REV-CONF 17.09.2002

Uniformen fuer's Zivile

Krefeld, 23.–25.05.2002

Bericht von Insa Grosskraumbach

Uniformen fuer's Zivile. Zur Geschichte uniformer Kleidung als symbolischer Kommunikation

Vom 23. bis 25. Mai 2002 fand in Krefeld-Linn anlaesslich einer Ausstellung des Deutschen Textilmuseums Krefeld ueber deutsche Ziviluniformen im 19. Jahrhundert eine Konferenz statt zum Thema „Uniformen fuer's Zivile. Zur Geschichte uniformer Kleidung als symbolischer Kommunikation“, die von Elisabeth Hackspiel-Mikosch und Stefan Haas in Zusammenarbeit mit dem Historischen Seminar der Universitaet Muenster organisiert wurde. Die auf der Konferenz dargebotenen Untersuchungen umfassten verschiedenste Aspekte der Kulturgeschichte ziviler Uniformen: Sie reichten von der bekannten eher deskriptiven Uniformgeschichte ueber neuere Tendenzen der Kleidungsforschung, die die psychologische, soziale und kulturelle Dimension des Uniformtraegers aber auch der Rezipientenseite beachten, und ausserdem Perspektiven der Koerpergeschichte sowie der Geschlechtergeschichte und Ansaetze aus dem ethnologischen Bereich einschliessen.

Dem Untertitel der Tagung angemessen lagen die Schwerpunkte auf der Analyse der symbolischen und kommunikativen Aspekte der Uniform. Ein weiteres Augenmerk war auf die geschlechtskonstituierende Wirkung von Kleidung gerichtet sowie auf die spezifischen 'Raeume', in denen die Uniformen getragen wurden. Darueber hinaus ging es um politische Implikationen der Uniformen sowie um transkulturelle Perspektiven. Neben hoefischen und Beamtenuniformen wurden auch Uniformen in ausserstaatlichen Kontexten thematisiert. Das Spektrum der Vortraege reichte von den daenischen Ritterroben des 17. bis 19. Jahrhunderts ueber die Beamtenuniform des deutschen Kaiserreichs 1871-1918, bis hin zu den Nachrichten- und Geheimdiensten des 2. Weltkrieges und des Kalten Krieges, von den deutschen, den franzoesischen ueber die oesterreichischen bis hin zu asiatischen und afrikanischen Kleidungscodes. Die Krefelder Konferenz diente somit als ein Forum, bei dem Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und nationaler Herkunft ueber das komplexe kulturhistorische Phaenomen ziviler Uniformen diskutierten.

Die Textilwissenschaftlerin Elisabeth Hackspiel-Mikosch und der Muensteraner Kulturhistoriker Stefan Haas steckten in ihrem Eroeffnungsvortrag die Grundlagen der Themenbereiche ab und boten einen Einblick in den kulturhistorischen Facettenreichtum der Analyse der Ziviluniform. Sie ordneten die Uniform in den Kontext der Moderne und die damit verbundenen Entwicklungen: die kulturellen und sozialen Tendenzen der „Modernisierung“ spiegelten sich in den Beweggruenden der Einfuehrung von zivilen Uniformen, ihrer Entwicklung, ihrer Durchsetzung und den damit verbundenen Diskursen. Zentrales Anliegen der Vortragenden war es, die reichhaltige Symbolik der Ziviluniform als neue Bekleidungsform einzuordnen. Anschliessend folgte eine Performance der Koelner Kunsttheoretikerin Heidi Helmhold und ihrer Mitarbeiter Birgit de Boer und Christian Brenk: In einer Mischung aus Referat, theatralischer Darbietung und musikalischer Unter- (und Ueber-)malung thematisierten sie Vergangenheit und Zukunft uniformer geschlechtsspezifischer Bekleidung und ihrer Wirkungen auf den Koerper des Traegers sowie die Augen der Betrachter.

Im ersten Abschnitt der Tagung ging es primaer um die identitaetsstiftenden Aspekte von Uniformen. Der Londoner Kultur- und Kleidungshistoriker Christopher Breward befasste sich in dieser Perspektive mit der Mode der Londoner Bueroarbeiter 1870-1914, deren uniformen Anzug er aber keinesfalls als Stereotyp einordnete, sondern vielmehr als eine hochnuancierte, progressive und ueberraschend ausdrucksstarke Kleidungsform eingestuft wurde. Der saechsische Landeshistoriker Joseph Matzerath hielt einen Vortrag ueber die landstaendische Uniform in Sachsen, die er in den Kontext des Verlusts symbolischer Kennzeichnung ueber wertvolle Kleidung durch das Ende der Kleiderordnungen rueckte. Diesen Verlust an Identitaetsstiftung, durch das Aufkommen einer egalisierten Herrenmode verdeutlicht, vermochten Adelsuniformen teilweise zu kompensieren.

Thomas Luettenberg, Historiker in Bielefeld, setzte sich in seinem Referat mit dem durch die Gruendung des Deutschen Reiches 1871 entstandenen Problem der nationalen Identitaetsfindung auseinander, wobei er die Ziviluniformen als eine Gelegenheit zur Darstellung einer neuen nationalen Einheit und Wuerde thematisierte und die zunehmende Anlehnung der Ziviluniformen an militaerischen Vorbildern herausstrich. Interessanterweise hatten seine Forschungen ergeben, dass entgegen ueblichen Annahmen fuer diese Traditionserfindung urspruenglich nicht der sonst sehr nostalgisch agierende Wilhelm II., sondern vielmehr Wilhelm I. und Bismarck verantwortlich waren. Die Berliner Historikerin Karen Hagemann erweiterte die Perspektive der Identitaetsstiftung um geschlechterhistorische Fragestellungen. Sie untersuchte Quellen aus der Zeit vor und waehrend der Antinapoleonischen Kriege, die eine spezifisch deutsche Kleidung als Zeichen des neuen deutsch-nationalen Patriotismus verlangten. Sie betonte die darin aufscheinenden unterschiedlichen Vorstellungen von maennlichen und weiblichen Patrioten und die damit verbundenen Attribute: Wehrhaftigkeit gegenueber Haeuslichkeit und Sittlichkeit. In ihrer Analyse der Rezeption dieser Ideen kam die Referentin zu dem Schluss, dass deren allgemeine Durchsetzung nicht funktionierte.

Die Tuebinger Kulturwissenschaftlerin Alexandra Hillringhaus untersuchte politische Uniformen in Deutschland zwischen den Weltkriegen im Kontext einer zunaechst widersinnig scheinenden Remilitarisierung des innenpolitischen Lebens. Die zeichenhaften Formen und ikonographischen Bezuege der Uniformen nicht-staatlicher und paramilitaerischer Verbaende analysierte die Referentin als Ausdruck des Kampfes um die ideologische Ausdeutung des Kriegserlebnisses, der in hohem Masse auf Symbole, Rituale und Frontmarkierungen angewiesen war und die gesamte politische Kommunikation der Weimarer Republik praegte. Wesentlich war dabei die Frage, wie diese Kleidungssymbolik ihrerseits formierend auf die Erfahrung der Wirklichkeit in der Nachkriegsgesellschaft einwirkte.

Die in Kopenhagen als Textilrestauratorin am Schloss Rosenborg taetige Kleidungshistorikerin Katia Johansen setzte sich in ihrem Vortrag mit daenischen Ritterroben von 1671-1840 auseinander. Anhand noch vorhandener Exemplare dieser Roben sowie Portraets, Rechnungen und den Statuten einzelner Ritterorden zeichnete sie ein umfassendes Bild bezueglich der mit den Roben verknuepften Intentionen und Effekte. Das Aussehen der Uniformen orientierte sich stark an einer quasi-historischen spanischen Mode, wodurch ein Teil der Aura von Geschichte, Macht und Groesse den daenischen Rittern und ihrem Herrscher zugute kommen sollte. Im 19. Jahrhundert fuehrten die Wandlungen der 'Weltordnung' sowie der maennlichen Mode dazu, dass die altmodischen Roben nicht laenger in diesem Sinne der Beleihung von Symbolen und deren Konnotationen funktionieren konnten.

Monica Kurzel-Runtscheiner, Kuratorin am Kunsthistorischen Museum und Betreuerin des Hofmonturdepots in Wien, untersuchte die Ziviluniform am Wiener Hof im 19. und fruehen 20. Jahrhundert, wobei sie insbesondere auf die subtile Sprache der Uniformen einging, die sich in Zeichen wie Form, Farbe und Dekorationen ausdrueckte und den Rang und die Funktion des Traegers deutlich machte. Die Textilwissenschaftlerin Marieluise Kliegel untersuchte in ihrem Vortrag die Livreeverwaltung an deutschen Adelshoefen des 19. Jahrhunderts und stellte dabei die exklusive Bedeutung der Livree und der Livreekammer heraus, die an den Kriterien von Sparsamkeit und Einhaltung des hoefischen Reglements orientiert eine strenge Systematik der Kleiderverwaltung entwickelte.

Olga Vainshtein, taetig am Geisteswissenschaftlichen Institut der Universitaet Moskau, befasste sich in ihrem Referat mit der Vergeschlechtlichung der Uniform in Russland 1796-1856. Die Referentin verdeutlichte, dass die erste Haelfte des 19. Jahrhunderts die entscheidende Phase zur Festigung des semiotischen Systems der Ziviluniformen in Russland war. Dieses System lasse sich in Begriffen des kulturellen Geschlechts (gender) analysieren, das sich in den vorgeschriebenen Kleidungscodes, spezifischen Regeln der Etikette und Abweichungen der Traeger von diesen Normen manifestiert. Der Vortrag interpretierte die Genderdifferenzen in der Hofbekleidung und der Ziviluniform vor einem breiten kulturellen Kontext. Die Kulturwissenschaftlerin Elke Gaugele verband in ihrem ebenfalls geschlechterhistorisch ausgerichteten Vortrag das Thema Ziviluniform und die damit verbundene Performanz von Maennlichkeit mit der psychologischen Fetisch-Forschung unter dem Gesichtspunkt der modernen westlichen Genderkonstruktion im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Die Referentin machte deutlich, dass sich durch den Begriff des Fetischs die Ebene der symbolischen Kommunikation durch Kleidung zur sozioaesthetischen Verknuepfung von Sexualitaet, Gender und Macht verdichtet. Gleichzeitig erscheint dadurch die Repraesentation von Gender mittels ziviler Uniformen als doppeldeutiger Prozess, in dem Begehren auf unterschiedlichen Ebenen sowohl stofflich praesentiert, wie zugleich abgespalten und verschoben wird. Der Erziehungswissenschaftler Oliver Hemmerle machte in seinem Vortrag ueber die Repraesentation von Nachrichten- und Geheimdiensten im 2. Weltkrieg und im Kalten Krieg deutlich, dass die Uniformierung von Nachrichten- und Geheimdiensten meistens in einem Grenzbereich verschiedener Institutionen angesiedelt ist. Behandelt wurden allgemeine wie spezielle Formen der Selbstdarstellung und die 'Raeume' dieser Darstellung im Vergleich der militaerischen mit den nicht-militaerisch organisierten Nachrichten- und Geheimdiensten. Er untersuchte die Ursachen und Funktionen derartiger Selbstdarstellung von Organisationen, die von ihrem Auftrag her eigentlich an oeffentlicher Repraesentation nur sehr begrenzt interessiert sein sollten.

Heide Nixdorff, geschaeftsfuehrende Leiterin des Instituts fuer Textilgestaltung an der Universitaet Dortmund, untersuchte im Themenkomplex aussereuropaeischer Kleidungscodes den Hierarchiegedanken im Spiegel der Beamtenkleidung im kaiserlichen China anhand von 'Rangquadraten', die die Vorder- und Rueckseite von Maenteln zierten, die traditionell von chinesischen Beamten und ihren Frauen bei besonderen Anlaessen getragen wurden. Die Referentin erlaeuterte die komplexe Ikonographie dieser Quadrate, die als Zeichen der Position und Bedeutung eines Beamtens lesbar waren aber zusaetzlich Glueckwuensche fuer das persoenliche und berufliche Leben des Traegers enthielten.

Die Kunsthistorikerin Dorit Koehler behandelte in ihrem Vortrag die Sonntagsbekleidung in den evangelischen Kirchen in Togo 1890-2000 als Uniformierung an der Schnittstelle verschiedener Kulturen, deren Begegnung den ambivalenten Charakter der Kleidung in einem komplexen Deutungssystem aufscheinen laesst. Die Uebernahme der Kleidungsgewohnheiten der Missionare durch die Westafrikaner gilt als Sinnbild fuer eine erfolgreiche Missionierung. Modifiziert und um Elemente afrikanischer Symbolkraft bereichert entsteht daraus in Togo eine neue Kleiderform, die als typisch afrikanisch verstanden und im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zu einem Zeichen des afrikanischen Selbstbewusstseins wird. Der niederlaendische ehemalige Diplomat Vincent Kramers referierte ueber die Amtskleidung der einheimischen Beamten im Niederlaendischen Kolonialreich. Der Referent machte darauf aufmerksam, dass ihm keine andere Kolonialmacht bekannt sei, die derart detaillierte Kleidungsvorschriften fuer einheimische Oberhaeupter erlassen hat, wie es die niederlaendische Regierung nach 1870 unter dem Eindruck einheimischer inoffizieller Nachahmungstendenzen der europaeischen Uniformen getan hatte.

Die Sozial- und Wirtschaftshistorikerin Gisela Mettele untersuchte den Entwurf des 'pietistischen Koerpers' in der uniformen Kleidung der Herrnhuter Bruedergemeinde im 18. Jahrhundert. Deren Uniformierung gelte als ein Mittel, religioese Gemeinschaft sichtbar zu machen, Statusprobleme zu entschaerfen und Irritationen zu beseitigen, die durch verschiedene, die Koerperteile jeweils unterschiedlich ver- und enthuellende Kleidungscodes entstanden waren. Zusaetzlich sollte die religioese Symbolik der Kleidung die Distanz des Herrnhuter Lebensstils zum sogenannten „Weltsinn“ ausdruecken.

Der Kulturwissenschaftler Jochen Ramming ging in seinem Vortrag auf die Verbreitung und den Symbolgehalt des Rabbinerornates in der ersten Haelfte des 19. Jahrhunderts ein. Er verfolgte die Frage, wie es ueberhaupt dazu kam, dass Rabbiner von Staats wegen mit einer einheitlichen Amtstracht versehen werden konnten und woraus die evidente formale Anlehnung des Ornats an die Kleidung protestantischer Pfarrer resultierte. Der Referent verdeutlichte, dass die Anleihen und die Verordnungen aus einer innerjuedischen Reformbewegung erwuchsen, die die bislang ausgegrenzte juedische Bevoelkerung an die sich etablierenden Gesellschaftsstrukturen heranfuehren und in die neuen Nationalstaaten integrieren wollte. Der Rabbinerornat galt somit Symbol eines reformierten Judentums. In dem abschliessenden Beitrag ging die an der Universitaet Dublin arbeitende Medienwissenschaftlerin und Sozialpsychologin Efrat Tseelon auf ihre Studie zur Politik der Schuluniform ein, die eine selbstreflexive Untersuchung der Grundannahmen, Werte, Bedeutungen und rhetorischen Strategien, die sich in der Schuluniform Ausdruck verschaffen, bildet. Die Referentin untersuchte, wie sich immer noch eine konservative Ideologie an den Schulen durchsetzt und dabei die alltaegliche Praxis normiert, wobei die Schuluniform als ein Beispiel und Ausdruck solcher informeller Regulierung und Kontrolle einzuordnen ist.
Ein illustrierter Sammelband mit Aufsaetzen der Referenten erscheint 2003.

Empfohlene Zitation:
Insa Grosskraumbach: [Tagungsbericht zu:] Uniformen fuer's Zivile (Krefeld, 23.–25.05.2002). In: ArtHist.net, 17.09.2002. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/407>.

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