REV 23.01.2003

Christian Kravagna (Hg.): Das Museum als Arena

Rezensiert von Dorothee Richter, Zürich
Redaktion: Claudia Sedlarz

Die vorliegende deutsch/englische Anthologie fuegt sich in eine Reihe neuer Veroeffentlichungen ein, die die Epoche der 90er Jahre als eine Phase der Repolitisierung der Kunst kunstwissenschaftlich evaluieren. Dabei hinterfragt der Band die These von den 90er Jahren als Jahrzehnt politischer Kunst insofern als er vorfuehrt, dass sich das politische/kritische Anliegen von Kunst von den 60er Jahren an kontinuierlich artikulierte. Er stellt sich gegen die gaengigen Einteilungen, die vereinfachend die Kunstpraxis der 80er Jahre als bildzentriert beschreiben und die 90er als dominiert von politisierter Kontextkunst.

Der Herausgeber Christian Kravagna beschreibt in seiner kurzen Einleitung Museen als "keineswegs ideologiefreie Zonen". Im Band "Das Museum als Arena" wird die Geschichte der Institutionskritik in Kuenstlermanifesten, Interviews und Essays seit 1967 nachvollzogen. Die vorliegenden Beitraege beginnen mit dem Jahr 1967 (Allan Kaprow) und enden mit einem Beitrag von Alice Creischer und Andreas Siekmann von 1997.

Die aelteren Beitraege lesen sich zum Teil erfrischend aktuell: Etwa Allan Kaprows Statement zum Status des Museums: "Doch heute scheint man sich darum zu bemuehen, die Dinge in den Museen zum Leben zu erwecken; die ganze Idee des Museums tendiert mehr zu einer Art spezialisierter Unterhaltung. Es setzen sich zunehmend die Aspekte einer Diskothek durch und immer weniger die Aspekte der Kunst." Die Forderungen der Art Workers' Coalition, gegruendet 1963 in New York, stellen ein Beispiel fuer die Manifeste dar, die sich u.a. fuer bessere Bedingungen fuer die kuenstlerische Arbeit und fuer eine Demokratisierung und Dezentralisierung der Kunst einsetzen: "Der Aufsichtsrat aller Museen soll zu je einem Drittel mit Museumsangestellten, GeldgeberInnen und KuenstlerInnen besetzt werden [...]".

Einige KuenstlerInnen stellen konkrete Interventionen und Aktionen vor, wie Michael Asher fuer das Museum of Contemporary Art in Los Angeles 1979 oder Marcel Broodthaers, der die Entstehung seines ‚Département des Aigles, Musée d'Art Modernes' schildert (1969). Die zuerst spontanen Treffen in seinem Atelier reicherte er mit ikonographischen Verweisen auf Funktionen des Museums an (z.B. Transportkisten als Sitze). "Und wie Marcel Duchamp sagte: ‚Dies ist ein Kunstobjekt' habe ich im Grunde gesagt: ‚Dies ist ein Museum', mit diesem immerhin sehr grossen Unterschied, dass ich nach einem Jahr das ganze Zeug dem Transportunternehmen zurueckgebracht habe." - Aus der historischen Rueckschau wissen wir, dass es auch Broodthaers nicht ganz gelungen ist, seinen dekuvrierenden Ansatz von der Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb freizuhalten.

Eine weitere Kategorie unter den Beitraegen stellen die Auseinandersetzungen der KuenstlerInnen mit den Museen, Galeristen und Ausstellungsmachern dar. Waehrend bei Hans Haacke die "Provisorischen Bemerkungen zur Absage meiner Ausstellung im Guggenheim Museum, New York", von 1972 noch unversoehnlich klingen, werden bei den zeitgenoessischen Auseinandersetzungen diese mitunter gleich in die Kataloge integriert, wie zum Beispiel der Briefwechsel von Dorit Margreiter, Mathias Poledna, Florian Pumhoesl mit Stephan Schmidt-Wulffen im Katalog "Backstage. Topologie zeitgenoessischer Kunst", Hamburg 1993. In der Auseinandersetzung (deren Status durch die Veroeffentlichung in die Naehe des Status eines Kunstwerks geraet) ging es darum, dass die Kuenstler Margreiter, Poledna und Pumhoesl ihren Beitrag zur Ausstellung ‚Backstage' in drei Teilen unkommentiert praesentieren wollten: im Katalog als Inserat, als Zeitungsinserat und als Display in der Ausstellung. Sie wollten keine zusaetzliche Erklaerung oder Kommentierung im Katalog dulden: "Haben wir Sie richtig verstanden, so halten Sie unseren Vorschlag fuer einen Eingriff in Ihre territoriale Hegemonie (Vermittlung)." Der Ausstellungsmacher Schmidt-Wulffen weist den Vorwurf der autoritaeren Haltung zurueck und argumentiert mit der Verweisstruktur des Ausstellungsbetriebes ueberhaupt: "Ist die Vorstellung, der Kommentar koenne das Projekt als eine Art Metasprache uebertrumpfen, es dadurch eingrenzen und banalisieren, angemessen? - Ich glaube, nein. Zum einen erfuellt der Kontext, wie ich schon geschrieben habe, bereits die Funktion, die Sie dem Kommentar anlasten. Als "Werk" wird das Ganze ohnehin kennbar und muss es auch werden, wenn es seinen allgemeinen Anspruch (Hinweis auf das Dispositiv Kunstverein etc.) einloesen soll. Ausserdem gehoert dieses Uebertrumpfen, Ergaenzen, Hinzufuegen zum Kern der Institution, die sie sich zum Thema machen. Der Diskurs, den Sie so oft erwaehnen, hat gerade diese Form eines kontinuierlichen Uebertreffens und keineswegs den Charakter einer synchronen Verkettung." Damit geben die vier Beteiligten im Katalog nicht nur die inhaltliche Debatte zu sehen, sie thematisieren auch das Konkurrenzverhaeltnis von Kuenstler und Ausstellungsmacher, das im zeitgenoessischen Kunstgeschehen latent vorhanden ist. Beinahe am erstaunlichsten daran ist, wie nahe aneinander die Art des Sprechens und der Argumentation liegen.

Bei einigen der neueren Beitraege kommt es zu einer strukturellen Untersuchung des Wandels im zeitgenoessischen Kunstbetrieb, besonders interessant dabei ist "Eine Kartographie. Vom White Cube zum Ambient" (1999) von Stefan Roemer. Dabei kritisiert er die "unverbluemte Instrumentalisierung der Kultur fuer einen ungebremsten Oekonomismus" und stellt die These auf, dass die Korporatisierung des oeffentlichen Raumes von einer Wandlung des Repraesentationsmodells des White Cube zum Ambient begleitet wird. Ambient wird hier verstanden als Ausstellungform, bei der "die Gestaltung eines Umraums, einer bestimmten Atmosphaere oder eines Milieus die Praesentation eines singulaeren Kunstobjektes ersetzt." Die Ambientformen unterscheidet er milde ironisch als aktivistisch angehauchtes Info-Ambient und ein auf Unterhaltung ausgerichtetes Party-Ambient.

Auch die Untersuchung von Alice Creischer und Andreas Siekmann (1997) stellt Aspekte der aktuellen Kunstproduktion kritisch in Frage, in Auszuegen: SERVICES (Dienstleistung), mit der Vermutung, dass KuenstlerInnen (genannt werden Andrea Fraser und Maria Eichhorn) damit einen Beitrag zur funktionierenden Top-down-Kommunikation in Museen und Betrieben leisten - mit Top-down-Kommunikation ist die neueste, effektivste Methode des Personalmanagements in Betrieben gemeint. Die kuenstlerische und kuratorische VERMITTLUNGSTAETIGKEIT, wird kritisiert als eine Art Labelling-Maschine von "fremden" Inhalten, die parasitaer funktioniert. Damit ist sowohl die kuratorische Taetigkeit gemeint, die nach einer Phase der Selbstermaechtigung wieder eine hierarchische Struktur einfuehrt. Auch der Bereich der KOMMUNIKATION wird kritisch betrachtet, der zunaechst vom Beduerfnis gepraegt schien, den Anschluss an aktuelle Theorie zu aktualisieren, im Laufe der weiteren Entwicklung aber zu einer ikonographischen Situation erstarrte, einem Arrangement von Sitzmoebeln, die eher ein Vorwand fuer Design sind, denn als tatsaechliches Angebot zu nutzen waeren.

Diese kurzen Beispiele moegen genuegen, um zu zeigen, dass das Buch fuer alle AkteurInnen der aktuellen Kunst eine ausgesprochen anregende und interessante Zusammenstellung darstellt, trotz einiger erstaunlicher Luecken bei der Auswahl der Beitraege, so fehlen historische Beitraege von Fluxus-Kuenstlern, von den Situationisten und auch von feministischen Gruppierungen wie den Guerilla Girls.

Die Publikation enthaelt Beitraege von: Christian Kravagna (Vorwort); Allan Kaprow; Robert Smithson; Joseph Beuys; Joan Jonas; Mierle Laderman Ukeles; Art Workers' Coalition; Guerilla Art Action Group; Michael Asher; Marcel Broodthaers; Daniel Buren; André Cadere; Hans Haacke; Adrian Piper; Les Levine; Tom Marioni; Cildo Meireles; Stephen Willats; Rasheed Araeen; Martha Rosler; Allan McCollum; Judith Barry; Andrea Fraser; Dorit Margreiter, Mathias Poledna, Florian Pumhoesl im Briefwechsel mit Stephan Schmidt Wulffen; Mark Dion; Jimmie Durham; Fred Wilson; Peter Friedl; Stefan Roemer; Rainer Ganahl; Alice Creischer, Andreas Siekmann.

Kravagna, Christian (Hrsg.): Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen,artists on institutional critique (= Texte), Köln: Verlag Walther König 2001
ISBN-10: 3-88375-478-1, 145, 173 S

Empfohlene Zitation:
Dorothee Richter: [Rezension zu:] Kravagna, Christian (Hrsg.): Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen,artists on institutional critique (= Texte), Köln 2001. In: ArtHist.net, 23.01.2003. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/reviews/222>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^