REV 17.11.2008

Michaela Neubert: Franz Joseph Spiegler 1691-1757

Rezensiert von Hecht Christian, Weimar
Redaktion: Livia Cárdenas
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Franz Joseph Spiegler ist wohl der letzte der großen süddeutsch-österreichischen Freskanten, dem bisher noch keine große wissenschaftliche Monographie gewidmet wurde, sieht man ab von einer ungedruckten Bonner Dissertation aus dem Jahr 1952 sowie einigen, z.T. sogar romanhaften Texten. Ein Grund für diese Zurückhaltung der Forschung ist leicht zu erkennen: Zwar ist die herausragende Qualität der Fresken und Altarblätter Spieglers schon auf den ersten Blick wahrnehmbar, ihre Inhalte sind jedoch nicht leicht zu erfassen. Das gilt besonders für Spieglers unumstrittenes Hauptwerk, die Freskierung der Benediktinerklosterkirche Zwiefalten. Vor allem: Wer auch immer sich Spiegler widmet, wird mit allen Hauptproblemen der Barockforschung konfrontiert. Es seien nur zwei Stichworte genannt: „Gesamtkunstwerk“ und „Dekorationssysteme“.

Wie es heute fast die Regel ist, geschieht eine überwiegender Teil der kunsthistorischen Grundlagenforschung in Dissertationen – so auch hier: Das vorliegende, lang erwartete Buch ist die überarbeitete Fassung einer vor einiger Zeit abgeschlossenen Würzburger Dissertation, die wiederum auf eine Magisterarbeit zu den Zwiefaltener Fresken zurückgeht. Überblickt man die jährlich veröffentlichten Dissertationstitel, so kann man von vornherein erkennen, welch tiefer Graben sich durch die Themen zieht. Auf der einen Seite steht die Masse der modischen, oftmals nur aus Sekundärem schöpfende Kompilationen, auf der anderen Seite eine doch beachtliche große Zahl von quellengestützten Grundlagenarbeiten. Zu letzteren zählt auch die Arbeit von Michaela Neubert. Ein Hauptverdienst der Verfasserin ist es, alle im Moment erreichbaren Archivalien zusammengetragen zu haben. Einen erheblichen Teil der betreffenden Dokumente hat sie vollständig oder in relevanten Auszügen ediert. Gerade diese Leistung kann nicht hoch genug veranschlagt werden.

Am Beginn des Buches steht ein kurzer Überblick zu Quellenlage und Forschungsstand (S.13-21). Bereits hier nennt die Verfasserin das Grundkonzept ihrer Arbeit: Sie versucht, anhand der signierten und datierten Gemälde ein einigermaßen stabiles Grundgerüst für die Chronologie von Leben und Werk Spieglers Arbeit zu geben. Der inhaltliche Teil wird dementsprechend mit einem kurzen Überblick zu Leben und Werk des Malers eröffnet. Bereits hier wird die Verbindung zu Johann Caspar Sing erwähnt, kurfürstlichem Hofmaler in München und Spieglers Großonkel. Der Titel eines Hofmalers täuscht ein wenig, denn Sing war vor allem in ganz Süddeutschland als Maler von Altarblättern bekannt, erwähnt sei etwa sein Dreikönigsbild im Passauer Dom. Die Figuren Sings zeigen nicht nur hier einen durchaus expressiven Stil und eine fast übertriebene Gestik. Auch wenn Spiegler immer für andere Einflüsse offen war, besitzen doch viele seiner frühen Altarblätter einen mit Sing verwandten Charakter. Spiegler geht jedoch sofort über die Art seines Großonkels hinaus, dessen dunkle Palette er deutlich aufhellte. Nicht zuletzt ist Spiegler eine wesentlich lebendigere Figurenbildung eigen, die er jedoch bruchlos mit der schon für Sing typischen Expressivität verbindet.

Den ersten großen Hauptteil des vorliegenden Buches bildet die Behandlung der Tafelbilder Spieglers (S. 34-94). Die Verfasserin gliedert die Werke in drei größere Zeitabschnitte 1721–1729, 1730–1740/41 sowie bis 1755. Diese Unterteilung bietet sich jeweils wegen einiger Hauptwerke problemlos an, etwa wegen der Altarblätter für die Deutschordenskirche von Merdingen (1740/41), die eine deutliche Steigerung zu den früheren Arbeiten bilden.

Das Zentrum des Buches sind trotz der großen Bedeutung der Tafelbilder die langen Abschnitte über die Fresken (S. 95-257). Und in deren Zentrum steht die Freskierung der Bendiktinerklosterkirche der Reichsabtei Zwiefalten (S. 183-242). Mit großer Sorgfalt und sehr genau den Bildstrukturen Spieglers folgend beschreibt die Verfasserin die Fresken. Ein wenig überrascht dabei ihre ikonographische Zurückhaltung, vor allem beim Langhausfresko. So wird man etwa die Identifizierung des zentralen Marienbildes als dasjenige von S. Benedetto in Piscinula in Rom (S. 211, Anm. 1161) kaum bezweifeln. Das Bild wird nicht nur mit dem legendarischen Aufenthalt des hl. Benedikt in Rom verbunden, sondern erscheint etwa auch in Karl Stengels weitverbreitetem „Hodoeporicum Mariano-Benedictinum“ (Augsburg 1659, vor S. 11), und zwar in ziemlich derselben Gestalt wie bei Spiegler. Die entscheidenden Charakteristika sind der Stern auf der linken Schulter Mariens und das kleine Kreuz in der Hand Christi. Zum Vergleich sei auch ein, allerdings erst 1784 erschienener Stich der Firma Klauber genannt, der das römisch-benediktinische Marienbild im Zentrum zeigt, umgeben von vier weiteren benediktinischen Gnadenbildern (Mariazell, Einsiedeln, Wessobrunn und Ettal). Auch ist die von Hubert Hosch vorgeschlagene Identifizierung des an der Zwiefaltener Decke dargestellten französischen Königspaares mit Chlodwig und Clothilde durchaus überzeugend, zumal die Taufe des Frankenherrschers mit dem späteren Benediktinerkloster St. Remi in Reims verbunden ist. Spiegler selbst hat diese Taufe auf einem großformatigen Altarbild in Merdingen gezeigt. Aber der Schwerpunkt der Autorin liegt nicht auf dem ikonographischen Gebiet, sondern in der Beschreibung der Form, besonders schön zu sehen bei der abschließenden Würdigung des Freskos (S. 214-215). Außer Zwiefalten werden natürlich auch die weiteren Fresken Spieglers behandelt, unter denen besonders dasjenige der Magnuskapelle in Gossenzugen hervorzuheben ist (S. 242-245). Leider ist gerade dieses besonders qualitätvolle Werk nur schlecht erhalten, weshalb es nicht leicht ist, die Zeitstellung dieses Freskos sicher zu bestimmen. Ausführlich behandelt werden auch die umfangreichen Fresken der Damenstiftskirche zu Säckingen (S. 246-257). Der gegenüber Zwiefalten eigentümlich veränderte Modus dieser Werke kann immer wieder überraschen. Spiegler wird erstaunlich schnell, wenn man so sagen will, klassizistisch. Man fühlt sich an den ähnlichen Umschwung im Werk von Franz Anton Maulbertsch erinnert.

In die Untersuchungen zu den einzelnen Werken sind jeweils allgemeinere Abhandlungen eingeschoben, etwa zur Bildertheologie (S. 235-237) oder zum Verhältnis Spieglers zur venezianischen Malerei. Ausgehend von ihren Beschreibungen schließt die Autorin auf eine Beeinflussung Spieglers u.a. durch Giovanni Battista Piazetta. Dieser Sichtweise wird man nur zustimmen können, zumal die venezianischen Vorbilder im Süddeutschland des mittleren 18. Jahrhunderts allgemein präsent waren.

Ein eigener Abschnitt wird den Ölskizzen Spieglers gewidmet (S. 261-287). Sie werden von der Verfasserin ausführlich gewürdigt. Sie ist sich über der Problematik der Arbeiten ausdrücklich im klaren (bes. S. 263-264) und vernachlässigt weder die Funktionsfrage – Entwurf oder „ricordo“? – noch die Zuschreibung. Während eine beachtliche Zahl von Ölskizzen Spieglers erhalten sind, gibt es von ihm keine gesicherte Zeichnung, weshalb die Verfasserin nur einige abwägende „Anmerkungen zum mutmaßlichen Zeichenstil Franz Joseph Spieglers“ einschiebt (S. 288-291).

Nach der Analyse der einzelnen Werke und Werkkomplexe bildet der chronologisch aufgebaute Werkkatalog den zweiten Hauptteil des Buches (S. 510-568). Die Genauigkeit, mit der ihn die Verfasserin bearbeitet hat, ist wirklich staunenswert. Hier hat sie eine Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit Spiegler gegeben, zumal sie auch die ihrer Erkenntnis nach fälschlich zugeschriebenen Werke behandelt. Ebenso wichtig ist die bereits genannte Edition der bekannten Schriftquellen zu Leben und Werk Spieglers (S. 569-606). Es folgen die Bibliographie sowie das Personen- und Ortsregister. Schön wäre allerdings auch ein ikonographisches Register gewesen.

Aber wie bereits erwähnt liegen die Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit eher im Erfassen des Bestandes und im Bereich der Stilgeschichte – im besten Sinne verstanden. Man wird daher vor allem über Spieglers Bildprogramme noch weiter nachdenken können. Man findet bei ihm eine Vertiefung der inhaltlichen Konzepte, wie sie für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zwar typisch war, die aber bis heute kaum beachtet wird. Zum Vergleich sei jedoch an eine Reihe großer Thesenblätter etwa der Familie Klauber erinnert. Es ist nicht zuletzt die Stärkung der historischen, ja archäologischen Aspekte, die sich mit den traditionellen Bildformen aufs engste verbinden. Ein Beispiel bietet etwa die Freskierung im Zwiefaltener Psallierchor. Hier werden Ereignisse aus der Katholikenverfolgung des 16. Jahrhunderts in England gezeigt. Ebenso wichtig wird mindestens seit dem späten 17. Jahrhundert auch die Stärkung der alttestamentlichen Themen, die jedoch erstaunlicherweise bei Spiegler weniger stark vertreten sind. Leider fehlen aber für die genauere Untersuchung und Deutung dieser bemerkenswerten Entwicklungen nicht selten die theologischen Grundlagen, da sich die Theologiegeschichte dem 18. Jahrhundert so gut wie gar nicht zugewandt hat. Fehlen aber die dogmatischen Grundlagen, so kann man auch die entsprechende Predigtliteratur nur eingeschränkt verstehen. So unangenehm diese äußeren Einschränkungen auch sind, bleibt doch für die Kunstgeschichte die Betrachtung der erhaltenen Werke die vorrangige Aufgabe. Und diese Aufgabe hat die Verfasserin hervorragend gelöst. Damit hängt ihr gut lesbarer Stil eng zusammen, sie pflegt eine sachliche und unaufgeregte Sprache. Wie so oft ist auch hier Verwendung der alten Rechtschreibung ein Qualitätsmerkmal.

Trotz der großen Anerkennung, die die vorliegende Arbeit ohne Einschränkung verdient, wird man doch einige kleine Punkte nicht unerwähnt lassen dürfen. Manchmal fällt es nicht ganz leicht, den Gedankengängen zu folgen, weil es allgemeine Verweise auf frühere Aussagen oder gar auf spätere gibt, die nicht durch konkrete Seitenangaben konkretisiert werden – in der Art von: „wie noch zu zeigen sein wird“. Und sicher wäre es gut gewesen, die Transkription der einen oder anderen Quelle anhand der Originale zu überprüfen. Das gilt etwa für die Wiedergabe der Zwiefaltener Programmfragmente (S. 599-601), die nach der leider nicht ganz fehlerfreien Edition von Kreuzer zitiert werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Mit der Formulierung „in lexico Universali. Cypsiensi“ dürfte wohl ein Leipziger – „Lypsiensi“ – Universallexikon gemeint sein, also wohl der „Zedler“. Vielleicht hätten auch die doch durchaus scharfsinnigen und nicht leicht widerlegbaren Thesen, die man in den Spiegler-Aufsätzen von Hubert Hosch findet, eine intensivere Würdigung verdient. Manches scheint hier recht barsch abgewiesen zu werden (z. B. S. 213, Anm. 1169). Dennoch merkt man, wie sehr gerade die materialreichen Arbeiten von Hosch für die vorliegende Arbeit wichtig gewesen sind. Ein wenig schade ist es auch, wenn es nicht einmal bei einer so gewichtigen und großen Publikation gelingt, die bekannten Werke auch vollständig abzubilden. Dieses Monitum geht allerdings nicht an die Verfasserin, sondern an diejenigen potentiellen Geldgeber, die in ihrer – hier folgt ein nichtveröffentlichungsfähiges Wort – nicht bereit waren, ihre dicken Brieftaschen einmal für ein sinnvolles Projekt zu öffnen. Trotzdem darf man auch dem Verlag danken, denn das vorliegende Buch entspricht wieder dem gewohnten hohen Standard des Anton H. Konrad Verlags. Auf jeden Fall wird die Arbeit von Michaela Neubert in den nächsten Jahren die wichtigste Referenz zum Werk Spieglers bleiben.

Neubert, Michaela: Franz Joseph Spiegler 1691 - 1757. die künstlerische Entwicklung des Tafelbildmalers und Freskanten, Weißenhorn: Anton H. Konrad Verlag 2007
ISBN-13: 978-3-87437-487-3, 632 S, EUR 78.00

Empfohlene Zitation:
Hecht Christian: [Rezension zu:] Neubert, Michaela: Franz Joseph Spiegler 1691 - 1757. die künstlerische Entwicklung des Tafelbildmalers und Freskanten, Weißenhorn 2007. In: ArtHist.net, 17.11.2008. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/231>.

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