REV-CONF 14.07.2005

40jahrevideokunst.de

K21 | Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 01.–02.07.2005

Bericht von Tasja Langenbach
Redaktion: Livia Cárdenas

40jahrevideokunst.de. Digitales Erbe. Symposium zur Videokunst in Deutschland von 1963 bis heute

Vierzig Jahre Videokunst in Deutschland boten Anlass nicht nur für einen Rückblick, sondern besonders für die Auseinandersetzung mit der Zukunft dieser Kunstform. Diese stand an den zwei Tagen des Symposiums in Düsseldorf „Digitales Erbe: Symposium zur Videokunst in Deutschland von 1963 bis heute“, im Zentrum des Interesses.[1]
Mit Vorträgen aus Theorie und Praxis wurde zum einen der Frage nachgegangen, welche Bedeutung historisch, praktisch, aber auch theoretisch der zunehmenden Digitalisierung von analoger in digitale Information beigemessen werden muss; zum anderen berichteten Künstler, Wissenschaftler, Museums- und Archivmitarbeiter, Galeristen sowie Vertreter der Industrie über ihre diesbezüglichen Probleme und Erfahrungen.

Videokunst als zeitbasiertes Medium hat in ihrer Präsentation und Rezeption von Beginn an neue Maßstäbe gesetzt und gefordert. Die Bindung des beweglichen Bildes an seinen materiellen Träger, das Videoband, stellte in diesem Zusammenhang nicht nur die Theorie, sondern besonders auch die Praxis vor eine Reihe bis heute nicht vollständig gelöster Aufgaben. Nachdem das Videoband und die mit ihm transportierte Kunst heute weithin als Teil des kulturellen Erbes anerkannt sind, sehen sich im Besonderen deren Bewahrer, Museen und Sammler, vor die Problematik des zunehmenden Zerfalls und damit Verlusts dieser Kunst gestellt. Die Prophezeiung Wulf Herzogenraths „es bleibt nur ein weißes Rauschen“ die der Projektleiter von „40jahrevideokunst.de“ Rudolf Frieling (ZKM Karlsruhe) in seinen einleitenden Worten zitierte, kann daher als Auslöser der Tagung und gleichzeitiges Damoklesschwert gelten, das über jeder praktischen Beschäftigung mit Videokunst schwebt. Die Tagung versuche jedoch, so Frieling, sich mit diesem Prozess weniger als Bedrohung denn als Faktum, mit dem umzugehen ist, auseinander zu setzen. Die Übertragung analoger Datenträger in digitalisierte Datenmengen ist dabei, neben der Konservierung und Restaurierung der alten Träger, die einzige heute anerkannte und allgemein angewandte Methode, die Werke auf Dauer zu erhalten. Da bei diesem Übertragungsschritt allerdings nicht nur die Gefahr des Datenverlusts besteht, sondern ebenso die originale Arbeit von ihrem ursprünglichen Träger gelöst wird, hat diese Transformation sowohl für Dokumentation und Präsentation der Werke als auch besonders für Konservierung und Restaurierung entscheidende Auswirkungen. Auswirkungen, die bis heute nur ungenügend erforscht sind.

Fragen der Dokumentation und Präsentation, Schwerpunkt des ersten Tages, gehen bei Videokunst Hand in Hand. Geht man davon aus, wie u.a. Katharina Ammann (Universität Bern) in ihrem Vortrag darlegte, dass Video erst durch Apparaturen wie Monitor respektive Beamer und entsprechende Abspielgeräte sichtbar wird, muss man diese und die daraus sich ergebende Präsentationsform als dem Werk immanente Bestandteile mitdenken. Fasst man diese Annahme noch grundsätzlicher aus bildwissenschaftlicher Sicht, ist das Videobild, so Boris Groys (HfG Karlsruhe), in Abhängigkeit begriffen: zum einen von den Bedingungen seines Mediums und zum anderen von der Willkür des Kurators, der das „kranke“, weil nie sich selbst identische Bild erst „kurieren“ - sichtbar - machen müsse. Das digitale Bild bleibe in seinem Wesen immer abhängig vom Kontext seiner Präsentation, die je nachdem als Projektion, im Fernsehen, Computer oder Videorekorder geschehen kann. Seine Konsequenz: „Es gibt keine Kopie, es gibt nur Originale“. In der Folge stellt sich daher die Frage, wie eine angemessene Form der Präsentation gerade historischer Videoarbeiten, nach ihrer Digitalisierung, gefunden werden kann. Wie weit, so auch die Frage Hans Dieter Hubers (Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart), darf der Rahmen in der Wahl der Soft- und Hardware hier gesetzt werden. Sowohl Groys als auch Huber waren sich einig, dass eine Präsentation der konservierten Arbeit mit ihren historischen Apparaten den Fokus der Rezeption auf den historisierenden Charakter beschränken und vom eigentlichen Werkinhalt ablenken würde.

Die zentrale Frage bleibt daher, wie und wo der Kompromiss zwischen einer Aufführung mit historischem Material und einer Aufführung mit der heute verfügbaren Technik der inzwischen digitalisierten Information zu finden ist. Dass die Arbeit für ihre Präsentation bestimmter Apparaturen bedarf, ist unvermeidlich. Im Zweifelsfall, um aus der pessimistischen Schlussfolgerung Groys', dass jedes Zeigen eines Bildes unweigerlich eine Fälschung sei, nicht die Konsequenz der Unmöglichkeit jeder Aufführbarkeit zu ziehen, müsse hier - soweit noch möglich - der Wunsch des Künstlers das Maß aller Dinge bleiben, so das Fazit besonders auch aus den folgenden Vorträgen der konservatorischen und kuratorischen Praxis (eine Tatsache übrigens, die selbstverständlich anmuten mag, es jedoch in vielen Fällen noch nicht ist). Grundsätzlich jedoch müsse sich, so Rudolf Frieling (ZKM Karlsruhe), jedes Museum und jeder Sammler, in der Verantwortung fühlen, eine Dokumentation jedes in seinem Archiv befindlichen Werkes anzulegen, um auch in ferner Zukunft eine Präsentation im Sinne von Künstler und Werk zu gewährleisten. Nur so könne mit der damit entstehenden Historie eine Anleitung für zukünftige Präsentation bereitgestellt werden.

Caitlin Jones (Guggenheim Museum, New York) zeigte im Folgenden am Beispiel der Arbeit „The Erl King“ von Graham Weinbren und Robert Friedman aus dem Jahre 1985 eine Möglichkeit des verantwortungsvollen Umgangs in der Konservierung, aber auch der folgenden Präsentation einer Videoarbeit. Nicht die Hardware, aber ihre Funktionen wurden im Prozess der Konservierung erhalten, so dass die Arbeit heute mit neuer Hardware, neu programmiert, dabei aber weiterhin mit den dem Original eigenen Eigenschaften und Eigenheiten präsentiert wird; so geschehen in der Ausstellung „Seeing Double: Emulation in Theory and Practice“ im Guggenheim-Museum, in der die Arbeit im Zustand vor und nach ihrer Restaurierung nebeneinander gestellt präsentiert wurde.

Die Konservierung wie auch Bart Rutten (Netherlands Media ArtInstitute, MonteVideo/ TBA, Amsterdam) darauffolgend am Beispiel von Arbeiten von Abramovic/ Ulay ausführte, sollte nie das Konzept der Arbeit beeinflussen. Um dies zu gewährleisten sei eine Orientierung an der frühesten noch erhältlichen Version notwendig. Gleichzeitig solle diese „authentischste“ Version für die Zukunft erhalten bleiben, da hiervon entsprechende, dem Original gemäße, Kopien hergestellt werden könnten. Letzte Instanz aber auch in diesen Fragen, so Rutten, sei der Künstler.

Dass diese Fragen nicht allein den Berufsstand der Konservatoren und Restauratoren betreffen, sondern gerade auch die Arbeit eines jeden Kurators, der sich auf Videokunst einlässt, erklärt sich vor diesem Hintergrund von selbst. Von einem diesbezüglichen Selbstverständnis im Umgang mit Videokunst seien viele der Kuratoren nach Meinung Hans D. Christs (Württembergischer Kunstverein, Stuttgart) jedoch immer noch weit entfernt. Die angenommene Immaterialität des Videobildes und besonders seine - durch den Prozess der Digitalisierung fast unendliche - Vervielfältigbarkeit scheinen dieser Kunstform von vornherein den auratischen Charakter eines Kunstwerks (man denke an die vergleichbare Position der Fotografie in der Kunstgeschichte) und damit gleichzeitig den notwendigen Respekt in Bezug auf seine Präsentation abzusprechen. Das Wissen jedoch, das sich ein verantwortungsvoller Kurator in Kooperation mit Künstler, Künstlerassistent und technischer Leitung erarbeitet, könne eine wertvolle Quelle auch für zukünftige Fragen der Konservierung einer Arbeit sein.

Das Bewusstsein, dass nicht rein der Inhalt eines Videos, sondern besonders auch dessen Präsentation und deren Kontext Teil jeder Arbeit sind, so das Fazit des ersten Tages, ist in vielen Institutionen jedoch auch heute, nach vierzig Jahren Videokunst, noch nicht ausreichend ausgeprägt.

Da grundsätzlich aber weder am Kunstwerks- noch am Originalitätsstatus von Videoarbeiten heutzutage noch Zweifel bestehen, sieht sich besonders der Berufsstand der Konservatoren und Restauratoren in seinem Umgang mit dem Medium Video vor eine Reihe essentieller Fragen gestellt. Entsprechend wurde aus jedem einzelnen der Vorträge des zweiten Tages, der sich schwerpunktmäßig eben diesen Fragen der Möglichkeiten und Grenzen der Konservierung und Restaurierung von Videokunst widmete, deutlich, dass der grundlegende Konflikt - vergleichbar dem in den klassischen Medien der Bildenden Kunst - am Anfang jeder restauratorischen Arbeit der ist, eine Antwort auf die Frage des „Wie weit“ zu finden. Soll die Arbeit nach den heutigen technischen Standards beurteilt und „perfektioniert“ werden oder sind nicht vielmehr bestimmte Fehlerquellen, wie z.B. „dropouts“, ausgefranste Bildränder oder harte Schnittfolgen zu konservieren, da sie, durch die damaligen technischen Möglichkeiten bedingt, unwiderruflich Bestandteil der künstlerischen Arbeit sind.

Technisch möglich sei heutzutage beinahe alles, wie besonders aus dem Vortrag Christoph Blases (Labor für antiquierte Videosysteme, ZKM Karlsruhe) deutlich wurde. Programme wie DIAMANT, vorgestellt von Walter Plaschzug (HS-ART, Graz), können so schon heute vollautomatisch Fehler wie dropouts vom Bildschirm verschwinden lassen. Bei all diesen Möglichkeiten müsse jedoch, betonte Ulrich Lang (Restaurator MMK, Frankfurt), die „ursprünglichste“ und damit „originalste“ Version einer Arbeit die Quelle für jede weitere Anwendung bleiben.

Nun ist gerade die Frage nach dem Original im Falle des Videobands eine der am schwierigsten zu beantwortenden. Ist es das ursprünglich in der Kamera befindliche Band, die bearbeitete und geschnittene, dem Publikum präsentierte Arbeit oder die erste vom Künstler gewählte Gesamtpräsentation? Eine abschließende Klärung dieser Frage konnte nicht erreicht werden. Im Zweifelsfall kann auch hier nur der Künstler selbst die Antwort geben. Virulent wird die Frage nach dem Original auch in dem sich an die Konservierung anschließenden Schritt der Archivierung der Videokunst. Sandra Thomas und Alexandra Wessels (MedienKunstArchiv, 235Media, Köln) verwiesen auf die Problematik, mit der sie sich bei der Konservierung, Digitalisierung und späteren Distribution von Videokunst in einem digitalen Online-Archiv konfrontiert sehen. Mit der Übertragung auf digitale Speichermedien und deren Kommunikation über eine Datenbank stünden Konzepte von Original, Autorschaft und Kunstwerk erneut zur Diskussion. Die Entwicklung von Methoden, um mit diesen Konzepten verantwortungsvoll, im Sinne von Werk und Künstler, umzugehen, sei unerlässlich und werde über die Zukunft und Form dieses Angebots entscheiden.

Von einer anderen Seite beleuchtete der abschließende „round table“ sowohl den Begriff des Originals als auch die Zukunft des Mediums Video. Das gesamte Spektrum der am Prozess der Zirkulation von Videoarbeiten Beteiligten, angefangen beim Künstler Dieter Kiessling als Verteter der Produzenten, über die Kuratoren Barabara Engelbach (Museum Ludwig, Köln) und Stephan Urbaschek (Sammlung Goetz, München) von Seiten der Vermittler, bis hin zu Bart Rutten (MonteVideo, Amsterdam) und der Galeristin Anita Beckers (Galerie Anita Beckers, Fankfurt) für die Seite der Distributoren, war hier vertreten. Die geführte Diskussion gab u.a. Einblick in die Schwierigkeit des Umgangs mit einem künstlerischen Werk, das auf Grund seines Mediums die Kopie nicht als Gefahr, sondern, denkt man an die Anfänge der ersten Generation der Videokünstler, gerade als seine ureigenste Eigenschaft im Sinne einer demokratischen Kunstform, betrachtete. Was damals gefeiert wurde, wird heute, besonders für den Kunstmarkt zum Problem. Wie können sich Sammler und Museen versichern, dass sie tatsächlich ein Original erstehen und wie kann verhindert werden, dass Kopien unkontrolliert zirkulieren und aufgeführt werden. Wie kann aber auch gleichzeitig gewährleistet werden, dass Arbeiten nicht in Archiven verschwinden und dem interessierten Publikum nur noch in wenigen Ausstellungen zugänglich gemacht werden. Auch die Tatsache, dass Videoarbeiten heute nicht mehr in unlimitierter Auflage und damit für wenige hundert Mark wie noch in den 1980er Jahren, sondern inzwischen in limitierten Auflagen, die leicht einige zehntausend Euro kosten können, gehandelt werden, wie der Moderator des „round table“ Dieter Daniels (HGB Leipzig) ausführte, ist hier Lösung und Problem zugleich. So wünschenswert diese Entwicklung hinsichtlich der damit einhergehenden Anerkennung von Videokunst als künstlerisches Medium auch sein möge, so stelle sie gerade Bildung und Forschung vor Probleme. Wie Bart Rutten erläuterte, sei erst wieder in den vergangenen Jahren das Bewusstsein bei vielen Künstlern und Sammlern entstanden, dass Distributoren durch das für Jedermann erschwingliche Bereithalten von Videoarbeiten deren Marktwert nicht verringern, sondern damit im Gegenteil eine kostenlose Promotion betreiben und viel wichtiger, darüber hinaus der einzige (sichere) Weg sind, dem zuvor beschriebenen Prozess des Verschwindens von Arbeiten entgegenzuwirken. Ein Plädoyer für die Unverzichtbarkeit von Kopien nicht zuletzt auch für Ausbildung und Forschung von Dieter Daniels unterstrich diese Position.

Einheitliche Richtlinien für Verkauf, Distribution und nicht zuletzt Präsentation von Videokunst wurden als erster und wichtiger Schritt in dieser Frage von allen am Tisch Versammelten gefordert. In einem zweiten Schritt diese Richtlinien an die Künstler, schon an den Hochschulen, weiter zu geben, mag selbstverständlich erscheinen, dass jedoch auch hier einiger Nachholbedarf besteht, unterstrich die Galeristin Anita Beckers.

Generell muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Position des Künstlers während des zweitägigen Symposiums überraschend wenig Stimme erhielt. „40 Jahre Videokunst“ müssen einerseits ein Appell an alle Beteiligten sein, die in diesen Tagen aufgeworfenen Fragen weiter zu diskutieren. „40 Jahre Videokunst“ sollten jedoch gleichzeitig zu der Erkenntnis führen, dass eine große Mehrheit der Videokünstler auf viele der hier gestellten Fragen noch Antwort geben kann. Als Notwendigkeit in fast allen Vorträgen dieser Tage angedeutet, kam mit Dieter Kiessling erst beim letzten Beitrag ein Vertreter der Künstlerschaft zu Wort. Nicht als Drohung, sondern als unschätzbarer Wert sollte daher die Forderung verstanden werden, dass die Meinung des Künstlers, sofern und so lange noch möglich, in der Konservierung vor der des Restaurators und in der Präsentation vor der des Kurators stehen sollte. Der Gedanke einer Demokratisierung der Kunst durch Video ist nach vierzig Jahren selbst in den eigenen Reihen in vielerlei Hinsicht noch nicht Wirklichkeit geworden. Nicht zuletzt in diesem Punkt hat das Symposium einen entscheidenden Beitrag geleistet. Es bleibt zu hoffen, dass die Früchte dieses Engagements nicht erst in vierzig Jahren zu ernten sein werden und die hier demonstrierte Offenheit und Kooperationsbereitschaft in so mancher Institution ihre Unterstützung und Umsetzung finden wird.

Anmerkungen
Weitere Informationen zu diesem Projekt unter www.40jahrevideokunst.de
[1] Das Symposium ist ein Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes und wurde von K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und dem ZKM Karlsruhe veranstaltet.

Empfohlene Zitation:
Tasja Langenbach: [Tagungsbericht zu:] 40jahrevideokunst.de (K21 | Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 01.–02.07.2005). In: ArtHist.net, 14.07.2005. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/416>.

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