REV-CONF 10.09.2023

art thinking doing art

Berlin University of the Arts, 23.–24.06.2023

Bericht von Welter, Chiara
Redaktion: Anke Blümm

[Bericht im Auftrag der Veranstaltenden]

Welche Rolle spielen Forschung und Wissen in den Künsten? Wie wirken sich pädagogische Konzepte auf die künstlerische Ausbildung und anschließend auf die Praxis junger Künstler:innen aus? Und inwiefern sind diese Konzepte immer auch Ergebnis ihrer Zeit – inklusive ihrer politischen und ökonomischen Verstrickungen?

Um Forschung rund um Kunstschaffen und Kunstwissen mit einem Fokus auf Bildungskontexte in historischer Perspektive voranzutreiben, widmete sich die internationale Tagung diesen vielfältigen Fragestellungen. Grundannahme war die Relevanz der Untersuchung von Bildungskontexten in den Künsten für die kunstwissenschaftliche Erschließung eines jeweiligen Kunstverständnisses und seiner gesellschaftlichen Einbettung. Letzteres gelte insbesondere in Bezug auf jeweilige Institutionalisierungen, Ideologien und epistemologische Annahmen.

Insgesamt wurden in der Aula des Medienhauses der Universität der Künste Berlin 21 Vorträge mit Case Studies aus elf Ländern und einem Zeitraum von über 100 Jahren vorgestellt. Die Fallstudien ermöglichten eine geopolitische und zeitliche Vielfalt und brachten Perspektiven von Wissenschaftler:innen und Künstler:innen zusammen. Die vier umfassenden Diskussionsrunden, ergänzt um eine „intervening lecture“ des Raqs Media Collective, vertieften diesen transdisziplinären Austausch. Die Konferenz wurde von Sandra Neugärtner (Lüneburg) konzipiert und organisiert und aus Mitteln des Sonderforschungsbereichs 1512 „Intervenierende Künste“ (DFG), der Leuphana Universität Lüneburg, der Universität der Künste Berlin und der Universität zu Köln finanziert. Unterstützt wurde das Format von Brigitte Weingart (Berlin) sowie Anna Brus (Köln).

Mehrere Vorträge thematisierten am Beispiel der USA die Herausbildung einer experimentellen künstlerischen Pädagogik seit den 1960er-Jahren. Ziel war die Befreiung von strikten Curricula, festgelegten Wissensbeständen, Fähigkeiten und Hierarchien zugunsten der Förderung von kreativer und spontaner Schöpfungskraft.

Andere Vorträge zeigten, dass dieses Modell in den letzten Jahrzehnten zunehmend abgelöst oder ergänzt wurde. Bildungsreformen bezweckten eine Zuwendung zu den zuvor abgelehnten kunsthistorischen bzw. geisteswissenschaftlichen Wissensbeständen im Rahmen der universitären Ausbildung. Die geleugnete institutionelle Verflechtung der Künste mit Bildungssystem und Arbeitsmarkt wurde nun zugunsten eines 'Realitätschecks' der Künste hervorgekehrt. Eine solche Orientierung an künstlerischer Forschung und Diskursen scheint auch aktuell weiterhin zuzunehmen. Diese Veränderung verweist auch auf die bereits zu Beginn der Tagung von Sandra Neugärtner betonte Intellektualisierung der künstlerischen Ausbildung. Diese drücke sich vor allem seit Beginn der 2000er-Jahre in einer verstärkten Theorieorientierung und der Schaffung von PhD-Programmen im künstlerischen Bereich aus.

Zentral ist hierbei, so eine zentrale Einsicht der Tagung, dass der Fokus auf Forschungsprozesse und nicht-künstlerisches Wissen nicht nur Ergebnis einer Hinwendung zu neoliberalen Produktionsmodellen darstellt. Vielmehr berge es ein enormes kritisches Potenzial. Ausgangspunkt hierfür war Benjamin H.D. Buchlohs sinngemäße Aussage, dass Kunst nie im luftleeren Raum entstehe, sondern sich immer in Bezug zu etwas ihr Äußerem setze. Die zunehmende Diskurs- und Theorieorientierung der künstlerischen Ausbildung, sofern sie eine kritische Auseinandersetzung mit etablierten Wissensbeständen und Praktiken umfasst, kann somit als Ermöglichungsbedingung einer umfassenden Selbstreflexion der Kunst gelesen werden. Dies belegten auch die nicht-westlichen und feministischen Perspektiven aus den vielen Fallbeispielen, die künstlerische und kunsthistorische Forschungsansätze umfassten.

Dies veranschaulichte Isabel Seligers (Berlin) reicher Kurzvortrag über ihre Forschung zu nicht-westlichen Kunstbegriffen. Seliger leitete ausgehend von der etymologischen Herkunft von bijutsu, des japanischen Worts für Kunst, ab, wie stark sich das westliche Monopol auf Konzepte und Begriffe auf die Kunstgeschichten Japans und Chinas auswirke. Dies umfasse neben dem eigentlichen Wort beziehungsweise Schriftzeichen auch die Vorstellung davon, was Hochkunst und Kunstgeschichte bedeutet. Statt jedoch einseitige Einflüsse zu kritisieren, betonte die Referentin die gegenseitigen Verflechtungen von westlich und nicht-westlichen Positionen. Beispiel hierfür war die chinesisch-englischen Biografie des Kunsthistorikers Teng Gu. Der Vortrag schloss mit einem Appell für transkulturelle Ansätze, um die vorhandenen, lange geleugneten nicht-westlichen Einflüsse auf die Kunstgeschichte(n) herauszuarbeiten.

Wie wichtig die Kenntnis des kunstgeschichtlichen Kanons für den künstlerischen Werdensprozess ist, hob Benjamin H.D. Buchloh (Cambridge, Berlin) in einer vielschichtigen Keynote hervor, in der er seine eigenen Erfahrungen als Dozent in den 1970er- bis 1990er-Jahren in Deutschland und den USA kritisch reflektierte. Künstlerisches Schaffen zeichne sich durch ein Überschreiten des Bestehenden aus, was die Kenntnis von kunstgeschichtlichem Wissen unabdingbar mache. Buchloh zeigte, wie der Austausch mit Künstler:innen und Kunststudent:innen seine Theoriebildung und spätere wissenschaftliche Ausbildung prägten. Während die deutschen Studierenden und die Kunstkritik in einen kunstgeschichtlichen und theoretischen Provinzialismus verfallen seien, identifizierte er auf der US-amerikanischen Seite eine allgemeine Geschichtsvergessenheit für die europäische Kunst der Moderne. So spiegelt sich in den Lehrerfahrungen die jeweiligen Institutionalisierungs- und Ökonomisierungsprozesse sowie die divergierenden Erinnerungspolitiken beider Länder wider.

Eine verstärkte Hinwendung zu Kunstwissen in Großbritannien diskutierte Tom Holert (Berlin). Er betrachtete die seit den 1960er-Jahren in staatlichen Reformen durchgesetzte Hinwendung der künstlerischen Ausbildung zu Theorie und Kunstgeschichte. Diese interpretierte er als Versuch, die Kunst anschlussfähiger für Arbeitsmarkt und Gesellschaft zu machen. Die hiermit verbundene Indienstnahme von Kunstwissen für Politik und Ökonomie ebenso wie der politische Kampf der Studierenden (sogenannte Hornsey-Affäre 1968) gegen die Veränderungen der Institution würden somit eine zentrale Veränderung im Verständnis der Rolle der Künste reflektieren.

Vorstellungen einer nicht-hierarchisierten und transformativen Kunstpädagogik stellten ein wiederkehrendes Motiv in den Vorträgen dar. Rebecca Sprowls (Wien) Vortrag zur künstlerischen Ausbildung am California Institute of the Arts in den 1970er bis 1990er Jahren beleuchtete hierfür ein historisches experimentelles Lehrkonzept. Sie untersuchte, inwiefern die Nachfolgegeneration John Baldessaris dessen experimentelle Pädagogik weitergesponnen hatten. Grund hierfür war auch, dass trotz dieser scheinbaren Radikalität der CalArts die künstlerische Praxis der Studierenden in der Produktion konventioneller und marktfähiger Objekte endete.

Noa Sadkas (Jerusalem) Vortrag widmete sich wieder Fragen des Kanons. Sadka zeichnete die Institutionalisierung der Fotografie als künstlerischem Medium am Beispiel der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem nach und stellte hervor, dass eine Etablierung der Fotografie ebenso wie einer lokalen Kunstgeschichte der Fotografie lange Zeit ausblieb. Sadka betrachtete im Vortrag daher die eigene Lehrpraxis an der Kunstakademie auch im Kontext einer lange vergessenen israelisch-palästinensischen Kunstgeschichte und im Hinblick auf die Relevanz künstlerischer Forschung.

Gerade die Vorträge von Künstler:innen hoben wiederholt das Motiv der Störung und des Scheiterns als Elemente künstlerischer Lern- und Schaffensprozesse hervor. So bei Bernard Akoi-Jackson (Kumasi), der seine Methodologie der (Unter-)Brechung vorstellte. Zentrales Anliegen ist für ihn das Intervenieren in einen meist westlichen Kanon, das den Ausgangspunkt künstlerischer Überschreibungsprozesse bildet.

Insgesamt zeigte sich während der Tagung, wie die aktuellen Verflechtungen zwischen Künsten und Wissenschaft ihren Ausdruck vor allem in sogenannten practice-based PhD-Programmen und einer zunehmenden Theoretisierung der künstlerischen Ausbildung finden. Und es ist gerade diese gegenseitige Öffnung beider Bereiche, die neben den genannten Schwierigkeiten und Sorgen auch ein großes Potenzial bergen. Hierbei geht es darum, die Kunst in ihrem gesellschaftlichen Selbstverständnis neu zu verorten – kritisch, selbstreflexiv und sich seiner eigenen vielfältigen Verstrickungen bewusst.

Das Tagungsprogramm findet sich unter: https://arthist.net/archive/39402

Empfohlene Zitation:
Welter, Chiara: [Tagungsbericht zu:] art thinking doing art (Berlin University of the Arts, 23.–24.06.2023). In: ArtHist.net, 10.09.2023. Letzter Zugriff 27.04.2024. <https://arthist.net/reviews/39763>.

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