REV-EX 03.02.2001

Gerrit Dou (1613-1675): Master Painter in the Age of Rembrandt

National Gallery of Art, Washington, 16.04.–06.08.2000
Dulwich Picture Gallery, London, 06.09.2000 - 19.11.2000
Royal Cabinet of Paintings Mauritshuis, The Hague, 09.12.2000 - 25.02.2001

Rezensiert von Dagmar Hirschfelder, Heidelberg

Die Ausstellung

Das Mauritshuis in Den Haag zeigt vom 09.12.2000 bis zum 25.02.2001 Werke des Leidener Feinmalers Gerrit Dou (1613-1675). Schon 1665 wurde dem Rembrandtschueler die erste eigene Ausstellung gewidmet, als der Kunstsammler Johan de Bye Raeumlichkeiten in einem Leidener Wohnhaus mietete, um der interessierten Oeffentlichkeit 27 in seinem Besitz befindliche Gemaelde Dous zu praesentieren. Dieser im 17. Jahrhundert aussergewoehnliche Fall zeugt von der besonderen Wertschaetzung des Kuenstlers durch seine Zeitgenossen. Sie war so gross, dass Pieter Spiering, Kunstliebhaber und Gesandter der schwedischen Koenigin, sich sogar fuer 500 Gulden im Jahr das Vorkaufsrecht auf Dous Werke sicherte.

Der im Mauritshuis gezeigten Schau, die in Washington (National Gallery of Art) konzipiert wurde und nach ihrer dortigen Praesentation zunaechst in London (Dulwich Picture Gallery) Station machte, kommt das Verdienst zu, seit der Initiative de Byes die erste Ausstellung zu sein, die sich mit Gerrit Dou befasst - einem der hoechstbezahlten hollaendischen Maler des 17. Jahrhunderts, dessen Ruhm sogar denjenigen Rembrandts uebertraf und der als Begruender der Leidener Feinmalerei gilt.

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein schaetzte man besonders Dous vollendete Maltechnik und seine Faehigkeit aeusserst realistischer und detailgetreuer Naturwiedergabe. Die Sorgfalt, mit der der Kuenstler seine Werke schuf, drueckt sich anschaulich in einem Bericht des deutschen Kunsttheoretikers Joachim von Sandrart (1606- 1688) aus: Diesem zufolge wartete Dou, bis sich der Staub um ihn herum gesetzt hatte, ehe er mit dem Malen begann.

Im Zuge der Wiederentdeckung von Malern wie Frans Hals und Jan Vermeer und der aufkommenden Begeisterung fuer impressionistische Stroemungen im spaeten 19. Jahrhundert geriet Dous Werk jedoch nicht nur in Vergessenheit, sondern wurde als trocken, pedantisch und ausdruckslos abgelehnt. Erst seit den 1960er Jahren begann sich die Kunstwissenschaft wieder ernsthaft fuer Dous Werk zu interessieren. Jan A. Emmens und in der Folge Eddy de Jongh rehabilitierten Dou als gelehrten Kuenstler, dessen Werke nicht nur die genaue Wiedergabe alltaeglicher Szenen, sondern neben allegorischen und moralisierenden Bedeutungen auch oft kunsttheoretische und philosophische Konzepte beinhalten. In den 80er Jahren wandte sich die Forschung darueber hinaus verstaerkt der Untersuchung des Verhaeltnisses von stilistischer Gestaltung und dargestelltem Sujet zu.

Um die minutioese Malweise Dous, die ihm eigene feinmalerische, ausgesprochen illusionistische Schilderung von Oberflaechenstrukturen und Lichteffekten, angemessen wuerdigen zu koennen, ist das Studium der Werke im Original unerlaesslich. Tritt man nah genug an Dous kleinformatige Gemaelde heran, verwendet dabei moeglicherweise sogar eine Lupe - wie es der Meister bei der Schoepfung seiner Werke der Ueberlieferung zufolge selbst getan hat -, so meint man, die Haerchen am Pelzbesatz eines Mantels abzaehlen, das Gewebe eines Teppichs oder Vorhangs sehen oder die Schrift aufgeschlagener Folianten lesen zu koennen.

In drei Raeumen bietet sich dem Publikum im Mauritshuis die Moeglichkeit, die Werke des Meisters aus naechster Naehe zu betrachten. In jedem Saal werden Bilder eines bestimmten Zeitabschnittes gezeigt, ohne dass die Haengung innerhalb der Raeume dabei einer strengen Chronologie folgt. Vielmehr sind die Werke neben formalen Aspekten, die etwa ihre Groesse oder die Hervorhebung einzelner Hauptwerke betreffen, zu thematischen Gruppen geordnet. So finden sich im ersten Raum neben Interieurs mit einer einzelnen Figur, bei der es sich meist um einen Gelehrten oder Kuenstler handelt, auch Selbstbildnisse, Portraets, tronies und Stillleben des Meisters. Bei vielen dieser Bilder laesst sich hinsichtlich Sujet, Komposition, Malweise, Lichtfuehrung und Farbwahl deutlich der Einfluss Rembrandts, dessen Schueler Dou von 1628-31 war, feststellen.

Aufgrund der Beruehmtheit, die Dou schon bald genoss, besass der Meister hinsichtlich seiner Themenwahl grosse Freiheit. Als Genremaler stellte er vornehmlich Szenen des alltaeglichen - meist buergerlichen - Lebens dar: der Kuenstler in seinem Atelier, der Gelehrte beim Studium, Quacksalber und Doktoren, Kuechenmaegde, Koeche oder Ladenbesitzer bei der Arbeit, junge Muetter, die ihren paedagogischen Pflichten in haeuslicher Umgebung nachkommen, Kinder beim Unterricht, musizierende Figuren und ins Gebet vertiefte Eremiten gehoeren neben weiteren Sujets zum Repertoire des Kuenstlers.

Im zweiten und dritten Raum der Ausstellung wird das Spektrum der Bildthemen jeweils um eine wichtige Innovation Dous erweitert. Dabei handelt es sich zum einen um das Motiv des steinernen Fensterrahmens mit Bruestung, der als Einfassung einer einzelnen Figur und meist stilllebenhafter Arrangements im Vordergrund dient und in vielen Faellen den Blick in ein Interieur mit weiteren Figuren freigibt. Zum anderen fuehrte Dou Nachtszenen, die von warmem Kerzen- bzw. Laternenlicht beleuchtet werden, in die Leidener Malerei ein. Statt der harten Hell- Dunkel-Kontraste, die die Nachtszenen der Utrechter Caravaggisten bestimmen, laesst Dou die Gegenstaende allmaehlich aus dem Dunkel auftauchen und wieder darin verschwinden und schafft so eine ausgesprochen atmosphaerische Wirkung. Auf die genannten Neuerungen wird nicht zuletzt im ausstellungsbegleitenden Heft hingewiesen, welches der Besucher am Eingang erhaelt. Darin finden sich grundsaetzliche Informationen zu Leben und Werk Dous: Neben einleitenden Texten zu jedem Raum, die auch in der Ausstellung selbst auf Tafeln zu lesen sind, enthaelt das Heft wichtige, klar formulierte Erlaeuterungen zu ausgewaehlten Werken, so dass dem Besucher ein bequemes Lesen der Bildkommentare ermoeglicht wird.

Im Mauritshuis werden 39 Werke Dous gezeigt, was etwas weniger als einem Drittel des Gesamtwerkes entspricht, legt man die Zahl der Dou von Ronni Baer in ihrer unveroeffentlichten Dissertation zugeschriebenen Werke zugrunde. Hinsichtlich der Anzahl der Werke waere eine groessere Auswahl begruessenswert gewesen, zumal wichtige Hauptwerke des Malers fehlen, wie z.B. das 1647 datierte Selbstbildnis aus Dresden (Staatliche Kunstsammlungen, Gemaeldegalerie Alte Meister), in welchem Dou die kuenstlerische Taetigkeit als solche zum Hauptthema der Darstellung macht.

Der Katalog

Der Katalog zur Ausstellung beinhaltet Aufsaetze zu Rezeptions- und Forschungsgeschichte (Arthur K. Wheelock, Jr.), zu Leben und Werk des Kuenstlers (Ronni Baer) und zu seiner Maltechnik (Annetje Boersma) sowie einen von Ronni Baer bearbeiteten Katalogteil, in dem die in der Ausstellung gezeigten Werke besprochen werden, und eine ausfuehrliche Bibliographie.

Arthur K. Wheelock beschaeftigt sich in seinem Beitrag mit der Beurteilung Dous durch die Kunstkritiker des 17. und 18. Jahrhunderts, dem Wandel dieser Einschaetzung im 19. sowie der Wiederentdeckung und Neubewertung des Kuenstlers im 20. Jahrhundert. Ronni Baer befasst sich mit dem Werdegang Dous in der Universitaetsstadt Leiden, wobei die Autorin nicht nur seine Beeinflussung durch Rembrandt, sondern auch die Praegung seiner Maltechnik und seines Stiles durch die Ausbildung zum Glasmaler in den Blick nimmt. Sie informiert zudem ueber die Auftraggeber des Kuenstlers, zu denen wichtige Vertreter der europaeischen Hoefe gehoerten, die Verbreitung seines Ruhmes zu Lebzeiten und die Schueler, die bei ihm in die Lehre gingen. Des weiteren behandelt Baer das Spektrum der bei Dou vorkommenden Themen sowie spezifische Charakteristika seiner Kunst, zu denen neben bestimmten Motiven und den kleinen Formaten auch die Maltechnik des Meisters gehoert. Letztere diskutiert Annetje Boersma ausfuehrlicher anhand zweier juengst restaurierter Gemaelde Dous. Neben seiner Grundierungstechnik, der Verwendung bestimmter Farben und den Alterungsprozessen der Gemaelde werden Dous Farbauftrag, der in mehreren duennen Schichten erfolgte, sowie die in den Werken feststellbaren Pentimenti untersucht.

Sowohl die Aufsaetze von Wheelock und Baer als auch die Bildbesprechungen im Katalogteil beschaeftigen sich mit den intellektuellen Konzepten und moralisierenden Inhalten, die Dous Genrebilder praegen. Eine ausfuehrliche Untersuchung spezifischer Themen oder Motive bzw. formaler Gestaltungselemente des Meisters erfolgt jedoch nicht. So haette z.B. ein Beitrag zu Dous Selbstverstaendnis als Kuenstler und seine Umsetzung dieses Themas im Bild oder etwa zu Form und Bedeutung des von ihm eingefuehrten Fenstermotivs einen tieferen Einblick in das Kunstverstaendnis des Meisters gewaehren koennen. Bedauerlich ist auch, dass im Katalog weder genauer ausgefuehrt wird, welchen Einfluss Dou auf seine Schueler und Nachfolger ausuebte, noch die Bedeutung der juengeren Kuenstlergeneration fuer Dous eigene Kunst thematisiert wird. So bleibt auch ein Erklaerungsversuch hinsichtlich der Frage, warum der Meister in seinem Spaetwerk innovative Neuerungen eines Jan Vermeer oder Pieter de Hooch nicht aufnimmt, aus. Der stilistischen Entwicklung Dous wird ebenfalls kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Obwohl der Ausstellungskatalog nicht wesentlich ueber die bisherige Forschung hinausgeht, vermittelt er dem Leser doch einen guten Ueberblick ueber den aktuellen Kenntnisstand hinsichtlich Leben und Werk des Feinmalers Dou und liefert zudem eine ausfuehrliche Bibliographie, die die wesentlichen Publikationen zum Thema auffuehrt. Gewiss traegt die Haager Schau zur Aufwertung eines Kuenstlers bei, dessen interessantes Oeuvre lange Zeit von der Forschung vernachlaessigt und von der Oeffentlichkeit kaum beachtet wurde.

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Website: http://www.mauritshuis.nl

ICOM Virtual Library Museums Pages Germany http://www.icom.org/vlmp/germany.html
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WWW-Virtual Library Museen http://www.hco.hagen.de/museen.htm

Baer, Ronni; Wheelock, Arthur K.; Boersma, Annetje (Hrsg.): Gerrit Dou. 1613 - 1675. Master painter in the age of Rembrandt, New Heaven, Conn. [u.a.],Washington, DC: Yale University Press 2000
ISBN-10: 0-300-08369-6, 159 S.

Empfohlene Zitation:
Dagmar Hirschfelder: [Rezension zu:] Gerrit Dou (1613-1675): Master Painter in the Age of Rembrandt (National Gallery of Art, Washington, 16.04.–06.08.2000). In: ArtHist.net, 03.02.2001. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/24353>.

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