REV-CONF 22.12.2005

Bild und Bildung im Mittelalter III

Universität Köln, 08.–09.07.2005

Bericht von Kristin Böse, Köln
Redaktion: Rainer Donandt

Bild und Bildung im Mittelalter III: Transformation und Systematisierung von Wissen in Rechtshandschriften 8./9. Juli 2005, Kunsthistorisches Institut der Universität zu Köln

Die Kolloquiumsreihe „Bild und Bildung im Mittelalter“ des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln dient dem Austausch und der Entwicklung neuer Forschungsansätze, die sich mit der bildmedialen Vermittlung von Wissen im Mittelalter befassen. Sie verfolgt die Frage, wie sich die Darstellung und Aufbereitung von Wissen in Text, Bild und Layout verändert. Während die erste Tagung schöpfungstheoretische und naturkundliche Texte, die zweite liturgische Handschriften und ihre Illustration diskutierten, widmete sich „Bild und Bildung III“ im Juli dieses Jahres mittelalterlichen Rechtshandschriften. Einen Schwerpunkt bildeten die seit dem Hochmittelalter verbreiteten, neuen systematischen Ordnungen kanonischen und zivilen Rechtes. Dem neuen Zugriff auf das gesammelte Rechtswissen korrespondiert eine Neugestaltung des Textes durch Layout und Bildschmuck, die das Studium und die Rezeption des Rechts visuell leitet und beeinflußt sowie veränderte Rechtsauffassungen optisch markiert. Im Mittelpunkt dieses Arbeitsgesprächs standen daher die Funktion der Miniaturen, der historisierenden Initialen sowie der graphischen Textgestaltung. Leitend war die Frage, inwiefern darüber hinaus die einzelnen Darstellungen und die zunehmend bildhafteren Layoutformen Auskunft über das gewandelte Selbstverständnis mittelalterlicher Kanonistik geben.

Die kunsthistorische Auseinandersetzung mit illuminierten Rechtshandschriften stellt immer noch ein Forschungsdesiderat dar. Da keine Faksimiles und kaum Abbildungen publiziert sind, welche den graphischen Gestaltungsweisen einer gesamten Buchseite Rechnung tragen, bleibt man auf das Original angewiesen oder auf Digitalisate, wie sie CEEC (Codices Electronici Ecclesiae Coloniensis) im Netz frei zugänglich gemacht hat. Neben Fragen der Wissensvermittlung und des Zusammenspiels von Text und Bild trat im Arbeitsgespräch daher der Austausch über die regionale und zeitliche Einordnung der Handschriften und die jeweils regionalen ikonographischen Besonderheiten.

In einer kurzen Einführung skizzierte Susanne Wittekind (Köln) die Einbindung der Tagung in das Leitthema des Kölner Zentrums für Mittelalterstudien, das sich Prozessen der Rezeption, der konstruktiven Transformation und Vermittlung von Wissen im Mittelalter widmet, und in dem mehrere rechtshistorische Projekte verfolgt werden. Zur Veranschaulichung dieses Aspekts der visuellen Wissenssystematisierung stellte sie ausgewählte Rechtshandschriften der UB Frankfurt (Dekretalen Ms. Barth. 11, Digestum vetus Ms. Barth. 9) vor. Wittekind machte auf deren differenzierte, hierarchisch gestufte, listenartige Inhaltsübersichten aufmerksam, welche die Struktur des nachfolgenden Werks veranschaulichen. Einem neuen Bedürfnis der Benutzer entsprechend unterstützen nachträglich ergänzte Begriffsregister einen punktuellen thematischen Zugriff auf bestimmte Textstellen und verdeutlichen Zusammenhänge jenseits der Hauptgliederung des Werks.

Im ersten Teil der Tagung standen verschiedene Rechtssammlungen zur Diskussion. Klaus Zechiel-Eckes (Köln) stellte unter dem Titel „Historisch geordnetes und systematisches Kirchenrecht und seine frühmittelalterlichen Wechselbeziehungen“ die Probleme und den Prozeß dar, in dem man zwischen Spätantike und hohem Mittelalter zu thematisch geordneten Rechtssammlungen gelangte. Seit dem 5. Jahrhundert wurden Dekretalen und Konzilsbeschlüsse gesammelt und in der Folge stets um weitere Konzilien ergänzt. Zwecks Erleichterung der Abschrift und des Textumfangs wurde dabei oft auf die langen Teilnehmerlisten verzichtet, die zum originalen Konzilsbeschluß gehörten. Diese historisch angeordneten Konzilssammlungen bewahrten damit zwar den Authentizitätscharakter der konziliaren Beschlüsse, waren aber unübersichtlich und daher unpraktisch im Gebrauch. Daher wurden schon im 6. Jahrhundert von Ferandus und Cresconius differenzierte Systeme von inhaltlichen Rubriken entwickelt, denen die Konzilsbeschlüsse jeweils zuzuordnen sein sollten; doch dieses gewaltige Unternehmen konnte von keinem der beiden praktisch realisiert werden. Die Kölner Dombibliothek bewahrt mit den Hss.115-117 drei „historische“ Sammlungen der sogenannten Collectio Hadriana aus dem 9. Jahrhundert. Die reiche Glossierung von Hs. 117 mit Wort- und Sinnerläuterungen zeugt von ihrer praktischen Benutzung. Durch den Vergleich mit anderen Hadriana-Exemplaren, in denen Zechiel-Eckes teils dieselben Glossen nachweisen und ihre Herkunft aus der systematischen Sammlung des Cresconius aufzeigen konnte, wurde deutlich, dass beide Sammlungen nebeneinander benutzt wurden und dass in der Karolingerzeit punktuell wieder der Versuch unternommen wurde, die historische und die systematische Ordnung zusammenzuführen. Damit wurde die komplizierte Ausgangslage und Herausforderung für die großen systematischen Rechtssammlungen des 12. und 13. Jahrhunderts deutlich.

Martin Bertram (Rom) beschäftigte sich aus historischer Perspektive mit den illuminierten Dekretalen-Handschriften, um an ihnen Möglichkeiten und Grenzen der Datierung und Lokalisierung spätmittelalterlicher Rechtshandschriften aufzuzeigen. Dabei machte Bertram auf den hohen Anteil reich illuminierter Codices im 14. Jahrhundert aufmerksam, zu deren Standardausstattung offenbar ein bestimmtes Set von Miniaturen gehörte. Neben der Möglichkeit der Datierung von Rechtshandschriften durch das Alter bestimmter Glossen und Textzusätze verwies er daher auf die Möglichkeit der kunsthistorischen Datierung und stilistischen Lokalisierung der Rechtshandschriften und appellierte an die Kunsthistoriker, sich dieser Aufgabe anzunehmen. Trotz der hohen Zahl erhaltener Codices innerhalb eines kurzen Überlieferungszeitraumes von ca. 30-40 Jahren ist das heterogene Erscheinungsbild einzelner Handschriften problematisch, wenn sich etwa Miniaturen stilkritisch vom Schrifttyp absetzen, oder wenn auch innerhalb der bildlichen Gestaltung stilistische Unterschiede zu konstatieren sind. Mögliche Erklärungen dafür lieferten schon Rouse/Rouse, die auf die „wandering scribes and travelling artists“ verweisen sowie Stelling/Michaud, die Beispiele für den Transport von Texthandschriften über Ländergrenzen hinweg erbrachten, die erst an einem anderem Ort illuminiert wurden. [1]

Solche regional verschiedenen Bildformeln arbeitete Kathleen Nieuwenhuisen (Amsterdam) am Beispiel der Heiratsdarstellungen in den illuminierten Handschriften des Liber Extra (1250-1400) heraus. Diese Bildformeln stimmen in bestimmten Details mit Heiratsdarstellungen derselben Skriptorien in anderen Handschriftentypen überein, teils nehmen sie, wie Nieuwenhuisen durch historische Quellen nachweisen konnte, Spezifika zeitgenössischer Hochzeitsrituale auf. Die Darstellungen unterscheiden sich, wie Kathleen Nieuwenhuisen aufzeigte, zwischen Italien und Frankreich z.B. hinsichtlich der Ringübergabe sowie der Mitwirkung des Geistlichen und der Zeugen. Als Gründe für die unterschiedlichen Darstellungskonventionen in Paris und Bologna führte die Referentin die Arbeitsbedingungen der Buchmaler in den jeweiligen Produktionszentren an: Während die Maler in Paris an den verschiedensten Handschriftentypen arbeiten und in engem nachbarschaftlichen Kontakt zu anderen Illuminatoren standen, gab es in Bologna auf Rechtshandschriften spezialisierte Maler, die Heiratsdarstellungen zugleich für den Liber Extra, das Decretum Gratiani als auch den Codex Iustiniani verantworteten. Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass die Gestaltungsweisen der Heiratsdarstellungen im Liber Extra weniger dem nachfolgenden Text verpflichtet sind als vielmehr maßgeblich von den zeitgenössischen Hochzeitsritualen beeinflusst wurden.

Eigenwillige Bildlösungen präsentiert die Prachtausgabe des libro de las leyes in ihren 27 Miniaturen (London, Brit. Library, Add. Ms. 20782). Diese Sammlung kanonischen und kastilischen (Volks-)Rechts wurde zwischen 1254 und 1261 im Auftrag und unter Mitwirkung Alfonsos X., des Weisen, von Kastilien-Léon angefertigt. Susanne Wittekind (Köln) analysierte das Text-Bild-Verhältnis ausgewählter Miniaturen. In diesen tritt der König als Konfliktlöser und Mittler zwischen den Vertretern des geistlichen und weltlichen Standes sowie als Rechtsgarant und Gesetzgeber im kirchlichen Bereich selbst dort in Erscheinung, wo er in den jeweiligen nachfolgenden Gesetzen gar nicht zur Sprache kommt. Im Vergleich mit thematisch verwandten Gesetzen und Darstellungen in den illuminierten Handschriften des Decretum Gratiani wurde deutlich, dass für den libro zwar eine geistige Schulung am Dekret hinsichtlich der Argumentationsweise, scharfer Begriffsdefinitionen und verschiedener inhaltlicher Bestimmungen angenommen werden kann, dass jedoch die jeweiligen Bildlösungen für ähnliche Sachverhalte bewusst anders gestaltet werden. Sehr wahrscheinlich ist dieses einzige illuminierte Exemplar des libro, welches in seiner Bildausstattung die ordnende königliche Gewalt propagiert, in der innenpolitischen Krisenzeit seit den 1290er Jahren zu verorten und für den königlichen Hof bestimmt gewesen.

Ein Großteil der Beiträge beschäftigte sich mit den illuminierten Handschriften des Decretum Gratiani, einer thematisch geordneten Sammlung fiktiver kirchenrechtlicher Fälle, die der Kamaldulensermönch Gratian um 1140 für den Unterricht im kanonischen Recht an der Universität in Bologna zusammengestellt hatte. Auf der Basis der Heiligen Schrift, der Schriften der Kirchenväter, der Canones der Konzilien sowie päpstlicher Erlasse erörterte er hierin 36 Rechtsfälle (causae), indem er durch strukturierende wie differenzierende Überlegungen (distinctiones) Probleme und Entscheidungen argumentativ herleitete und, gestützt auf die Aussagen verschiedenster Autoritäten, diese begründete und kommentierte.

Robert Gibbs (Glasgow) und Karl-Georg Pfändtner (Wien) untersuchten die Anfänge der illuminierten Handschriften des Decretum Gratiani. Pfändtner fragte nach dem Beginn der textbezogenen Ikonographie im Decretum Gratiani. Er verwies auf die frühe, mit Randillustrationen versehene Bologneser Handschrift Ms. Ripoll 78 (Barcelona, Archivo de la Corona de Aragon), die noch vor 1150 entstanden sein muss. Ein anderes Illustrationskonzept verfolgen drei aus Süddeutschland und Österreich stammende Codices des späten 12. Jahrhunderts mit historisierenden Initialen zu verschiedenen causae, teils in Federzeichnung (Schäftlarn, Admont), teils in Deckfarben (Salzburg). Obwohl die Initialen jeweils einen direkten Textbezug aufweisen, und obgleich die Handschriften in einer relativen räumlichen und zeitlichen Nähe zueinander entstehen, weisen sie doch sehr unterschiedliche Bildlösungen auf; sie differieren insgesamt jedoch noch deutlicher von den in den Produktionszentren Bologna und Paris gefertigten Decretum-Handschriften. Welchen Beitrag diese monastischen Illustrationsprogramme zur Entwicklung der Ikonographie in den Decretum-Gratiani-Handschriften leisteten, gilt es noch zu untersuchen. Gibbs verfolgte hingegen die stilistische Herkunft und Genese der ersten illuminierten Decretum Gratiani-Codices in den Skriptorien von Pisa und Bologna und machte auf motivische, ikonographische und stilistische Parallelen zu bestimmten theologischen und Bibelhandschriften des 12. Jahrhunderts aufmerksam.

Am Beispiel der Eröffnungsminiaturen in spätmittelalterlichen Handschriften des Decretum Gratiani analysierte Kristin Böse (Köln) das sich darin widerspiegelnde Selbstverständnis der Kanonistik. Die Eröffnungsminiaturen beziehen sich weniger auf die distinctiones, d.h. den Prolog des Dekrets. Sie thematisieren stattdessen die gesellschaftliche Bedeutung des Kirchenrechts - nicht nur mittels Bildinhalt und Darstellungsweise, sondern vor allem auch durch die dem Buch eigenen medialen Möglichkeiten wie das Layout und die Platzierung der Elemente im Hintereinander der Buchseiten. In einer französisch/englischen Handschrift des Decretum Gratiani von 1300 (Cambridge, Fitzwilliam Museum, Ms. 262) wird beispielsweise die den Beginn des Dekrets bestimmende Bilderzählung des Sündenfalls als Ausgangspunkt genommen, sowohl die göttliche Autorisierung als auch die heilsgeschichtliche Aufgabe des Kirchenrechts zu definieren. Der sich innerhalb des Buchkörpers räumlich anschließende Text lässt sich dabei als inhaltliche Erweiterung der Bilderzählung dergestalt lesen, dass er das Kirchenrecht als Mittel repräsentiert, die durch den Sündenfall verursachte Gottesferne wieder aufzuheben - was am Ausgang der Handschrift in der Miniatur zum Kapitel De consecratione dann auch bildlich aufgegriffen wird. Warum in den spätmittelalterlichen Handschriften vermehrt das Verhältnis der Gewalten durch weitere Themen und Argumentationsstränge erweitert wurde, um die Tradition und Glaubwürdigkeit des Dekrets herauszustreichen, lässt sich hier noch nicht beantworten. Möglicherweise geht die Zunahme von solchen Prachthandschriften mit dem wachsenden Bedürfnis von Juristen einher, ihrer berufsständischen Zugehörigkeit Ausdruck zu verleihen.

Claudia Spitzer (Nürnberg-Erlangen) und Christine Jakobi-Mirwald (Weiler) widmeten ihre Beiträge dem Zusammenhang von Text und Bild, Schrift und graphischer Gestaltung in den Decretum Gratiani-Codices, um die Rolle der bildlichen Gestaltung zur Systematisierung des Rechtswissens zu differenzieren. Anhand einer nordfranzösischen Handschrift vom Ende des 13. Jahrhunderts aus Baltimore (Walters Art Gallery, W 135) konnte Claudia Spitzer verschiedene Ebenen einer systematischen Abstimmung der Medien aufeinander ermitteln. Während die Miniaturen dem nonverbalen Zugriff und damit auch der Memorierung der einzelnen Rechtsfälle dienen, übernehmen einige Drolerien die Aufgabe, mit den ihnen eigenen Mitteln den Text zu kommentieren. Auch die weiteren graphischen Gestaltungselemente, wie beispielsweise Ranken, wurden im Bezug zum Text platziert, indem sie in Form einer Klammer die thematische Einheit von bestimmten Abschnitten hervorheben.
Christine Jakobi-Mirwald (Weiler) beschäftigte ebenfalls die memorierende Funktion der bildlichen Ausstattung. Sie wählte als Beispiel die auch von Pfändtner angeführte, frühe Gratianhandschrift aus dem Kloster Schäftlarn (München, Bayer. Staatsbibl., Clm 17151), welche historisierende Initialen am Eingang der Causae aufweist. Grundsätzlich stellen die Initialen, welche nur bestimmte Aspekte der Fallschilderung herausgreifen, eine visuelle Indexierung dar. Die oft sehr originelle, teils parodistische Bildfindung, für die kaum ikonographische Vorbilder bemüht werden können, erleichtert, so die These, das Einprägen und damit auch den Rückgriff auf die entsprechenden Rechtsfälle.

Die Beiträge der Tagung zeigten alle sehr deutlich, wie vielfältig und kreativ die Bildgestaltungen in Rechtshandschriften ausfallen. Dies gilt nicht nur für die Anfangszeit der Decretums-Illustration im 12. Jahrhundert oder für neuartige Rechtssammlungen wie den libro de las leyes, sondern auch für die bereits normierten und in ihren grundlegenden Bestandteilen kaum veränderten kanonischen Rechtssammlungen im späten 13. und 14. Jahrhundert; und es betrifft das Decretum Gratiani, den Liber Extra und die Dekretalen ebenso wie die römisch-rechtlichen Handschriften des corpus iuris, die im Rang der Ausstattung dem Anspruch der kanonischen Handschriften kaum nachstehen. Während für die illuminierten Gratianhandschriften immerhin das (unvollständige) Corpuswerk von Anthony Melnikas vorliegt, ist die vergleichende Bearbeitung der anderen Rechtshandschriften durch das Fehlen einer Bestandsaufnahme der illuminierten Handschriften des Liber Extra, der Dekretalen oder der Digesten gegenwärtig sehr erschwert. Ein solches Corpus bzw. eine Datenbank bleibt ein dringendes Desiderat; monographische Handschriftenuntersuchungen und thematische Querschnitte scheinen vorerst der einzige Ausweg.

Anvisiert wird in Köln eine Zusammenarbeit mit Juristen bzw. Rechtshistorikern mit dem Ziel aufzuzeigen, ob und inwiefern die Illustrationen eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Rechtstext erkennen lassen, ob darin Momente einer älteren oder aktuellen Diskussion und Glossierung aufscheinen - oder warum dies nicht der Fall ist. Daraus ergibt sich die Frage, wie die zunehmende und sich stets wandelnde Illumination der Rechtshandschriften im Prozess der autoritativen Festschreibung des juristischen Haupttextes und seiner Glosse im 13. Jahrhundert zu interpretieren ist. Nochmals betont wurde in der Abschlussdiskussion, dass man hinsichtlich der kommentierenden, interpretierenden oder systematisierenden Aufgaben bildlicher Gestaltung in mittelalterlichen Rechtshandschriften immer noch am Anfang steht.

Ausgiebig wurde die Frage diskutiert, warum eine umfangreichere Illuminierung von Handschriften des kanonischen Rechts erst im späten 12. Jahrhundert, maßgeblich im Zusammenhang mit der Verbreitung des Decretum Gratiani einsetzt. Ausschlaggebend dafür scheint die scholastische Methode der Falldiskussion, die questio, zu sein. Diese tritt erstmals in den Gratianhandschriften in Erscheinung und provozierte offenbar die Entwicklung von Illuminationen, die bestimmte Aspekte der Fallschilderung visualisieren. Für die hohe Zahl illuminierter Codices könnte hingegen die Ausbildung eines Juristenstandes von hohem gesellschaftlichen Rang im 13. Jahrhundert verantwortlich sein, der sich nicht nur Prachthandschriften leisten konnte, sondern diese auch als Repräsentationsmedium begriff. Eine Untersuchung der Rolle und Kennzeichnung des Gesetzgebers und der Juristen in den Illustrationen der kanonischen wie römischen Rechtssammlungen könnte hierzu weiteren Aufschluss bieten. Ungeklärt bleibt jedoch weiterhin, warum der Umfang der bildlichen Gestaltung ganzer Buchseiten gerade in den Bologneser Handschriften im 14. Jahrhundert weiter zunimmt und warum die Produktion aufwendiger Rechtshandschriften dann plötzlich stark zurückgeht.

Das Kolloquium bot die Möglichkeit eines ersten inhaltlichen und methodischen Austausches zwischen allen Beteiligten, der im kommenden Jahr im Rahmen eines weiteren Arbeitsgespräches am Kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln fortgesetzt werden soll.

[1] Rouse, Richard H./Rouse, Mary A.: Manuscripts and their makers. Commercial book producers in medieval Paris 1200-1500, Turnhout 2000, Bd. 1; Stelling-Michaud, Sven: Le transport international des manuscrits juridiques bolonais entre 1265 et 1320, in: Mélanges d‘histoire économique et sociale: en hommage au professeur Antony Babel à l‘occasion de son 75. anniversaire, Genève 1963, Bd. I, S. 95-127.

Empfohlene Zitation:
Kristin Böse: [Tagungsbericht zu:] Bild und Bildung im Mittelalter III (Universität Köln, 08.–09.07.2005). In: ArtHist.net, 22.12.2005. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/406>.

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