REV-CONF 24.01.2019

Neue Tendenzen der Italienforschung zu Mittelalter und Renaissance

Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut, 03.–04.12.2018

Bericht von Jasmin Sawicki, Kunsthistorisches Institut in Florenz / Ruhr-Universität Bochum
Redaktion: Livia Cárdenas

Bericht im Auftrag der Veranstalter

Wo steht die Italienforschung heute – 130 Jahre nach der Gründung des ersten deutschen Historischen Instituts in Italien? Mit welchen Fragestellungen und Untersuchungsgegenständen des italienischen Raumes beschäftigt sich der Nachwuchs? Unter dieser Prämisse präsentierten zwölf Doktorand*innen und Postdoktorand*innen ihre Projekte auf dem interdisziplinären Nachwuchsworkshop, der zum dritten Mal unter Leitung von Ingrid Baumgärtner (Kassel), Klaus Herbers (Erlangen-Nürnberg), Alessandro Nova (Florenz/Frankfurt), Gerhard Wolf (Florenz/Berlin) und Kordula Wolf (Rom) am Kunsthistorischen Institut in Florenz stattfand. In fünf Sektionen wurden inhaltliche, theoretische und methodische Fragen diskutiert und reflektiert.[1]

Eingangs betonte Klaus Herbers die nach wie vor elementare Rolle des binationalen Austausches zwischen Deutschland und Italien auf dem Feld der Italienforschung vor dem Hintergrund sich zusehends globalisierender Wissenschaftssysteme. Neben der thematischen Entgrenzung der Fächer und einer stetig wachsenden internationalen Vernetzung sei es nicht weniger wichtig, die Zugangsweisen, Forschungstraditionen und methodischen Orientierungen der jeweiligen Nationen im Auge zu behalten, um daraus Kompetenzen für eine fruchtbare Diskussion globaler Fragen zu entwickeln.

In der ersten Sektion zur Antiken- und Vergangenheitsbewältigung lenkte Nicole Pulichene (München) die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass frühmittelalterliche Consulardiptychen, deren ursprüngliche Funktion es war, an den Aufstieg eines römischen Beamten ins Konsularamt zu erinnern, den Rezipienten in den folgenden Jahrhunderten die Möglichkeit boten, einen Bezug zwischen dem vergangenen römischen Imperium und den neu aufstrebenden kaiserlichen sowie kirchlichen Mächten herzustellen. Die Manipulation der Inschriften auf den Innenseiten der Elfenbeintafeln zeuge von einer umfassenden Auseinandersetzung mit den Themen der Gemeinschaft und der imperialen Identität, weshalb die Untersuchung dieser Objekte untrennbar mit dem Verhältnis von deren Wiederverwendung zu Fragen der Textualität, der mündlichen Überlieferung und der Memoria verbunden sei. Vincenzo Sorrentino (Pisa) analysierte den Einsatz von Kopien nach Michelangelos Skulpturen in der Selbstinszenierung der Florentiner Familie Riccio in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Dekoration zweier Kapellen in Florenz und einer weiteren in Neapel mit michelangelesken Werken habe nicht nur die enge Beziehung zwischen Luigi del Riccio und Michelangelo selbst repräsentiert, sondern ebenso die Sichtbarkeit der Familie in beiden Städten verstärkt. Darüber hinaus sei die Auswahl stets mit politisch motivierten Positionierungsstrategien verknüpft gewesen: So sei die um 1550 in Florenz aufgestellte Kopie nach der Pietà Michelangelos aus dem Vatikan Teil der Ausformung einer römischen Identität gewesen und könne als ein Manifest für die Republik verstanden werden, während die Wahl des „Cristo della Minerva“ für Santo Spirito um 1575 als Loyalitätsbekundung gegenüber Cosimo I. verstanden werden müsse.

In der zweiten Sektion fokussierten drei Beiträge unterschiedliche Facetten aus der Geschichte des Papsttums. Caterina Cappuccio (Wuppertal) untersuchte die Rolle der päpstlichen Kapläne und Subdiakone in den Auseinandersetzungen zwischen Gregor IX. und Friedrich II. in der Lombardei (1227-41). Auf der Basis einschlägiger Quellenanalysen rekonstruierte sie die Profile von fünf maßgeblich involvierten Akteuren, um zu verdeutlichen, dass den Mitgliedern der päpstlichen Kapelle unterschiedliche Aufgaben zustanden. Während einige Amtsträger lediglich päpstliche Schreiben an die „rectores“ der „societas Lombardie“ in Mailand übermittelt hätten, seien andere wie Gregor von Montelongo, 1238 bis 1252 päpstlicher Legat in der Lombardei, aktiv an der Konfliktlösung beteiligt gewesen. Gerd Micheluzzi (Wien) veranschaulichte, dass die ‚Schattenlosigkeit’ der Schattenheilungen Petri Cimabues in der Oberkirche von San Francesco in Assisi (um 1279) und Deodato Orlandis in San Piero a Grado (um 1300) nicht auf ein künstlerisches Defizit zurückzuführen ist, wie dies im Gegensatz zu Masaccios Umsetzung des Themas (1424-27) bisher häufig konstatiert wurde. Die Darstellungen bezögen sich vielmehr auf einen am Quadriportikus von Alt-St. Peter angebrachten Petruszyklus (um 1277-79) sowie einen bisher unbeachteten Passus der Legenda Aurea. Damit folgten sie einem lokal-dualistischen Funktionsprinzip, welches einerseits auf die Steigerung der Attraktivität als Pilgerstätte abzielte und andererseits das römisch-petrinische Primat propagierte. Tiziana Danelli (Mailand) unterstrich in ihrem Beitrag die Relevanz einer ausführlichen Analyse der „litterae gratiae“ und „litterae execuroriae“ im Register Nikolaus’ V. für eine umfassendere Untersuchung des machtpolitischen Netzwerks des Gegenpapstes. Unter Berücksichtigung der quellenspezifischen Problematik könnten die Gnadenakte und Vollstreckungsbefehle der gegenpäpstlichen Kanzlei (1328-29) neue Erkenntnisse über die Verbindungen des Gegenpapstes zu Ludwig IV., zu den „fratres rebelles“ sowie zu weiteren, bisher unbekannten weltlichen und geistlichen Herren liefern.

In der dritten Sektion über Orden und Gelehrte kontextualisierte Lena Marschall (Hamburg) das in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandene Lignum Vitae-Fresko aus dem Chiostro Verde in Santa Maria Novella mit der Tradition dominikanischer Ordensgenealogien. Bei dieser Darstellung handle es sich um eine ikonographische Symbiose des traditionellen, auf Bonaventuras Traktat basierenden Lignum Vitae-Schemas und der „alberi francescani“ des frühen Cinquecento, wodurch das Florentiner Fresko zur dominikanischen Adaption einer franziskanischen Ikonographie und zum Schlüsselwerk für die Entwicklung späterer Ordensgenealogien wurde. Die gestalterische Überlagerung zweier Modelle habe zudem die Übertragung der Christiformitas des Heiligen Franziskus als einem zentralen Element franziskanischer Spiritualität auf den Heiligen Dominikus ermöglicht. Clemens Freiherr von Gumppenberg (Eichstätt) unterbreitete den Vorschlag, die Matrimonialconsilia des Albrecht von Eyb (1420-75) einer Neubewertung zu unterziehen und diese als Zeugnis eines nordalpinen Rezeptionsprozesses oberitalienischer Gelehrtenkultur zu verstehen. Die heute in Eichstätt verwahrten Consilia ermöglichten nicht nur Rückschlüsse auf das Eheverständnis, die Rechtsprechung und die Umsetzung matrimonialer Rechtsnormen im 15. Jahrhundert, sondern es stelle sich aufgrund der Italienaufenthalte des fränkischen Gelehrten auch die Frage, welche Rolle dieser für den deutschen Frühhumanismus und den Kulturtransfer des römischen Rechts in der juristischen Argumentation nördlich der Alpen gespielt habe.

In der vierten Sektion lag der Schwerpunkt auf den Funktionen von Bildern. Zuerst warf Mirko Vagnoni (Fribourg) die Frage auf, ob die bildliche Manifestation des königlichen Körpers in Sizilien (1130-1266) als Teil einer machtpolitischen Kommunikationsstrategie im Sinne eines „instrumentum regni“ verstanden werden könne. Nicht nur die geringe Anzahl der Bildwerke, das Fehlen jeglicher Hinweise darauf in zeitgenössischen Chroniken und das nur sporadische Interesse des Königs für sein eigenes Bild, sondern auch die stark eingeschränkte Sichtbarkeit der Bilder sowie die mangelnde Sorgfalt in deren Ausarbeitung ließen es fraglich erscheinen, dass Bilder des Königs als Repräsentationsinstrumente eingesetzt wurden. So wäre zu bezweifeln, dass sie während der Normannisch-Schwäbischen Regentschaft in Sizilien als Platzhalter des Monarchen fungierten, um dessen Territorium zu markieren, seine Macht zu legitimieren und die Einheit zwischen Volk und Souverän zu stärken. Jasmin Sawicki (Bochum) problematisierte die Kategorisierung halbfiguriger Heiligenbilder um 1500 als „Andachtsbilder“. Der zweckgebundene Terminus sei ahistorisch und nicht dazu geeignet, die visuell evidente Offenheit der Bilder für verschiedene Rezeptionsweisen zu erfassen: So finde sich in den zeitgenössischen Schriftquellen weder ein begriffliches Äquivalent, noch handle es sich bei ihrem Rezeptionszusammenhang, dem häuslichen Kontext, um einen funktional ausdifferenzierten Ort. Folglich müsse in der Analyse der Einzelwerke ein Zusammenhang zwischen ihrer funktionalen Flexibilität und der Charakteristik der „(ante-)camere“ und „studioli“ hergestellt werden, da sich hier, wie in den Bildern selbst, Repräsentation, Kunstgenuss und Devotion überlagerten.

Beschlossen wurde die Veranstaltung mit drei Beiträgen zur Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts. Anne Bloemacher (Münster) untersuchte die Darstellung des, mit den Händen arbeitenden Malers im Selbst- und Künstlerportrait. Diese (Selbst-)Inszenierung des Künstlers mit Pinsel oder Palette unterlaufe aufgrund der Betonung des Handwerklichen nicht die Nobilitierungsbestrebungen der Malerei, zu den „artes liberales“ zu gehören. Die Hand des Malers verkörpere bezogen auf den Topos des „alter deus“ vielmehr die göttliche Inspiration sowie deren Umsetzung im Werk. Die Künstlerhand rufe die Analogie der schöpferischen Potenz des Körpers Gottes zu jenem des Malers auf und visualisiere damit dessen omnipotente Schöpfungskraft. Besonders evident werde dies in Selbstbildnissen, in denen sich die Künstler ihr eigenes Portrait vollendend zeigten. Angelika Marinovic (Wien) analysierte am Beispiel der Stiche Agostino Venezianos das kunsttheoretische Potential des italienischen Kupferstichs. So hätten die Kupferstecher des frühen Cinquecento die Darstellungsmöglichkeiten des Mediums selbst untersucht und dessen spezifische Eigenschaften betont, um sich von anderen druckgraphischen Techniken abzugrenzen und für den Kupferstich den Anspruch eines eigenständigen künstlerischen Mediums zu formulieren. Das Bewusstsein für dessen spezifische Darstellungsmöglichkeiten zeige sich in der Wahl der Themen, der selektiven Adaption von Vorlagen und der Akzentuierung jener Stellen der Komposition, die sich im Kupferstich besonders gut umsetzen ließen. Berit Wagner (Frankfurt a.M.) stellte die Fleckenmalerei Tizians in den Kontext der frühneuzeitlichen Alchemie in Venedig. Die Lagunenstadt sei nicht nur „Denk- und Verlagsort“ (mytho-)alchemistischer und naturphilosophischer Schriften, sondern auch Zentrum einer Luxusgüterproduktion gewesen, die auf diesen Erkenntnissen beruhte. Im Kontext der venezianischen Farben- und Glasproduktion sowie dem Diskurs um die „magia naturalis“ sei Tizians malerische Praxis, sein Umgang mit der Farbe als einer „prima materia“, als gemalte Kunsttheorie zu verstehen, die das Verhältnis von Kunst und Natur malerisch reflektiere.

Im Rahmen des Workshops konnten nun zum dritten Mal sowohl die jüngeren Ansätze der Italienforschung zusammengebracht und kritisch gewürdigt, als auch die Vernetzung auf interdisziplinärer und internationaler Ebene gestärkt werden. Es wurde deutlich, dass in einer zeitgemäßen Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaft die Italienforschung nach wie vor eine elementare Rolle spielt. So gilt es nicht nur forschungshistorische Narrative an den Objekten selbst zu hinterfragen und bestehende Ergebnisse mit Hilfe von neuem Quellenmaterial zu überprüfen und zu korrigieren, sondern darüber hinaus auch die methodische Herangehensweise auf interdisziplinärer und internationaler Ebene zu schärfen, um kritische Neubewertungen zu ermöglichen. Um dafür auch zukünftig einen Diskussionsraum zu bieten, soll dieses Format fortgeführt und der interdisziplinäre Austausch durch die Öffnung zu anderen Disziplinen weiter gestärkt werden.

Empfohlene Zitation:
Jasmin Sawicki: [Tagungsbericht zu:] Neue Tendenzen der Italienforschung zu Mittelalter und Renaissance (Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut, 03.–04.12.2018). In: ArtHist.net, 24.01.2019. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/19955>.

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