Die facettenreiche Umsetzung des Chiaroscuro ist in der künstlerischen Darstellungsform der frühen Neuzeit in verschiedenen Medien im mitteleuropäischen Raum vertreten. [1] Der italienischen Kunstlandschaft kommt dabei eine herausragende Rolle zu. Unter den Bildträgern ist die Wandmalerei zweifellos das auffälligste und reichste Medium, das für die Form der farblich reduzierten Darstellung genutzt wurde. Mit der Betonung plastischer Werte ist nur einer der vielen Aspekte genannt, der sich hinter der Reduktion der Polychromie verbirgt und damit letztlich auf das stete Ergründen zum Verständnis der unbunten szenischen Übersetzung weist.
Mit der vorliegenden Publikation von Katharine Stahlbuhk wurde die Thematik des Helldunkel einmal mehr aufgegriffen, um Antworten auf offene Fragen dieser Kunstform zu finden. Die 2021 erschienene Arbeit bereichert die Forschung um eine weitere Studie und beschäftigt sich zurecht erneut mit der farbreduzierten Darstellung in der italienischen Renaissance, um die Bedeutungsebenen dieser vielschichtigen Ausdruckform zu vertiefen. Der Fokus liegt dabei auf Fragestellungen zur Entwicklung von Objekten im sakralen Umfeld mit einer geographischen Ausdehnung über die italienische Halbinsel.
Nach Klaus Kraft, der als Pionier dieses Forschungszweigs gelten darf [2], sowie den Arbeiten von Thomas Dittelbach [3] und Almut Schäffner [4] hat Stahlbuhk eine weitere umfassende Untersuchung des Phänomens unternommen. Die aufwändig gestaltete und qualitativ herausragende Publikation ist in der Reihe der Italienischen Forschungen des Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut, erschienen, und zeichnet sich bereits äußerlich durch eine reiche und hervorragend in Druck gesetzte Bebilderung aus, die den Leser:innen einen besonderen Einblick in dieses Genre erlaubt.
Die „Polysemie“, also die Mehrdeutigkeit des im Titel formulierten Tenors „oltre il colore“ (unter anderem „jenseits“ oder „mehr als“ Farbe [S. 9]) bildet den farbästhetischen Ansatz von Stahlbuhks Untersuchung. Zugrunde liegt dabei zunächst eine Gesamtbetrachtung der Koloritformen monochromer Wandbildwerke der (Früh-)Renaissance mit späterer Fokussierung der im 15. Jahrhundert überwiegend auftretenden Grünmalerei. Dabei konzentriert sich Stahlbuhk auf Bildwerke sakralen Sujets der italienischen Halbinsel. Anhand herausragender Werke vermag die Autorin im Zusammenhang mit historischen Abläufen im Florenz des 15. Jahrhunderts einen neuen Ansatz zum Verständnis der polychromen Reduktion darzustellen:
„Im größeren Kontext ist zu zeigen, dass die Malereien des Chiostro Verde, aufgrund der Präsenz der Kurie in Santa Maria Novella, als Ausgangspunkt und Auslöser für die Ausführung zahlreicher weiterer Grünmonochrommalereien von Nord- bis Süditalien in Zusammenhang mit Reformvorhaben anzusehen sind.“ (S. 12/13)
Der Aufbau der Arbeit folgt mit einem Text- und Katalogteil einer klar gegliederten Struktur. Ein Überblick zur bisherigen Forschung monochromer Wandmalerei fällt vergleichsweise summarisch aus. Nach allgemein einführenden Kapiteln zur Fragestellung und Quellengrundlage des Chiaroscuro steht die Darlegung und vergleichende Betrachtung verschiedener Bildträger des Helldunkel im Fokus. Die in ihrer Intensität variierend ausgearbeiteten Studien zu Darstellungsformen des Helldunkel jenseits der Wandmalerei eröffnen weitere, bislang unzureichend betrachtete Aspekte und erlauben in größerem Umfang vergleichende Sichtweisen auf den jüngsten Forschungsstand hinsichtlich möglicher Einflüsse, Vorbildfunktionen und wechselseitiger Beziehungen zwischen den diversen Medien. Zu diesen zählen bekanntermaßen Bildträger wie die Zeichnung, Textilkunst oder die Buch- und Tafelmalerei. Im Kontext der Erläuterungen wird dabei an Ergebnisse der katalogisierten Objekte angeknüpft und es werden Querverbindungen zu den recherchierten Werken der Wandmalerei geschaffen. Größere Exkurse zu flankierenden Themenbereichen wirken dabei grundsätzlich belebend. Die Gedankenlinie des Aufbaus in diesem Abschnitt erfährt bei dem/der Leser:in allerdings immer wieder Brüche.
Bei der Betrachtung der Wandgemälde steht zunächst der chronologische Auftakt der überkommenen Bildwerke im Sieneser Umfeld im Blickpunkt. Die Objekte des Trecento der überwiegend in Ockertönen der örtlichen Terra di Siena gehaltenen Darstellungen bilden, wie in der bisherigen Forschung gezeigt, die Ausgangsposition für die spätere Entwicklung vor allem im Florentiner Raum. Ausführliche Beleuchtung erfahren dabei geschichtlicher Hintergrund, Auftragslage und Bildprogramm, wodurch die Objekte eine eigenständige, umfassende Studie erhalten. Ein besonderes Gewicht liegt auf dem Leitbild der Auftraggeber, exemplarisch im sakralen Umfeld der Bruderschaften sowie in der Konnotation kommunaler Politik. Einmal mehr wird den Monochromata zurecht eine besondere Wertigkeit zugesprochen, die sich sowohl in der Auftraggeberschaft als auch den ausführenden Künstlern widerspiegelt.
Im Verlauf der folgenden Kapitel stellt Stahlbuhk vor allem Wandmalereien in Grüntönen, bezeichnet als Terra-Verde-Malerei, vor, die im 15. Jahrhundert eine Mehrheit der Koloritformen halten und einen eigenständigen Zweig innerhalb der Farbformen bilden. Hierbei bindet sie auch den Bereich profaner Sujets ein. Wichtigste Quellengrundlage für die Technik ist das Libro dell’arte des Cennino Cennini aus der Zeit um 1400. Für die zunehmende Verbreitung der Grünmonochrommalerei wird zunächst eine eher allgemeine, aber berechtigte Motivation aufgezeigt, die sich an den aktuellen Ergebnissen der Forschung orientiert:
„Die Antwort auf die Frage, warum sich die grünmonochrome Malerei letztendlich durchsetzen konnte, ist wohl primär in der Semantik der grünen Farbe und der damit verbundenen Rezeptionsästhetik, also der intendierten Wirkung auf den Betrachter von weitläufig grün gehaltenen Räumlichkeiten zu finden.“ (S. 97)
Damit einher geht eine den bisherigen Kenntnisstand vertiefende Studie zur Bedeutung des Grüntons, die in der aufkeimenden, von einem weltlichen Leitbild geprägten Kultur der Renaissance ihren schriftlichen Widerhall findet. Dies betriff zum einen den naturwissenschaftlichen Ansatz der zeitgenössischen Farbwahrnehmung mit der Wirkung des Grüntons auf Auge und Geist des Menschen. Zum anderen die durch spirituelle Erfahrung genährte, kontemplativ-asketische Bedeutungsebene im Kontext religiöser Glaubensgemeinschaften.
Im zentralen Kapitel ihrer Arbeit untersucht Stahlbuhk in Anlehnung an die Studien von Thomas Dittelbach das Phänomen der polychromen Reduktion im Kontext der Reform- und Observanzbestrebungen in der Glaubensbewegung des 15. Jahrhunderts. Am Anfang steht dabei eine intensive Auseinandersetzung mit den Zyklen des Chiostro Verde von S. Maria Novella in Florenz und deren möglicher Verbindung mit dem Wirken und der zeitgleichen Präsenz der römischen Kurie in der Person Papst Eugens IV. Die Interpretationsansätze im Zusammenhang mit der Reformbewegung des Papstes begleitet eine intensive Analyse der Auftragslage, des Bildprogramms und der Künstler, die das Werk auf dem neuesten Stand der Forschung darlegt, bereichert durch das restauratorische Wissen der Autorin. Beeindruckend sind die ausführlichen Studien zum Leben Eugens IV. und seines Wirkungskreises unter Berücksichtigung des Aufenthalts der Kurie in Florenz. Wie Stahlbuhk selbst ausführt, wird mit den Bestrebungen zu den Ordensreformen, die unbestritten durch die dokumentierten Verhandlungen und Zusammenkünfte mit Ordensgemeinschaften überliefert sind, die Verbindung zum thematischen Inhalt der Zyklen des Chiostro Verde dargelegt – nicht aber die Koloritform (vgl. S. 161). Motivationsebenen für Letztere werden in den folgenden Kapiteleinheiten aufgezeigt, können aber nicht immer überzeugen, zumal der Tenor auf allgemeine, bereits zuvor dargelegte Beweggründe zurückgeführt wird. Die Anwesenheit der päpstlichen Kurie hat die Entstehung der Grünmalerei sicher nicht negativ beeinflusst und hinsichtlich der Thematik unterstützt – als ursächlicher Auslöser der Dekorationsform scheint der Zusammenhang jedoch zu konstruiert, auch da zu diesem Zeitpunkt die Grünmalerei im profanen Bereich schon etabliert ist.
Der Textteil der Arbeit endet relativ unvermittelt nach zwei Werk-Exkursen zu Terra-Verde-Malereien, an welchen einmal mehr der Zusammenhang mit den Nachwirkungen der Geschehnisse in S. Maria Novella exemplarisch vorgeführt wird. Die Ausarbeitung zu den Darstellungen in der Altana des Palazzo Rucellai in Florenz bilden hierbei zweifellos einen Höhepunkt, der die bisherigen Studien weiter vertieft.
Der Katalog stellt in 121 Nummern Exemplare figürlicher monochromer Wandmalerei sakralen Sujets auf der italienischen Halbinsel vor, beginnend Mitte des 14. bis Anfang des 16. Jahrhunderts. Dabei werden verschiedene Farbvarianten berücksichtigt. Mit dem Kriterienschema der Katalognummern folgt die Bearbeitung einem übersichtlichen Gliederungssystem. Ein formal abgesetzter Text kommentiert die jeweiligen Werke in unterschiedlichen Themenkreisen. Die bibliografischen Angaben beschränken sich auf Anmerkungen im Text und damit lediglich auf die von der Autorin gesetzten Schwerpunkte. Ein Überblick zur Forschungslage bleibt aus. Weiterhin fällt ein selektives Zitieren der in der Forschungsliteratur bereits erfolgten Bearbeitungen auf. Thematisch unterschiedliche Darstellungen innerhalb eines Objektes werden mit einer eigenen fortlaufenden Nummer versehen. Oftmals verweist die Autorin hier auf bereits erfolgte Kommentare, womit der gedankliche Zusammenhang erschwert wird. Eine Bereicherung sind die vielen neuen Funde des bisher bekannten Bestandes an Objekten, sowohl im Florentiner Raum als auch italienweit. Der geographische Umgriff auf die italienische Halbinsel erhöht deutlich den bisher bekannten Werkbestand, der Zusammenhang über die Distanzen wird allerdings nicht vollumfänglich erläutert.
Insgesamt überzeugt der umfassende, vertiefende Ansatz von Katharine Stahlbuck, mit einer Bereicherung der recherchierten Objekte. In den flankierenden Studien jenseits der Maltechnik stellt sie weitere Indizien zum Verständnis der reduzierten Farbigkeit vor. Die Rolle der Reformbewegung, dargestellt in der Person Papst Eugens IV., erscheint dabei als neuer Mosaikstein, kann jedoch letztlich die Fragestellungen nicht umfassend klären. Im Textfluss unübersichtlich erscheinen die unscharfen Zitierweisen („ebd.“ /„ders.“), die dem/der Leser:in eine Rückverfolgung innerhalb der Anmerkungen überlassen. In der Forschung bereits bekannte Überlegungen und Fakten werden vergleichsweise unregelmäßig belegt.
Neueste Studien unter Beteiligung von Katharine Stahlbuhk machen die anhaltende Präsenz des Themas in der Forschung evident. [5] Schließlich können die in der vorliegenden Arbeit aufgeführten Werke durch ein Exemplar religiösen Sujets im norditalienischen Raum ergänzt werden: Die Chiesa di San Vittore, Isola Superiore der Borromäischen Inseln im Lago Maggiore, birgt in einer Seitenkapelle (Cappella di Santa Maria) eine grünmonochrome Wandmalerei vermutlich des frühen 16. Jahrhunderts, die noch einer vertieften wissenschaftlichen Untersuchung bedarf.
[1] Vgl. hierzu allg.: Chiaroscuro als Ästhetisches Prinzip. Kunst und Theorie des Helldunkels 1300–1550, hg. von Claudia Lehmann (et al.), Berlin 2018.
[2] Kraft, Klaus: Zum Problem der Grisaillemalerei im italienischen Trecento, Diss. München 1956.
[3] Dittelbach, Thomas: Das monochrome Wandgemälde. Untersuchungen zum Kolorit des frühen 15. Jahrhunderts in Italien, Hildesheim 1993.
[4] Schäffner, Almut: Terra verde. Entwicklung und Bedeutung der monochromen Wandmalerei der italienischen Renaissance, Weimar 2009; dies.: „Studien in Terra Verde. Bedeutungsebenen grünmonochromer Wandmalerei in der italienischen Renaissance“ in: Chiaroscuro als Ästhetisches Prinzip. Kunst und Theorie des Helldunkels 1300–1550, hg. von Claudia Lehmann (et al.), Berlin 2018, S. 333–349.
[5] Latella, Monica/ Stahlbuhk, Katharine/ Pierguidi, Stefano (Hg.): La monocromia nella teoria e nella pratica pittorica dal Trecento al Seicento, Rom 2022.
Stahlbuhk, Katharine: Oltre il colore. Die farbreduzierte Wandmalerei zwischen Humilitas und Observanzreformen (= Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, Max-Planck-Institut; 4. Folge, Band 13), Berlin/München: Deutscher Kunstverlag 2021
ISBN-13: 978-3-422-98194-2, 428 Seiten, Festeinband : EUR 78.00 (DE), EUR 78.00 (AT), Inhaltsverzeichnis
Empfohlene Zitation:
Almut Schäffner: [Rezension zu:] Stahlbuhk, Katharine: Oltre il colore. Die farbreduzierte Wandmalerei zwischen Humilitas und Observanzreformen (= Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, Max-Planck-Institut; 4. Folge, Band 13), Berlin/München 2021. In: ArtHist.net, 08.05.2023. Letzter Zugriff 22.11.2024. <https://arthist.net/reviews/34648>.
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