REV Sep 18, 2001

Ken Friedman (Hg.): The Fluxus Reader

Reviewed by Andreas Haug
Click to enlarge

Der Fluxus Reader wartet mit einer großen Bandbreite an Themen auf. In den vierzehn Texten - darunter zwei ‚O-Töne‘, d.h. Interviews mit George Maciunas bzw. dessen Witwe - wird Fluxus aus den unterschiedlichsten Richtungen betrachtet. Nach drei historischen Überblicken (die 60er, die 70er, danach) werden Themen wie Fluxus und Zen, Fluxus als Laboratorium, Fluxus und die Postmoderne (Beaudrillard) oder auch Fluxus und die Langeweile als absichtliches Stilmittel untersucht.

Im Zentrum des Buches stehen dabei zwei theoretische Texte zu Fluxus, die zum einen vom Fluxuskünstler und -denker der ersten Stunde Dick (Richard) Higgins, zum anderen von Ken Friedman selbst stammen. Beide Texte wurden bereits an anderer Stelle veröffentlicht, sind aber gerade in ihrem Nebeneinander interessant, da Friedman mit einem 12-Punkte Fluxus-Katalog direkt auf einen früheren 9-Punkte-Plan von Higgins Bezug nimmt. Während Higgins mit der Erfahrung der frühen europäischen Fluxus-Festivals die Bewegung aus der historischen Situation zu Beginn der 60er Jahre beschreibt, greift Friedman einige dieser Überlegungen auf, legt sie aber vor dem Hintergrund einer vorangeschrittenen Zeit neu aus. Bei Higgins tritt dem Leser daher ein Fluxus entgegen, das sich insbesondere in einer strikten Abgrenzung gegenüber dem Abstrakten Expressionismus formuliert. Mittel, um sich davon abzusetzen sind Intermedia, d.h. die Auflösung der Gattungen, um mit Mischformen neues Terrain zu erkunden und verbunden damit Experimentalismus und Ikonoklasmus. Aber auch die Reduktion der Mittel spielt eine wichtige Rolle, jene besondere Form von ‚Minimalismus‘, die in Richtung Arte Povera weist und gleichermaßen der Abgrenzung gegen Happening und Multimedia wie auch der Entwicklung einer für Fluxus typischen linearen ‚Gag‘-artigen Struktur dient (vgl. Maciunas- Interview). Vielfach von Cage beeinflusst, versucht Fluxus eine Kunst, die den Autor hinter- fragt, das Werk ephemer werden lässt und mit viel Humor auf eine Überwindung der Grenzen zwischen Kunst und Leben hin- arbeitet.

Ken Friedman war seit 1966 u.a. als Leiter von Fluxus West/ Kalifornien (bis 1975) aktiv und hat sich außerdem um Fluxusausstellungen und -sammlungen verdient gemacht. Er übernimmt von Higgins die Ansicht, dass Fluxus bereits in den Anfängen eine internationale Kunstbewegung war. Er beschreibt dies unter dem Stichwort „Globalism“ und nennt dabei die Vorzüge von Fluxus, die er vor allem in der Fähigkeit zum Dialog, im Eintreten für mehr Demokratie und gegen die Bildung von Eliten sieht. Friedman erkennt in der Welt, die Fluxus seiner Meinung nach anstrebt, vielfach eine Umsetzung buddhistischer Grundsätze. Außerdem sieht er in jenem besonderen Ansatz von Fluxus, vertreten z.B. durch Nam June Paiks Manifest zu einem „Utopian Laser Television“(1962), letztlich auch die Grundlage für das Internet mit seiner Verheißung eines gleichberechtigten Zugangs zu Information.

Heute als Professor am "Departement of Knowledge Management" in Oslo tätig, beschreibt Friedman Fluxus in vieler Hinsicht aus einer naturwissenschaftlichen bzw. wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive. So bescheinigt er Fluxus, die "scientific method"(248) auf die Kunst übertragen zu haben und geht u.a. mit einem der Wissenschaftsgeschichte (Occam’s Razor, 249) entlehnten Ideal von ‚simplicity’ an Fluxus heran. Dabei verliert er jedoch an einigen Stellen wichtige künstlerische Grundlagen von Fluxus aus den Augen. So spricht sich Friedman für einfache und ‚elegante’ Lösungen in der Kunst aus, vergisst jedoch, dass Higgins die Eleganz eines Duchamp fuer Fluxus gerade ablehnt, oder er beschreibt die Aufführung eines Musikstücks eher aus der Perspektive der Frage nach der wissenschaftlichen Verifizierbarkeit als auf der Folie der Frage von Interpretation. Darüber hinaus argumentiert Friedman immer wieder mit dem Begriff der Transformation. Dieser steht bei ihm per se für einen Wechsel der Paradigmen, und wird Fluxus als grundlegende Eigenschaft zugesprochen: "The essence of Fluxus has been transformation"(239).

Wie diese Einschätzung finden viele der Ansichten von Friedman in anderen Texten des Readers ein Echo. Craig Saper etwa nimmt das gemeinschaftliche Arbeiten von Fluxus auf und vergleicht es mit den Laboratorien größerer Unternehmen. Aus dem Genius des Autors wird so bei Fluxus eine "networked community"(139), die letztlich auch den Betrachter am ‚interaktiven’ Entstehungsprozess des Werkes beteiligt. Obwohl Saper gerade, was die Fluxusfilme betrifft, in sehr überzeugender Weise kunsthistorisch argumentiert, wird der Bereich einer Fluxusästhetik insgesamt in seinem Text durch Thesen zu "disseminating knowledge" und die "social situation of learning"(137) fast vollständig überdeckt.

Den Vergleich von Fluxus mit dem Zen-Buddhismus greift David T. Doris auf. Für die Fluxus-Literatur stellt dies zunächst einmal einen Glücksfall dar. Es gelingt Doris nämlich, viele Eventanleitungen direkt auf besondere Techniken von Zen, auf bestimmte Göttercharaktere oder auch auf buddhistische Dichtungen zu beziehen. Fluxus rückt auf diese Weise erstaunlich nahe an die fernöstliche Religion heran. Der Nachteil dieser Betrachtungsweise ist jedoch, dass Doris die Seiten von Fluxus vernachlässigt, die von dieser Strömung abweichen. So wandte sich Higgins etwa mit dem Vorwurf der Selbst-Destruktivität gegen La Monte Youngs (Schmetterlings-) Composition #5. Er machte zugleich ein „Danger“-Konzept stark, das u.a. auf eine politische Agitation der Zuschauer/-hörerInnen hinarbeitete und sich darin in vieler Hinsicht mit der politischen Ausrichtung von Maciunas deckt. Diese andere Strömung innerhalb Von Fluxus unterscheidet sich aber deutlich von zen-buddhistischen Zielvorstellungen, wie sie Doris z.B. in Form einer angestrebten Bewussten Leere oder als Forderung nach der Aufhebung aller dualistischen Kategorien beschreibt.

Probleme mit George Maciunas – Mitbegründer und Hauptorganisator von Fluxus – tauchen aber auch dort auf, wo es insbesondere um eine Fortschreibung der Fluxus-Geschichte geht. Die Kunsthistorikerin Hannah Higgins etwa extrapoliert ein ganzes "Maciunas-based paradigm" (34ff.), womit zunächst einmal eine Sicht auf Fluxus kritisiert wird, die Maciunas als das Maß aller Fluxus-Dinge ansetzt. So berechtigt diese Kritik auch ist, sie gerät hier zunehmend zu einer Anklage gegen Maciunas als Person, dessen Haltung schließlich sogar als "precisely terrorist" angegriffen wird. Hannah Higgins wertet dabei die Tatsache zu wenig, dass Fluxus gerade keinen zweiten Breton (vgl. Dick Higgins) haben wollte. Obwohl sich der Text durch umfangreiches Fachwissen auszeichnet, gewinnt man hier zunehmend den Eindruck, als werde an der Person von Maciunas gefeilt, damit sich Fluxus besser als ein frühes Modell von Gleichberechtigung und Demokratie in die Gegenwart hinüberretten ließe.

Eine kritische aber auch würdigende Auseinandersetzung mit „Mr. Fluxus“ ist im Ansatz am besten dem Text von Owen Smith gelungen, der zugleich eine glaenzende Darstellung der Geschichte der Fluxus-Publikationen (einschließlich der Fluxus-Yearboxes) bis 1968 vorlegt. Darüber hinaus zeichnet Smith auch verantwortlich für die ausführliche und hervorragend recherchierte Dokumentation zu Fluxus am Ende des Buches.

Im Zentrum des Bandes steht jedoch, bei aller fruchtbaren Diskussion von Einzelproblemen, eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Untersuchungen darüber, ob Fluxus mehr als ein eklektizistisches Moderne-Konglomerat (Stephen C.Foster) ist oder der Versuch einer Parallelisierung von Fluxus mit einem postmodernen Denker wie Baudrillard (Nicholas Zurbrugg) weisen darauf hin: Wo steht Fluxus historisch?

Am deutlichsten wird diese Frage im Aufsatz von Estera Milman untersucht, die dabei im Grunde zugleich auch die beiden Positionen von Dick Higgins und Ken Friedman mitdiskutiert. Ihr Ansatz geht dabei von einem Vergleich zwischen Dada und Fluxus aus, wobei sie weniger auf inhaltliche Bezüge (die im Reader mehrfach bestritten werden) als auf ein bestimmtes Verhalten der beiden ‚Kunst‘-Strömungen eingeht. Fluxus und Dada positionieren sich demnach zunächst einmal als außerhalb der Kunst stehend, als Un-Kunst, bei Fluxus vor allem als Anti-HighArt. Um sich jedoch dennoch als starke Bewegungen präsentieren zu können, stellen sie sich zudem als über- besser als „transhistorisch“ (155ff.) dar. So behauptet Dada einen Dada-Geist oder -Spirit, bei Fluxus wird Fluxattitude bzw. Fluxism genannt, was keine geschichtliche Entstehungszeit kennt, im Grunde schon immer da war und daher natürlich auch weiterhin existieren wird. Diese De-Kontextualisierung gegenüber einer historischen Situation deutet Milman als eine Dada und Fluxus gemeinsame Strategie der Selbst-Installierung im Kunst- betrieb der Moderne.

In der Kunst nach 1945 war von Dada vor allem diese trans- historische fast mythische Komponente und ein Ruf „to be the limit of the extremely crazy in art“ (D. Higgins, 159) übrig, und Milman kann nachweisen, dass Kritiker etwa seit der Mitte der 50er Jahre fast jeder neuen Kunstrichtung den Begriff des Neo-Dada anprobierten. Künstler wie Jasper Johns, Robert Rauschenberg oder Andy Warhol und eben auch Fluxus (hier z.T. selbstgewählt) bekamen dies zu spüren. Was Dada zu dieser Zeit brauchte, um wirklich als das, was es war weiterzuleben, war eine erneute Positionierung im Kunstbetrieb, diesmal allerdings als historische Bewegung, und diese Re-Kontextualisierung (Milman) wurde vielfach von den einstigen Dadaisten selbst betrieben.

In diesem Zusammenhang kann man dann auch den 9-Punkte-Plan von Dick Higgins sehen, dessen ausgewiesener Anspruch es ist, Fluxus-Werke und -Künstler bestimmbar, auch bewertbar zu machen. Seine Anstrengungen gehen aber noch weiter: Indem er hier das Modell des hermeneutischen Zirkels auf die Fluxus-Performance anwendet, sucht er eine Möglichkeit, Fluxus verstehbar – besser (für Fluxus in seinen Anfängen noch undenkbar), es als KUNST verstehbar zu machen. Friedman setzt dagegen neu an, und er hat dabei den Anspruch, die Geschichte von Fluxus fortzuführen. Seine Akzente setzt er daher wieder mehr auf den transhistorischen Aspekt von Fluxus. So beginnt er seinen Artikel mit Fluxismus bei Heraklit, bei den Zen-Mönchen des 14. Jahrhunderts usw. Darüber hinaus versucht Friedman, wie bereits beschrieben, Fluxus aus seiner innersten Struktur heraus als Zeiten überschreitend und damit auch als zeitlos zu beschreiben.

Insgesamt weist sich der Fluxus Reader also durch eine beachtliche Vielzahl von Ansätzen und verbunden damit durch eine große Menge an z.T. ganz neuen Ansichten und Informationen zu Fluxus aus. Was darüber hinaus beim Lesen allerdings auffällt, lässt sich zu der These verdichten, dass innerhalb des Readers zwei unterschiedliche Verhaltensweisen gegenüber Fluxus existieren. Oft trifft man beide Tendenzen gleichzeitig in einem Text an, zumeist behält jedoch eine davon durch unterschiedliche Gewichtung am Ende die Oberhand:

Auf der einen Seite steht die Bekenntnis zur Historizität von Fluxus, verbunden mit dem Versuch, Fluxus besser versteh- bzw. einschätzbar zu machen und es damit als Teil der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zu begreifen. Das hat eigentlich zum Ziel, dass Fluxus die Wertschätzung erhält, die es verdient, und dass es auf diese Weise mit einer deutlichen Physiognomie ausgestattet wird, mit der es Einfluss auf kommende Kunstbewegungen haben kann. Auf der anderen Seite steht der zunächst einmal berechtigte Versuch, Fluxus in einem neuen zeitgemäßen Gewand weiterzuführen. Was dabei an dieser Haltung auffaellt, ist jedoch, dass sie die Vorstellung einer historischen Beschreibung von Fluxus offenbar als hinderlich für die Fortsetzung von Fluxus empfindet. Das führt an einigen Stellen zu einer Preisgabe des historischen Fluxus gegenüber den Neuansätzen. Ein zeitgenössisches Fluxus muss sich daher mit der Frage der Relation von Gewinn und Verlust auseinandersetzen, denn sonst läuft es Gefahr, als Ganzes mit der Zeit immer gesichtsloser zu werden.

Friedman, Ken (Hrsg.): The Fluxus Reader, Chichester: Academy Editions 1998
ISBN-10: 0-471-97858-2, X, 307 S

Recommended Citation:
Andreas Haug: [Review of:] Friedman, Ken (Hrsg.): The Fluxus Reader, Chichester 1998. In: ArtHist.net, Sep 18, 2001 (accessed Jan 14, 2025), <https://arthist.net/reviews/211>.

Creative Commons BY-NC-NDThis work is licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International License. For the conditions under which you may distribute, copy and transmit the work, please go to https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/

^