REV 04.09.2010

Kazeem, Belinda; Martinz-Turek, Charlotte; Sternfeld, Nora (Hg.): Das Unbehagen im Museum

Rezensiert von Landkammer Nora, Zürcher Hochschule der Künste
Redaktion: Claudia Sedlarz
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„Eigentlich sollte es in diesen Hallen ständig Rütteln und nichts an seinem Platz bleiben“ schreibt Peggy Piesche über ihr Unbehagen im Museum. Dass die AutorInnen und HerausgeberInnen des 3. Bandes der Schnittpunkt-Reihe mit diesem Unbehagen nicht allein sind, zeigt schon die Tatsache, dass das Buch mittlerweile in einem Nachdruck vorliegt. Was haben die kritischen Ansätze der New Museology und die international lauter werdenden Rückgabeforderungen an ethnographische Sammlungen in der Praxis des Ausstellens von Artefakten aus Ländern, die kolonisiert wurden bewirkt? Ist ein Dekolonisieren des Museums überhaupt denkbar? „Das Unbehagen im Museum“ vereint Analysen aktueller Ausstellungspraxis, Blicke in die Geschichte, die den Fokus nicht nur auf die gewaltvolle Genese ethnologischer Sammlungen legen, sondern gerade die Momente in den Blick nehmen, in denen die Dichotomien Kolonisatoren/Kolonisierte, Subjekt/Objekt brüchig werden und Widerstand gegen das „zum Anderen Objekt gemacht werden“ sichtbar wird, und Diskussionsbeiträge, die nach Räumen dekolonisierenden Handelns im Museum fragen. Der Band ist für die deutschsprachige museologische Debatte ein Diskussionsanstoss zur Auseinandersetzung mit den Konsequenzen postkolonialer Kritik für die Ausstellungstheorie und -praxis.

Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert: ‚Ausgangspunkte’, ‚Handlungsräume’ und ‚Konfliktzonen’. Dass „Das Unbehagen im Museum“ aus einem Workshop hervorgegangen ist, ist merkbar: Gemeinsame Fragestellungen und Ausgangspunkte – wie etwa James Cliffords Entwurf des Museums als „Contact Zone“ - werden über mehrere Texte hinweg weitergesponnen und erhalten neue Wendungen. Einen Diskussionscharakter erhält das Buch auch durch zwei Beiträge, die Gespräche bzw. einen schriftlichen Gedankenaustausch wiedergeben.

Den ersten ‚Ausgangspunkt’ setzt Araba Evelyn Johnston-Arthur. Den Figuren der „Unwissenheit“ und „Neugier“, mit denen Rassismus legitimiert wird, setzt sie das bestehende Repräsentationsarchiv schwarzer österreichischer Andersheit und dessen konstitutive Funktion für die Definition des „eigenen“ entgegen. Zugleich zeigt sie auf, dass die Geschichte exotisierender, rassistischer und „objektivierender“ Zurschaustellung von Menschen auch eine Geschichte der Kämpfe von People of Color gegen das „Zum-Anderen-Objekt-gemacht-werden“ ist und findet – etwa mit dem Kampf von Josephine Soliman gegen die Ausstellung der ausgestopften Leiche ihres Vaters Angelo Soliman im k.u.k Hofnaturalienkabinett im 18. Jahrhundert – Fragmente einer Widerstandsgeschichte.

Mit einem Beitrag zur Pariser Kolonialausstellung von 1931 widmet sich Brigitta Kuster den Ambivalenzen der scheinbar klaren Rollenzuweisung in Subjekte und Objekte des Wissens. Ihre Analyse fotografischer Dokumente, Berichte und polizeilicher Akten zur Ausstellung verkompliziert die Struktur nationaler Identitätskonstruktion, die Bennet in seiner Beschreibung des exhibitionary complex herausgestellt hatte. Sie analysiert zum einen die Ambivalenz des Diskurses der „Plus Grande France“ und zeigt, wie die Dichtomie Kolonisator/Kolonisierter in der Ausstellung sichtbar in die Krise gerät. Zum anderen macht sie deutlich, dass die Rolle, die den „Indigénes“ in der Ausstellung zugewiesen wurde, keineswegs unwidersprochen blieb und zeigt das Ensemble heterogener Widerstände auf, die sich an der Ausstellung formierten. Schade ist, dass der Band vollständig auf Bildmaterial verzichtet. Gerade bei Kusters Fotoanalysen würde das Nachvollziehen, oder aber auch eine Infragestellung der Argumentation dadurch wesentlich erleichtert.

Ein dritter historischer Beitrag, von Marion von Osten und Serhat Karakayali, beschäftigt sich mit der Rolle der französischen Kolonien für die Architektur der Nachkriegsmoderne.

Mit den Effekten und Reaktionen, die postkoloniale Kritik in der aktuellen Ausstellungspraxis von Artefakten aus ehemals kolonisierten Ländern hervorruft, beschäftigen sich im Teil „Ausgangspunkte“ Belinda Kazeem und Nora Sternfeld. Während es noch immer einige ethnologische Museen gibt, die als „Konserven des Kolonialismus“ (ein Begriff, den Lothar Baumgarten für das Pitt Rivers Museum in Oxford gefunden hat) an ihren Sammlungspräsentationen festhalten, ist die repräsentationskritische Diskussion der New Museology in vielen Museen nicht folgenlos geblieben. Am Beispiel des Musèe du quai Branly analysiert Nora Sternfeld den Doppelcharakter eines neuen musealen Selbstverständnisses, das auf die Kritik reagiert, und in dem zugleich die Grundfesten des ethnologischen Diskurses unerschüttert bleiben. Während das Museum mit Materialien zur Sammlungsgeschichte und künstlerischen Interventionen Selbstreflexivität in das Ausgestellte einführt – und damit auf eine der Forderungen, die in der museologischen Diskussion immer wieder vorgebracht werden, reagiert, scheinen diese Brüche die Logik ethnologischer Repräsentation dennoch nicht zu destabilisieren; die „Lust am Exotischen“ wird weiterhin bedient. Sternfeld bringt zur Analyse dieser Neuorientierung den Begriff des Transformismus von Gramsci ein – Veränderung zum Zweck der Machterhaltung. Mit der Bezugnahme auf Gramsci soll auch deutlich werden, dass hier nicht nur Vereinnahmung der Kritik bedauert wird, sondern die Notwendigkeit der Veränderung auch auf eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse verweist: immerhin muss der Kritik nun im Museum Platz eingeräumt werden.

Belinda Kazeem analysiert in ihrem Beitrag die legitimatorischen Diskurse, die angesichts von Rückgabeforderungen an ethnologische Museen vorgebracht werden. Sie rollt die Diskussion der Rückgabeforderungen zum Anlass der Ausstellung „Benin: Könige und Rituale“ im Wiener Völkerkundemuseum 2007 auf und problematisiert die Argumente, die gegen eine Auseinandersetzung mit den Forderungen ins Feld geführt werden in ihrer Wiederholung kolonialer Muster. Sie macht deutlich, dass eine umfassende Auseinandersetzung mit Rückgabeforderungen auf internationaler Ebene die Grundlage von Entwürfen für die zukünftige Ausrichtung ethnologischer Museen sein muss. Bemerkenswert, dass in der Rubrik „Konfliktzonen“ auch die Kuratorin der Wiener Ausstellung mit einem Beitrag vertreten ist. Ihr Text illustriert aus der Innensicht die Unmöglichkeit, ein, wie sie es selbst nennt, „für alle akzeptables Ergebnis zu liefern“ – es einerseits der Kritik und andererseits den ökonomischen, institutionellen und politischen Anforderungen, alles beim alten zu lassen, gleichermassen Recht zu machen. Der Beitrag zeigt damit einmal mehr, dass eine grundsätzliche Hinterfragung und Neuorientierung ethnographischer Ausstellungspraxis nötig ist.

Eine weitere Auseinandersetzung mit aktueller Ausstellungspraxis ist unter „Konfliktzonen“ eingeordnet. Regina Wonisch die gemeinsam mit Roswitha Muttenthaler in „Gesten des Zeigens“ u.a. auch anhand der Sammlung des Naturhistorischen Museums Wien einen Beitrag zur Entwicklung eines Analyseinstrumentariums für die Herstellung von Gender und Race in Ausstellungen geleistet hat, fokussiert in ihrem Beitrag auf die Spuren des ethnographischen Diskurses im Naturhistorischen Museum.

„Wie kann die Kritik im Museum Folgen haben?“ fragt Nora Sternfeld am Ende ihres Beitrags – die Frage nach Entwürfen für einen zukünftigen Umgang mit ethnologischen Museen bleibt nach der Lektüre des Bandes im Raum; die Debatte über ‚Handlungsräume’ bewegt sich von Christian Kravagnas Beitrag über künstlerische Auseinandersetzungen mit dem ethnographischen Blick aus zunehmend aus den bestehenden Museen heraus. Peggy Piesche, Nicola Lauré al-Samarai und Belinda Kazeem teilen im virtuellen Gedankenaustausch zunächst auch ihren Pessimismus gegenüber den Möglichkeiten der Veränderung von Blickregimen in den Museen. Dem Museum als schon in sich kolonialer Institution setzen sie Entwürfe von „Contact Zones“ in mobilen, vielstimmigen Prozessen des Ausstellens und der Wissensproduktion entgegen, die von minorisierten Positionen ausgehen.

Die postkoloniale Aneignung des Konzepts „Museum“ selbst hingegen wird mit dem Projekt eines „Museums der Gegenwart“, der Maison des Civilisations et de l’Unité Réunionnaise (MCUR) auf der Insel Réunion vorgestellt. Aufgebaut auf der Zusammenarbeit mit der Bevölkerung, ist das MCUR als Verhandlungsort für die Darstellung der Gegenwart und Geschichte auf der Insel ausgerichtet. Das Museum sollte 2010 eröffnen. Das Projekt ist aber leider mittlerweile ins Zentrum einer politischen Kontroverse gerückt und wurde von der lokalen Administration gestoppt – es wurde jedoch die Gruppe MCUR, Culture, Recherche et Action gebildet, die die Arbeiten fortsetzt und nach neuen Möglichkeiten der Finanzierung sucht.[1]

Eine Neugründung eines Museums steht auch im Diskussionsbeitrag unter dem Titel „Völlig neue Formate erfinden“ im Zentrum. Das Museumsprojekt im Dorf Naka im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh wirft gerade durch die Zusammenarbeit mit europäischen Institutionen die Frage auf, was das Konzept Museum im postkolonialen Kontext bedeuten kann. Die kritischen Fragen zu Aneignungs- und Umdeutungsprozessen im Aufbau des Museums lassen sich auch auf Vergés Ausführungen zum geplanten MCUR rückbeziehen.

Als grundlegender Gedankenstrang, wenn es um Entwürfe einer dekolonisierenden Ausstellungspraxis geht, ist den Beiträgen eine Abkehr von der traditionellen Rolle der Kuratorin/des Kurators und eine Hinwendung zu multiperspektivischen, kollektiven Formen des Ausstellens und der Wissensproduktion gemeinsam. Nahe liegt es damit auch – für eine Fortführung der Debatte um Handlungsmöglichkeiten in ethnologischen Museen selbst – die Möglichkeiten für Interventionen und Auseinandersetzungen mit ethnographischen Sammlungen von der Vermittlung her in die Diskussion einzubeziehen. Als Beispiel wären etwa die performativen Interventionen der Debajehmujig Theatre Group in der Art Gallery of Ontario,[2] die BesucherInnen in eine Hinterfragung von „Authentizität“ und Konventionen des Blicks auf Objekte der first nations verwickelten, zu nennen.

„Das Unbehagen im Museum“ fordert weitere Diskussionen heraus und ist zugleich mit Texten, die auch grundlegende Kritikstränge explizieren, als Einführung lesbar. Es bleibt zu hoffen, dass der Band Folgen hat – in der theoretischen Debatte und in den Museen selbst.

[1] Artikel zur Kontroverse um das MCUR: http://www.ipreunion.com/rechercher.php?search_type=keywords&keywords=MCUR, 15.7.2010 Ein Unterstützungsschreiben findet sich auf http://eipcp.net/n/1269375145
[2] Graham, Janna und Shadya Yasin: Reframing Participation in the Museum: a syncopated Discussion. In: Museums After Modernism: Strategies of Engagement, Hg. Griselda Pollock, Joyce Zemans. Oxford 2007. S.157-172

Kazeem, Belinda; Martinz-Turek, Charlotte; Sternfeld, Nora (Hrsg.): Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, Wien: Turia und Kant Verlag 2009
ISBN-13: 978-3-85132-548-5, 234 S., EUR 22.00

Empfohlene Zitation:
Landkammer Nora: [Rezension zu:] Kazeem, Belinda; Martinz-Turek, Charlotte; Sternfeld, Nora (Hrsg.): Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, Wien 2009. In: ArtHist.net, 04.09.2010. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/reviews/284>.

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