REV 14.01.2009

Claudia Swan: Art, science, and witchcraft in early modern Holland

Rezensiert von Jan Altmann
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Erschienen in der Reihe „Cambridge Studies in Netherlandish Visual Culture“, folgt die Monographie der amerikanischen Kunsthistorikerin Claudia Swan über Jacques de Gheyn II. (1565–1629) der durch Svetlana Alpers’ „Art of Describing” (1983) begründeten Forschungsrichtung, die die realistischen Modi der niederländischen Malerei epistemologisch in den Blick nimmt. Die vor allem am Institute for Advanced Study in Princeton und am Max–Planck–Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin entstandene Studie basiert auf Swans Dissertation aus dem Jahre 1997, die gleich von fünf namhaften Professoren betreut worden war. Die Dankesworte der Autorin gehen an eine imposante, sich über zwei Seiten erstreckende Phalanx von Personen und Institutionen.

Seit Ernst Kris‘ Beitrag zur Festschrift für Julius von Schlosser wird das künstlerische Naturstudium in der Frühen Neuzeit als „wissenschaftlicher Naturalismus“ geadelt [1]. Dieser Tradition folgt auch Swan. Sie betont jedoch, dass de Gheyns Bilder naturhistorischer Objekte eine entscheidende Verschiebung gegenüber dem humanistischen Werk Dürers und seinen Nachfolgern markieren (1). Bestärkt durch jüngere Entwicklungen in der Wissenschaftsgeschichte und Kunstgeschichtsschreibung, plädiert Swan dafür, eine — inzwischen von vielen Seiten geforderte — Geschichte von Bildern (und nicht nur von Kunstwerken) zu schreiben (8) [2]. Auf dieser Basis wird versucht, den bislang von der Forschung weitgehend übergangenen Dualismus zwischen empirischer Naturbeobachtung und imaginierenden Bildschöpfungen im Oeuvre de Gheyns hermeneutisch in den Griff zu bekommen. Als Polymath hat de Gheyn außer seinen wissenschaftlich–naturalistischen Zeichnungen und Aquarellen auch dämonische Bildphantasmen geschaffen. Mit großer Verve widmete er sich der Darstellung des Hexenwesens. In den zwei Teilen ihrer Studie unternimmt es Swan, den „anscheinend antithetischen Riss zwischen beiden Arenen“ von de Gheyns Schaffen (26) als einen produktiven zu begreifen, „um nicht nur die Unterscheidungen zwischen Kunst und Wissenschaft, sondern auch zwischen den Hervorbringungen auf beiden Gebieten aufzuheben.“ (201)

Ausgangspunkt für Swans Überlegungen ist eines von de Gheyns erstaunlichsten Werken: das hybride Bild eines Einsiedlerkrebses und zweier Szenen von Hexerei (1602–3) aus dem Frankfurter Städel. Auf der Rückseite finden sich präzise Kleidungs– und Bewegungsstudien. Auf dem doppelseitigen Blatt ereignet sich gewissermaßen eine repräsentative Überblendung der beiden Pole von de Gheyns künstlerischem Werk: einerseits einer äußerst genauen Wiedergabe sichtbarer Gegenstände und andererseits einer Skizzierung scheinbar fiktiver Gestalten und Geschehnisse (195). Die widersprüchliche Erscheinung der bizarren Komposition aus hybriden Figuren und faktischem Gegenstand auf der Vorderseite des Blattes, die durch die inkommensurablen Darstellungsweisen des Krebses und der dämonischen Gestalten entsteht, ist für Swan keineswegs zufällig, sondern Ausdruck der Verschiedenartigkeit beider Bildwelten. Während die eine auf visueller Beobachtung beruht, entspringt die andere der Phantasie (10, 194f.).

An das Konzept der künstlerischen phantasia (18ff.) knüpft sich die innovativste These der Autorin: Indem es in der Frühen Neuzeit sowohl in den Überlegungen zur Kreativität des Künstlers als auch in physiologischen Theorien zu verhexter Einbildungskraft um mentale Bildproduktion geht, überschneiden sich kunsttheoretischer und dämonologischer Diskurs (24, 175, 184). Das Konzept, in dem diese Überschneidung besonders zum Vorschein kommt, ist verblüffenderweise das der "melancholischen Imagination“ (186). Für frühneuzeitliche Theoretiker dämonischer Einbildungen, wie den flämischen Hofarzt Jan Wier, begünstigt ein melancholischer Gemütszustand eine verzerrte Wahrnehmung und macht damit anfällig für "teuflische Täuschungen“ (180f.).

Während es im zweiten Teil von Swans Studie um schöpferische und diabolische phantasia geht, befasst sich der erste Teil mit der künstlerischen Wiedergabe der sichtbaren Natur. Von besonderer Bedeutung war dabei der Repräsentationsmodus des naer het leven (nach dem Leben, ad vivum, au vif, ad vivo). Hatte de Gheyn zuvor vor allem Druckgrafik im Stile seines Lehrers Hendrick Goltzius produziert (29), wandte er sich mit seinem Umzug nach Leiden im Jahre 1595 und seinen Kontakten zur dortigen Universität mehr und mehr der Malerei und dem Naturstudium zu (51ff.). Umgekehrt profitierte die an der Leidener Universität praktizierte Naturgeschichte vor allem auf dem Gebiet der botanischen Beschreibung und der medizinischen Lehre von de Gheyns Bildern ‚nach dem Leben‘ (64f.).

Es zeigte sich, dass das „mimetische Potenzial“ von naer het leven entstandenen Bildern sowohl für naturgeschichtliche als auch für künstlerische Intentionen genutzt werden konnte (36). Bald nach seiner Fertigstellung wurde de Gheyns so genanntes Lugt–Album mit zwei Dutzend Aquarellen von Gegenständen der Natur vom damals berühmtesten Sammler von naturalia und artificialia erworben, Kaiser Rudolf II. (66). In der Prager Kunstkammer ergänzte es die ähnlich gestalteten Aquarell–Miniaturen Joris Hoefnagels. Zugleich bildete ein Blatt wie die Darstellung dreier Tulpen in einer Terrakottavase (Tf. 2) eines der ersten Beispiele eines Genres, das charakteristisch für die visuelle Kultur in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts werden sollte: das Stillleben (66). Gerade aufgrund ihrer effektvollen Genauigkeit war de Gheyns Miniaturmalerei (Verlichtery–Kunde) mehr als eine bloße Wiedergabe der Natur ânach dem Leben‘. Natur wurde hier geradezu ‚gemacht‘ (79). Indem die schiere Bildlichkeit und selbstgenügsame, stilistisch neutrale Ausführung von der auktorialen Präsenz des Künstlers abhingen, konstituierte sich eine Form „mimetischer Performanz“ (84). Zugleich virtuos durchgestaltet und von naturalistischer Intensität — so, als erschienen die Dinge der Natur ganz von selbst, ohne vermittelnde Darstellung —, changierten die Aquarelle des Lugt–Albums zwischen Werken der Kunst und Wundern der Natur (94).

Trotz ihrer desideraten Thematik bleibt die Studie gelegentlich hinter den Erwartungen des gespannten Lesers und ihren eigenen Möglichkeiten zurück. Obwohl Swan gerade das hybride Frankfurter Blatt an den Anfang ihres Buches stellt, hätte die im Schlusskapitel (Kap. 7) wiederholte These von der sich in de Gheyns „dichotomen Oeuvre“ verkörpernden Einheit von genauer Naturbeobachtung und kunstvoller Imagination (195) noch konsequenter verfolgt werden können. Das deutet sich bereits mit der strikten Trennung der Studie in zwei nahezu unabhängige Teile und die damit einhergehende Scheidung von de Gheyns Werk in einen wissenschaftlichen und einen phantasmatischen Strang an. Doch ist einerseits eine naturalistische Naturdarstellung nicht gleichzusetzen mit wissenschaftlicher Praxis und ist andererseits der frühneuzeitliche Hexenglaube mitnichten „radikal unwissenschaftlich“ (26) [3]. Wie ja auch Swans eigene Ausführungen zeigen, war die Beschäftigung mit der Macht der Hexerei ein etablierter Zweig okzidentaler Gelehrsamkeit. Mit ihrer jeweiligen Zuordnung zur Welt der Naturgeschichte und der Welt des Hexenwesens werden de Gheyns Tier– und Pflanzenbilder für objektiver und empiristischer gehalten als sie es sein können und seine Hexendarstellungen als phantasmatischer und imaginärer deklariert als sie scheinen.

Mit Sorge um ihren ikonologischen Zugriff beklagt die Autorin, dass kein zugehöriger Text, ja noch nicht einmal eine Inschrift die „dichte Akkumulation von Attributen und Praktiken der Hexerei“ auf de Gheyns Vorbereitung für den Hexensabbat (ca. 1610) begleite und anzeige, wie das Bild denn nun zu interpretieren sei (174). Statt dieses Fehlen einer kommentierenden Textquelle zu bedauern, wäre es als Fingerzeig zu nehmen, dass de Gheyns Bildschöpfungen keine „Diskussionsbeiträge“ (194), keine exakten „piktoralen Argumente“ (172) zur Realität des Hexenwesens sind, sondern Visionen des Imaginären und Sichtbarmachungen des Unsichtbaren, die sich nicht auf eine eindeutige Aussage festnageln lassen. Gerade de Gheyns Dämonenbilder bestechen durch ihren naturalistischen Duktus, ihre ‚empiristische‘ Kohärenz. Das, was sie darstellen, scheint ‚tatsächlich’ irgendwo zu existieren, ob nun in einer vermeintlichen Wirklichkeit, in melancholischen Phantasmagorien oder in aberranten Traumgebilden. Sie zeigen eine Natur, die sichtbar wird mit geschlossenen Augen (175). Wenn schon die Bildlogik von de Gheyns Darstellungen bestimmt werden soll, dann vermisst der Leser tiefer gehende Bildanalysen. Das close reading beschränkt sich auf gelehrte Texte (50). Beim Eintauchen in de Gheyns wilde Hexenphantasien gewinnt der Leser hingegen den Eindruck, dass Swan de Gheyns Bildschöpfungen nicht bis in ihre letzten, dunklen Furchen auslotet — bis dorthin, wo das Diabolische, Dämonische und Phantastische das Denken untergräbt. Nichtsdestoweniger trägt Swans Arbeit dazu bei, bestehende Forschungslücken zu schließen. Denn obwohl die Naturgeschichte in der Frühen Neuzeit ein zentrales Feld sowohl wissenschaftlicher als auch künstlerischer Praktiken gewesen ist, ist das Genre des naturhistorischen Bildes noch immer nicht ausreichend in den Blick genommen worden. Entsprechendes gilt für die visuelle und piktorale Imagination im jüngst diskutierten „Dschungel der Hexenforschung“ [5].

Anmerkungen:

[1] Ernst Kris, „Georg Hoefnagel und der wissenschaftliche Naturalismus“, in: Festschrift für Julius von Schlosser, hg. von Arpad Weixlgärtner und Leo Planiscig, Zürich: Amalthea, 1927, S. 243–252. Siehe z.B. Günther Pass, „Dürer und die wissenschaftliche Tierdastellung der Renaissance“, in: Albrecht Dürer und die Tier – und Pflanzenstudien der Renaissance, hg. von Fritz Koreny, Jahrb. der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Bd. 82/83, n.F. Bd. 46/47, 1986/1987, S. 57–67.

[2] Siehe z.B.: Brian S. Baigrie (Hg.): Picturing knowledge: historical and philosophical problems concerning the use of art in science. Toronto 1996; Caroline A. Jones und Peter Galison (Hg.): Picturing science, producing art. New York/London 1998; James Elkins: The domain of images. Ithaca/London 1999; Gottfried Boehm, „Zwischen Auge und Hand: Bilder als Instrumente der Erkenntnis“, in: Bettina Heintz und Jörg Huber (Hg.), Mit dem Auge denken: Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten, Zürich/Wien/New York 2001, S. 43–54; Martina Heßler (Hg.): Konstruierte Sichtbarkeiten. Wissenschafts- und Technikbilder seit der Frühen Neuzeit. München 2006.

[3] Gerd Schwerhoff: Esoterik statt Ethnologie? Mit Monika Neugebauer-Wölk unterwegs im Dschungel der Hexenforschung. 1. August 2007. In: Katrin Moeller (Hg.): Hexenforschung/Forschungsdebatten. In: historicum.net, URL: HYPERLINK „http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/5505/http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/5505/ [27.01.2008]. Siehe auch Martin Kemp: „’Implanted in our natures’: humans, plants, and the stories of art“, in: David Philipp Miller und Peter Hanns Reill (Hg.): Visions of empire: voyages, botany, and representations of nature. Cambridge 1996, S. 197–229.

[4] Mari’t Westerman: „After Iconography and Iconoclasm. Current Research in Netherlandish Art, 1566–1700”. In: The Art Bulletin 84 (Juni 2002), 2, S. 351–372, S. 353 u. 356 sowie Anm. 46 u. 47.

Swan, Claudia: Art, science, and witchcraft in early modern Holland. Jacques de Gheyn II (1565 - 1629) (= Cambridge studies in Netherlandish visual culture), Cambridge [u.a.]: Cambridge University Press 2005
ISBN-13: 978-0-521-82674-7, XVII, 254 S

Empfohlene Zitation:
Jan Altmann: [Rezension zu:] Swan, Claudia: Art, science, and witchcraft in early modern Holland. Jacques de Gheyn II (1565 - 1629) (= Cambridge studies in Netherlandish visual culture), Cambridge [u.a.] 2005. In: ArtHist.net, 14.01.2009. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/335>.

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