REV 18.05.2002

Joachim Möller (Hg.): Sister arts

Rezensiert von Nicola Hille
Redaktion: Rainer Donandt

„Wer mehr als eine der Kuenste schaetzt, neigt zu Vergleichen.“ Mit dieser
Bemerkung stellt der Herausgeber die englische Literatur in einen breiten
Kontext. Die „Schwesterkuenste“ (sister arts) haben eine lange Tradition,
denn schon sehr frueh wurde statuiert, dass Malerei stumme Poesie und
Gedichte sprechende Gemaelde seien. Auch wenn die Terminologie in frueherer
Zeit noch nicht ausgebildet war, so war die generelle Vorstellung,
unterschiedliche kuenstlerische Ausdrucksformen mit Gewinn zueinander in
Relation setzen zu koennen, weit verbreitet. John Drydens „A Parallel of
Poetry and Painting“ von 1695 ist ein Beleg fuer das anhaltende Interesse an
einer Doktrin, die schon in der Renaissance Geltung hatte: die Dichtung sei
Schwester der Malerei. Waehrend die Malerei schon frueh Sister Art der
Literatur genannt wurde, traten Musik, Architektur, Gartenbaukunst und
Illustration, sowie der Film und die mediale Berichterstattung erst spaeter
hinzu.

Das Spektrum der Beitraege im vorliegenden Buch ist breit gefaechert: Die
englische Literatur der Neuzeit und ihre Auseinandersetzung mit Thomas
Morus´ Staatsroman Utopia (1516) bildet den Auftakt. Sabine Rahmsdorf setzt
sich mit der Bedeutung fiktiver Architektur und Geographie in diesem
Staatsroman auseinander. Zwei Beitraege sind William Hogarth gewidmet. In
der Untersuchung zur Bedeutung des Hogarth Act von 1735 umkreist Juergen
Doering die Fragestellung der „Grenzkuenste“ fuer die englische Graphik und
ihr Verhaeltnis zur Tagesliteratur, denn das auf Betreiben von Hogarth
verabschiedete Gesetz zur Wahrung des Copyrights beeinflusste die
Publikationspraxis bei Graphiken nachhaltig. Der zweite Beitrag von Bernd
Krysmanski untersucht Hogarths Kritik an der Balance des Peintres.

Den Picturesque Sisters, dem Bild als intermedialem Medium in Literatur,
Malerei und Gartenkunst des 18. Jahrhunderts, widmet sich ein Beitrag von
Guenter Herzog. Mit dieser Begriffspraegung wird die ideelle Naehe von
Gartenkunst, Malerei und Literatur und ihr Verhaeltnis zur Theorie der
„imagination“ -picture-receiving, picture-retaining and picture-building
faculty im 18. Jahrhundert analysiert. In der Landschaftsmalerei und
Gartenkunst des 18. Jahrhunderts erkannte man, dass gerade die Landschaft
und die durch ihre Betrachtung ausgeloesten Wirkungen ein vorzuegliches
sinnliches und emotionales Vehikel fuer die direktere und geschmeidigere
Kommunikation der an sich doch relativ sperrigen, abstrakten und
hochkomplexen intellektuellen Mitteilungen sein konnte, als deren
zustaendiges Medium bisher ausschliesslich das Historienbild gegolten hatte.
Die in England so ueberaus erfolgreiche historische Landschaftsmalerei des
17. Jahrhunderts mit ihren Bildern einer durch Geschichte und Kultur
geordneten Welt war ein idealer Vorlaeufer fuer die neue intermediale
Entwicklung im Land. Das Fundament einer Theorie der „imagination“ ruhte auf
einer konstruierten strukturellen Kopplung von geistigem Vorstellungsbild
(idea, image, vision) mit den Bildern (pictures, scenes), die ueber den
Gesichtssinn in den Geist gerieten und dort die Einbildungskraft
(imagination) oder Phantasie (fancy) stimulierten. Die Qualitaet der
Einbildungskraft wird hier in Abhaengigkeit zum individuell gespeicherten
Ideen- und Bildervorrat gesetzt. Die „pleasures of imagination“ liessen sich
synergetisch verstaerken und insbesondere die Bilder des Landschaftsgartens
sollten die Bildproduktion der Einbildungskraft beim Betrachter stimulieren
und eine verstaerkende Synaesthesie bewirken. So dienten die im Verlauf des
18. Jahrhunderts entwickelten Simulationstechniken der Verlebendigung von
Landschaftsbildern, womit der „virtue of reality“ bereits zu einem fruehen
Zeitpunkt virtuelle Realitaeten der optisch-technischen Simulationsmedien
beigefuegt wurden.

Die Beitraege von D. W. Doerrbecker zur Verflechtung der Gattungen Poesie,
Prosa und Kunsttheorie in Rhymes on Art (1805) und Elements of Art, a Poem
(1809) und die Untersuchung zur Annaeherung von Text und Karikatur am
Beispiel der Scourge (1811-1816) von Hubertus Fischer eroeffnen neue
Perspektiven der Intermedialitaet.
Rhymes on Art und Elements of Art sind Lehrgedichte des Portraetisten Martin
Archer Shee, die insofern literarisches Neuland darstellen, als Dichtung ein
innovatives Medium war, die Akzeptanz einer englischen Malerschule zu
betreiben. Mit dieser Dichtung habe sich der Kuenstler den Zugang zu einem
Lesepublikum versprochen, das sich ueblicherweise nicht mit der Theorie und
Politik der bildenden Kunst beschaeftigte. In einem weiteren Beitrag wird
durch die Analyse der heute praktisch vergessenen Satire-Zeitschrift The
Scourge (1811-1816) der intensive Dialog zwischen Wort- und Bildsatire
belegt. The Scourge nimmt damit eine Entwicklung vorweg, die spaeter in La
Caricature und Le Charivari ihren Hoehepunkt finden sollte. Entdeckt wird
hier ein Laboratorium der Intermedialitaet von Bild- und Textsatire. Die
zeitgenoessischen Aspekte von Beschaffenheit, Regulierung und Gebrauch des
„Bildes“ verzahnen die heterogenen Beitraege im vorliegenden Sammelband.

Im letzten Beitrag befasst sich der Herausgeber Joachim Moeller mit den
Moeglichkeiten der literarischen Illustration, die zwar vielfaeltig sind,
aber dennoch bestimmten Gesetzen unterliegen. Als Alice vor ihrem Fall in
das Wunderland nach dem Nutzen eines bildlosen Buches fragte, galt ihr
Interesse im Grunde dem Wesen der literarischen Illustration. Das historisch
wechselnde Miteinander von Text und Bild zu analysieren ist ein Ziel der
vorliegenden Publikation. Hierbei geht es darum, dass der Begriff
Illustration mehr sein kann als bildkuenstlerische Wiederholung dessen, was
der Text bereits ausdrueckt. Das Bild im Buch ist in der Regel der vom Text
uebermittelten Information verpflichtet, doch die Art dieser Transformation
vom Schriftlichen zum Bildlichen ist vielseitig und bisher kaum untersucht.
In modifizierter Form sei deshalb die Frage aus Alice in Wonderland erneut
gestellt. Was geschieht, wenn aus Woertern Bilder werden ? Welche
Moeglichkeiten visueller Darstellung gibt es ? Was kann die literarische
Illustration in funktionalem Zusammenhang mit ihren schriftlichen Vorgaben
leisten ?
Zwei Auffassungen von Buchillustration werden hier gegeneinander abgewogen –
ein traditionell sich an „exterior events“, damit im engeren Sinne an
„subject matter“ orientierender Darstellungsmodus und eine Konzeption, die
auf unmittelbar Abbildhaftes verzichtet und statt dessen eine aus der
Textkonstellation resultierende emotionale Befindlichkeit –„the human soul
in crisis“- wiederzugeben sucht. Im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts
liefen die beiden Kommunikationsstraenge, der literarische und der
bildkuenstlerische, im Bewusstsein und im Sprachgebrauch der
zeitgenoessischen Kunstproduzenten und Kunstrezipienten zusammen in jenes,
beide Straenge verknuepfende Prinzip des „Bildhaften“, das die Kunsttheorie
und die Kunstpraxis des gesamten Jahrhunderts bestimmen und den „modern
pictorial thougth“ einleiten sollte.
Ein Beitrag, der in dieser Publikation aus dem Kanon englischer Literatur
und Kunst herausfaellt, ist der Aufsatz von Kurt Dittmar. Der Autor, der das
amerikanische Bild vom Krieg in Vietnam untersucht, beschreibt die Literatur
und mediale Berichterstattung von und ueber das Kriegsgebiet als moderne
Stepsister Arts. Dieser Text fuehrt uns hinein in die akutelle Gegenwart und
erinnert an lebhafte Diskussionen ueber den umstrittenen Gebrauch und
Einsatz von Bildern aus Kriegsschauplaetzen.
Der von der Kunstgeschichte inzwischen recht gut rekonstruierte Kontext der
„ut pictura poesis“ wird in diesem Sammelband durch neue Forschungsansaetze
und fachuebergreifende Diskussionen aus den Nachbardisziplinen auf
vielfaeltige Weise erweitert.

Möller, Joachim (Hrsg.): Sister arts. Englische Literatur im Grenzland der Kunstgebiete, Marburg: Jonas Verlag für Kunst und Literatur 2001
ISBN-13: 978-3-89445-283-4, 183 S, DM 68.00, EUR 35.00, sfr 62.00

Empfohlene Zitation:
Nicola Hille: [Rezension zu:] Möller, Joachim (Hrsg.): Sister arts. Englische Literatur im Grenzland der Kunstgebiete, Marburg 2001. In: ArtHist.net, 18.05.2002. Letzter Zugriff 18.04.2024. <https://arthist.net/reviews/189>.

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