Fremde in der Stadt. Ordnungen, Repräsentationen und Praktiken (13.–15. Jh.)
Zum zweiten Mal richtete das Teilprojekt C2 „Ordnungen der Bilder. Repräsentation von Fremdheit und Armut in Kunst und visueller Kultur Italiens (13.–16. Jh.)“ des Trierer SFB 600 eine internationale Tagung aus. Der Projektleiter Gerhard Wolf und seine Mitarbeiter Peter Bell und Dirk Suckow hatten Kunsthistoriker, Historiker und Literaturwissenschaftler in das Rheinische Landesmuseum Trier geladen, um Strategien der Inklusion und Exklusion von Fremden in den italienischen Städten des Spätmittelalters zu untersuchen. Neben den im Umgang mit den Fremden sich herausbildenden sozialen und politischen Ordnungssystemen war es das komplexe Wechselspiel von Repräsentationen und sozialen Praktiken, das die Diskussion bestimmte. Die Mehrheit der Beiträge nahm die durch Quellen gut erschlossenen Städte Florenz, Rom und Venedig in den Blick, während der Westen und Norden Europas, aber auch kleinere italienische Kommunen am Rande vertreten waren.
Mit der Frage nach den Rändern und Zentren setzte denn auch die Tagung ein. Monika E. Mueller (Tübingen) untersuchte Konsolfiguren der Basilika San Nicola in Bari und des Doms San Corrado in Molfetta, sei doch die kaum einsehbare Konsolplastik prädestiniert, Randgruppen zu zeigen, die in der apulischen Gesellschaft stets gegenwärtig waren. Während am Außenbau von San Nicola Anfang des 12. Jahrhunderts Ritterköpfe am südlichen Langhaus von Sarazenen im Norden getrennt waren, treten in der Jahrhundertmitte im Kircheninneren Turbanträger zusammen mit Monstern, Tieren und antikisierenden Masken auf, die das Fremde als Gegenbild der eigenen Ordnung zeigen. Im 15. Jahrhundert verbinden einzelne Konsolen dann „negroide“ Züge mit solchen, die Sarazenen kennzeichnen, zu einem aus Versatzstücken komponierten Bild der Barbarei. Diese These der reinen Negativform warf Fragen nach der Interpretation von Fremdbildern auf. Ob die Ordnung der Bilder die gesellschaftliche Ordnung abbilde, wurde ebenso diskutiert, wie die Rolle der Bildtradition, die in Apulien besonders stark auf die Antike rekurriert.
Die Historikerin Marisa Costa (Lissabon) nahm mit Portugal eine weitere Randregion Europas in den Blick, die ähnlich wie Apulien Pilger, Kaufleute und Kreuzritter aus ganz Europa anzog. Viele dieser Fremden ließen sich in dem am äußersten Rand der bekannten Welt gelegenen Landstrich nieder, was nicht zuletzt der im 12. und 13. Jahrhundert wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung des jungen Königreiches und seiner ökonomisch wie strategisch günstigen Lage zwischen Atlantik und Mittelmeer geschuldet war. In einer solchen multiethnischen Gesellschaft sind es nicht Feindbilder, sondern Formen des Zusammenlebens und der nachgerade alltägliche Umgang mit den Fremden, die das Leben in den noch jungen portugiesischen Städten bestimmen.
Die erste Sektion schloss mit einem Beitrag von Alberto Saviello (Florenz), der Bilder im öffentlichen Raum Venedigs diskutierte, um so eine Bildtopographie des Fremden zu entwickeln. Hierzu wurde das Pfingstmosaik der Westkuppel von San Marco mit der jüngeren Baptisteriumskuppel verglichen, in der die Apostel mit den Fremden, die sie taufen, auf einer Ebene stehen. Hier zeige sich das Selbstverständnis Venedigs als Zentrum der christlichen Weltmission, verlangten doch die Handelsbeziehungen, den Umgang mit den Fremden zu legitimieren. In einem Kapitell des Dogenpalastes, das die Völker der Welt zeigt, und schließlich in einer im Umkreis Giovanni Bellinis entstandenen Darstellung des Emmausmahles in San Salvador, bei der Christus als Inklusionsangebot mit einem Orientalen das Brot teilt, sah Saviello seine These bestätigt, doch muss vor der Gesamtschau die eingehende Analyse der einzelnen Werke und ihrer Bezugssysteme stehen.
Konzentrierten sich die Vorträge der ersten Sektion auf andersgläubige Fremde, standen Fremde innerhalb der eigenen Gesellschaft im Zentrum der zweiten Sektion, die sich dem Zusammenleben in geteilten Räumen widmete. Den Anfang machte Christiane Esche-Ramshorn (Cambridge) mit einem Beitrag zu Organisation, Gestalt und Ausstattung der seit dem Quattrocento in Rom nachweisbaren Pilgerzentren, die ihren Gästen die nötige Infrastruktur bereitstellten. So entstanden in unmittelbarer Nähe von Alt St. Peter eigene Räume für ungarische, deutsche, armenische und äthiopische Christen, deren Gestaltung nationalen Besonderheiten ebenso verpflichtet war wie Vorgaben des Vatikans. Es war mithin zu fragen, wie viel Vielfalt die geistliche Einheit zuließ, wie sich die Toleranz eines multiethnischen Pilgerzentrums mit dem Kirchenrecht in Einklang bringen ließ und schließlich, wie auf dem heiligen Boden Roms nationale heilige Räume akzeptiert werden konnten.
Das Verhältnis zwischen lateinischen und griechischen Christen in Venedig untersuchte Gabriele Köster (Magdeburg) am Beispiel der Aufnahme des byzantinischen Kardinals Bessarione in die hoch angesehene Scuola Grande di Santa Maria della Carità, also nicht etwa in eine Nationalbruderschaft der Griechen. Anlässlich seiner Aufnahme stiftete Bessarione eine byzantinische Staurothek mit kostbaren Herrenreliquien, die in Gegenwart des Dogen in feierlicher Prozession in die Scuola Grande überführt wurde. Mit diesem Tun scheint Bessarione ganz bewusst an die byzantinische Frühgeschichte Venedigs anknüpfen zu wollen. Auch wurde er in das Patriziat der Stadt aufgenommen, so dass kaum mehr zwischen dem Fremden und dem Landsmann zu unterscheiden ist. Sein Beispiel verdeutlicht den stetigen Wandel, dem Fremdheitskonzepte unterliegen, indem sie sich in Momente größerer Nähe und Ferne ausdifferenzieren können.
Dies vertiefte der Historiker Benjamin Scheller (Berlin / Pisa), der den Umgang mit den konvertierten Juden in der apulischen Hafenstadt Trani vom Zeitpunkt der Massenkonversion 1291 bis ins späte 15. Jahrhundert verfolgte. Waren die Neuchristen zunächst weiterhin als Juden behandelt worden, forderte ein Mandat Roberts I. ihre Umsiedelung innerhalb der Städte, um die räumliche Kontinuität der alten Riten zu brechen. In Trani wurden die Konvertierten 1413 den Stadtbürgern gleichgestellt, allerdings weiterhin als eigener Stand behandelt, 1493 dann aus der Stadt vertrieben. Es sind hier politische und physische Akte der Inklusion bzw. Exklusion zu beobachten, die sich auch im sozialen Netzwerk der Konvertierten abzeichnen, in der Wahl ihrer Ehepartner und den Geschäftsverbindungen.
Mit der Funktion der Fondaci schließlich beschäftigte sich Uwe Israel (Venedig). Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand am Rialto der Fondaco dei Tedeschi, der nicht allein eine erste Anlaufstelle für die in Venedig tätigen Händler aus dem europäischen Norden war. Ihre Organisation im Fondaco, der sich unter venezianischer Leitung zu einer Stadt in der Stadt entwickelte, erlaubte es, die fremden Händler zu kontrollieren. Freizügigkeit innerhalb Venedigs war für sie nicht vorgesehen. Von der Unterkunft über den Handelshof bis zur Mensa fanden sie alles Nötige im Fondaco, ihre Kontakte waren reglementiert und ihren geschäftlichen Aktivitäten ebenso strikte Regeln auferlegt. Der während der Nacht auch im wörtlichen Sinne geschlossene Raum des Fondaco erlaubte es, die Fremden innerhalb der Stadt gleichwohl vom städtischen Leben der Venezianer auszuschließen.
Für den öffentlichen Abendvortrag konnten die Organisatoren mit Arnold Esch (Rom) einen der besten Kenner der italienischen Geschichte gewinnen. Auf ebenso geistreiche wie eloquente Weise erläuterte er, vor welche Schwierigkeiten die Quellen den Historiker stellen, will er sich mit Fremden in italienischen Städten des Mittelalters beschäftigen. Grund hierfür sei das längst nicht klar umrissene Profil der Fremdheit: Es ist zwischen fernen und nahen Fremden, zwischen Christen und Heiden, zwischen jenen, die für eine bestimmte Zeit kommen und jenen, die bleiben, zu unterscheiden. Für manche wird es erstrebenswert sein, sich zu integrieren. Andere werden ihre Fremdheit bewusst bewahren, wie die in Rom ansässigen Florentiner Juristen, die ihre Dienste den in der Fremde sich bewegenden Landsleuten anbieten und folglich als Florentiner erkennbar bleiben müssen. Die soziale Stellung spielt eine Rolle, dies vor allem, weil das Fremdsein in den Quellen nicht für jeden gleichermaßen berichtenswert erscheint. Hier sind die Findigkeit des Historikers und seine Kenntnisse der sozialen wie gesellschaftlichen Netzwerke gefordert, um die Fremden in den Städten zuerst einmal aufzuspüren.
Peter Bell (Trier) eröffnete mit der Frage nach der visuellen Kennzeichnung von Fremdheit den zweiten Tag. Dabei ging es in erster Linie um Fremdmarkierungen. Diese werden dann wichtig, wenn von der Mehrheitsgesellschaft als fremd empfundene Personen oder Gruppen äußerlich nicht als Fremde zu erkennen sind. Gerade die Gruppe der Juden eignet sich für eine solche Untersuchung, wird doch ihre Kennzeichnung oft damit erklärt, sicherzustellen, dass Nicht-Juden nicht für Juden gehalten würden. Es ist mithin die Formung der eigenen Identität, die eine Abgrenzung der Anderen notwendig macht. Gelbe Flecken auf der Kleidung, Judenhüte und heraldische Zeichen werden in den Bildern zur Festschreibung der Fremdenrolle eingesetzt, dem Körper ein- oder ihm symbolisch zugeschrieben. Auch der gelbe Lederstrumpf, der sich von der Tracht der zu Konzilszeiten in Italien weilenden Griechen herleitet, verselbständigt sich so rasch zu einem Merkmal der Fremdheit, dem Zeichencharakter zukommt.
Michail Chatzidakis (Florenz) fügte der Diskussion eine neue Facette hinzu, indem er nicht Fremde in Italien in den Blick nahm, sondern mit dem Humanisten Ciriaco d’Ancona (1391–1452) einen Italiener, der sich auf seinen Reisen in die Fremde begab, um davon für seine Landsleute zu berichten. In seinen heute verlorenen »Commentaria« dokumentierte der Gelehrte die Stationen seiner Griechenlandreise und zeichnete sich dabei durch ein in dieser Form kaum gekanntes Interesse an der Epigraphik aus. Sein Bericht vermittle kein topisch nach der eigenen Kultur und der eigenen Tradition geformtes Bild Griechenlands, sondern sei eine aus der persönlichen Anschauung gespeiste Darstellung, der an der Präsentation einer fremden, eigenständigen Kultur gelegen war.
Einen konträren Ansatz wählte Martin Przybilski (Trier), der das in den literarischen Texten des Mittelalters gezeichnete Bild der Juden nicht als Reflex des Zusammenlebens von Christen und Juden vorstellte, sondern als Rollenbild, das seit der christlichen Spätantike vertraute Stereotyp aufgreife und weiterschreibe. Als Motiv für die Genese solcher Fremdheitskonstrukte bestimmte Przybilski die Angst der christlichen Mehrheitsgesellschaft vor dem Auflösen der Grenzen zum fremden Anderen innerhalb der eigenen Kultur, für das die jüdische Minderheit steht. Diese These erfuhr durch die Auswertung auch jüdischen Schrifttums eine weitere Präzisierung. So greift etwa der Ende des 13. Jahrhunderts verfasste »Nizzachon vetus« christliche Vorurteile gegenüber Juden auf, um sie aus jüdischer Sicht zu interpretieren und wiederum zur Abgrenzung der eigenen Identität gegenüber den Christen einzusetzen. Fremd- und Selbstwahrnehmung sind hier so miteinander verschmolzen, dass die eigene Identität nur mit Blick auf die Anderen zu formen ist.
Die beiden ersten Vorträge der abschließenden Sektion „Besitzen und Beschreiben“ waren der Darstellung von Sklavinnen und Sklaven gewidmet, verdichten sich doch in dieser Gruppe die unterschiedlichsten Fremdheitszuschreibungen. Cristoph Cluse (Trier) wertete Statuten und Notariatsurkunden des 14. und 15. Jahrhunderts aus, Dirk Suckow (Trier) spürte der Sichtbarkeit von Sklaven in Bildern nach. Am häufigsten erscheinen Sklaven in Urkunden, in denen die stets gleichen Lebensstationen notiert werden: der Kauf oder die Freilassung. Dabei geht die Beschreibung des einzelnen Sklaven nicht über das absolut Nötige hinaus. Auch das Interesse an der bildlichen Darstellung beschränkt sich auf wenige Themenfelder. In den Bildprogrammen des Trinitarierordens etwa, der sich der Gefangenenbefreiung verschrieben hat, sind Sklaven zwar präsent, Sklaverei selbst erscheint hier jedoch primär als religiöse Metapher. So bleiben Sklaven in der Bilderwelt des Spätmittelalters meist unsichtbar beziehungsweise sind – sofern nicht eindeutige Attribute sie identifizieren – kaum von freien Dienern zu unterscheiden.
Megan Holmes (Michigan) untersuchte bildliche Darstellungen des in Italien verbreiteten Wunderberichts von der Ehefrau, die ein schwarzes Kind zur Welt brachte, des Ehebruchs mit dem dunkelhäutigen Diener bezichtigt wurde und in ihrer Verzweiflung zu Maria betete, woraufhin das Kind weiß war. In einem Agnolo Gaddi zugeschriebenen Glasfenster in Orsanmichele in Florenz ist der Ehemann ein Ritter, der Diener ein Sarazene. Beide stehen im Haus, während sich das Wunder des Farbwechsels im Freien abspielt. Im 16. Jahrhundert greift eine mit Holzschnitten illustrierte Wundersammlung der Santissima Annunziata die Geschichte wieder auf. Die Handlung spielt jetzt in Florenz, im Schlafgemach der Ehefrau. Der Diener ist ein Mohr, der Ehemann ein reicher Kaufmann. Die Einbindung des Geschehens in das eigene Leben erklärte Holmes mit der seit Anfang des 15. Jahrhunderts belegten Gegenwart einer kleinen Gruppe farbiger Sklaven in Florenz, die augenscheinlich zu Reaktionen herausforderte, wobei auch hier dem Sklaven – einem der Hauptakteure – nur die Rolle des Statisten bleibt.
Der letzte Vortrag von Philine Helas (Rom) erweiterte das Thema insofern, als nicht die Darstellung von Schwarzen als Randgruppe interessierte, sondern ihre Einbindung in die christliche Bilderwelt, wie sie vor allem in historischen Darstellungen, hier oft sogar als Würdeformel, zu finden ist. Eine Transformation negativ konnotierter Schwarzenbilder ins Positive konnte sie an der Visualisierung der Wunderberichte von Cosmas und Damian aufzeigen. Die Matricola der Misericordia von Perugia dienten als Beispiel für die Erweiterung eines bestehenden Bildformulars um dunkelhäutige Personen.
Mit dem Verzicht auf eine eingrenzende Definition dessen, was unter Fremden im italienischen Spätmittelalter zu verstehen sei, gelang es während der Tagung, eine Fülle lohnender Forschungsfelder vorzustellen. Rasch zeigte sich jedoch die Notwendigkeit der Kontextualisierung, da für unterschiedliche Formen der Fremdheit je eigene Fragensysteme zu entwickeln sind. Gleiches gilt für das Studium der Quellen, spiegeln doch Bilder ebenso wie Texte nicht notwendigerweise die Realität, sondern konstruieren eigene Vorstellungen von Fremdheit. Als besonders hilfreich erwies sich die Einbindung der Literaturwissenschaft, in der der methodische Diskurs zu Alteritätskonzepten weit fortgeschritten ist. Diese Ansätze gilt es aufzugreifen und für die weitere Arbeit fruchtbar zu machen.
Recommended Citation:
Anja Eisenbeiß: [Conference Report of:] Fremde in der Stadt (Rheinisches Landesmuseum Trier, Feb 15–16, 2008). In: ArtHist.net, Aug 4, 2008 (accessed Oct 6, 2024), <https://arthist.net/reviews/312>.
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