In der 2015 erschienen Anthologie „The Nonhuman Turn“ stellt der Herausgeber Richard Grusin fest, dass beinah jedes Problem des 21. Jahrhunderts - Klimawandel, Dürre, Hungersnot, Biotechnologien oder Privatsphäre - unauflöslich mit dem Nichtmenschlichen, also etwa Tieren, Körpern, Materialien, Techniken, organischen oder geophysikalischen Systemen, verknüpft ist. Deswegen, so Grusins Forderung, ist eine breite Beschäftigung mit dem Nichtmenschlichen dringend notwendig [1]. Debatten wie diese nahmen sich die VeranstalterInnen der Tagung „Nonhuman Agents in Art, Culture and Theory“ zum Ausgangspunkt, um nichtmenschliche Subjektivitäten besonders in der Kunst zu befragen. Ausgerichtet wurde die Veranstaltung von der Forschungs- und Ausstellungsplattform Art Laboratory Berlin, die sich mit künstlerischen Positionen an der Schnittstelle zu den Naturwissenschaften beschäftigt. Auch während der dreitägigen Veranstaltung kamen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen aus der (Mikro-)Biologie sowie der Geisteswissenschaft zusammen. Gemeinsam diskutiert wurde über Phänomene wie das Internet des Waldes und das Mikrobiom vor den vielfältigen Hintergründen des Posthumanismus, dem Verhältnis zwischen KünstlerIn und lebendigem Material oder der Einordnung aktueller KünstlerInnenpositionen in die Geschichte der Bioart. Die Tagung stellte die theoretische Rahmung und den Abschluss des zweijährigen Ausstellungsprogramms der Reihe „Nonhuman Subjectivities“ dar [2].
Der Vormittag des ersten Tages nahm sich der grundlegenden Herausforderung an, mittels der ontoepistemologischen Theorien des Spekulativen Realismus und Neuen Materialismus eine Redefinition zentraler Begriffe wie Handlungsfähigkeit, Empfindungsfähigkeit und Intelligenz vorzuschlagen. Diese sollten mit Bezug auf künstlerische Strategien diskutiert werden, wie die VeranstalterInnen Regine Rapp und Christian de Lutz in ihrer Begrüßung herausstellten.
Rahma Khazam (Paris) schlug vor, Handlungsfähigkeit mit Karen Barads performativ-agentiellem Materialismus und Tim Ingolds Ökologie der Materialien zu verstehen [3]. Handeln stellt in diesen Konzepten weder Eigenschaft noch Besitz eines Subjekts dar, sondern wird als de/aktivierte Partizipation in einem mehr als menschlichen Gefüge verstanden. Khazam unterstrich, dass diesem Verständnis von Handlungsfähigkeit eine erkenntnistheoretische Schwierigkeit innewohnt. Ihr Vortragstitel „The sardine can looks back... “ paraphrasiert eine Schilderung Jacques Lacans, die auf eine unüberbrückbare Differenz zwischen Auge und Blick, zwischen Gesehenwerden und Sehen hinweist [4]. Mittels dieser von der Psychoanalyse proklamierten Differenz betonte Khazam die Schwierigkeit, die Perspektive nichtmenschlicher Subjektivitäten einzunehmen.
An die Frage der Erfahrbarkeit des Nichtmenschlichen sowie den mehr als menschlichen Umwelten knüpfte der Vortrag von Desiree Förster (Potsdam) an. Förster führte u.a. vor dem Hintergrund von Alfred N. Whiteheads Prozessphilosophie aus, wie etwa Philipp Rahms „Hormonorium“ als künstlerisches Beispiel einer affektiv-interrelationalen Ökologie verstanden werden kann. Künstlerische Projekte wie dieses richten sich an ein „ästhetisches Nichtbewusstes“, wie Förster diesen interrelationalen Moment nennt, indem sie weder den Primärsinn des Sehens noch das Sprechen adressieren, sondern mit sensorischen oder räumlichen Elementen wie Hitze oder Vibration arbeiten.
Auch Maja Smrekars (Ljubljana) stellte mit ihrer vierreihigen Serie „K-9_topology“, dem letztjährigen Ars-Electronica-Siegerprojekt, eine Möglichkeit vor, sich dem Nichtmenschlichen über eine biotechnologisch verstärkte, körperliche Ebene zu nähern. Smrekar lebte mehrere Monate gemeinsam mit Wölfen in einer „hybriden Familie“. Außerdem extrahierte sie sich sowie ihrem Hundegefährten Serotonin, welches sie anschließend miteinander verschmolz. Das für die Tagung zentrale Anliegen, die Dezentralisierung des Menschen künstlerisch auszuloten, fand in diesem Beispiel der Bio- bzw. Hybrid Art eine anschauliche Umsetzung. Nicht die Kultur des Menschen wurde der Natur des Tieres entgegengestellt, vielmehr wurde unter Bezug auf Donna Haraways Konzept der „Companion Species“, das von einer Co-Evolution zwischen Hund/Wolf und Mensch ausgeht [5], das Kontinuum zwischen Wolf-Mensch-Hund thematisiert.
In der anschließenden Paneldiskussion wurde über die Forderung eines nonlinguistic turn gesprochen, wie es die Veranstalterin Rapp nannte und damit einen wichtigen Moment der Tagung markierte. Die Abkehr von Sprache ist als Reaktion auf die Problematik zu verstehen, dass ein Erkennen nichtmenschlicher Subjektivität - wird von dieser ausgegangen - nicht mittels intelligiblen-menschlichen Systemen erfolgen kann. Denn darin ähnelte sich das Verständnis der TagungsteilnehmerInnen: „nonhuman art“ meint vorrangig künstlerische Positionen, welche Riechen, Berühren und Hören adressieren. Damit sind die Sinne aufgerufen, die Menschen mit anderen Spezies gemeinsam haben. Wie Heather Barnett (London) feststellte: „Slime mould can smell, but it can't see and can't talk.“
Nach dem philosophisch ausgerichteten Vormittag gaben die nächsten Panels Einblicke in biologische Forschungen der Myzelien und ihrer Symbiosen: Lebewesen und Lebensformen, deren Erforschung gegenwärtig noch in den Kinderschuhen steckt und die von verschiedenen Seiten nahezu euphorisch debattiert werden. Joana Bergmann und Vera Meyer (beide Berlin) stellten in ihren Vorträgen dem primär nichtwissenschaftlichen Tagungspublikum zum einen die speziesübergreifende Kommunikation der symbiotischen Verbindung von Bäumen und Pilzen („Internet der Bäume“) und zum anderen die Besonderheiten des Myzels, dem verborgenen unterirdischen Teil von Pilzen, vor.
Dass das Myzel diesseits seiner ökonomischen Nutzbarmachung (z.B. Rekompostierung von Pflanzenschutzmittel) das Potenzial eines künstlerischen „co-creaters“ zu besitzen verspricht und philosophische Fragen in Bezug auf die Vorstellung autopoietischer Subjekte aufzuwerfen vermag, war Thema der Präsentationen von Saša Spačal und Mirjan Švagelj (beide Ljubljana). In ihrer immersiven Kunstinstallation „Myconnect“ wird das Nervensystem eines Menschen mit einem Myzel über eine Feedback-Schleife mittels Herzschlagsensor, Kopfhörern und Vibrationsmotoren verschaltet. Impulse des Herzschlages werden an das Myzel ausgesendet und als moduliertes Signal über Schall-, Licht- und Tastsensorik zurück auf den menschlichen Körper übertragen, der infolge des Reizes auf sein Nervensystem die Rhythmik seines Herzschlags ändert. Spačal und Švagelj verstehen die Mykorrhizaltechnologie in dieser biotechnologischen Verschaltung nicht als inertes Material, sondern als eigene bzw. eigenwillige Lebensform. Damit wurde eine zentrale Frage der Tagung aufgeworfen, die das Verhältnis von KünstlerInnensubjekt und künstlerischem Material problematisiert. Es stand zur Diskussion, ob Mikroben, Schleimpilze und Hunde wirklich als „co-laborer“ oder „co-acting“ verstanden werden können. TARSH BATES (Perth) und Heather Barnett unterstrichen, dass die Kontrolle über das lebendige Material nur anfänglich und nur mittels Messungen oder Protokollen versucht wird aufrechtzuerhalten. Einig waren sich sowohl die VertreterInnen der Wissenschaft sowie der Kunst darin, dass letztendlich die materielle Unberechenbarkeit ausschlaggebend für den Ausgang des künstlerischen Projektes sowie des wissenschaftlichen Experiments ist.
Den ersten Tag beschloss Monika Bakke (Posen) mit ihrer Keynote „The Force of Radical Openness: Multispecies Alliances Beyond the Biological“. Bakke schlug den Begriff „Metabolismus“ vor, um die bisherigen Diskussionen um anorganische Prozesse der Minerale zu erweitern. Gerade im Hinblick auf heutige industriell-technologische Prozesse, so Bakke, zeigen sich eine Vielzahl neuer Metabolismen zwischen Organischem und Anorganischem. Bakke forderte, den Ursprung des Lebens als einen mehr als organischen zu verstehen und die Vorstellung von Leben diesseits der Favorisierung von auf Kohlenstoff basierenden Lebensformen für andere Chemien des Lebens z.B. auf Phosphorbasis zu öffnen.
Der zweite Tag widmete sich den Mikrosubjektivitäten der Mikroben und Schleimpilze. Während in der Mikrobiologie lange die Vorstellung dominierte, dass Bakterien winzige Einzeller seien, fand vor einigen Jahren ein Umbruch im wissenschaftlichen Denken statt. Inzwischen wird von komplexen und dynamischen Bakterienkolonien (Biofilm) ausgegangen, die nicht nur die größte Biomasse der Erde bilden, sondern aufgrund der morphogenetischen Prozesse als „active matter“ verstanden werden, wie Regine Hengge (Berlin) in ihrem Vortrag ausführte. Diese „unsichtbaren Kulturen“ siedeln auch auf menschlichen Körpern, der damit zu einem Ökosystem (Biom) wird.
Dass Mikrobenkulturen gegenwärtig auf reges künstlerisches Interesse stoßen, stellte Ingeborg Reichle (Wien) vor. Anhand u.a. Sonja Bäumels Bioart-Projekt „Fifty Percent Human“, das synthetische Biologie und Do-it-yourself-Biologie kombiniert, arbeitete Reichle die Bandbreite der künstlerischen Strategien heraus, welche die Vorstellung eines abgeschlossenen menschlichen Ichs hinterfragen. Dass KünstlerInnen wie Tarsh Bates (Perth), François Joseph Lapointe (Montreal), Anna Dumitriu (Brighton), Robertina Šebjanič (Ljubljana) und Vivian Xu (Shanghai) die lebendige Materie zum Fokus ihrer Arbeit machten, interpretierte Regine Rapp in ihrem zusammenführenden Vortrag als neues Paradigma in der Kunst. Unter Bezug auf Barad, die an mehreren Stellen als Gewährsperson der Tagung aufgerufen wurde, konstatierte Rapp einen Umbruch des (sprachlichen) Anti-Repräsentationalismus in der Kunst.
Dass sich KünstlerInnen den anderen Subjektivitäten nicht mittels Darstellungen nähern, sondern mittels anti-repräsentationalistischen Strategien, zeigte Heather Barnett in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit Schleimpilzen. Statt dem Schleimpilz, einem kollektiven Organismus mit Erinnerungs- und Lernvermögen, als eine dem Menschen radikal andere Entität gegenüberzustellen, arbeitet Barnett an der Frage, wie sich in einer Art performativen Achtsamkeitsübungen in einer Menschengruppe ein kollektives Verhalten im Sinne von „being slime mold“ z.B. über die Synchronisierung der Atmung herstellen lässt.
Nach der ersten Sektion des letzten Tages, in welcher verschiedene Formen der Bedrohung für Nichtmenschen diskutiert wurden, fand mit BIRGIT SCHNEIDERS (Potsdam) Vortrag eine bisher neue Perspektive Einzug in die Diskussion. Schneider schlug eine medientheoretische Perspektive vor, um die Frage nach der Wahrnehmung nichtmenschlicher Perspektiven zu schärfen. Nach einem kurzen Einblick in die Umweltlehre von Jakob Johann von Uexküll, welcher von subjektabhängigen Umwelten z.B. einer Zecke oder eines Seeigels ausging, kontrastierte Schneider diesen ökologischen Versuch einer individuell-tierischen Innenschau mit aktuellen Virtual-Reality-Projekten. Projekte, wie i-animal versprechen ein emphatisches Einfühlen in z. B. einen Igel mittels der Computersimulation seines Sehfeldes, das in 360°-Videos und in VR-Brillen gezeigt wird [7]. Diese Technologien ermöglichen jedoch, so Schneider, lediglich die mediale Interpretation der tierischen Wahrnehmung. Wie Schneider pointiert feststellte: „It’s not about ‚becoming animal‘ but about ‚becoming media‘.“
Mit Schneiders Vortrag wurde das bisher wenig präsente und doch stets unterschwellige Thema der (Medien-)Technologien adressiert. Deutlich wurde während der Tagung, dass das Ins-Verhältnis-Setzen von Menschen und oftmals nanokleinen Nichtmenschen fast nie mit dem „nackten Auge“ stattfindet (Švagelj, Hengge), dass künstlerische Arbeiten mittels biotechnologischer oder körpertechnischer Verschaltung arbeiten (Smrekar, Spačal, Švagelj, Barnett) und dass für die Vorhersagbarkeit der Bewegungen der „lebendigen Materialien“ z.B. Computersimulationen eingesetzt werden (Barnett). Wurde an mehreren Stellen an ein Anti-Repräsentationalismus appelliert, blieb die Beschäftigung mit den medialen Darstellungen bzw. den Apparaten, wie Barad sagen würde, als ebenfalls Nichtmenschliches in den meisten Fällen aus. Um den eingangs erwähnten Grusin zu zitieren: „Technical mediation itself needs to be understood as a nonhuman process within which or through which humans and nonhumans relate.“ [8]
Abgesehen von dieser Art des Nichthumanen, welches sozusagen das technisch Unbewusste der Debatten bildete, war es erfolgreiches Ziel der Tagung, die Tendenz des Nonhumanen in der zeitgenössischen Kunst herauszustellen, die - so konnte gezeigt werden - das Potenzial einer eingehenderen kunstwissenschaftlichen Beschäftigung besitzt.
Das Risiko, dass das Thema des nichtmenschlichen Lebendem in einer euphorischen Geste aufgenommen wird - und darin verharrt -, hat die Tagung in ihren starken Momenten erfolgreich umschifft. Das versprochene Tagungsziel der Dezentralisierung des Menschen resultierte im besten Fall nicht in der schwer haltbaren Behauptung einer Entmachtung des Menschen. Allen disziplinären Missverständnissen der TagungsteilnehmerInnen, welche stellenweise auftraten, zum Trotz, in diesem Punkt waren sich Kunst, Philosophie und Biologie einig: Von Nichtmenschen und ihren Ökosystemen lässt sich lernen, die hartnäckige Vorstellung eines Subjekts diesseits von Rationalität, Intentionalität und Autonomie ein erneutes Mal zu überdenken. Dass Menschen immer mit Nichtmenschen ko-evolvieren, ko-existieren und ko-laborieren - wenn auch meistens wenig bewusst -, fand wären der Tagung anschauliche Beispiele und nahm sich nicht zuletzt immer wieder passenderweise Haraways Ausspruch „Making kin, not babies“ zum Vorbild.
[1] Richard Grusin: Introduction, in: ders. (Hg.): The Nonhuman Turn, Minneapolis 2015 2015, VII-XXIX, hier VII.
[2] Folgende SprecherInnen konnten in dem Bericht nicht berücksichtigt werden: Špel Petrič, Anna Dumitriu, François Joseph Lapointe, Tarsh Bates, Daniel Renato Lammel, Laura Benítez Valero, Mary Maggic, David Sepkoski, Robertina Šebjanič, Vivian Xu sowie die Gesprächsrunde mit Alanna Lynch, Margherita Pevere, Theresa Schubert, Sarah Hermanutz, Heather Barnett und plan b.
[3] Karen Barad: Meeting the Universe Halfway. Quantum Physics and the
Entanglement of Matter and Meaning, Durham, NC 2007. Tim Ingold: Toward an Ecology of Materials, in: Annual Review of Anthropology
Vol. 41, 2012, 427-442.
[4] Jacques Lacan: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Das Seminar Buch XI, Weinheim, Berlin 1987, 101.
[5] Donna Haraway: The Companion Species Manifesto. Dogs, People, and Significant Otherness, Chicago 2003.
[6] Barad: Meeting the Universe Halfway, 97-188.
[7] http://ianimal360.de/
[8] Richard Grusin: Introduction, XIV.
Empfohlene Zitation:
Noam Gramlich: [Tagungsbericht zu:] Nonhuman Agents in Art, Culture and Theory (Art Laboratory Berlin, Prinzenallee 34, 13359 Berlin, 24.–26.11.2017). In: ArtHist.net, 23.01.2018. Letzter Zugriff 26.12.2024. <https://arthist.net/reviews/17193>.
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