REV-CONF 12.02.2018

Die ,Berner‘ oder die ,Prager‘ Pietà?

Bern, 23.–24.11.2017

Bericht von Corina Liebi, Universität Bern
Redaktion: Livia Cárdenas

Bericht im Auftrag der Veranstalter

Die interdisziplinäre Tagung widmete sich einem Objekt, das nicht nur als Zeugnis seiner Entstehungszeit verstanden werden kann, sondern das darüber hinaus eine eigene Geschichte erzählt, die weit über die Entstehungszeit hinausreicht. Die Berner Pietà, vermutlich um 1400 in Prag entstanden, gelangte auf unbekanntem Wege nach Bern, wo sie bis 1528 an einem ebenfalls unbekannten Ort aufgestellt gewesen war. Im Zuge der Reformation und des Bildersturms wurde das Vesperbild zusammen mit zahlreichen anderen Kunstwerken in eine Grube zur Schaffung der Münsterplattform geworfen und erblickte erst 1986 im Rahmen archäologischer Ausgrabungen (sogenannter „Berner Skulpturenfund“) wieder das Tageslicht. Die internationale Tagung „Die ‚Berner‘ oder die ‚Prager‘ Pietà? Kunst und Kulturpolitik in einer spätmittelalterlichen Stadt“ veranstaltet von Richard Němec (Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern), Susan Marti (Bernisches Historisches Museum) und Marius Winzeler (Nationalgalerie Prag) nahm eben jene Vielschichtigkeit des Objekts in den Blick. So wurden neben Fragen nach der Restaurierung, Erhaltung und musealen Präsentation des Objekts der historische Entstehungskontext sowie die kunsthistorische Einordnung beleuchtet.[1]

Die Tagung begann mit einer Besichtigung des Berner Münsters und dem Fundort der Skulptur auf der Münsterplattform. In einem dreier Turnus referierten Daniel Gutscher (Bern) zur „Grabungsstelle und den Fundumständen“ von 1989, Armand Baeriswyl (Bern) zu den Entstehungsphasen der „Münsterplattform“ und Bernd Nicolai (Bern) zum „Bildersturm in Bern (Münster)“. Im Anschluss folgte ein Vortrag von Urs Zumbrunn (Bern) zur „Beschaffenheit und Farbfassung der Berner Pietà“, die im Bernischen Historischen Museum als Depositum des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern ausgestellt ist. Zumbrunn, der die Skulptur nach ihrer Bergung konservierte, widmete sich der Fundsituation und zeigte unter anderem auf, wann welche Schäden entstanden sind. Das Objekt wurde nicht in erster Linie durch direkte bilderstürmerische Aktionen beschädigt, sondern durch die Folgen der Bilderräumung. Insbesondere der Wurf in die Baugrube, aber auch die Lagerung unter der Erde sowie die Bergung durch den Archäologischen Dienst hinterließen Spuren. Eine Beschädigung am Thron scheint jedoch besonders interessant, denn sie stammt gemäß Zumbrunn vom Transport der Figur von Prag nach Bern.

Der Abendvortrag von Matthias Weniger (München) widmete sich dem Thema „Import – Export – Der (Prager) Kunst-Export als Marke/Strategie“. Weniger verdeutlichte, dass der Exportschlager „Prager Pietà“ ein Luxusobjekt war, das aus lokalem Material (Pläner) in drei verschiedenen Größen „en masse“ hergestellt wurde. Die Popularität des Bildtyps lässt sich nicht nur an der Verbreitung auf dem ganzen Gebiet des Heiligen Römischen Reiches, sondern auch an dessen breiter Rezeption und Imitation in unterschiedlichen Materialien ablesen. Nach Weniger könnte insbesondere der Deutsche Orden maßgeblich an der Verbreitung beteiligt gewesen sein.

Die erste Sektion widmete sich den historischen Beziehungen zwischen Bern und Prag zur Entstehungszeit der Berner Pietà. In seinem Beitrag „Bern und Prag“ zeigte Christian Hesse (Bern) auf, dass die beiden Städte in der zweiten Hälfte des 14. und Anfang 15. Jahrhunderts einen intensiven Austausch pflegten. Prag war als Sitz des königlich-kaiserlichen Hofes damals politisches und kulturelles Zentrum des Reiches. Es erstaunt daher nicht, dass die Reichsstadt Bern intensive Kontakte nach Prag pflegte. Der Prager Hof zog viele Künstler an und galt als Vorbild für andere Reichsstädte. Objekte aus Prag wurden daher rege gekauft, weiterverkauft oder verschenkt.

Im Gegensatz dazu ging Martin Musílek (Chemnitz) in seinem Referat zum Thema „Handelskontakte der Prager Bürger im 15. Jahrhundert“ davon aus, dass die engen Kontakte zwischen Prag und Bern oft indirekt durch süddeutsche Städte wie Nürnberg vermittelt wurden, mit denen Bern einen regen politischen und wirtschaftlichen Austausch pflegte. Dabei schienen Handelsbeziehungen und Netzwerke eine enorm wichtige Rolle zu spielen. Die Vergabe des Prager Bürgerrechts und die Aktivitäten auf der Handelsstraße zwischen Prag und Nürnberg bezeugen, dass der Austausch zwischen diesen beiden Städten noch um einiges intensiver gewesen sein musste als zwischen Bern und Prag direkt.

Schließlich versuchte Roland Gerber (Bern) in seinem Beitrag „Vernetzt: Die Wirtschaftseliten und Auftraggeber um 1400“ mögliche Auftraggeber der Berner Pietà auszumachen. Er hob hervor, dass die neu aufgestiegenen Kaufmannsfamilien zu Beginn des 15. Jahrhunderts in der Stadt Bern sowohl über das finanzielle Kapital als auch die notwendigen Geschäftsbeziehungen nach Prag verfügten, um für eine Stiftung der Berner Pietà in Frage zu kommen. Insbesondere Johannes von Nürnberg, Rudolf von Ringoltingen, Niklaus von Diesbach, Peter Brüggler sowie Franz und Johannes Fränkli sind als Stifter in Betracht zu ziehen. Als Aufstellort der Pietà kämen nach Gerber insbesondere die Privatkapellen der vorgenannten Stifter sowie die Südmauer des Chores im Berner Münster in Frage.

Die zweite Sektion widmete sich der Berner Pietà und ihrem kunsthistorischen Bezugsfeld. Markus Hörsch (Leipzig) plädierte in seinem Referat „Die Schöne Pietà: Zwischen Realität und Konstrukten der Kunstwissenschaft“ für einen lebendigeren Diskurs zwischen „historischer Realität“ und „kunsthistorischem Konstrukt“. Er verdeutlichte, dass in der bisherigen Pietà-Forschung insbesondere die Kanonbildung der Werke im Zentrum stand, dabei aber häufig der Gesamtausdruck der Skulptur vernachlässigt wurde. Hörsch geht davon aus, dass die Berner Pietà als frühestes Beispiel und Vorgänger der Pietà von Wągrowiec angesehen werden kann. Leider ist aber sowohl eine konkrete Datierung als auch die Zuordnung zu einer Werkstatt unmöglich.

Milena Bartlová (Prag) hingegen datiert die Berner Pietà aufgrund formaler Vergleiche in ihrem Paper „Looking at and with the Bern Pietà“ auf die Jahre zwischen 1410 und 1420. Sowohl die Prager Provenienz als auch der Transport der bereits vollständig ausgeführten Skulptur nach Bern scheinen, im Gegensatz zur präzisen Datierung, unbestritten zu sein. Dies unterstreichen auch die Transportspuren an der Skulptur. Bartlová sieht – wie auch Roland Gerber – in Johannes Fränkli einen möglichen Auftraggeber.

Ciprian Firea (Cluj-Napoca) verdeutlichte in seinem Beitrag „Pieta of Sibiu/Hermannstadt: Patronage of the Urban Elite in Transylvania around 1400“ die Bedeutung lokaler Eliten für die Stiftung von Vesperbildern. Er sprach über die sogenannte Pietà Cibiniensis in Hermannstadt (heute Sibiu) und deren Funktion innerhalb der Stadtpfarrkirche. Firea geht davon aus, dass ein Geistlicher aus einer der lokalen führenden Familien, der an der Universität Prag studiert hatte, die Pietà für Hermannstadt kaufte

Die dritte Sektion wandte sich dem Bedeutungswandel der Kunstwerke im Museum zu. Julien Chapuis (Berlin) präsentierte in seinem Beitrag „Die Pietà: Konzepte und Realität der Ausstellungspraxis“ die heute in der Berliner Skulpturensammlung ausgestellte und ursprünglich aus Wien stammende Badener Pietà, die bis auf die Köpfe von Christus und Maria zerstört wurde. Chapuis hob hervor, dass im musealen Kontext insbesondere die Präsentation von Fragmenten eine große Herausforderung darstelle, damit der fragmentarische Charakter der Figuren beibehalten werden kann. Bei der Ausstellung des Objekts werden auch die verschiedenen Zeitschichten berücksichtigt, z.B. durch die Kombination mit Vorkriegsfotoaufnahmen, die die Badener Pietà noch unversehrt zeigen, was bei der Berner Pietà leider nicht möglich ist.

Im Referat von Marius Winzeler (Prag) zum Thema „Die Berner Pietà und andere Bildwerke im Wandel von Funktion, Destruktion und musealer Kontextualisierung“ standen ebenfalls die verschiedenen Spuren der Zeit im Zentrum der Betrachtung. So sei das Werk nicht nur als Zeugnis mittelalterlicher Frömmigkeit zu verstehen, sondern auch Ausdruck der damaligen Finanzkraft führender Familien und Zeugnis des Bildersturms. Die fragmentarische Überlieferung erlaube keine eins zu eins Rekonstruktion des ursprünglichen Objekts, biete aber dafür Raum für Interpretation. Die Inszenierung solcher Fragmente im Museum sollte dabei das Objekt sowohl mit seinem alten als auch neuen Kontext in Beziehung setzen.

In ihren Schlussbetrachtungen thematisierte Evelin Wetter (Riggisberg) offene Forschungsfragen und potentielle Forschungsfelder. So sollten einerseits die Perspektive bei vergleichenden Analysen auf nicht-skulpturale Gattungen erweitert werden, auf die die Steinfiguren reagieren (Formenkanon), dabei aber auch frömmigkeitsgeschichtliche Aspekte und der konfessionelle Hintergrund miteinbezogen werden. Ein Zusammenspiel von mikro- und makrohistorischen Ansätzen kann dabei weitere Forschungsergebnisse liefern, wobei Herausforderungen insbesondere im Umgang mit Fragmenten und digitalen Rekonstruktionen liegen.

Als Fazit der Tagung lässt sich festhalten, dass die Prager Provenienz des Werkes unbestritten ist, die Frage der präzisen Datierung aber bis heute noch Fragen aufwirft und zwischen frühestens um 1380 und spätestens um 1425/1430 schwankt. Der interdisziplinäre Ansatz der Tagung hat auch erhebliche Forschungslücken deutlich gemacht. Es fehlt unter anderem an vergleichbaren, länderübergreifenden naturwissenschaftlichen Analysen der verwendeten Steinarten der entsprechenden Vesperbilder und an frömmigkeitsgeschichtlichen Arbeiten zum Figurentyp der Pietà.

Empfohlene Zitation:
Corina Liebi: [Tagungsbericht zu:] Die ,Berner‘ oder die ,Prager‘ Pietà? (Bern, 23.–24.11.2017). In: ArtHist.net, 12.02.2018. Letzter Zugriff 12.12.2024. <https://arthist.net/reviews/17346>.

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