REV-CONF 17.09.2019

VI. Doktorandenforum Kunstgeschichte des östlichen Europas

Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin, 03.05.2019

Bericht von Alona Dubova, Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktion: Livia Cárdenas

Tagungsbericht im Auftrag des Veranstalters.

Zum sechsten Mal veranstaltete die Professur für Kunstgeschichte Osteuropas der Humboldt-Universität zu Berlin am 3. Mai 2019 das „Internationale Doktorandenforum Kunstgeschichte des östlichen Europas“. Die einleitend in den Raum gestellte Frage, ob das jährlich stattfindende Forum nach fünf Durchgängen obsolet geworden sei, wurde allein durch die Anwesenheit von rund 70 Teilnehmenden im Festsaal der Humboldt Graduate School deutlich verneint. Die 84 eingereichten Exposés aus mehr als 20 Ländern, welche mit Genehmigung der Autor*innen auf der Internetseite des Doktorandenforums veröffentlicht sind, zeigen, dass der Bedarf nach einem Forum dieser Art größer denn je ist und es sehr wünschenswert wäre, wenn das Format auch weiterhin fortgeführt würde. [1]

Das Programm bestand aus neun Referaten in vier Panels und einem Block mit Kurzvorstellungen der Dissertationsprojekte aller anwesenden Doktorand*innen. Beides gab in der Zusammenschau erneut Einblicke in die aktuellen Zugänge und Forschungsschwerpunkte in Bezug auf die Kunstgeschichte des östlichen Europas. Den Fragestellungen der Referate zu Folge – und die Kurzpräsentationen bestätigten das – scheint sich das Forschungsinteresse noch stärker hin zur Kunst- und Bildgeschichte des 19. bis zum 21. Jahrhundert zu verlagern. Im Gegensatz zu den früheren Durchgängen des Doktorandenforums war allerdings die sonst breit vertretene Auseinandersetzung mit Konstruktionsprozessen nationaler Identitäten deutlich weniger vertreten. Stattdessen lag in diesem Jahr der Fokus auf einzelnen Kunstschaffenden, künstlerischen Institutionen und ihren Verflechtungen sowie auf Formierungen von Berufsbildern, Stilen oder städtebaulichen und architektonischen Strukturen, die im Hinblick auf ihre politischen, gesellschaftlichen und historischen Implikationen und Funktionen untersucht wurden. Die Vielfalt der Forschungsgegenstände hat eine Entsprechung in den methodischen Zugängen. Diese reichen von archivalischer Grundlagenforschung über biografische und sozialhistorische Zugänge bis zur Diskussion des Einsatzes und des Erkenntnispotentials digitaler Datenverarbeitung und -visualisierung.

Das erste Panel fokussierte das Spannungsfeld zwischen politischen Institutionen des sozialistischen Staates und einzelnen Künstler*innen beziehungsweise Künstler*innengruppen in den 1960/70er Jahren. Deirdre M. Smith (Austin) stellte die Frage danach, was Arbeit im sozialistischen Zagreb bedeutete und welche Rolle der*die Künstler*in als Arbeiter*in im Staat einnahm. Die Referentin untersuchte hierfür die Arbeiten von Mladen Stilinović, Miroslav Šutej und Goran Trbuljak. Ziel des Forschungsprojektes sei es, an deren unterschiedlichen Haltungen gegenüber dem politischen System den verschiedenen Vorstellungen von Kunst als Arbeit und ihrer Koexistenz im Sozialismus nachzugehen. Dabei soll mit der üblichen Lesart, nach der künstlerisches Schaffen als ein Akt des Widerstandes begriffen wird, gebrochen werden. Stattdessen soll ein neues Verständnis für das kritische Potenzial der Künstler*innen, und zwar aus dem Begriff der Arbeit heraus, gewonnen werden. Vera Otdelnova (Moskau) näherte sich dem Problem aus der Gegenperspektive. Gegenstand ihrer Forschung ist der Verband der bildenden Künstler*innen Moskaus („Moskovskij Sojuz hudozhnikov“), dessen Aktivität sie anhand der Ausstellung „Moskauer Künstler zu Ehren Lenins“ (1970) exemplarisch vorstellte. Indem die Künstler*innen dem propagandistischen Anspruch der Ausstellungskommission auszuweichen suchten, habe sich ein Stil etabliert, der sich durch eine gewisse formale und thematische Monotonie und Uniformität auszeichnete. Dieser entzöge sich bis zu einem gewissen Grad dem Sozialistischen Realismus, habe aber denselben Ursprung im politischen System und der darin reglementierten Ästhetik.

Die im zweiten Panel vorgestellten Forschungsprojekte nähern sich mit kunstsoziologischen Fragestellungen ihrem Gegenstand. Mithilfe prosopografischer Auswertung archivalischer Quellen möchte Tomáš Korbel (Prag) die Gruppe der Architekt*innen in Böhmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrer sozio-professionellen Struktur und Hierarchie rekonstruieren. Anhand der Architekten Josef Hlávka und Josef Korel zeigte er, wie ihm dazu feingliedrige Biogramme dienen, in denen soziale Herkunft, Ausbildung, Karriereverlauf und professionelles Selbstverständnis nachgezeichnet und kontextualisiert werden. Sanja Sekelj (Zagreb) verbindet in ihrem Forschungsprojekt Big-Data- und Netzwerkanalyse, um die Kunstgeschichte als verflochtenen Raum aus persönlichen, sozialen und raumzeitlichen Beziehungsstrukturen anschaulich zu machen. Gegenstand der Untersuchung ist die Kunstszene in Kroatien der 1990er und frühen 2000er Jahre. Die Referentin stellte computergenerierte Visualisierungen zur Diskussion, die Daten auswerten, die ihrerseits aus Archiven, Onlineressourcen und Interviews zu Personen, Objekten, Institutionen sowie Ausstellungen zusammengetragen wurden. Mit der Dokumentation ihres eigenen Vorgehens zielt sie auf eine Kritik der Grenzen und Möglichkeiten der digitalen, kunsthistorischen Netzwerkanalyse. Darüber hinaus beabsichtigt sie den unterrepräsentierten osteuropäischen Raum in die digitale Kunstgeschichtsforschung einzubringen.

Die Referierenden des dritten Panels untersuchten jeweils aus einer Mikroperspektive heraus grundlegende soziale und gesellschaftliche Transformationsprozesse des 19. Jahrhunderts in Litauen und Bulgarien. Marius Daraškevičius (Vilnius) studiert hierfür die Esszimmer litauischer Gutshäuser, die er als räumliche Zentren aristokratischen Soziallebens und als Kommunikationsmedium, vermittels ihrer Gebräuchlichkeit, Form und Rezeption, bestimmte. Die Analyse dieser Räumlichkeiten in Form und Ausstattung, ihre Umgestaltungen nach französischem oder italienischem Vorbild im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts und ihre Differenzierung entlang der aristokratischen Hierarchie gäben Aufschluss über die Entwicklungen der litauischen Aristokratie nach der polnisch-litauischen Union und unter der russischen Vorherrschaft und damit über die Bedeutung europäischer Modernisierungsprozesse für die litauische Nobilität. Ani Kodzhabasheva (New York) präsentierte anhand von Aquarellen, Fotografien und Stadtplänen sowie einer stilistischen und funktionalen Analyse eines osmanischen Konaks in Sofia exemplarisch, wie sich Herrschaftsverhältnisse dreier imperialer Mächte im physischen Material manifestierten. Sie argumentierte, dass die jeweils als osmanisch, russisch und habsburgisch begriffenen Überformungen als dezidierte Versuche betrachtet werden könnten, imperiale Ansprüche und deren Kontinuität im Stadtbild gestalterisch auszudrücken. Von dieser Betrachtung aus wurde ein spannungsreicher Bogen zwischen der Vorstellung vom imperialen Stil und Nationalstil geschlagen.

Die Beiträge des vierten Panels hinterfragten schließlich bestehende kunsthistorische Narrative und Begriffe. Das erste Referat schloss unmittelbar an die Frage nach der Materialisierung politischer und ideologischer Konzepte in Architektur an. Antony Kalashnikov (Oxford) bestimmte historisierende und neoklassizistische Formen der stalinistischen Architektur als zukunftsgerichtete Argumente. Die Wahl von beständigem und wertvollem Baumaterial gleichermaßen wie die Verwendung der vertrauten Formensprache der historistischen Baustile wertete er als einen Versuch, vermeintlich zeitlose, unvergängliche Formen für zukünftige Generationen zu schaffen. Sie lediglich in ihrer propagandistischen Funktion zu betrachten, sei daher zu kurz gegriffen. Eleanor Rees (London) zog thematisch einen Bogen zum zweiten Panel in der Auseinandersetzung mit einem Berufsfeld. Gegenstand ihrer Forschung sind die Kino-khudozhniki, d. h. die Szenenbildner in der Zeit der Professionalisierung der russischen respektive sowjetischen Filmindustrie. Mit der Analyse von Set-Designs untersuchte die Referentin, wie zeitgenössische Diskurse um Industrialisierung, Materialität oder Medien in den Szenografien thematisiert und wie darüber das ideologische Potenzial der Kinos ausgeschöpft wurde. Unter Berücksichtigung der spezifischen Expertise der Kino-khudozhniki in der Bühnenbildgestaltung, der Technik und in den bildenden Künsten könnten, so die Ausgangsthese, Kontinuitäten im Übergang vom imperialen zum frühsowjetischen Kino aufgedeckt und so eine herkömmliche historische Periodisierung aufgebrochen werden. Simona Bérešová (Berlin) schloss mit einem Vortrag, in dem sie den Begriff der Moderne in seiner Polarität infrage und seine Pluralität zur Diskussion stellte. Sie thematisierte damit einen zentralen Aspekt ihres Dissertationsprojekts zur Rolle der Fotografie an der Slowakischen Kunstgewerbeschule in Bratislava, die 1928 gegründet wurde und die sich als praxisorientierte, moderne Einrichtung präsentierte. Ausgehend von der Rekonstruktion administrativer Strukturen, der Analyse des Lehrprogramms, der fotografischen Praxis und den Formen der öffentlichen Präsentation differenzierte und diskutierte die Referentin das Moderneverständnis der Lehrenden in Bezug zur Volkskunst sowie zu nationalen und internationalen Diskurs um die Moderne. Den Abschluss der Veranstaltung bildete ein Empfang in der Galerie ŻAK | BRANICKA, der durch eine Einführung in die Ausstellung „Haptic Aphorisms“ durch den Künstler Dominik Lejman bereichert wurde.

Die regen Gespräche während der Paneldiskussionen, in den Pausen und in der Galerie bestätigten erneut die Bedeutung des alljährlichen Doktorandenforums für die Vernetzung der Doktorand*innen gleichermaßen wie für den wissenschaftlichen und fachlichen Austausch in der Forschung zur Kunstgeschichte des östlichen Europas. Die Veranstalterinnen sind daher für die erneute finanzielle Unterstützung durch die Böckler-Mare-Balticum-Stiftung, die Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderte Netzwerk CENTRAL dankbar.

Das vollständige Tagungsprogramm findet sich unter:
http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/wp-content/uploads/2019/04/Doktorandenforum_2019_Programmflyer_Auswahl.pdf

Empfohlene Zitation:
Alona Dubova: [Tagungsbericht zu:] VI. Doktorandenforum Kunstgeschichte des östlichen Europas (Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin, 03.05.2019). In: ArtHist.net, 17.09.2019. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/21509>.

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