REV-CONF 19.09.2017

Flüchtige Bilder / Fleeing Images

Universität Hamburg, 01.–03.12.2016

Bericht von Nicolas Oxen, Bauhaus-Universitaet Weimar
Redaktion: Livia Cárdenas

Flüchtige Bilder – Eine trans- und interdisziplinäre Tagung an der Universität Hamburg. // Fleeing Images – A trans- and interdisciplinary event at the University of Hamburg.

Bericht im Auftrag der Veranstalter

Mit dem Warburg-Haus hatte die trans- und interdisziplinäre Tagung „Flüchtige Bilder – Affekt, Repräsentation“ vom 01. bis 03.12. 2016 einen Veranstaltungsort gefunden, der durch die Arbeit des Bild- und Kulturwissenschaftlers Aby Warburg (1866-1929) nicht nur historisch ein Ort des Nachdenkens über die Wanderungen der Bilder darstellt, sondern auch für einen transdisziplinären Zugang zur Bildwissenschaft steht. Der Tagungstitel „Flüchtige Bilder: Affekt // Repräsentation“, folgte dabei nicht – wie so oft – der Logik einer möglichst allgemeinen und vieles einschließenden Themensetzung, sondern erschloss eine doppelte Forschungsperspektive.[1] Vor dem Hintergrund der sogenannten „Flüchtlingskrise“ ging es konkret um Bilder der Flucht und die Repräsentation von Geflüchteten in medialer Berichterstattung und politischer Debatte. Darüber hinaus spielten dabei auch die Fluchtbewegungen der Bilder selbst eine Rolle – die Flüchtigkeit der Bedingungen ihres materiellen und medialen Erscheinens ebenso, wie auch die sich bisweilen eigenwillig fortschreibende Bedeutung innerhalb ihrer Verbreitungskontexte. Mit dieser Ausrichtung fiel es nicht schwer, verschiedene geisteswissenschaftliche „Disziplinen“ miteinander ins Gespräch zu bringen: Archäologie, Kunstgeschichte, Bildtheorie, Kultur- und Medienwissenschaft sowie Soziologie und Kommunikationswissenschaft. Ebenfalls im Warburgschen Sinne produktiv trafen hier über ganz unterschiedliche historische und bildliche Kontexte hinweg ähnliche Fragen aufeinander und ähnliche Probleme tauchten wieder auf.

Einen Themenkomplex bildete die Stereotypisierung und Ausgrenzung von Geflüchteten, wie auch die problematische Haltung mit bildlichen Strategien über Flucht und für Flüchtlinge zu sprechen. Jakob Birkens Vortrag zeigte, in welcher Weise Katastrophen wie das Erdbeben von 1906 in San Francisco soziale Geographien und deren Verwerfungen sichtbar machen. In seinem Vortrag „Hitlergruß vorm Sonnenblumenhaus. Bilder der Asyldebatten“ machte Volker Land die Mosaikfassade eines Hochhauses in der Mecklenburger Allee in Rostock-Lichtenhagen zum ikonologischen Hintergrund für seine Aufarbeitung der medialen Berichterstattung über die fremdenfeindlichen Ausschreitungen, die 1992 dort stattgefunden hatten. Von hier aus verfolgte er die Bilddynamik der sich an diese Ereignisse anschließenden „Asyldebatte“ über die Titelseiten der Magazine und Zeitungen.

Die Filmemacherin Tami Liberman zeigte Ausschnitte aus ihrem Dokumentarfilm „Napps – Memoire of an invisible Man“, der aus der Perspektive ihres unsichtbaren Protagonisten, einem illegalen Geflüchteten in Berlin, erzählt wird. Anschließend holte sie Mr. X an das Rednerpult, um mit ihm über den Prozess des gemeinsamen Filmemachens zu berichten.

Auch die ästhetische Auseinandersetzung mit Flucht- und Exil-Erfahrungen spielte während der Tagung eine wichtige Rolle. Sarah Steidl zeigte in ihrem Vortrag wie Film und Literatur sich in ihrer ästhetischen Form wechselseitig beeinflussen, wenn ein Bild der Flucht zum Ausgangsmaterial der künstlerischen Reflexion wird. Gegenstand ihres Vortrags war die gemeinsame Arbeit der Schriftstellerin Merle Kröger und des Filmemachers Philip Scheffner, die filmisch und literarisch versucht haben, die Seherfahrung eines kurzen Youtube-Clips zu verarbeiten, der von einem Kreuzfahrtschiff aus ein in der Ferne im Meer treibendes Flüchtlingsboot zeigt.

Marina Gerber hat den Blick auf Flucht in seiner ästhetischen Dimension noch einmal verschoben und sprach über die Konzeptkunst und Aktionen der Künstlergruppe „Kollektive Aktionen“ und deren „innerer Flucht“ auf die Datscha in der verschneiten russischen Einsamkeit.

Künstlerisch prominente und weniger bekannte Exilerfahrungen untersuchten Tim Pickartz am Beispiel der fotografischen Arbeiten von Jonas und Adolfas Mekas und Katharina Manojlovic, die sich mit den Postkarten und Reise-Erinnerungen aus dem Nachlass des Schriftstellers Frank Zwillinger beschäftigte.

Dass Flucht zu allen Zeiten ein Thema ist, das sich in bildlichen Darstellungen niederschlägt, aber auch für den Austausch zwischen Bildkulturen steht, zeigten Matthias Grawehr und Cheyenne Peverelli aus einer archäologischen Perspektive mit ihrem ebenso materialreichen wie pointierten Vortrag „Von Assur bis Athen. Bilder der Flucht aus dem Alten Orient als Neubeginn der Griechischen Kunst, 900-700 v. Chr.“ Eindrucksvoll konfrontierte Giannina Lisitano sich selbst als Wissenschaftlerin und das Tagungspublikum mit einem schwer zu ertragenden Bild: das Foto des ertrunkenen Flüchtlingskindes Alan Kurdi. Dieses Bild sorgte mit seiner affektiven Kraft, wie Lisitano zeigte, nicht nur für konkrete Entscheidungen auf politischer Ebene, sondern erfuhr auch eine mimetische Aneignung in künstlerischen Protestaktionen und wurde so zu einer Art „Meme“ der Flucht als humanitäre Katastrophe.

Möglichkeiten für vertiefende Diskussion und Austausch mit Geflüchteten bot auch das begleitende Workshop-Programm. Drastischen visuellen Erfahrungen und dem grausamen visuellen Unbewussten des Internets mussten sich die Teilnehmenden des Workshops „Bilder des Terrors zwischen Affekt und Repräsentation“ stellen, in dem Jacobus Bracker und Philipp Müller über die Bildsprache des Terrors und die visuellen Propaganda-Strategien der Terrororganisation „Islamischer Staat“ sprachen.

Insgesamt war diese Tagung von einer offenen und konstruktiven Diskussionsatmosphäre geprägt, die von der trans- und interdisziplinären Ausrichtung profitiert hat. Neben der wissenschaftlichen Diskussion, bestand die politische Dimension dieser Tagung darin, Flucht und Flüchtigkeit nicht nur als bildtheoretische, sondern auch als politische „Bewegungen“ zu begreifen.

Anmerkung
[1] Die Tagung wurde organisiert von Jacobus Bracker, Ann-Kathrin Hubrich und Stefanie Johns (alle Universität Hamburg: Archäologie und Kulturgeschichte des antiken Mittelmeerraumes/ Kunstgeschichtliches Seminar/ Kunstpädagogik und Visuelle Bildung). Tagungsprogramm: https://arthist.net/archive/14094

Empfohlene Zitation:
Nicolas Oxen: [Tagungsbericht zu:] Flüchtige Bilder / Fleeing Images (Universität Hamburg, 01.–03.12.2016). In: ArtHist.net, 19.09.2017. Letzter Zugriff 19.03.2024. <https://arthist.net/reviews/16117>.

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