Tagungsprotokoll im Auftrag der Veranstalter
Als Thomas Demand vor zwei Jahren in Berlin seine Schau Nationalgalerie präsentierte, setzte er dort knapp vierzig seiner Fotografien mit den eigens von Botho Strauß verfassten Texten in einem umfassenden Gesamtkunstwerk in Szene. Im Zusammenspiel mit schweren, in gedeckten Farben gehaltenen Vorhängen, grauen Stellwänden sowie ebenfalls grauen Vitrinen traten die Exponate in ein raffiniertes Wechselverhältnis zu der transparenten Glasfassade von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie. Mit ihr hatte Demand einen symbolträchtigen Ort der deutschen Nachkriegsmoderne als Schauplatz gewählt. Zahlreiche Werke wie Büro, Parlament oder Archiv zeigten Motive, die sich in das kollektive Bildgedächtnis der Bundesrepublik eingeschrieben haben. Sechzig Jahre nach ihrer Gründung beziehungsweise zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung sollte sowohl über die Exponate als auch über die spezifische Ästhetik ihrer Präsentation die Reflexion über das „Deutsche“ evoziert werden. Auf diese Weise trugen nicht nur die Arbeiten, sondern ebenso der durch den Künstler gestaltete Raum maßgeblich dazu bei, dass die die Besucherinnen und Besucher das Display als ästhetisches Ereignis erlebten. Demands Konzept ist beispielhaft für die enorme Bedeutung, die heutzutage mehr denn je dem Ausstellungsmachen an sich zugewiesen wird und die in den letzten Jahren zu einer vermehrten wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem gleichermaßen historischen wie aktuellen Phänomen führte. [1]
Diesem wachsenden Interesse trug die internationale Tagung "Die Kunst auszustellen. Künstlerische Positionen und kuratorische Konzepte, 1945 bis heute", Rechnung, zu der Alexandre Kostka (Université Strasbourg), Caroline Moine (Université de Versailles-Saint Quentin) und Martin Schieder (Universität Leipzig) in Kooperation mit Beatrice von Bismarck (Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig) vom 2. bis 4. Dezember 2011 an das Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig und an die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig einluden. [2] Als dritte und letzte Tagung im Rahmen des deutsch-französischen, vom CIERA geförderten Forschungsprojekts Montrer, exposer, représenter en Allemagne et en France (XIXe/XXIe siècles) setzten die Organisatorinnen und Organisatoren in den Umbruchsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein und fragten nach künstlerischen und kuratorischen Strategien seit 1945. In vier Sektionen rückte man jeweils einen thematischen Aspekt in den Fokus: Während unter dem Leitgedanken Prozess/Wandel zunächst ausgewählte Beispiele aus der Ausstellungspraxis der 1960er Jahre vorgestellt wurden, diskutierte der Kreis der Referentinnen und Referenten in der Folge die Themen Display/Referenz und Sammlung/Raum, bevor abschließend Szenographie/Bühne Gegenstand der Beiträge war.
Inwiefern das „Prozessuale als Movens kuratorischer Praxis“ verstanden werden kann, beleuchtete in der ersten Sektion zunächst Annette Tietenberg (Braunschweig). Sie verwies darauf, dass zeitgleich mit Harald Szeemanns epochemachender Ausstellung Live in your head: When attitudes become form 1969 in der Kunsthalle Bern auch mit der Schau Anti-Illusion: Procedures/Materials im Whitney Museum of American Art in New York neue Möglichkeiten der Präsentation erprobt wurden. Das Öffnen der Kunst zur Alltagswelt, der Einbezug des Prozesshaften sowie der Anspruch vieler Künstlerinnen und Künstler, in situ zu arbeiten, verschoben die Intentionen vom Zeigen künstlerischer Resultate auf das Sichtbarmachen künstlerischer Vorgänge. Ähnliche Bedingungen prägten die Ausstellungsserie between, die zwischen 1969 und 1973 sieben Veranstaltungen in der Kunsthalle Düsseldorf umfasste und die von Renate Buschmann (Düsseldorf) als „symptomatisch für einen fundamentalen Wandel im Ausstellungswesen“ interpretiert wurde. Initiiert von der Gruppe Politisch Soziale Realität wurde hier der Ausstellungsraum zu einem Handlungs- oder Empfindungsraum, in dem schöpferische Prozesse visualisiert werden sollten.Vergleichbares ist beim letzten gemeinsamen Auftritt der Nouveaux Réalistes im Februar 1963 in der Neuen Galerie im Künstlerhaus von Rolf Becker in München zu beobachten, wie Antje Kramer (Rennes) anhand bisher unbekannten Quellenmaterials aufzeigen konnte. Auch dort wandelte sich der Ausstellungsraum je nach Bedarf in einen Kirmesstand oder in ein Restaurant, wodurch sich das Publikum in einen kommunikativen Schaffensprozess einbinden ließ. Die Aufnahme dieser sogenannten „Actions-Spectacles“ wurde zugleich medial inszeniert: Was in den als Dokumentation dienenden Fotografien zunächst als eine authentische und spontane Performance erscheint, war in Wirklichkeit das Ergebnis genau choreografierten Handelns der Künstlerinnen und Künstler vor der Kamera.
Den Räumlichkeiten der Museen und Galerien wurden demnach in den 1960er Jahren andere Funktionen zugeschrieben – grundsätzlich in Frage gestellt aber wurden sie von den Akteurinnen und Akteuren nicht. Auch gingen neue und kreative Impulse nach wie vor von den Kunstschaffenden aus. Sowohl der Münchner Galerist Rolf Becker als auch der Kurator der between-Serie Jürgen Harten sahen ihre eigene Rolle weiterhin pragmatisch in der des traditionellen Organisators. Es war Szeemann, der sich in eine den Künstlerinnen und Künstlern gleichberechtigte Position erhob und erstmals seine kuratorische Arbeit umfassend als künstlerische Handlung verstand, wie Beat Wyss (Karlsruhe) in seinem Abendvortrag über den Mythos Szeemann darlegte. Bereichert mit persönlichen Erinnerungen entfaltete Wyss Szeemanns neues Selbstverständnis als auktorialer Kurator, der bewusst subjektiv Entscheidungen traf. Statt auf Theorie setzte er auf Visualisierung, den assoziativen Vergleich sowie auf die unmittelbare Begegnung mit den Kunstschaffenden. Wie stark Szeemann nachfolgende Generationen prägte, veranschaulichte Stefan Gronert (Bonn), der auf eine publizistische Innovation während der 1960er und 70er Jahre verwies, die diesen Umschwung dokumentierte: das Tagebuch des Kurators. Vier Jahre nachdem Szeemann diese Kommunikationsform 1969 erstmals im Berner Katalog einsetzte, griff Klaus Honnef sie in der Zeitschrift KUNSTFORUM International auf.
Dass sich neue, den aktuellen Diskurs bereichernde Zusammenhänge hinsichtlich der exhibition studies ergeben, wenn man den eurozentrischen Blick aufgibt, konnte Gabriele Genge (Essen) deutlich machen, die das Festival des Arts Nègres 1966 in Dakar vorstellte. Unter der kunstpolitischen Prämisse der Négritude wollte der senegalesische Staatspräsident Léopold Senghor in der gemeinsam mit dem französischen Kulturminister und Kunstpublizisten André Malraux konzipierten Veranstaltung die afrikanische Kunst aus ihren kolonialen Konnotationen lösen und auf das westliche Vorbild verpflichten.
Welche Bedeutung hatten Ausstellungsstrategien in der Klassischen Moderne für die Entwicklung der Displaygestaltung nach 1945? Die zweite Sektion Display/Referenz versuchte Antworten auf diese Frage zu geben. Friederike Kitschen (Berlin) stellte Richard Paul Lohses Publikation Neue Ausstellungsgestaltung von 1953 als „heimliche Stilbibel“ vor, die eine nachhaltige Rezeption bei den Ausstellungsgestalterinnen und -gestaltern erfuhr, während sie in der kunstgeschichtlichen Forschung bisher kaum Berücksichtigung gefunden hat. Von den Prämissen der Konkreten Kunst geleitet, beabsichtigte Lohse formerzieherisch zu wirken und eine „gute“, ästhetisch wie ethisch motivierte Ausstellungsform durchzusetzen. Während Kitschen mit Lohse eine Figur aus der Schweizer Kunst der 1950er Jahre präsentierte, konnte Vera Lauf (Leipzig) am Beispiel von Florian Pumhösls Modernologie (dreieckiges Atelier) auf der documenta 12 darlegen, wie sich die Rezeption und Aneignung der Moderne gegenwärtig vermehrt in aktuellen Ausstellungsdisplays niederschlägt.
Momentan allerdings sehen sich nicht nur diese zeitgenössische Kunstschauen, sondern auch Museen häufig mit der Kritik konfrontiert, sich mit Spektakeln mehr dem Geschmack des Massenpublikums anzupassen statt ihrer ursprünglichen Aufgabe des Sammelns und Bewahrens nachzukommen. Im Zusammenhang mit der dritten Sektion Sammlung/Raum näherte sich Dorothea von Hantelmann (Berlin) diesem Vorwurf aus einer kulturhistorischen Perspektive: Im gegenwärtigen „Erfahrungs-Turn“ sei, so ihre These, eine Transformation von Ausstellungen in Erlebnisräume zu beobachten. Ausgehend vom Kaiser-Friedrich-Museum, in dem Wilhelm von Bode die bis dahin üblichen Stilräume auflöste und mit modernen Assemblagen eine neue Art der Inszenierung erprobte, spannte von Hantelmann den Bogen zur Londoner Tate Modern. Die dortige Turbinenhalle mache schon aufgrund ihrer monumentalen Größe das konventionelle Verhältnis zwischen Objekt und Betrachtenden unmöglich und ziele stattdessen auf wirkungsvolle, räumlich-ästhetische Erfahrungen ab. Julia Verlaine (Paris) konstatierte dagegen, dass bereits die Pariser Galerieszene der 1950er Jahre ihre zunehmend professionalisierte Ausstellungsgestaltung auch auf die Bedürfnisse und die finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Käuferschicht abstimmte.
Die Sektion Szenographie/Bühne rückte abschließend den Aspekt der szenischen Umsetzung von Ausstellungen in den Mittelpunkt und analysierte den Ausstellungsraum als performative „Bühne“. So bezogen sich Künstlerinnen und Künstler der Arte povera explizit auf das Theater und nutzten dessen Rhetorik für ihre künstlerischen Praktiken. Nach Nike Bätzner (Halle) erfolgte hier zudem ein Rückgriff auf die Festkultur der Renaissance, in der die gesellschaftliche Einbindung der Kunst grundlegend war. Frédéric Bußmann (Leipzig) erweiterte die Diskussion mit seinem Vortrag zur 1986 in Gent veranstalteten Ausstellung Chambres d’Amis. Indem der Kurator Jan Hoet Künstlerinnen und Künstler einlud, nicht im Museum, sondern in den Privatwohnungen Genter Bürger zu agieren, bereitete er maßgeblich die „Festivalisierung“ erfolgreicher Ausstellungen der 1990er Jahre vor.
Die zunehmend wichtig Position des „Künstler-Kurators“ in der Nachfolge Szeemanns und Hoets erfuhr einen Höhepunkt mit dem Kuratorenpaar Roger M. Buergel und Ruth Noack im Rahmen der documenta 12. Von Nanne Buurman (Leipzig) als „Meta-Ausstellung“ bezeichnet, konterkarierten Buergel und Noack dort durch zahlreiche Eingriffe in das Display eine neutrale Ausstellungssituation. Die Reflexion über die Praxis des Ausstellens steht zunehmend auch bei den Kunstschaffenden im Zentrum ihrer Überlegungen. Jörn Schafaff (Berlin) erörterte dieses Phänomen anhand der künstlerischen Positionen Philippe Parrenos, der das Format der Ausstellung in zahlreichen seiner Arbeiten, wie der 1995 im Hamburger Kunstverein realisierten Schau While…,befragt und ins Verhältnis zu anderen kulturell dominanten Informationsformaten im digitalen Medienzeitalter setzt.
Als ein Fazit der Tagung lässt sich feststellen, dass die prozessorientierten Kunstströmungen der 1960er und 1970er Jahre zwar unabdingbar Ausgangspunkt und Katalysator für das Erschließen neuer Verfahrensweisen waren, die Unmittelbarkeit der Ausstellungssituation, von der diese künstlerischen Aktionen geleitet waren, heutzutage dagegen nicht mehr erstrebenswert ist. Vielmehr speisen sich die zahlreichen kuratorischen Konzepte der Gegenwart aus einer umfassenden Reflexion vergangener Ausstellungspraktiken. Die historische Bedeutung Szeemanns, der das Berufsfeld des Kurators bzw. der Kuratorin etablierte, muss in dieser Hinsicht zwar nicht relativiert, aber differenziert werden. Weiterhin bieten die Ausstellungsstrategien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen bedeutenden Fundus für gegenwärtige Methoden, wodurch sich die Praxis des Ausstellens als ebenso mannigfaltig wie die Werke selbst präsentiert. Doch wird die grundlegende Frage, was eine Ausstellung überhaupt sei, sowohl von Seiten der Künstlerinnen und Künstler als auch von den Kuratorinnen und Kuratoren immer wieder aufgeworfen. Beide verfügen, so Alexandre Kostka in seinem Resümee, über ein enormes „Ausstellungswissen“. Dieses Wissen in den Bereich der Kunstgeschichte zu transferieren und kritisch zu diskutieren, dazu leistete die Tagung einen wichtigen Beitrag. Sie erschloss mit fast ausschließlich aktuellen Forschungsauszügen das vorgestellte Themenfeld, wobei der ein oder andere zusätzliche Hinweis auf kuratorische Positionen der 1990er Jahre noch hilfreich gewesen wäre. Dank der interdisziplinären Ausrichtung konnten die Organisatorinnen und Organisatoren auch ihren Anspruch, theoretische und praktische Ansätze des Ausstellens miteinander zu verknüpfen, einlösen. Angesichts der hohen Qualität und inhaltlichen Vielfalt der Vorträge sollen die Ergebnisse in einer Publikation zugänglich gemacht werden.
[1] Vgl. u.a. Christian Rattemeyer (Hr.): Exhibiting the New Art. 'Op Losse Schroeven' and 'When Attitudes Become Form' 1969. (Exhibition Histories) Köln 2010; Maren Ziese: Kuratoren und Besucher. Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen. Reihe Kultur- und Museumsmanagement. Bielefeld 2010; Hans Dieter Huber/Hubert Locher/Karin Schulte (Hr.): Kunst des Ausstellens. Beiträge. Statements. Diskussionen. Ostfildern-Ruit 2002.
[2] An der Hochschule für Grafik und Buchkunst kann seit dem Wintersemester 2009 der Masterstudiengang Kulturen des Kuratorischen berufsbegleitend studiert werden. Dieser Studiengang, der sowohl das praktische Kuratieren als auch dessen theoretische Reflexion in den Mittelpunkt stellt, ist neben dem Masterstudiengang an der Goethe-Universität/Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main und dem Weiterbildenden Studium an der Ruhr-Universität in Bochum einer von insgesamt drei Studiengängen, die in den letzten zwei Jahren an deutschen Hochschulen eingerichtet wurden.
Empfohlene Zitation:
Ulrike Blumenthal: [Tagungsbericht zu:] Die Kunst auszustellen. (Institut für Kunstgeschichte + Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, 02.–04.12.2011). In: ArtHist.net, 08.03.2012. Letzter Zugriff 23.11.2024. <https://arthist.net/reviews/2870>.
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