REV-CONF 08.01.2019

Physics und Art(efacts)

Villa Elisabeth, Berlin, 14.–15.09.2018

Bericht von Daniela Hönigsberg, Berlin
Redaktion: Stefanie Stallschus

Zum Symposium „Physics und Art(efacts)“ wurde von dem Künstler Tim Otto Roth und dem Elementarteilchenphysiker Christian Spiering eingeladen. Beide kollaborierten für Roths Installation „AIS³ [aiskju:b] – Astroparticle Immersive Synthesizer³“, die vom 28. August bis 16. September 2018 in der St. Elisabeth Kirche in Berlin zu besuchen war und den Anlass für die aktuelle Bestandsaufnahme der Beziehung von Kunst und Wissenschaft im Rahmen des Symposiums darstellte. Die begehbare audiovisuelle Installation bestand aus 444 farbig leuchtenden, kugelförmigen Lautsprechern, die an 37 dünnen Drahtseilen in der Halle der St. Elisabeth Kirche aufgehängt waren. Das Werk verarbeitete Daten aus dem IceCube Oberservatorium, das mit seinen in den Eispanzer über dem Südpol eingeschmolzen 5160 Lichtsensoren Neutrinos nachweist, um damit u.a. den Kosmos genauer darzustellen. Durch Parametermapping werden die dabei entstandenen Daten von Roth für die Installation sonifiziert sowie visualisiert. [1] Wie der Physiker Rolf-Dieter Heuer (Genf) in seinem einleitenden Beitrag ausführte, sollte das Symposium in der transdisziplinären Betrachtung der besonderen Nähe von Kunst und Physik im ‚Physikalischen‘ und in der Praxis des Experimentierens nachgehen.

Der Bildwissenschaftler Horst Bredekamp (Berlin) untersuchte in seinem Beitrag die rekursive Natur- und Kunstnachahmung, indem er die Beziehung zwischen physikalischer Welt und Artefakten drei Ausprägungen zuordnete. In der ersten wird die symbolische Visualisierung der Natur Teil dieser Natur und das Bild naturalisiert sich. Anhand von Spiralformen aus der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte zeigte er auf, dass die Abstraktionsfähigkeit des Bildes hoch komplexe Gegebenheiten der Natur zum Ausdruck bringen vermag, wodurch die Natur zu einem Hybrid aus sich selbst und dem Bild ihrer Symbolform wird. In der zweiten Ausprägung besteht eine erzwungene Bild-Natur-Symbiose, wobei, z.B. mit fluorogenen Proteinmolekülen, in der Natur Bilder erzeugt werden. Es entstehen neue Organismen, deren Berechtigung in ihrer bildaktiven Potenz liegt. Die dritte Ausprägung der Beziehung besteht in der beobachteten Bild-Natur-Symbiose, wie sie bei ‚Active Matter‘ auftritt. Auch selbstgestaltende Aspekte der belebten Materie wurden für Bredekamp zum Beleg, dass die Natur immer Objekt und Symbol zugleich ist und die Kunst nachahmt. Diese rekursiven Beziehungen führen zu einer Distanzauflösung zwischen Kunst und Natur, der Bredekamp sowohl positive als auch problematische Aspekte zuschrieb.

Der Wissenschaftshistoriker Friedrich Steinle (Berlin) verdeutlichte in seinem Beitrag zum Denken in Bildern in der Wissenschaft, wie kunstverwandte Denkansätze in der Wissenschaft fruchtbar eingesetzt werden. Anhand von Zeichnungen aus dem Laborbuch von Michael Faraday zeigte Steinle eine Entwicklung von der Skizzierung des Experiments zu einer transformierten Darstellung auf, welche sich letztendlich vom Experiment löst, um als Grundlage für weiterführende Hypothesen zu dienen.

Die Wissenschaftshistorikerin Charlotte Bigg (Paris) stellte ausgehend von dem Werk „AIS³“ immersive Verfahren vor, vom Panorama, über das wissenschaftliche Theater, das Planetarium bis zur computerisierten virtuellen Realität. Sie veranschaulichte die Wechselbeziehung zwischen der Vermittlung von naturwissenschaftlichen Inhalten und dem Schaffen von ‚Körperwissen‘, wodurch die Partizipierenden Gelegenheit erhalten als fühlende und wahrnehmende Wesen, eigene Fragen über die Ausdrucksweise von Kunst, Technologie und Wissenschaft sowie Ästhetik und Pädagogik zu stellen.

Mit der Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens befasste sich dagegen der Physiker Hans-Peter Nollert (Tübingen) in seinem Beitrag. Sowohl für das Relativitätsmodell als auch für Wurmlöcher werden Trichtermodelle zur Visualisierung genutzt, die jedoch keine korrekten Repräsentationen der Konzepte darstellen. Die Komplexität dieser naturwissenschaftlichen Konzepte hat nicht nur zu alternativen Visualisierungsstrategien geführt, sondern warf zudem die Frage auf, ob nicht auch in der Vermittlung der theoretischen Physik Platz für die Abwesenheit vom Visuellen und für die Faszination an abstrakten Konzepten ist.

Der Medienarchäologe Wolfgang Ernst (Berlin) nutzte das Kunstwerk als Ausgangspunkt um aufzuzeigen, dass dessen referenzielle Verbindung zur Physik der Neutrinos eine Illusion sei, da durch die synthetische Sonifikation der digitalisierten Messdaten kein indexikalischer Bezug zwischen dem im Werk sinnlich erfahrbaren Phänomen und der Physik besteht. Daraus ergab sich seine Forderung an eine zukunftsfähige Medienkunst, die digitale ‚Blackbox‘ zu öffnen, um keine Metaphern über technische Räume, sondern eine Ästhetisierung von Erkenntnis zu erzielen.

Die Problematik eines mangelnden indexikalischen Bezugs in der wissenschaftlichen Verbildlichung physikalischer Phänomene wurde ebenfalls in dem Beitrag des Physikers Robin Santra (Hamburg) thematisiert anhand der Visualisierung komplexer biologischer Moleküle in der Kristallstrukturanalyse. An weiteren Beispielen verdeutlichte er die Schwierigkeit der Visualisierung von Multidimensionalität und Phänomenen auf Quantenebene und schloss in der Hoffnung, dass eine weitere künstlerische Auseinandersetzung mit diesen Themen zur Darstellbarkeit und einem tieferen Verständnis führen könne.

Der Physiker Thomas Naumann (Leipzig) widmete sich in seinem Vortrag der Schönheit in Wissenschaft und Kunst und den Verbindungen zum Konzept der Wahrheit. Sein Überblick über Vorstellungen einer kosmologischen, geordneten und gesetzmäßigen Harmonie bis hin zur Idee der Schönheit mathematischer Formeln oder physikalischer Theorien konnte verdeutlichen, dass der Begriff immer wieder in der theoretischen Physik genutzt wurde, um die Qualität einer Theorie zu beschreiben und daraus ein Wahrheitskriterium abzuleiten. Wie sich jedoch an der Weiterentwicklung von Keplers Planetensystem-Modell argumentieren lässt, ist die Natur auch in ihrer Wissenschaft nicht immer schön, einfach und harmonisch und Schönheit nicht immer wahr.

Die Repräsentation der selbsttätigen Prozesse der Neutrinos in „AIS³“ diente der Musikwissenschaftlerin Helga de la Motte-Haber (Berlin) als Anknüpfungspunkt ihrer Ausführungen. Im Kunstwerk werden die Prozesse sichtbar und hörbar, jedoch nicht begreifbar gemacht. Der Grund dafür liege darin, dass sich Kunst und Wissenschaft physikalischen Phänomenen mit unterschiedlichen Fragestellungen nähern können. Die Kunst fragt sowohl nach dem quod sit als auch nach dem quid sit und kann dabei subjektiv sein, weshalb sie im Gegensatz zur Wissenschaft, die in der Frage nach dem quid immer an das quod sit demonstrandum gebundenen bleibt, einen Überschuss produziert, der sich in ästhetischen Qualitäten und im Welt- und Selbstbezug zeigt.

Wie Kunst und Wissenschaft überzeugend zusammenwirken können, zeigte der Ethnologe Gereon Sievernich (Berlin) in seinem Vortrag, in dem er sich mit dem Blick in den Himmel anhand des Einsatzes von Gnomonen in Kirchenbauten beschäftigte. Gnomone wurden in den Kirchen zur korrekten Bestimmung des Osterfestes sowie einer Überprüfung des gregorianischen Kalenders genutzt. Mit Beispielen aus dem neuzeitlichen italienischen Sakralbau sowie der Verortung dieser Tradition konnte Sievernich nicht nur eine über Jahrhunderte genutzte Technik darlegen, sondern auch das ungebrochene Interesse am Blick in den Himmel in der Kunst sowie in der Wissenschaft aufzeigen.

Im abschließenden Vortrag sprach Peter Bexte (Köln) über das Essay „The two cultures“ von Charles Percy Snow. Er arbeitete heraus, dass es sich bei Snows Gegenüberstellung historisch betrachtet um zwei bilderlose Kulturen handelt. Eine Problematik ergibt sich aus der rhetorischen Gegenüberstellung von zwei Kulturen die Bexte mit dem zeitgenössischen Ausdruck der digitalen Kulturen in Verbindung brachte. Das verwendete Konzept von Kultur wird nicht spezifiziert und stattdessen eine Vielzahl von Phänomenen besprochen, die zu einem diffusen und entgrenzten Kulturbegriff führen. Als Alternative schlug Bexte einen ethnografischen Kulturbegriff nach Edward Tyler vor, der eine Gesellschaft als Ganzes umfasst, jedoch auch die Möglichkeit bietet, die jeweilige Kultur auf bestimmte Aspekte hin zu untersuchen.

Wie produktiv es sein kann unterschiedliche Herangehensweisen zuzulassen, um sich komplexen Themenbereichen zu nähern, zeigte das Abend-Panel des ersten Symposium-Tages, bei dem Tim Otto Roth mit Christian Rauch, dem Physiker und Leiter des State-Festival in Berlin, mit dem Künstler und Filmemacher Jol Thomson und mit der Wissenschaftshistorikerin und Filmemacherin Karin Pelte die individuellen künstlerischen sowie wissenschaftlichen Zugänge zur Physik diskutierte. Nicht immer gelang es während des Symposions, alle Einzelfäden der aufgeworfenen Fragen wieder zusammenführen. Aber es machte deutlich, dass sich die Beziehung von Kunst und Wissenschaft nicht in einer Visualisierung, Kommunikation oder Nutzung der wissenschaftlichen Konzepte oder Techniken erschöpft, sondern es sich um zwei Zugänge – mit eigenen Fragestellungen und Methoden – zur geteilten physikalischen Welt handelt, die von der gegenseitigen Wahrnehmung nur profitieren können.

Anmerkungen
[1] Vgl. die Dokumentation unter: http://www.imachination.net/ais3, [19.12.2018].

Empfohlene Zitation:
Daniela Hönigsberg: [Tagungsbericht zu:] Physics und Art(efacts) (Villa Elisabeth, Berlin, 14.–15.09.2018). In: ArtHist.net, 08.01.2019. Letzter Zugriff 21.11.2024. <https://arthist.net/reviews/19813>.

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