REV-CONF 09.01.2006

Kunstgeschichte im Nationalsozialismus

Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, 19.11.2005

Bericht von Sabine Fastert
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Projektpräsentation des themenorientierten Netzwerks „Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“ (GKNS-WEL) der kunsthistorischen Institute der Universitäten in Berlin (HU), Bonn, Hamburg, München (LMU) und dem Institut für Software-Systeme der TU Hamburg-Hamburg mit einem Abendvortrag „Was könnte ‚kunsthistorische Vergangenheitsbewältigung’ heißen?“ von Willibald Sauerländer

Das Internet bietet nicht nur Google & Co neue, nahezu uferlos erscheinende Möglichkeiten, auch für die Erforschung der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus eröffnen sich in letzter Zeit neue Perspektiven. Bereits seit geraumer Zeit findet sich auf der Homepage des Karlsruher Instituts für Kunstgeschichte eine Lektiographie zur Lehr- und Forschungstätigkeit der kunstgeschichtlichen Universitätsinstitute in Deutschland von 1933 bis 1945, die im Rahmen eines fachgeschichtlichen Seminars unter der Leitung von Martin Papenbrock entstanden war (http://www.rz.uni-karlsruhe.de/kunstgeschichte/projekte/kgns/index.htm). Im Oktober 2005 ging außerdem das vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München betreute „Farbdiaarchiv zur Wand- und Deckenmalerei“ online, dessen 39.000 digitalisierte Aufnahmen aus dem so genannten „Führerauftrag“ stammten, einer vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zwischen 1943 und 1945 durchgeführten Fotokampagne (http://www.zi.fotothek.org). Seit dem 1. November 2005 ist auch die Datenbank „GKNS-WEL“ des themenorientierten Netzwerks „Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“ der kunsthistorischen Institute der Universitäten in Berlin (HU), Bonn, Hamburg und München (LMU) sowie dem Institut für Software-Systeme der TU Hamburg-Harburg frei geschaltet (http://www.welib.de/gkns). Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Projekt hat damit nach dem ersten Förderungsjahr ein erstes Ergebnis vorgelegt, das am 19.11.2005 im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München ausführlich präsentiert wurde.

Das digitale Archiv GKNS-WEL basiert auf der bewährten Technologie der Warburg Electronic Library (http://www.welib.de) und bietet mit einem Volumen von bereits über 1000 Datensätzen eine wertvolle Basis für alle Forschungen zur Geschichte des Faches Kunstgeschichte zwischen 1930 und 1950. Inhaltliche Grundlage sind neben personenbezogenen Quellen zentrale Dokumente zur Institutsgeschichte der beteiligten Institute Berlin, Bonn, Hamburg und München. Die ausgewählten Institute decken dabei ein breites Spektrum der Fachgeschichte ab. So stellte das kunsthistorische Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das größte Universitätsinstitut der Kunstgeschichte dar. Ordinarius von 1931-1935 war Albert Erich Brinckmann, der dann den Stuhl für Wilhelm Pinder, einem der bekanntesten Kunsthistoriker im NS-Regime, räumen musste. Die Universität Bonn war dagegen bereits in der Weimarer Republik ein florierendes Zentrum nationalkonservativer Forschung gewesen. Unter der Leitung des 1935 berufenen Alfred Stange, einem ausgewiesenen Nationalsozialisten, entwickelte sich die Kunstgeschichte dann zu einer am stärksten nationalsozialistisch durchdrungenen Wissenschaft der Bonner Universität. Im Gegensatz dazu mussten in Hamburg nach 1933 nicht nur Erwin Panofsky, sondern auch die meisten seiner Studenten emigrieren. Panofskys Lehrstuhl wurde umgewidmet, durch häufige Wechsel der Dozenten verlor das Seminar deutlich an Bedeutung. Das Münchner Institut besaß bis 1935 mit Wilhelm Pinder eine prominente Gestalt, nach 1935 prägte Hans Jantzen das Institutsgeschehen, dessen Rolle allerdings zurzeit noch schwierig einzuschätzen bleibt. In München stellt sich vielleicht noch stärker als an anderen Universitäten zudem die heikle Frage nach der Kontinuität einer nationalsozialistisch durchdrungenen Kunstgeschichte bis weit in die fünfziger Jahre hinein.

Doch was bietet die Datenbank genau? Das Material stammt bislang aus den Universitätsarchiven in Berlin, Bonn, Hamburg und München, dem Bundesarchiv Berlin sowie den Staatsarchiven in Hamburg und München. Alle diese Dokumente werden erstmals in einem System zusammengeführt und können durch eine sehr differenzierte Verschlagwortung in neuer Form sinnvoll miteinander verknüpft werden. Seitens der Informatik wird durch die GKNS-WEL eine auf den Prinzipien der erprobten „Warburg Electronic Library“ beruhende, innovative Kommunikationsplattform bereitgestellt. Hans-Werner Sehring (Hamburg-Harburg) erläuterte eingangs die technischen Herausforderungen dieses dynamischen Systems, die vor allem in den auf Erweiterbarkeit hin angelegten multimedialen Inhaltsbeschreibungen und ihre kontextabhängige Verwendung sowie die verteilte Kommunikation liegen. Damit können nicht nur neue Dokumente der interessierten (Fach-)Öffentlichkeit präsentiert, sondern auch Verflechtungen, Kooperationen und Netzwerke innerhalb des Wissenschaftssystems Kunstgeschichte per Mausklick hergestellt werden. Ruth Heftrig (Bonn) stellte anschließend den Systemaufbau im Überblick vor, erklärte die Kurzansicht, verschiedene Kartentypen (Korrespondenz, Sachakte etc.) sowie die einzelnen Felder einer Karte (Titel, Zusammenfassung, Standort etc.). Einzelnen Dokumenten werden Schlagworte beigegeben, die den Inhalt kurz charakterisieren und Verwandtschaften herstellen sollen. Dadurch geht die GKNS-WEL über herkömmliche Datenbanken hinaus, die keine schlagwortbasierte Navigationsmöglichkeit bieten. Ein weiterer Vorteil liegt in der strukturierten Suchmöglichkeit, bei der die verschiedenen Kartentypen miteinander kombiniert werden können, um die Trefferliste weiter einzugrenzen.

Danach erläuterte Sabine Arendt (Berlin) die zugrunde liegende, anspruchsvolle Schlagwortsystematik. Der Schlagwortbaum enthält derzeit dreizehn Oberbegriffe bzw. Themenbereiche, die dann näher untergliedert und in allen Bereichen erweiterbar sind. So ermöglicht das Schlagwort „Rolle“ eine Unterteilung in die verschiedenen Wirkungsbereiche einer Person (z.B. universitär / außeruniversitär), auch kann mit den Rollenschlagwörtern der zeitlich bedingte Wechsel der Rollen, Tätigkeitsbereiche und Funktionen berücksichtigt werden. Unter „Rolle“ finden sich auch „Museumspersonal“ oder „Verleger“, wodurch die engen Beziehungen zwischen Universität, Museumswesen, Verlagswesen, oder Ausstellungswesen widerspiegelt werden können. Die Erfassung verschiedener Rollen der Fachvertreter kann sich zu Lebensläufen verdichten und ihr Agieren in verschiedenen Kontexten aufgezeigt werden. Dabei werden an verschiedenen Orten befindliche Dokumente erstmals online zusammen geführt und erlauben somit zum Beispiel die aufschlussreiche Rekonstruktion eines Karriereweges. Außerdem ermöglicht die Datenbank eine Kommunikationsinfrastruktur zum Austausch über die recherchierten Quellen. Abschließend wies Daniela Stöppel (München) im Zusammenhang mit dem Unterschlagwort „Denkmalpflege“ daraufhin, dass das ganze Projekt ausdrücklich auf Erweiterbarkeit angelegt ist und die GKNS-WEL grundsätzlich für verschiedene Fragestellungen offen gehalten wird. Dabei könnten nicht nur die Quellen streng wissenschaftshistorischer Projekte sinnvoll integriert werden, sondern auch Projekte zu Kunst und Künstlern während des NS. Hierbei bleibt grundsätzlich zu wünschen, dass dieses ambitionierte, ausgesprochen verdienstvolle Projekt auch über die von der DFG bislang anvisierte Laufzeit von zwei Jahren weiter wissenschaftlich angemessen betreut werden kann.

Der anschließende Abendvortrag „Was könnte ‚kunsthistorische Vergangenheitsbewältigung’ heißen?“ von Willibald Sauerländer, dem langjährigen Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, lieferte einen wichtigen Beitrag zur aktuellen (Selbst-)Positionierung des Faches. Für ein differenziertes Verständnis der äußeren Abläufe bleibt laut Sauerländer die Erarbeitung einer „Chronik der Ereignisse“ anhand der Quellen nach wie vor unerlässlich. Mindestens ebenso dringlich ist in seinen Augen aber eine eingehende Analyse der intellektuellen Verflechtung der Kunstgeschichte in den NS, wobei die zugrunde liegenden Spuren kulturkritischen Denkens weit in die Zeit vor 1933 bzw. nach 1945 reichten. In seinem Vortrag zeichnete Sauerländer die innere Ergriffenheit repräsentativer Teile des Faches von den neoromantischen Erneuerungsträumen der Bewegung anschaulich nach. 1933/34 glaubten viele deutsche Kunsthistoriker, dass Kunst und Kunstgeschichte wieder an Volk und Stamm, „Blut und Boden“ zurück gebunden werden müssten und dadurch die als zersetzend angesehen Folgen von Aufklärung und Demokratisierung geheilt würden. Dieses antidemokratische Unbehagen gegen die Kunst des liberalen Zeitalters existierte – wie Sauerländer aufzeigte - lange vor 1933, aber angesichts des neuen völkischen, totalitären Staates meinte man offensichtlich auf einen neuen großen Stil aus vermeintlich „großer“ Gesinnung hoffen zu können.

In der Nachkriegszeit gab es nach Sauerländer zwar eine markante äußere Abwendung vom NS, Universitätsseminare, Forschungsstätten, Museen und Publikationsorgane wurden aufwändig rekonstruiert, Positivismus als „Alibi“ verwendet; der NS im Innern des Faches wurde aber totgeschwiegen, ja mit Überzeugung „totvergessen“, wie Sauerländer es treffend bezeichnete. Als tieferen Grund für diese Entwicklung benannte er die mentale Kontinuität vor und nach 1945. So blieb die fast religiös zu nennende Auffassung von der Unglück bringenden Entwurzelung der Kunst durch die Aufklärung weiterhin ein zentrales Thema des deutschsprachigen Diskurses. Natürlich wurden die Begrifflichkeiten ausgetauscht, an erste Stelle trat nun das politisch diffuse, aber als mindestens ebenso gefährdet angesehene „Abendland“. Erst von jüngeren Kunsthistorikern wurde dieser argumentative Zirkel durchbrochen, namentlich auf dem Kölner Kunsthistorikertag 1970. War die verweigerte Annahme der neuen künstlerischen Freiheit für Sauerländer die intellektuelle Ursache des „Vernunftsturzes“ von 1933 gewesen, so bleibt sie in seinen Augen sogar ein Problem der deutschen Kunstgeschichte bis heute – wenn zum Beispiel das Ende der Ikonographie beklagt werde. Deshalb schloss Sauerländer seinen Vortrag mit den Worten Aby Warburgs, der um die Macht alter Mythen gewusst hatte: „Athen muss immer wieder aus Alexandria zurückerobert werden“. Damit wurde an diesem einen Tag im ZI ein weites Spektrum an zukünftigen Forschungsprojekten aufgezeigt, deren Arbeitsbedingungen zudem durch die neue Datenbank wesentlich verbessert sein werden.

Empfohlene Zitation:
Sabine Fastert: [Tagungsbericht zu:] Kunstgeschichte im Nationalsozialismus (Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, 19.11.2005). In: ArtHist.net, 09.01.2006. Letzter Zugriff 18.04.2024. <https://arthist.net/reviews/405>.

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