 2002/03 mit Hans Ulrich Reck und Dieter Mersch. Letztere Arbeitsgespräche sollen im Folgenden eingehend besprochen werden.

Am 21. Januar 2003 war der Philosoph und Kunsthistoriker Hans Ulrich Reck unter dem Titel „Die Rhetorik der Bilder“ zu Gast. Gernot Grube bereitete mit seinem Referat das Feld für die Diskussion. Ausgehend von dem Titel des Arbeitsgesprächs führte er aus, dass, nehme man den Titel beim Wort, Bilder bewusst in die Nähe der Sprache gerückt würden. Allgemein ginge man von der Annahme aus, dass es eine Sprache der Bilder gäbe. Das Für und Wider der Anlehnung einer Bildwissenschaft an die Sprachwissenschaft legte er ausführlich dar. Unsere Redeweise über Bilder führe uns möglicherweise in die Irre. Aussagen wie „Die Bilder sprechen eine eigene Sprache“ oder „Was sagt uns dies Bild?“ lieferten ihm hier die Ausgangspunkte, um am Ende seiner Argumentationskette den Schluss zu ziehen, dass für Bilder gelte, dass sie nicht sprächen. Dies zeigte Grube abschließend an den Beispielen von Ernst Cassirers Bildverständnis und dem des Konzeptkünstlers Joseph Kosuth. Pablo Schneider ging in seinem Referat von der Feststellung aus, dass sich die Frage nach dem Bild nicht erst in den letzten zehn Jahren gestellt hätte. Er fächerte mit einem Streifzug durch die Kunstgeschichte das Spektrum der Ansätze einer historischen Bild- und Motivwissenschaft auf. Dabei zeigte er, dass die von dem Philosophen und Kunsthistoriker Gottfried Boehm [1] und dem Medientheoretiker W.J.T. Mitchell [2] eingeführten Begriffe des iconic sowie pictorial turn auf eine ältere Geschichte zurückblicken würden. Vor diesem historischen Panorama fokussierte er besonders den Zeitraum Ende des 19. Jahrhunderts, als ein Medienwechsel die Bildproduktion grundlegend verändert hätte. Mit der Einführung der Fotografie als Arbeitsmittel in die Kunstgeschichte wäre das Motiv ins Fadenkreuz der Betrachtung getreten und hätte die kunsthistorische Forschung verändert. Vergleichbarkeit durch 'Gleichmacherei' im Format hätten Umgang und Herangehensweise an das Bild und die Kunstwerke verändert. Schneider resümierte, dass die fotografische Abbildung kunsthistorischer Inhalte zwar die Arbeitsweisen veränderte, dabei aber das Bild als Objekt nicht hinterfragte. Dieser interessante Gedanke verglühte leider in der Sphäre der stark philosophisch und medientheoretisch aufgeladenen Diskussion.

Neue Bilder, neuer Blick?
Schneider schlug vor, die Fragestellung nach dem Bild zu differenzieren. Der Weg zur Erkenntnis könne über zwei Pfade führen: einerseits durch die Frage nach einer historischen Bildwissenschaft, andererseits nach einer historischen Motivwissenschaft. Diese Fragestellung ermögliche es in einer bildwissenschaftlichen Herangehensweise, die Rolle des Bildes und nicht der Abbildung zu analysieren - „Bilder könnten zerstört, Motive nur abgelöst werden.“ (Schneider).

Hans Ulrich Reck ergänzte in seiner Replik den „iconic turn“ um den „digital turn“. Er konstatierte, dass Bilder von Informatikern als Diagramme bezeichnet und behandelt würden. Kunst und Kunstgeschichte seien ein Fundus, der in den entsprechenden Formaten abgespeichert und auch so verarbeitet würde. In dem Bild als Phänomen von bildlichen Montagen, d.h. in den Manipulationstechniken, bestünde die eigentliche Brisanz. Die Universalitätsansprüche einer Bildwissenschaft müssten reflektiert werden. Auch sei die Geschichte der Visualisierung von Denkmodellen interessant, um von Anschaulichkeitsmodellen auszugehen. Betrachte man die Rhetorik von Piktogrammen, stelle man fest, dass sie einen Kontext benötigten, z.B. den Ort, an dem sie sich befänden. Dies stehe entgegen der „hermetischen Selbstoffenbarung“, der Rhetorik, der Absichten der Bilder.

Am 12. Februar 2003 war der Philosoph Dieter Mersch unter dem Titel „Ermöglichung und Begrenztheit“ zum Gespräch eingeladen. Grube legte dar, dass die Frage „Was ist ein Bild?“ ein Desiderat offen gelegt habe. Die Frage, ebenfalls der Titel des 1994 zum Thema erschienen und von Gottfried Boehm herausgegebenen Sammelbandes, hätte die Forderung nach einer Bildwissenschaft zur Folge gehabt, da die Frage nach dem Bild nicht wie die Frage „Was ist Sprache?“ systematisch untersucht worden wäre. Grube zeigte drei mögliche Herangehensweisen an diese Frage auf: (1.) eine Bildwissenschaft analog zu einer Sprachwissenschaft zu konzipieren, (2.) das Bild in Abgrenzung zur Sprache zu bestimmen, und (3.) einem Ansatz von Boehm zu folgen, dem die Annahme einer Logik des Bildes zugrunde liegt. Grube verwies im Anschluss daran auf den Philosophen Oliver Scholz [3], der einen Fragenkatalog zum Thema „Was ist ein Bild?“ skizziert hat [4], in welchem einerseits in Anlehnung an und andererseits in Abgrenzung von sprachphilosophischen Ansätzen die Frage nach dem Bild gestellt wird. Boehm wiederum sprach von der Logik des Bildes, die traditionell an die Sprache gebunden sei. Das Bild entspreche eher dem „Unbestimmten“. Daher stand in Grubes Beitrag die Überlegung im Vordergrund, die Ausgangsfrage „Was ist ein Bild?“ umzuformulieren in „Wie kommt es zur ikonischen Sinnerzeugung?“ oder „Wie kommt es zu dem Überschuss des Imaginären?“. Denn an diesem Überschuss hänge die Unterscheidung zur sprachbezogenen Logik des Bestimmten, des Eindeutigen. Diesen Gedanken nahm Schneider in seinem Referat unter dem Titel „Bildumgang und Motivmacht“ auf. Ziel des anschaulichen Vortrags bestand darin, die historische Rückbindung der Frage nach dem Bild im Kult aufzuzeigen. Ausgangspunkt war die Hypothese, dass der Ursprung des Bildes in seiner kultischen Verehrung begründet sei. Diese Herkunft führe zu einer eigenen Tradition des (Bild-)Umgangs, die beachtet werden müsse. Über die Funktion des Bildes als „Vermittlungsquelle“ sei man sich seit dem frühen Christentum bewusst gewesen und habe diese Mittel mitbedacht und auch eingesetzt. Schneider legte Form und Gebrauch durch die Jahrhunderte dar, als Beispiele dienten ihm ein antiker Proserpina-Sarkophag, eine mittelrheinische Elfenbeinplatte sowie eine historische Darstellung des Trienter Konzils. Unter Bezugnahme auf Ernst Cassirers Analyse der symbolischen Formen schloss Schneider mit der Feststellung, dass etwas, das mit dem Zeichen innerlich verbunden werde, dasjenige sei, was die Wirkmächtigkeit der Bilder und der Bildfrage in ihrem Kern ausmache.

Angesichts der eingangs durch Grube gestellten Frage „Was ist ein Bild?“ führte Mersch sein Verständnis der Bilder aus. Dabei stellte er fest, dass sich Bilder erstens dem Diskurs entzögen und zweitens unter dem Aspekt der Wirkung der Bilder und nicht unter dem des Zeichenstatus zu analysieren wären. Er vertrat kategorisch die These, man habe den Sinn des Bildes verfehlt, wenn dieses nur im Sinne eines 'pictoralen Zeichens' gesehen würde! Nach Mersch habe sich die Zeichenhaftigkeit des Bildes aufgrund eines zunehmenden Autonomiestatus im Laufe der Geschichte verstärkt. Damit fiele das Bild aus dem 'performativen Rahmen' heraus. Mersch plädierte dafür, die Idee des Bildes bei den Künstlern zu suchen. Er schlug dafür den Bogen vom Bildverständnis Platons bis zu demjenigen Kants, von René Magritte bis zu Richard Hamilton. Eine These von Mersch lautete, Bilder können nicht verneinen. Er erläuterte dies am Beispiel einer zum Teil verworfenen, durchgestrichenen, somit negierten Fotostrecke von Marilyn Monroes Porträts. Bilder hätten einen genuin affirmativen Charakter. Ein Bild antworte, es blicke zurück, sei es durchgestrichen oder nicht. Somit komme dem Bild eine eigene Kraft zu. Mersch sprach vom „Chiasmus der Blicke“, der aus dem „doppelten“ Blick, dem Blickwechsel zwischen Bild und Betrachter entstünde. Dazwischen, so Mersch, entwickle sich das 'Schillernde' des Bildes. Einen interessanten, aber auch leicht amüsanten Zug nahm die Diskussion über „Ermöglichung und Begrenztheit“ der Bilder bei den Fernsehbildern und deren Wirkung an. DiskussionsteilnehmerInnen fühlten sich offensichtlich gegenseitig verpflichtet, ihren Beiträgen das Bekenntnis voran zu stellen, dass man selbstverständlich keinen Fernseher besäße. Was bei der Autorin die Frage aufwarf, warum es sich dabei so offensichtlich um einen verwerflichen bzw. geächteten Gegenstand gehandelt habe. Worin besteht hier das Problem für Medienwissenschaftler, Kunsthistoriker und Medienphilosophen bzw. Bildwissenschaftler, die sich mit dem Medium oder den Bildern auseinandersetzen? Interessant erscheinen doch gerade in diesem Zusammenhang die Fragen nach „Bildumgang und Motivmacht“.

Anmerkungen:

[1] Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild?, München 1994.
[2] William .J. Thomas Mitchell: Iconology: Image, Text, Ideology. Chicago u.a. 1986. Ders., Picture Theory: Essays on Verbal and Visual Representation. Chicago 1994.
[3] Oliver R. Scholz: Bild, Darstellung, Zeichen, Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen, Freiburg / München 1991.
[4] Oliver R. Scholz: Was ist ein Bild?, unter: http://userpage.fu-berlin.de/~sybkram/medium/scholz.html

Empfohlene Zitation:
Sabine Kühl: [Tagungsbericht zu:] Dialoge zur Bildfrage (Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin). In: ArtHist.net, 12.06.2003. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/418>.

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