REV Jun 28, 2007

Jeroen Goudeau: Nicolaus Goldmann (1611 - 1665) en de wiskundige architectuurwe

Reviewed by Christof Baier
Editor: Carolin Behrmann

Jeroen Goudeau hat der Geschichte der Architektur und Architekturtheorie mit seinem Buch eine Terra incognita erschlossen, von der, wenn überhaupt, bisher nur der Name und die ungefähre Lage bekannt waren.[1] Nun, da dieses Land vermessen und topographisch genauestens erfasst ist, sollte Nicolaus Goldmann, dessen Name golden schimmernd den Einband des Buches schmückt, endgültig vom Schatten seines ‚Sukzessors’ Leonhard Christoph Sturm befreit sein. Ohne Umschweife ist Goldmanns Werk als ein Glanzstück der deutschsprachigen Architekturtheorie des 17. Jahrhunderts zu würdigen.

Goudeaus umfängliches Buch besticht auf den ersten Blick durch die Vielzahl der Abbildungen, von denen die zahlreichen bisher unveröffentlichten Skizzen Goldmanns besonders hervorzuheben sind. Zwar hätte man sich gerade für diese aufschlussreichen Blätter eine etwas bessere Qualität gewünscht, doch kann dies den Verdienst, sie erstmals publiziert zu haben, in keiner Weise schmälern. Neben einem umfangreichen Personen-, Orts- und Sachregister tragen sorgfältige Dokumentationen zur Bibliothek Goldmanns, zu seinen publizierten und den nach seinen Manuskripten entstandenen Werken viel zum hohen Gebrauchswert des Buches bei.
Seinem langjährigen ‚goldmannischen’ Forschungsunternehmen hat Goudeau das anspruchsvolle Ziel gesetzt, eine „intellektuelle Biographie von Goldmann als Wissenschaftler“ zu schreiben, also „anhand der geschriebenen und nachweisbaren Tätigkeiten der Person Goldmann, eine kulturhistorische Monographie über Aspekte der Architekturtheorie im 17. Jahrhundert“ zu verfassen (16). Gleich zu Beginn hält er fest, dass der eigentliche Wert der Theorie Goldmanns nicht darin liege, dass er die wichtigsten architekturtheoretischen Themen seiner Zeit zusammengefügt, sondern wie er dies getan habe. Der Privatdozent Goldmann wird also daran gemessen, wie er das architekturbezogene Wissen seiner Zeit systematisierte, es nach wissenschaftlichen Maßstäben ordnete und damit als Wissenschaft präsentierte. Um diesen roten Faden windet sich als weiterer Hauptstrang zwangsläufig die Mathematik, denn in dem „mathematisch-theoretischen Charakter“ seiner Theorie sieht Goudeau zu Recht den wichtigsten Beitrag Goldmanns zur Architekturtheorie des 17. Jahrhunderts. Mit dieser wissenschaftsgeschichtlichen Herangehensweise setzt Goudeau einen erfrischenden Akzent und erschließt Themenfelder, die bisher vernachlässigt wurden. Zudem stellt er damit gerade jene Aspekte in den Mittelpunkt, die schon für die Zeitgenossen Goldmanns und noch für Sturm, Christian Wolff und die weiteren Rezipienten im 18. Jahrhundert die Hauptattraktion der Theorie Goldmanns ausmachten.[2]

1611 im schlesischen Breslau (Wroc?aw) geboren, hatte sich Goldmann nach einer Zwischenstation in Leipzig 1632 an der Leidener Universität eingeschrieben. Bis zu seinem Tod 1665 sollte er die aufblühende niederländische Stadt nun nicht mehr verlassen. Diesen Lebensbogen nachzeichnend befasst sich Goudeau im ersten Hauptteil seines Buchs mit der besonderen Anziehungskraft Leidens in den Jahrzehnten um 1600. Kurz und prägnant wird dabei vor allem das produktive Nebeneinander der 1575 gegründeten Leidener Universität und der 1600 durch Simon Stevin eingerichteten Festungsbau- und Landvermesserschule „Duytsche Mathematique“ vorgestellt. Solchermaßen zwischen der höheren und der praktischen Mathematik changierend, besaß die Leidener Mathematik in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts eine dynamische Lebendigkeit, die nicht zuletzt auf Architektur und Städtebau in Nordeuropa einen entscheidenden Einfluss ausübte. Neben Stevin oder Ludolph van Ceulen waren es Privatdozenten wie Samuel Marolois oder eben Goldmann, die das an der „Duytsche Mathematique“ entworfene architektonische und didaktische System durch ihren Unterricht und ihre Schriften über die Landesgrenzen hinaus verbreiteten. Die Abschnitte über Goldmanns Lehr- und Publikationstätigkeit und deren Ausstrahlung bis nach Dänemark, Brandenburg, Sachsen und Polen zeigen dies deutlich. Wie sehr Goldmann in das institutionelle, gedankliche und persönliche Beziehungsgeflecht Leidens eingebunden war und welche Bedeutung dieses für seine Werke hatte, belegt eindrucksvoll dessen Privatbibliothek, die Goudeau anhand eines Versteigerungskatalogs von 1665 akribisch rekonstruiert.

Der zweite Hauptteil befasst sich in chronologischer Reihenfolge mit den vier zu Lebzeiten Goldmanns erschienenen Schriften. Sein Festungsbautraktat [3] steht, wie Goudeau zeigt, in der Tradition der Leidener Festungsbau- und Landvermesserschule. In der Nachfolge von Stevin und Marolois trägt Goldmann maßgeblich dazu bei, dass sich die Leidener Festungsbaumethode als wissenschaftliche Theorie in Nord- und Osteuropa verbreitet.[4] Mit Blick auf den eigentümlichen, in Form und Inhalt mathematisch-wissenschaftlichen Charakter des Festungstraktats spricht Goudeau völlig zutreffend von der „wissenschaftlichen Krone auf der praktischen Methode der Ingenieurausbildung“ an der ‚Duytschen Mathematique’ (95). Goldmanns 1649 erschienene Studie über die Konstruktion der ionischen Volute [5] präsentiert Goudeau als faszinierendes Kabinettstück. Auf beeindruckende Weise ist es Goldmann hier gelungen, eine eigenständige Lösung für die schwierige Konstruktion der ionischen Volute zu erarbeiten, die nicht nur wissenschaftlich exakt und praktisch handhabbar war, sondern zugleich auch geometrisch und arithmetisch bewiesen werden konnte und zudem noch den Angaben Vitruvs genau entsprach. Seine nächsten Schriften sind sorgfältige Bedienungsanleitungen für mechanische Instrumente: einerseits für den universell einsetzbaren Proportionalzirkel [6] und andererseits für den von Goldmann erfundenen „Baustab“ [7], ein Spezialinstrument für das Proportionieren der Säulenordnungen. Diese Schrift, in der sich Goldmann erstmals unmittelbar der Theorie der bürgerlichen Baukunst zuwendet, enthält neben der Beschreibung des Baustabs auch seine eigene, durchaus eigenwillige Theorie der Säulenordnungen. Der dritte und vierte Hauptteil ist Goldmanns Hauptwerk, der „Vollständigen Anweisung zu der Civil Bau=Kunst“, gewidmet. Zunächst folgt Goudeau der Spur der Manuskripte, welche nach Goldmanns Tod unpubliziert den Weg nach Berlin, Wolfenbüttel, Leipzig und Kopenhagen fanden. Ausführlich werden die drei Manuskript-Bestände vorgestellt und gewertet, um schließlich die Drucklegung durch Leonhard Christoph Sturm 1696 quellenkritisch genauestens bestimmen zu können. Als wichtiges Ergebnis muss hier festgehalten werden, dass der Text der 1696 von Sturm herausgegebenen „Vollständigen Anweisung“ vollständig dem von Goldmann 1665 hinterlassenen Manuskript entspricht.

Das folgende 9. Kapitel („Das universelle System“) ist das eigentliche Herzstück von Goudeaus Buch. Goldmanns Architekturtheorie wird hier als höchst anspruchsvolle „mathematische Architekturwissenschaft“ vorgestellt. Seine methodischen Prämissen werden vor dem Hintergrund der Entwicklung der zeitgenössischen Wissenschaften erläutert, wobei Goudeau zu Recht der Synopse, jenem baumartig verästelten Übersichtsschema, das anschaulich Form und Inhalt des wissenschaftlichen Denkens verbindet, eine zentrale Bedeutung zuweist. Mit Hennig Hasemans „Synopsis Architecturae“ (1626) und der „Methodus Architectonicae“ Johann Heinrich Alsteds „Encyclopaedia“ (1630) kann er der Methode Goldmanns zwei einflussreiche Texte zur Seite stellen, die mit ihren Schematisierungsoperationen ebenfalls danach strebten, alle architektonisch relevanten Kenntnisse in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen und die Architektur somit als Wissenschaft zu präsentieren. Um den mathematischen Charakter der Architekturtheorie Goldmanns genau bestimmen zu können, widmet sich Goudeau nun kurz der Mathematik als wissenschaftlichem System, der „mathesis universalis“ und der Axiomatik. Im Ergebnis beschreibt Goudeau das Mathematische in dieser Theorie auf vier Ebenen: Erstens suche Goldmann, indem er sich des universellen, allen Wissenschaften zugrunde liegenden mathematischen Systems bediene, die Architektur kompatibel mit allen Wissensgebieten und Fachrichtungen zu machen und sie so letztendlich in Übereinstimmung mit Gott zu bringen. Zweitens bediene er sich bei seiner deduktiv-logischen Argumentation der axiomatischen Methode. Drittens strebe er nach einer enzyklopädischen Ordnung, die durch die hierarchische Ordnung des Materials in Dichotomien erreicht werde und viertens schließlich gelinge es Goldmann dadurch, dass er den Stoff in einer Synopse visualisiere, den Inhalt des Buches und die Entwurfsmethode kontrollier- und reproduzierbar zu machen. Man kann Goudeau schließlich nur zustimmen, wenn er Goldmanns Theorie als das „anspruchsvollste, umfangreichste und konsistenteste originär architektonische System“ des 17. Jahrhunderts bezeichnet (253).

Der vierte Hauptteil befasst sich mit „Themen aus Goldmanns Architekturtheorie“. Ausführlich wird der Gebrauch der vitruvianischen Grundbegriffe, die Auffassung von „Zeichnung und Modell“ und das Verständnis von Gotik diskutiert. Wichtig ist ferner Goudeaus Untersuchung darüber, auf welche Art und Weise Goldmann den salomonischen Tempel, vor allem in der Rekonstruktion von Villalpando (1605), zum universellen Ausgangspunkt für die zivile Architekturtheorie machte: Wohnhaus, Universität, Kirche, Stadt – alles ist aus der Gestalt des Salomonischen Tempels abgeleitet – und dieses befremdliche Verfahren folgt innerhalb des theoretischen Systems Goldmanns einer stringenten mathematischen Logik (342)! [8]
Eingebettet in diesen Zusammenhang stellt Goldmanns Vorstellung von einer mustergültigen Stadtanlage, die Goudeau eindringlich und anschaulich rekonstruiert, ein weiteres Glanzstück des Buches dar. Versteckt am Beginn des dritten Buches und auch bei Sturm ohne illustrierende Abbildung, ist dieses faszinierend-befremdliche Stadtkonzept, das nicht ohne Einfluss blieb, bisher von der Forschung nahezu unbeachtet geblieben. Diese Stadt scheint aufgebaut wie eine Synopse – es liegt in ihr der ganze Reiz und die ganze Ungeheuerlichkeit der „mathematischer Architekturwissenschaft“ Nicolaus Goldmanns.
Es ist aber bei aller Strenge, bei aller mathematisch-unduldsamen Systematik zu betonen, dass Goldmann seine Theorie als „Handreichung für das methodische Entwerfen“ verstand, als einen wissenschaftlich präsentierten und als mathematische Wissenschaft qualifizierten Lehrstoff, der den aufmerksamen Leser unfehlbar zu hochwertigen individuellen Entwürfen geleiten sollte. Nicht als Sammlung mustergültiger Vorbilder, nicht als „das Spiel selbst“ wie Goudeau zutreffend schreibt, sondern als methodisches Grundgerüst, als „Spielregel“, wollte der Privatdozent Goldmann seine Theorie verstanden wissen.

Goldmann – Sturm – Wolff, vielleicht ließe sich so eine der einflussreichsten architekturtheoretischen Strömungen der Jahrzehnte um 1700 im deutschsprachigen Raum umschreiben. Von diesen drei Autoren ist bisher nur der Mathematik-Professor, Architekt und Architekturtheoretiker Sturm [9] in gewissem Umfang erforscht, während das Werk des Philosophen Christian Wolff noch kaum für die Architekturgeschichtsschreibung erschlossen ist. Umso erfreulicher ist es, das Goudeau mit seinem Buch den Ersten in dieser Reihe auf beeindruckende Art und Weise vergegenwärtigt hat. In gewissem Sinne hat er damit einen Kreis geschlossen: Goldmann schrieb seine große „Civil Bau=Kunst“ nicht nur in den Niederlanden, sondern er tat dies auch unter dem prägenden Einfluss der niederländischen Wissenschaftskultur des beginnenden 17. Jahrhunderts – aber er schrieb sie in seiner Muttersprache, deutsch. Nun hat Goudeau endlich ein grundlegendes Werk über diesen wohl bedeutendsten deutschsprachigen Architekturtheoretiker des 17. Jahrhunderts vorgelegt, welches zu weiten Teilen über den bis dato wenig beachteten Originalmanuskripten in Berlin und Wolfenbüttel entstand – aber er schrieb es in seiner Muttersprache, niederländisch. Es ist diesem verdienstvollen Buch zu wünschen, dass es trotz seines Umfangs gelesen wird und dass es, wie jüngst im Rahmen einer anregenden Tagung in Braunschweig,[10] der Beschäftigung mit Architektur und Architekturtheorie in dem Jahrhundert um 1700 neue Impulse gibt.

Anmerkungen:

[1] Fast parallel zu Goudeau hat Charles van den Heuvel eine ähnlich schmerzhafte Lücke endlich geschlossen: Charles van den Heuvel: ‘De Huysbou’. A reconstruction of an unfinished treatise on architecture, town planning and civil engineering by Simon Stevin, Amsterdam 2005.
[2] Im letzten, „Epilog“ genannten Abschnitt folgt Goudeau dieser Spur bis hin zu Johann Jacob Schübler, Johann Friedrich Penther bis hin zu Christian Ludwig Stieglitz.
[3] Nikolaus Goldmann: Elementorum Architecturae Militaris Libri IV, Leiden 1643; La nouvelle fortification, Leiden 1645.
[4] Aus derselben Quelle speisen sich die zahlreichen, um Systematisierung des festungskundlichen Wissens bemühten Kompilationen, die während des 30-jährigen Krieges erschienen. Beispielsweise Adam Freytag 1631, Andreas Cellarius 1645, Matthias Dögen 1647.
[5] Nikolaus Goldmann: Notae ad Vitrvvii Volvta Ionica, in: Johannes de Laet (Hrsg.): M. Vitrvvii Pollionis De Architectvra Libri Decem, Amsterdam 1649, S. 265-272.
[6] Nikolaus Goldmann: Tractatus De Usu Proportionatorii Sive Circini Proportionalis […] / Eine Ahnleitung Vom Gebrauch Des Ebenpassers oder Proportionalcirckels. […], Leiden 1656.
[7] Nikolaus Goldmann: Tractatus de Stylometris […] / Gebrauch dehr Baustäbe […], Leiden 1661.
[8] Noch an zwei anderen Stellen geht Goudeau auf die zentrale Bedeutung ein, welche die Vorstellung einer auf dem salomonischen Tempel basierenden Geschichte der Architektur für Goldmanns Theorie besaß: Kapitel 4.5., S. 96ff.; Kap. 7.4., S. 183ff.
[9] Zu Sturm sei nur auf zwei instruktive Beiträge von Harmen Thies verwiesen, in: Hermann Korb und seine Zeit 1656 – 1735. Barockes Bauen im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, hrsg. v. Museum im Schloss Wolfenbüttel und dem Fachgebiet Baugeschichte der Technischen Universität Braunschweig, Braunschweig 2006.
[10] Das von Harmen Thies und Simon Paulus konzipierte Symposion, das vom 29.-31. März 2007 an der Technischen Universität Braunschweig stattfand, stand unter dem Titel „Entwurf und Theorie barocker Architektur um 1700“. Vgl. http://www.ibsg.tu-bs.de/baugeschichte/forschung/barsym.html (22. Juni 2007).

Goudeau, Jeroen: Nicolaus Goldmann (1611 - 1665) en de wiskundige architectuurwetenschap, Groningen: Elchers 2005
ISBN-10: 90-5048-088-8, 669 S.

Recommended Citation:
Christof Baier: [Review of:] Goudeau, Jeroen: Nicolaus Goldmann (1611 - 1665) en de wiskundige architectuurwetenschap, Groningen 2005. In: ArtHist.net, Jun 28, 2007 (accessed Dec 22, 2024), <https://arthist.net/reviews/163>.

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