Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa Bourbon – Habsburg – Oranien 1700. 19. bis 21. Oktober 2006, Ernst-von-Hülsen-Haus der Philipps-Universität Marburg
Die von der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderte Tagung [1] hatte zum Ziel, aus der Perspektive der Kunst- wie der Geschichtswissenschaften für die Zeit um 1700 die drei rivalisierenden dynastischen Machtzentren mit ihren Protagonisten Ludwig XIV., Leopold I. und Wilhelm III. und deren Konkurrenz in kulturell-künstlerischer, dynastischer und politischer Hinsicht zu untersuchen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Konstituierung der Modelle, die Mechanismen der Konkurrenz und Wechselwirkung, ihre gegenseitige – aneignende oder ablehnende – Rezeption und die Prozesse der Adaption und Transformation gelegt werden. An drei Tagen wurden die Themenbereiche „Dynastie“, „Krieg und Frieden“ sowie die „Rezeption der Modelle“ behandelt.
Bereits in seiner Einführung wies der Marburger Historiker Christoph Kampmann auf das wachsende Interesse der Forschung an Dynastien hin, wobei der Fürst im Rahmen der Dynastie als „inszenierte Person“ zum Protagonisten einer „Staatskunst“ wird. Künstlerisch-kulturelle Äußerungen sind somit gleichrangig zu politischen zu werten, sodass die vielfältigen Wechselbeziehungen der europäischen Dynastien nur über einen interdisziplinären komparatistischen Ansatz adäquat beurteilt werden können. Diesem Ansatz sei auch die Marburger Tagung verpflichtet, wie Eva-Bettina Krems, Assistentin am Kunsthistorischen Institut, ausführte. Seit einigen Jahren wird für die Kunstgeschichte die Hof- und Residenzforschung immer wichtiger, was sich in der Göttinger Residenzen-Kommission oder dem Rudolstädter Arbeitskreis zur Residenzforschung zeigt. Besonders die Rezeptionsprozesse und der interdynastische Diskurs sind für die Geschichte wie für die Kunstgeschichte von großem Interesse.
Den Auftakt der Sektion „Dynastie“ bildete Klaus Malettke (Marburg), der für die Bourbonen einen Bogen von Heinrich IV. zu Ludwig XVI. spannte. Der erste Bourbonenherrscher intensivierte als Legitimierungsstrategie der jungen Dynastie – und als Hinweis auf ihre alte Abkunft – den Kult um den Heiligen Ludwig IX. Auf Grund der direkten Abstammung von einem Heiligen verstand sich der französische König als von Gott erwählt, weshalb das Wahlkaisertum des Reiches in Frankreich kein hohes Ansehen hatte. Diese Ansichten spiegeln sich in den Schriften der zeitgenössischen dynastienahen Historiographen, die im 17. Jahrhundert den Kult des heiligen Ludwig besonders betonten, während im 18. Jahrhundert die Taten des „guten Königs“ Heinrich IV. im Vordergrund standen. Damit ergibt sich – wie die Diskussion nochmals verdeutlichte – ein mehr auf Einzelpersönlichkeiten festgelegtes Dynastieverständnis, wobei der Begriff Dynastie in der zeitgenössischen Historiographie nicht zu finden ist.
Unter dem gleichen Blickwinkel nahm Thomas Brockmann (Bayreuth) die dynastienahe Historiographie der Habsburger unter die Lupe. Um die Anciennität des Hauses zu belegen, wurde von den Geschichtsschreibern des 17. Jahrhunderts nach den wahren geschichtlichen Wurzeln geforscht, die man nicht bei den (französischen) Merowingern, sondern im Reichsgebiet suchte. Das Amt des Kaisers wurde dabei geschickt mit der Dynastie der Habsburger verknüpft und – die Lücken bei römischen Königen und deutscher Kaiserwahl geflissentlich übergehend – in Nachfolge des antiken Caesarentitels als weltumspannende Herrschaft verstanden. In der Argumentation spielte die Daniel-Prophetie über vier Weltreiche (Daniel 2, 31-45) eine besondere Rolle, in der das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als das letzte der vier Reiche vor der Apokalypse gedeutet wurde. Insgesamt war – wie die Diskussion ergab – im Haus Habsburg die einzelne Herrscherpersönlichkeit stärker in den Verbund der Dynastie integriert als bei den Bourbonen.
Am ersten Tag war noch das Modell Oranien mit ganz anderen historischen Voraussetzungen zu beleuchten, was Raingard Esser (Bristol) und Frank Druffner (Marbach/Marburg) übernahmen. Das Bild Wilhelms III. in der Geschichtsschreibung seiner Zeit veränderte sich im Laufe der vierzehn Herrschaftsjahre auf dem englischen Thron: Anfangs, in der „Glorious Revolution“ noch als willkommener Befreier gefeiert, empfand man Wilhelm III. später als ungeliebten Ausländer auf dem Thron. Wilhelm III. wurde zunächst als ernster, schweigender Prinz charakterisiert und bewusst als Gegenentwurf zu Ludwig XIV. präsentiert. Dabei finden sich in den wenigen Schriften drei Leitthemen zur Legitimierung der Herrschaft: Wilhelm III. ist über die mütterliche Linie sowie seinen Onkel und Schwiegervater in die Stuart-Genealogie eingebunden. Er kann die Rolle des Beschützers des protestantischen Glaubens wahrnehmen und ist ein verlässlicher Heerführer und Außenpolitiker – Qualitäten, die seinem Vorgänger auf dem Thron abgesprochen wurden. Die anfänglich gelobten Charaktereigenschaften des Königs wurden besonders nach dem Tod der als Mittlerin verstandenen Königin Maria negativ gedeutet.
Auf die besondere Rolle des englischen Doppelkönigtums wies der Kunsthistoriker Frank Druffner hin und berichtete vom seltenen Fall der gleichberechtigten Krönung, die im „Krieg der Bilder“ zusätzlich über Flugblätter legitimiert wurde: Unter den Bildnissen von Wilhelm und Maria wurden mit Hilfe von Ahnenporträts ihre genealogischen Wurzeln in Schottland, England und Nassau gezeigt. Zudem wurde das Paar in Predigten als Instrument der göttlichen Vorsehung gepriesen. Nach dem Tod der Königin wandelte sich die Rolle Wilhelms auf Bildzeugnissen: er wurde jetzt als Beschützer der Personifikation der Britannia gezeigt. Die Historiographen betonten vor allem die Eignung der Person für das Amt des Königs gegenüber dem Geburtsrecht. In ähnlicher Weise interpretierte Druffner das nach dem Tod der Königin entstandene Treppenhausfresko in Hampton Court, das selten verbildlichte Szenen aus einer Satire von Kaiser Julian Apostata zeigt. In der Hauptszene wird Alexander der Große den Göttern im Olymp von Herkules empfohlen und damit über die Caesaren erhoben, eine für Zeitgenossen eindeutige Botschaft zum Triumph Wilhelms III. über Jakob II.
Am folgenden Tag interpretierte Katharina Krause (Marburg) den Schlossbau von Versailles als persönliches Monument Ludwigs XIV. Suchten die Bourbonen anfangs mit ihren Kunstwerken, eine Rückbindung an die Geschichte, verlieren sich diese Versuche mit dem Beginn der Selbstregierung Ludwigs XIV. Die Innenausstattung in Versailles ist in großen Teilen auf Ludwig XIV. bezogen und wurde nur in geringem Umfang unter seinen Nachfolgern verändert: Im Bildprogramm der offiziellen Raumfolge des Grand Appartements fanden sich allenfalls Vergleiche mit der Antike, nicht aber mögliche Vorbilder aus der eigenen Dynastie. In der Spiegelgalerie wurde Ludwig im neuen Modus der „realen Mythologie“ zum alleinigen Maßstab erhoben, während auf der Botschaftertreppe die Büste des Königs das Kommen und Gehen der Nationen beobachtete und so Lebenspraxis in ein dauerhaftes Bildprogramm überführte. In Reiseberichten und der zeitgenössischen Guidenliteratur wurde Versailles ebenfalls als alleinige Leistung Ludwigs XIV. verstanden, wie beispielsweise in der „Nouvelle Description“ von Piganiol de la Force, die durch das gesamte 18. Jahrhundert unverändert neu aufgelegt wurde.
Natürlich provozierte eine solch personenbezogene Inszenierung Widerspruch im In- und Ausland, wie Hendrik Ziegler (Hamburg) in seinem Vortrag über „die Verspottung der Sonnendevise Ludwigs XIV. in Europa“ zeigte. Die Sonnensymbolik, zuerst für Philipp IV. von Spanien entwickelt, wurde bereits unter Kardinal Mazarin 1653 mit dem Wahlspruch „Nec pluribus impar“ erstmals vom König verwendet und ab 1672/73 als persönliche Devise übernommen. Anhand einer Medaille von 1686, die auf dem Avers die Einnahme von Buda verbildlicht, aber durch die Beischriften als Sieg nicht nur über die Türken, sondern auch über Ludwig XIV. gedeutet werden muss, erläuterte Ziegler die Doppelstrategie von Kaiser Leopold I., die französische Sonne zu Gunsten einer österreichischen zurückzudrängen. Auf der Revers-Seite ist eine Episode des Buches Josua (Josua 10, 12-13) verbildlicht, in der Josua/Leopold als Feldherr mit dem Kommandostab der (französischen) Sonne gebietet, während der (türkische) Halbmond fällt. Diese Medaille ist eine ironische Antwort auf eine französische Josua-Medaille aus der Zeit der Devolutionskriege, mit der Ludwig XIV. sein kriegerisches Vorgehen über eine Josua-Erzählung rechtfertigte.
Hellmut Lorenz (Wien) stellte als Projektleiter des Wiener Hofburgprojektes für das 18. Jahrhundert die Burg unter dem Aspekt „Legitimation durch Tradition“ vor und präsentierte einen „Parforce-Ritt“ durch die Baugeschichte von den ersten Bauten der Albrechts-, Stall- und Amalienburg bis zur Entstehung des Leopoldinischen Trakts in den 1660er Jahren. Danach ruhte für fast ein halbes Jahrhundert die Entwurfs- und Bautätigkeit an der Burg, bevor unter Kaiser Karl VI. ein regelrechter Bauboom einsetzte und Hofbibliothek, Reichskanzlei sowie Hofreitschule verwirklicht wurden. Das Gesamtensemble der Burg stellte trotzdem ein Konglomerat aus Alt und Neu dar und vereinheitlichende Entwürfe des 18. Jahrhunderts wie die Michaelerplatz-Fassade wurden weitgehend erst im 19. Jahrhundert vollendet. Lorenz erklärte dies damit, dass den Habsburgern zum einen die Sakralarchitektur immer wichtiger gewesen sei und zum anderen innerhalb der Stadtmauern kein Platz für raumgreifende Neubauten gewesen wäre, ein Abbruch der Befestigungen angesichts der Türkengefahr jedoch nicht in Frage kam. Somit präsentierten sich die Habsburger als Sicherer der Stadt und als Bewahrer ihrer historischen Wurzeln mit Respekt vor der Vergangenheit.
Im folgenden Vortrag wurde mit dem Blick nach Preußen der Kreis der bisher behandelten Dynastien verlassen. Ulrich Schütte (Marburg) analysierte die Schlossbauten der Hohenzollern in Berlin und Potsdam. Das Berliner Stadtschloss kann als Monument der Dynastie verstanden werden, das mit den Planungen von Schlüter und Eosander ein angemessenes Erscheinungsbild als Sitz des neuen Königs erhalten sollte, um sich im Vergleich mit anderen europäischen Residenzen behaupten zu können. In den Entwürfen wurden zwar neueste italienische und französische Vorbilder rezipiert, aber durch eine eigene, an der Antike inspirierten Ikonographie, die beispielsweise Berlin als neues Rom feierte, in unabhängige Lösungen transferiert. Ganz anders handelte Friedrich der Große, der das unter dem großen Kurfürsten erbaute Stadtschloss in Potsdam aufwendig umbaute, aber den Hauptsaal als „Ruhmeshalle“ des Großen Kurfürsten beließ, um diesen als Kriegshelden des Hauses Hohenzollern zu feiern. In seiner Lebensweise und in der Ausstattung von Sanssouci wurde die dynastische Perspektive völlig außer Acht gelassen.
Die Sektion „Krieg und Frieden“ begann mit dem Beitrag von AnuschkaTischer (Marburg), die konkurrierende Legitimationsstrategien im Kriegsfall untersuchte. Kriegsbegründungen waren völkerrechtlich notwendig und aus der Lehre vom gerechten Krieg bei Thomas von Aquin herzuleiten. Die Rechtfertigungen wurden veröffentlicht, wobei je nach Partei unterschiedliche Gründe für einen Kriegseintritt gegeben wurden. Der Kaiser durfte einen Krieg zur Verteidigung nur mit Zustimmung des Reichstages erklären, wodurch sich die übliche Habsburgische Kriegsbegründung als Versuch den Frieden zu bewahren schlüssig ergab. In Frankreich hingegen wurden Kriege häufig mit dem Schutz von Untertanen erklärt, bis Ludwig XIV. in seinem Selbstverständnis als Souverän beispielsweise den Devolutionskrieg lediglich mit der darin zu gewinnenden „gloire“ sowie der „Volonté de Sa Majesté“ begründete und damit für die übrigen Dynastien nicht konsensfähig argumentierte. Die Kriegsbegründungen haben offensichtlich zwei unterschiedliche Herrschaftsverständnisse zum Ausgangspunkt, die sich auf den friedliebenden Göttervater Jupiter/Leopold oder den aggressiven Kriegsgott Mars/Ludwig übertragen ließen. Allerdings veränderten sich die Kriegsbegründungen im Laufe der Herrschaft Ludwigs XIV. zur üblichen Rhetorik der präventiven Friedenssicherung.
Aus einer anderen Perspektive beleuchtete der Historiker Martin Wrede (Gießen) die Antagonisten Ludwig XIV. und Leopold I. und untersuchte die Inszenierung beider Herrscher als Türkensieger. Kaiser Leopold I. hatte an der Schlacht am Kahlen Berg gegen die Türken nicht teilgenommen, wurde jedoch häufig als Türkensieger verbildlicht. Der Kaiser war militärisch engagiert und verstand sich als christlicher Ritter beispielsweise im Rossballett anlässlich seiner Hochzeit, sodass neben dem Rückbezug auf die Antike das Bild des „Miles Christianus“ im Vordergrund seiner Selbstdarstellung stand. Bei Ludwig XIV. fällt es zunächst schwer, ihn mit Türkensiegen in Verbindung zu bringen, gilt er doch gemeinhin als Unterstützer des Osmanischen Reiches. Allerdings forderte Ludwig durch die Entsendung von französischen Truppen in die Schlacht am Kahlen Berg seinen Anteil am Erfolg ein. Entsprechende Darstellungen auch älterer Siege (St. Gotthard, Marne) wurden ins Bildprogramm von Versailles aufgenommen und der Sieg über die ungläubigen Türken mit dem Sieg über die Hugenotten parallelisiert. Einem aktiven Türkensieger wandte sich Ulrike Seeger (Halle/Stuttgart) zu und untersuchte in ihrem Vortrag die Präsentationsstrategien des Prinzen Eugen von Savoyen-Carignano, der schon zu Lebzeiten ein populärer Held war. Im Bildprogramm des vor dem Belvedere entstandenen Wiener Stadtpalais des Prinzen dominiert die Thematik des antiken Tugend- und Kriegshelden Herkules, der die Gäste schon im Treppenhaus als Statue „begrüßt“. Die Ikonographie wird über den großen Saal bis ins Audienzzimmer fortgeführt, wo die Aufnahme Herkules in den Olymp verbildlicht wurde. Interessant ist der Themenwechsel im Festsaal des Oberen Belvedere, wo Carlo Carlone zunächst eine Aufnahme von Herkules in den Olymp vorgesehen hatte, jedoch eine Apotheose des Prinzen Eugen ausgeführt wurde. Diesen Programmwechsel begründete Seeger zum einen mit der gefestigten Position des Ausländers Eugen am Kaiserhof. Zum anderen führte offenbar ein neues Selbstverständnis des Prinzen zu diesem Bildthema, nachdem die Savoyer in Turin die Königswürde erhalten hatten und Prinz Eugen zum Statthalter der südlichen Niederlande ernannt worden war. Andere Türkensieger wie Markgraf Ludwig-Wilhelm von Baden oder Kurfürst Max Emanuel von Bayern verfolgten andere Präsentationsstrategien: Der Markgraf wählte zwar auch die Aufnahme von Herkules in den Olymp als Thema des Deckenfreskos im Hauptsaal des Rastatter Schlosses, gab dem gesamten Raum durch die zahlreich angebrachten Ahnenporträts jedoch eine eindeutig dynastische Note. Im Schloss Schleißheim des bayrischen Kurfürsten finden sich in den Schlachtengemälden keine Götter oder Halbgötter, sondern Helden wie Aeneas und Achill, was weitere Identifikationsfiguren für fürstliche Präsentationsstrategien ins Spiel bringt.
Christoph Kampmann (Marburg) beschäftigte sich in seinem Beitrag mit dem dynastischen Vermächtnis und der politischen Vision am Beispiel des „Friedensstifters“. In der dynastienahen Historiographie der Bourbonen wurde besonders Heinrich IV. mit dem Bild des Friedensstifters beschrieben, er war als ehemaliger Protestant und erster König der Christenheit von allen Parteien als Schiedsrichter akzeptiert. Ludwig XIV. begriff die Aufgabe von Heinrich IV., einen umfassenden Frieden zu stiften, als unvollendet und machte sie zum Ausgangspunkt seiner eigenen Politik mit dem Ziel, „gloire“ für die Dynastie zu erwerben. Jedoch löste sein aggressives Vorgehen in zahlreichen Kriegen im gegnerischen Schrifttum die „Neubesetzung“ der Rolle des Friedensstifters mit Wilhelm III. von Oranien aus. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in zahlreichen inländischen Flugschriften, anfangs gegen französische Minister und ab den 1680er Jahren gegen den König selbst.
Im abschließenden Vortrag des Tages berichtete der Historiker Michael Rohrschneider (Köln) über Friedenskongresse und den Präzedenzstreit von Frankreich und Spanien im 17. Jahrhundert. Der Rang einer Dynastie ist nur im zeremoniellen Vorrang beim Zusammentreffen mehrerer Fürsten ablesbar. Traditionell wurde im 16. Jahrhundert den Spaniern als Vertretern des als ranghöher angesehenen Kaiserhauses der Vorrang gegenüber Vertretern der französischen Krone eingeräumt. Diese Regelung wurde aber von französischer Seite bestritten, als die Personalunion von deutschem Kaiser- und spanischem Königstitel wieder aufgehoben war, sodass sich nun die Franzosen als ranghöher empfanden, was auf Friedenskongressen zu erheblichen Streitigkeiten führte. Beispielsweise verhandelten die beiden Seiten 1648 beim Westfälischen Frieden nur über Mediatoren, um in direkten Verhandlungen keine Präzedenzfall zu schaffen. Das gleiche Bild bot sich 1678 beim Frieden von Nimwegen und beim Friedensschluss von Rijswijk 1697. Seit der Jahrhundertwende setzten sich pragmatischere Lösungen durch, wie die umfangreiche Vorrechtsliteratur berichtet.
Im anschließenden Abendvortrag stellte Thomas W. Gaehtgens (Paris) nochmals die Hohenzollern mit ihrer Repräsentation und dem individuellen Lebensstil von Friedrich I. bis Friedrich II. in Preußen vor. In diesem halben Jahrhundert wandelte sich das Bild der Dynastie: Für König Friedrich I. war eine in der Rangerhöhung begründete standesgemäße Repräsentation wichtig, wie sie in den Paradekammern des zweiten Stocks im Berliner Schloss umgesetzt wurde. Das vierzehn Räume umfassende offizielle Appartement war mit einem Bildprogramm ausgestattet, das die gottgewollte Erhöhung der Dynastie als Lohn der Taten des Kurfürsten verherrlichte und die Auserwähltheit des Hauses Hohenzollern feierte. Sein Sohn, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., reduzierte den Umfang des Hofstaates und bezog im Berliner Schloss im Laufe der Zeit drei verschiedene Wohnungen, die schlecht dokumentiert sind, wohl aber mit der fast bürgerlichen Ausstattung seiner Wohnung im Potsdamer Stadtschloss verglichen werden können. Dem bescheidenen persönlichen Wohnstil stand eine dem Vater in nichts nachstehende öffentliche Repräsentation gegenüber: unter Friedrich Wilhelm I. wurde beispielsweise der Weiße Saal des Berliner Schlosses neu ausgestattet und ein benachbarter Raum eingerichtet, deren Ausstattung – an Zar Peter verschenkt – heute als Bernsteinzimmer bekannt ist. Angesichts der gesicherten Dynastie konnte Friedrich II. es sich leisten, seine Wohnungen nach seinem persönlichen Geschmack einzurichten. Diese Lebensweise mit dem Rückzug in die Privatheit verursachte die fast völlige Aufhebung des Hoflebens und des Zeremoniells; das Land wurde von einer Maison de Plaisance aus regiert.
Am dritten Tag der Veranstaltung untersuchte der Historiker Jörg Ulbert (Lorient) mit seinem Beitrag die Umklammerung Frankreichs durch den „Erzfeind“ Habsburg. Ausgangspunkt der Überlegungen bildeten die geopolitischen Verhältnisse am Vorabend des Spanischen Erbfolgekrieges und deren Vorgeschichte seit dem 16. Jahrhundert. Objektiv lässt sich dabei eine Verbesserung der territorialen Situation für Frankreich ablesen, was sich jedoch nicht in den französischen Archivalien spiegelt. Vielmehr beherrschte bis ins 18. Jahrhundert die Angst vor dem Erzfeind Österreich das Bild, obwohl im übrigen Europa Frankreich mit Ludwig XIV. als eigentliche Gefahr galt. Französische Quellen empfinden demgegenüber den vielfach als hässlich und degeneriert beschriebenen Kaiser Leopold I. als personifizierten Erzfeind. Die Frage nach Gegnern und daraus resultierenden Allianzen stellte der Niederländische Historiker Wouter Troost (Gouda) in seinem Vortrag über Habsburg und Oranien. Zunächst war das Verhältnis zwischen Wien und den Niederlanden denkbar schlecht: die Niederländer waren Protestanten und – was für den katholischen Kaiser fast schwerer wog – Kaufleute. Durch zahlreiche Heiraten war das Haus Oranien mit dem Reichsadel verbunden, was zur Entspannung des Verhältnisses beitrug. Wilhelm III. bemühte sich aktiv um verbesserte Beziehungen zum Kaiserhof, um die französischen Angriffe auf die Niederlande zu ahnden, wozu er die Unterstützung des Kaisers benötigte. Praktische Schwierigkeiten bereitete die zeremonielle Begegnung, denn der Kaiser war nicht bereit, dem jetzt zum König von England aufgestiegenen ehemaligen Rebellenführer die Anrede „Serenissimus“ zu gewähren. Diese musste Wilhelm III. sich erst im Laufe der Zeit mit einer konsequenten Politik gegen Ludwig XIV. verdienen. Die Repräsentationskultur der Wittelsbacher im Spannungsfeld zwischen Habsburg und Bourbon untersuchte Eva-Bettina Krems, was sie exemplarisch an den Jahren nach der Rückkehr von Kurfürst Max Emanuel aus dem französischen Exil erläuterte. Die Situation als ehemaliger Exilant gebot, sich politisch ins Reich zu reintegrieren. An den Kurfürsten als Türkensieger wurde in einem Rückgriff mit einer auch im Stich verbreiteten Reiterstatuette erinnert, die sich an Reiterstandbildern Ludwigs XIV. orientierte: Die Form war daher dezidiert französisch, der Inhalt aber eindeutig auf das Reich ausgerichtet. Auch mit Bauprojekten versuchte der Kurfürst seinen Rang gegenüber anderen Dynastien zu sichern. Zuerst widmete er sich der Verschönerung des als Ahnenschloss verstandenen Baus in Dachau: das in modernsten Formen des Petit Luxembourg in Paris von Effner errichtete neue Treppenhaus führte in den Festsaal aus dem 16. Jahrhundert mit einer Wittelsbacher Bildnisserie, die auf die lange Tradition der Dynastie verwies und den Rang des Hauses unter den Reichsfürsten verdeutlichte. Hier zeigt sich das gleiche Vorgehen in der Kombination von modernster französischer Form und auf das Reich ausgerichtetem konservativem Inhalt. In der Analyse sind folglich drei Ebenen zu trennen: das künstlerische Modell, das sich am avanciertesten französischen „goût“ orientierte und diesen als Distinktionsmerkmal zu anderen Fürsten benutzte, das Herrschermodell, das bei Max Emanuel die Loyalität des Kurfürsten zum Reich betonte und schließlich das Legitimationsmodell, das die Anciennität der Dynastie unterstrich, um sich bei der Kaiserwahl als Alternative zum Haus Habsburg anzubieten.
Im letzen Vortrag der Tagung weitete Dietrich Erben (Bochum) den Blick, um den universalistischen Geltungsanspruch der Kunst im europäischen Horizont zu beurteilen, und verglich Rom und Paris exemplarisch über Peterskirche und Invalidendom. Bereits die Zeitgenossen hatten Saint-Louis-des-Invalides als Adaption des vatikanischen Zentralbauprojekts von Michelangelo aufgefasst, wobei sich auf vielfältigen Ebenen Bezüge zwischen beiden Bauten finden lassen, die bis in Details der Ausstattung reichen. Die zentrale Kirche des Papsttums wird in Paris rezipiert, aber über eine abgewandelte politisch-religiöse Ikonographie in eine Aussage über die französischen Könige umgedeutet. Dieser Vorgang beschreibt gut die durch den zeitgenössischen Modellbegriff schon vorgegebene Trias von exemplum, imitatio und emulatio.
Diese methodischen Überlegungen leiteten zur Schlussdiskussion über, in der die Wichtigkeit einer genauen Analyse bei Rezeptionsprozessen nochmals herausgearbeitet wurde: Typologische Formübernahmen reichen nur für die Beurteilung der ästhetischen Ebene, jedoch nicht für die inhaltlichen Ebenen eines Kunstwerks aus. Die drei Schritte von Modell, Adaption und Transformation spielen auch in zeitgenössischen Schriften zur Politik sowie in der Historiographie eine wichtige Rolle. Deren Aufarbeitung stellt ein Forschungsdesiderat der Geschichtswissenschaften dar.
Der Tagungsband wird voraussichtlich im Laufe des nächsten Jahres erscheinen.
Anmerkung:
[1] Die Veranstalter waren das Kunstgeschichtliche Institut der Philipps-Universität Marburg (Prof. Dr. Katharina Krause, Dr. Eva-Bettina Krems) und das Seminar für Neuere Geschichte der Philipps-Universität Marburg (Prof. Dr. Christoph Kampmann, Dr. Anuschka Tischer).
Recommended Citation:
Thomas Wilke: [Conference Report of:] Bourbon – Habsburg – Oranien 1700 (Marburg, Oct 19–21, 2006). In: ArtHist.net, Nov 17, 2006 (accessed Nov 10, 2024), <https://arthist.net/reviews/391>.
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