REV 21.02.2011

Ralph-Miklas Dobler: Die Juristenkapellen Rivaldi, Cerri und Antamoro

Rezensiert von Christian Hecht, Weimar
Redaktion: Livia Cárdenas
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„Kunstgeschichte nach Aufgaben“ zu schreiben ist und bleibt ein lohnendes Unterfangen. Es ist allerdings nicht immer leicht, die jeweiligen Aufgaben als solche zu erkennen. Daher ist es nicht das geringste Verdienst von Ralph-Miklas Dobler, die römischen Juristenkapellen Rivaldi, Cerri und Antamoro überhaupt zum Gegenstand einer vergleichenden kunsthistorischen Betrachtung gemacht zu haben. Es handelt sich um drei hochkomplexe Anlagen, die bisher nie umfassend untersucht wurden. Sie boten sich deshalb für eine exemplarische Behandlung an, weil sich bei ihnen wohl so ziemlich alle Probleme tatsächlich gestellt haben, die sich „im Sei- und Settecento“ bei „römischen Familienkapellen“ überhaupt stellen konnten.

Am Beginn steht eine kurze Einleitung, in der die Zielstellung der Arbeit umrissen wird. Es geht Dobler darum, eine Kunstgeschichte römischer Familienkapellen zu schreiben und die komplexen Zusammenhänge aus Jenseitsfürsorge und Repräsentation aufzuzeigen, die zu ihrer Stiftung führten. Wichtig sind ihm neben den genuin kunsthistorischen Fragen die sozialgeschichtlichen (18-21). Die Juristen, auf die er sich konzentriert, sind in dieser Hinsicht besonders interessant, weil sie im päpstlichen Rom gute Aufstiegschancen besaßen. Zudem war der römische Hof, an dem es keine Herrscherdynastie gab, ein Ort besonders hoher sozialer Mobilität – nur eingeschränkt vergleichbar mit anderen Höfen Europas.

Die erste untersuchte Kapelle wurde von Gaspar Rivaldi in Santa Maria della Pace gestiftet (26-80). Dobler stellt ihn und seine Familie vor, um die Logik seiner Stiftung in gerade dieser Kirche zu verdeutlichen, er verliert sich jedoch nicht in der Ausbreitung des schwankenden Glücks der Rivaldi. Die Cappella Rivaldi ist eine interpretatorische Herausforderung erster Güte. Sie ist nämlich nicht irgendeine, sondern die Chorkapelle der Kirche, für deren Gestaltung ein besonderer Aufwand erforderlich war. Dementsprechend besitzt sie einen reichen Buntmarmorschmuck. Außerdem wird auf ihrem Altarretabel ein marianisches Gnadenbild präsentiert. Die Cappella Rivaldi kann also nur mit den großen, von den Päpsten selbst gestifteten Anlagen verglichen werden, in erster Linie mit der Cappella Paolina an Santa Maria Maggiore. Der Ausstattungsaufwand der Cappella Rivaldi kontrastiert nun in eigentümlicher Weise mit dem eher weniger hohen Status des Stifters. Dobler gelingt es nun, sehr gut verständlich zu machen, wie sich dieser eine spezifische Situation zunutze machte, um seine Familienkapelle so prominent gestalten zu können, ohne aber mit den römischen Konventionen seiner Zeit zu kollidieren. In erster Linie gelang es ihm, das Bedürfnis der Kanoniker von S. Maria della Pace nach einer Kirchenerweiterung mit seinem Wunsch nach einer Familienkapelle zu verbinden. Rivaldi konnte sogar Paul V. für die Unterstützung seines Vorhabens gewinnen. Damit bog er etwaiger Kritik sofort die Spitze ab. Wie kompliziert es aber im einzelnen war, die Kapelle tatsächlich ohne Dekorumsverstoß auszugestalten, zeigt Dobler mit großem Einfühlungsvermögen. Und mit großer Quellenkenntnis! Er beweist hier eine bewundernswerte Vertrautheit mit den römischen Archiven. Es ist keine geringe Leistung, die einschlägigen Archivalien auch nur aufzufinden, und ihre Lektüre erfordert eine beträchtliche Erfahrung. Wer sich mit ähnlichen Themen befassen möchte, sollte sich unbedingt die hier benutzten Fondi zunutze machen. Besonders beeindruckt, mit welcher Präzision, ja Schärfe, Dobler sich der historischen Begrifflichkeit bedient.

Hoch komplex ist auch die zweite behandelte Anlage: die Cappella Cerri in Il Gesù (82-147). Es ist die zweite Kapelle auf der linken Seite des Langhauses. 1640 wurde sie dem Stifter Antonio Cerri zugesprochen. Hier gab es völlig andere Rahmenbedingungen als in Santa Maria della Pace. Doch bestand selbstverständlich auch hier die Aufgabe darin, eine dekorumsgemäße Anlage in einen vorgegebenen Kirchenraum zu integrieren. Erschwert wurde diese Aufgabe durch ein bereits vorhandenes Bildprogramm, das nicht leicht verändert werden konnte. Das alles war für den Stifter und seine Nachkommen ebenfalls eine Herausforderung, zu deren Bewältigung sie Pietro da Cortona verpflichten konnten. Wiederum zeichnet Dobler die Zusammenhänge sehr genau nach – ohne den Faden zu verlieren. Sinnvollerweise legte er größten Wert auf das reiche Bildprogramm. Es ist zwar zu erheblichen Teilen verloren, konnte aber faktisch völlig rekonstruiert werden. Damit wird nun erstmals ein wichtiger Bestandteil von Il Gesù wieder lesbar und verstehbar.

Die dritte behandelte Anlage ist die Cappella Antamoro, links neben dem Chor von San Girolamo della Carità. Sie wurde 1703 dem Stifter übergeben, der sie durch Filippo Juvarra und Pierre Le Gros ausgestalten ließ. Besonders gelungen sind Doblers Ausführungen zu den Rezeptionsmöglichkeiten, die diese Kapelle bietet. Auch in diesem Fall beeindruckt die genaue Lektüre der Quellen. Man erfährt sogar, „daß unser Stifter Brillenträger und Pfeifenraucher“ (150) war, vor allem aber dürfte sich nunmehr die recht verwickelte Entstehungsgeschichte der Kapelle klar nachvollziehen lassen. Bemerkenswert ist die bisher nicht gewürdigte Beteiligung von Carlo und Francesco Fontana. Dobler verteilt generell die Anteile der beteiligten Künstler neu und stärkt die Bedeutung von Pierre Le Gros. Gelungen ist auch die ikonographische Deutung der Kapelle, die ein schwierig zu bewältigendes Doppelpatrozinium besitzt, da sie dem hl. Philipp Neri und zusätzlich noch der Gottesmutter geweiht ist. Während Pierre Le Gros den hl. Philipp, der für den Stifter im Mittelpunkt des Interesses stand, in ekstatischer Haltung als plastisches Altarbild zeigt, fehlt ein entsprechendes prominentes Marienbild. Dieses erscheint gewissermaßen als Vision vor dem inneren Auge Philipps. Zur Sicherheit wird aber auf der Kasel des Heiligen noch ein gesticktes Marienbild angedeutet.

Insgesamt handelt es sich um eine abgerundete Studie, die zahlreiche fächerübergreifende Aspekte besitzt, nicht zuletzt sozialgeschichtliche. Dobler bleibt dennoch – als Kunsthistoriker – immer nahe an den Objekten, die er nicht als Belegstücke für vorgefertigte Theorien benutzt. Selbstverständlich darf man zu dem einen oder anderen Punkt eine abweichende Auffassung haben, aber eben nicht zu den hier vorgelegten Fakten, gegen die es nun einmal keine Argumente gibt. Das freut vielleicht nicht jeden. Es handelt sich um eine solide, quellengestützte Forschungsarbeit, die zu großen Teilen im Archiv entstanden ist. Wenn man dieser Arbeit überhaupt einen Vorwurf machen will, dann den des Understatements. Der Autor versagt sich modische Phrasen und vergibt die vielen Möglichkeiten, „zu großer Form aufzulaufen“. Statt dessen schreibt er mit einem frischen Ton, der die Lektüre angenehm macht. Vor allem aber bietet Dobler – wie es der Untertitel verheißt, der auch ein Haupttitel hätte sein können – eine exemplarische Arbeit zu „Form, Funktion und Intention römischer Familienkapellen im Sei- und Settecento“. Die bleibende Bedeutung seiner Studie reicht weit über die drei behandelten Kapellen hinaus.

Dobler, Ralph-Miklas: Die Juristenkapellen Rivaldi, Cerri und Antamoro. Form, Funktion und Intention römischer Familienkapellen im Sei- und Settecento (= Römische Studien der Bibliotheca Hertziana,Veröffentlichungen der Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschicht), München: Hirmer Verlag 2009
ISBN-13: 978-3-7774-3775-0, 254 S., EUR 75.00, SFR 126.00

Empfohlene Zitation:
Christian Hecht: [Rezension zu:] Dobler, Ralph-Miklas: Die Juristenkapellen Rivaldi, Cerri und Antamoro. Form, Funktion und Intention römischer Familienkapellen im Sei- und Settecento (= Römische Studien der Bibliotheca Hertziana,Veröffentlichungen der Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschicht), München 2009. In: ArtHist.net, 21.02.2011. Letzter Zugriff 27.11.2024. <https://arthist.net/reviews/316>.

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