In juengster Zeit sind aus einem aktuellen Forschungsschwerpunkt am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universitaet Hamburg, der sich mit der Bedeutung des Materials in der Kunst des 20. Jahrhunderts befasst, mehrere einschlaegige Veroeffentlichungen hervorgegangen. [1] Unter ihnen hat das Buch von Christian Fuhrmeister, dem seine Dissertation am Fachbereich Kulturgeschichte und Kulturkunde der Universitaet Hamburg zugrunde liegt, einen exemplarischen Charakter. Es beteiligt sich weniger daran, den Rahmen der Forschungsrichtung und damit das Spektrum der involvierten theoretischen Ansaetze oder der kuenstlerischen Positionen und Materialien
abzustecken. Der Autor untersucht vielmehr - indem er verschiedene kunsthistorische Verfahrensweisen kombiniert - beispielhaft einen wichtigen Materialkomplex, naemlich Stein, in einem konkreten, politisch signifikanten Verwendungszusammenhang, den Denkmalssetzungen zwischen 1918 und 1945. Fuhrmeister thematisiert dabei die Bedeutung, die dem Material Stein jeweils in seinen natuerlichen und seinen kuenstlichen Formen zugewiesen wurde. Die Materialikonographie nimmt "nicht allein die neuen, meist aus alltaeglichen Zusammenhaengen stammenden Stoffe der Gegenwartskunst, sondern auch die traditionsreichsten kuenstlerischen Materialien wie Farbe, Stein oder Bronze" [2] ins Visier. Fuhrmeisters Materialwahl erweist sich dabei als ein Schnittpunkt beider Forschungsstraenge, an dem die Untersuchung des althergebrachten Baustoffs Naturstein und seiner in neuerer Zeit entwickelten Alternativen zusammenfliessen. Waehrend von den schon im Buchtitel benannten Steinarten Beton und Klinker charakteristische Materialien des industrialisierten Bauens sind, hat Granit eine denkbar lange Verwendungsgeschichte. Aber erst der Vergleich beider Traditionen, wie ihn der Autor fuer die 1920er bis 30er Jahre durchfuehrt, zeigt das explosive Spannungsfeld damaliger traditionalistischer und modernistischer Materialentscheidungen auf.
Im Hauptteil des Buchs stehen drei Denkmaeler zur Debatte, die zur Zeit der Weimarer Republik entstanden und im Nationalsozialismus veraendert oder beseitigt wurden: das Maerzgefallenen-Denkmal von Walter Gropius in Weimar, das Revolutionsdenkmal von Ludwig Mies van der Rohe in Berlin- Friedrichsfelde und das Schlageter-Denkmal von Clemens Holzmeister in Duesseldorf. Damit verhandelt die Studie gerade solche Werke, die sich - wie der Autor voraussetzt - als abstrakte oder architektonische Denkmaeler nur bedingt ueber ihre Formensprache mitteilen. Zwar gewaehrleistet auch das Material an sich keine verbindlichen Lesarten der Monumente.
Allerdings machen sich daran Bewertungen, Zuschreibungen, Bedeutungen und Umwertungen durch Auftraggeber, Kuenstler, Fachpublikum, Politiker und Oeffentlichkeit fest, so dass schliesslich das jeweilige Material die Aussage eines abstrakten Denkmals massgeblich bestimmt. Diesem Transfer an Botschaften spuert der Autor im Detail nach. Was sich ueber weite Strecken wie eine spannende detektivische Rekonstruktion der Motive liest, wie es zu diesen brisanten Denkmaelern, aber auch zu ihrer Zerstoerung oder Anpassung an opportune Massstaebe kommen konnte, basiert auf ausgedehnten Recherchen. Christian Fuhrmeister hat eine Fuelle an schriftlichen und fotografischen Indizien in einer grossen Bandbreite von Archiven entdeckt, vom Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin Preussischer Kulturbesitz zum Archiv des Landwirtschaftsmuseums Hoesseringen, von der Library of Congress Washington D. C. zum Archiv der Inselgemeinde Langeoog. Genauestens nahm er den heutigen Befund am jeweiligen Denkmalsort auf, untersuchte ergaenzend landesweit Vergleichsobjekte und entdeckte dabei auch zahllose in Vergessenheit geratene Denkmalssetzungen eine beachtliche Sammlung zur Breitenwirksamkeit und Intensitaet bestimmter Materialwertungstraditionen.
Gestuetzt auf diese vielfaeltigen Quellen weist der Materialikonograph eine Alternative auf zu ikonologischen Denkmalsanalysen, fuer die die Intention eines nicht-figuerlichen Werks zu offen ist. "Mit zunehmender Abstraktion wird die inhaltliche Bindung an das historische Bezugsereignis immer schwerer nachzuvollziehen [...] Entscheidend ist die Eindeutigkeit der Bildaussage", heisst es beispielsweise in der Mitte der 80er Jahre herausgegebenen Hamburger Broschuere zur Wanderausstellung "Steine des Anstosses". [3] Fuhrmeister erlaeutert, warum und auf welche Weise die Materialikonographie gerade bei Erkenntnisproblemen wie den dort formulierten ansetzt: "Die Offenheit der abstrakten Formen fuer Bedeutungszuweisungen erfaehrt [...] durch das Material zugleich gewisse Einschraenkungen [...] Vor dem Hintergrund der sich in Denkmaelern manifestierenden politischen Sinnstiftung ist somit auszuloten, inwieweit auch das Material selbst durch Auftraggeber und Rezipienten politisch aufgefasst und konzeptualisiert wurde" (S. 13). Dieses Programm wird an den drei genannten Denkmaelern exemplarisch durchgefuehrt. Ausfuehrliche Exkurse bieten darueber hinaus vielfache Anhaltspunkte, die Erkenntnisse aus der Bedeutungsanalyse von Beton, Klinker und Granit in den 1920er und 30er Jahren auf andere Werke der Zeit zu uebertragen.
Zur Veranschaulichung sei an einem der Denkmaeler skizziert, wie der Autor des Buchs vorgeht: Ueber die abstrakte Form des 1922 eingeweihten Maerzgefallenen-Denkmals, eines Grabmals fuer neun bei einer Kundgebung gegen den Kapp-Putsch erschossene Arbeiter, aeusserte sich die kunstgeschichtliche Forschung immer bemerkenswert vieldeutig. Fuhrmeister fragt sich nun, ob die Moeglichkeiten fuer "eine groessere Praezision in der Bestimmung des politischen Gehalts des Denkmals" (S. 24) nicht vielleicht in seinem Material liegen. Eine eindeutige Stellungnahme etwa durch eine entsprechende Inschrift oder andere unmissverstaendliche Kennzeichen an dem Monument sei unter dem starken oeffentlichen Druck voelkisch-nationalistischer Kreise in Weimar nicht machbar gewesen. Dennoch habe das Werk in seinem Kontext eine klare politische Dimension entfaltet. Wie diese von Gropius, seinen Auftraggebern und der zeitgenoessischen Rezeption gepraegt wurde, leuchtet die vorliegende Studie im Einzelnen aus. Noch zu erforschen bleibt allerdings der Anteil der Kuenstler, die beim Maerzgefallenen-Denkmal mit Walter Gropius zusammenarbeiteten wie beispielsweise Alfred Forbat oder Farkas Molnar. [4]
Zunaechst beschreitet Fuhrmeister selbst den Weg der Formanalyse und stellt fest, dass es sich bei der vertikalen Hauptform des Denkmals entgegen den vielfach tradierten Interpretationen als Kristall um die Darstellung eines Blitzes "als Signum gewaltsamen und ploetzlichen gesellschaftlichen Umbruchs" (S. 51) handelte. Eine damit korrelierende Aussage des Baumaterials Beton leitet er dann aus der Rezeption des Monuments ab. Aus den damaligen Materialdeutungen liessen sich die Positionen der politischen Kraefte der Zeit ablesen. Die darin inbegriffenen Konfrontationen fuehrten in letzter Konsequenz, so laesst sich schlussfolgern, 1936 zurZerstoerung des Denkmals im Auftrag des Stadtbauamts.
Die ausgedehnte Befragung zeitgenoessischer Quellen durch den Autor zeigt einen so breiten "Assoziationshorizont" (S. 118) zum Material Beton auf, dass vor allem deutlich wird, wie voellig kontraere Ideologisierungen es zu vereinnahmen suchten. Zum konkreten Fall des Weimarer Denkmals fanden sich nur wenige zeitgenoessische Aeusserungen, in denen sein Baumaterial als politische Metapher fungierte. Unter ihnen stellt der Autor besonders die Position Emil Friedrichs heraus. Der Vorsitzende des Gewerkschaftskartells und damit Sprecher der Bauherren habe es verstanden, die neuartige, starke und dauerhafte Bindung der Sandkoerner im Beton mit den Eigenschaften einer neuen, einer kollektiven Gesellschaftsform gleichzusetzen. Gerade dieses metaphorische Verstaendnis als einen der ausschlaggebenden Faktoren fuer die Zerstoerung des Denkmals werten zu koennen, ist am Ende fuer den Autor eine Frage der erfolgreicheren Definitionsmacht. Innerhalb des historischen politischen Spektrums "erscheint die 'sozialistische' Betondeutung Friedrichs als die ueberzeugendere Bedeutungszuweisung, weil sie besser in der Lage ist, tatsaechliche Materialeigenschaften an gesellschaftliche Phaenomene zurueckzubinden. Die 'nationalsozialistische' Betondeutung hingegen kann den Gegensatz von 'Produkt neuester technischer Errungenschaft' und 'ewiger Kraftquelle' nicht ueberbruecken." (S. 119) So gesehen war es den Denkmalsbefuerwortern durchaus gelungen, das Material fuer ihre Belange am deutlichsten aussagefaehig zu machen - was unter entgegengesetzten politischen Vorzeichen dem Werk dann zum Verhaengnis wurde.
Auch im Zusammenhang der anderen Denkmaeler und Materialien, die die Untersuchung einbezieht, liegt bei der Lektuere des Buchs der groesste Gewinn darin, wie reichhaltig Bedeutungszuweisungen quer durch die politischen Lager der 1920er und 30er Jahre erschlossen und wie differenziert sie einander gegenuebergestellt werden. Dadurch verdeutlicht sich die Wirksamkeit von Materialkonnotationen als nicht zu uebergehender, konstitutiver Bestandteil eines Kunstwerks. Auf der anderen Seite verneint das Buch zu Recht eine vorschnelle Identifikation bestimmter Materialien mit bestimmten politischen Inhalten. Diese Illusion eines fuer jede historische und gesellschaftliche Situation jeweils gleich abrufbaren Sinngehalts macht es gruendlich zunichte. Mit dem Ertrag, dass Kontinuitaeten und Umwertungen mancher Deutungstraditionen auch heute erkennbar werden.
[1] ABC des Materials. Blaetter des Archivs zur Erforschung der Materialikonographie (hg. von Monika Wagner). Hamburg: Christians Verlag 1998-2001. - Monika Wagner: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne. Muenchen: Verlag C. H. Beck 2001. - Monika Wagner und Dietmar Ruebel (Hg.): Material in Kunst und Alltag (Hamburger Forschungen zu Kunstgeschichte. Studien, Theorien, Quellen, Bd. 1). Berlin: Akademie Verlag 2002. - Lexikon des kuenstlerischen Materials. Werkstoffe der modernen Kunst von Abfall bis Zinn (unter Mitarbeit zahlreicher Autoren herausgegeben von Monika Wagner, Dietmar Ruebel und Sebastian Hackenschmidt). Muenchen: Verlag C. H. Beck 2002.
[2] Wagner 2001, S. 11 (wie Anm. 1).
[3] Harold Marcuse, Frank Schimmelpfennig, Jochen Spielmann: Steine des Anstosses. Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in Denkmalen (hg. vom Museum fuer Hamburgische Geschichte). Hamburg 1985.
[4] Vgl. Eva Bajkay-Rosch: Die KURI-Gruppe, in: Hubertus Gassner (Hg.): Wechselwirkungen. Ungarische Avantgarde in der Weimarer Republik (Ausst. Neue Galerie Kassel, 09.11.1986 - 01.01.1987 und Museum Bochum, 10.01. - 15.02.1987). Marburg 1986, S. 262-263.
Fuhrmeister, Christian: Beton, Klinker, Granit. Material macht Politik ; eine Materialikonographie, Berlin: Verlag für Bauwesen 2001
ISBN-10: 3-345-00715-0, 334 S
Recommended Citation:
Monika Wucher: [Review of:] Fuhrmeister, Christian: Beton, Klinker, Granit. Material macht Politik ; eine Materialikonographie, Berlin 2001. In: ArtHist.net, Nov 8, 2002 (accessed Dec 22, 2024), <https://arthist.net/reviews/210>.
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