REV-CONF 08.06.2011

Konferenz/Ausstellung "Lichtgefüge" und "Lichtparcours"

Kunstgewerbemuseum und Gemäldegalerie des Kulturforums, Berlin, 31.03.–02.04.2011

Bericht von Christoph Geissmar-Brandi, Berlin
Redaktion: Karin Leonhard

Lichte Momente en gros

Wer sich gegenwärtig einen ungewöhnlichen Weg in Berlin sucht, dem steht der „Lichtparcours“ in der Gemäldegalerie des Kulturforums offen. Zwar endete die Ausstellung am 8. Mai, aber die Gedanken, die durch die Sammlung lenken, sind im noch weiter angebotenen und auf den neuen Stand gebrachten Besucherheft präsent. Ein erläuterter Gang durch „Lichtgefüge“ eröffnet die Rolle des gemalten Lichts in der Kunstgeschichte bis in das Ende des 17. Jahrhunderts. Nur wenige Sammlungen in Deutschland können soviel Tiefe bieten wie die Berliner Gemäldegalerie und folglich so einen besonderen Weg durch die Bildgeschichte erlauben. Denn der Zugang zur Lichtmalerei führt quer durch die Sammlung; besonders ist, dass die Ausstellung sich der vorhandenen Hängung bediente und trotzdem dem Besucher auf überraschenden Wegen kreuz und quer durch die Räume einen Blick auf die europäische Malerei erlaubte, den er ohne den Anstoß durch die Ausstellung weder erdenken noch ersehen könnte. Eine Auswahl von 20 Gemälden führt fein mit einem klugen Besucherheft durch die sich wandelnde Bedeutung des Lichtes in der Kunst vor allem in Beispielen aus den Niederlanden. Im Ausgangsraum des kleinen Parcours skizzierte eine Reihe von Rembrandt-Radierungen die Thematik. Es steht den Besuchern der Nationalgalerie darüber hinaus offen, gewonnene Blicke bei den ja ebenfalls präsenten Italienern wiederzufinden.
Licht kann man unter bestimmten Bedingungen sehen, physikalisch erforschen, berechnen, schaffen, malen – und auch denken. In der Wissenschaftsgeschichte einschließlich der Antike haben die unterschiedlichen Vorstellungen vom Wesen des Lichts eine enorme Bedeutung. Wie finden sich diese sehr diversifizierten Vorstellungen in den Künsten? Und sind die Lichträume der Künstler von denen der textbezogenen Wissenschaftler im 17. Jahrhundert und denen ihrer Wegbereiter zu scheiden?

Dieser Frage widmete sich die Berliner Tagung „Lichtgefüge“ vom 31. 3. – 2. 4. 2011 der gleichnamigen Forschungsgruppe von Carolin Bohlmann, Thomas Fink und Philipp Weiss (alle Berlin) sowie Thomas Leinkauf (Münster) im Kunstgewerbemuseum am Kulturforum. Seit über 10 Jahren widmet sich das Forschergespann diesen vielfältigen Bilderrätseln; die Konferenz hatte ihren Start an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel vor 6 Jahren [1]. Das neue Treffen in Berlin hat das Thema auf die Literaturwissenschaft, die Wissenschaftsgeschichte hin und in die Museumslandschaft hinein erweitert und es hatte den Vorteil, lokal Seite an Seite mit dem „Lichtparcours“ stattzufinden – man konnte zugleich sehen, wovon man sprach. Überlegt beschränkten sich die Beiträge dann auch auf das 16. und 17. Jahrhundert. Die in der Tagung formulierten Probleme des neu Gedachten liegen zunächst darin, dass bis auf wenige Ausnahmen die moderne Forschung zum Licht nur wenig grundsätzlich leisten konnte. Die bildkonstituierende Rolle von Lichträumen scheint im 16. und 17. Jahrhundert eine ähnlich raumgenerierende Kraft zu haben, wie die Entwicklung der Zentralperspektive in der frühen Renaissance. Von der Teilhabe an dieser Entwicklung vor allem Vermeers sprach in Details Gregor J.M. Weber (Rijksmuseum Amsterdam) in seinem Vortrag zu den Mitteln der Lichtdarstellung in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts – er eröffnete die Tagung in einem eindrucksvoll anschaulichen Vortrag über die Formeln und Strategien barocker Lichtmalerei.
Solche Winzigkeiten auf der Leinwand - den Pinselstrich oder -tupfen, der Pigmente nebeneinander reiht, die zum Licht auf dem Bild führen und die Farbe offenbaren - sah auch Nike Bätzner (Halle) bei Peter Paul Rubens und dessen Lernen aus den „Opticorum Libri Sex“ des Jesuiten Franciscus Aguilonius. Sie stellte in einem spannenden Ausflug bildlich ganz ähnliche Details bei den Pointillisten neben die Maltechnik des Peter Paul Rubens. Auch Franciscus Aguilonius‘ optisches Werk ist ein Beitrag zu einer breiteren, die Bild- wie Textwelten des 17. Jahrhunderts übergreifenden Kultur des Helldunkels. Die ver- und entbergenden Potenzen des chiaroscuro nämlich entfalten sich in einer Rhetorik der Spitzfindigkeit, der argutia, deren Stilmittel dunkle Metaphern oder Bilder ebenso sind wie Antithesen, Hyperbeln und pointierte Ausdrücke. Diese „chiaroscuro-Technik“ (Ralph Häfner, Tübingen) in Malerei und Literatur ist damit ein Mittel, der dunklen, komplexen, vielgestaltigen irdischen Wirklichkeit mit ähnlich raffinierten Mitteln beizukommen. Häfner exerzierte das bildschön am Beispiel des Paragone zwischen dem Hamburger Dichter Barthold Heinrich Brockes anhand seines Hauptwerkes „Irdisches Vergnügen in Gott“ (erschienen ab 1721) und den Blumenstilleben des Römers Mario Nuzzi und seines Schülers Franz Werner Tamm, der lange als Hofmaler in Wien tätig war. Mit diesem Vortrag gelang Häfner die Erläuterung eines spielerischen Übergangs gleicher Stilmittel vom Bild zum Text.
Eine im November in der Gemäldegalerie Alte Meister auf der Kasseler Wilhelmshöhe folgende Ausstellung der Forschungsgruppe wird schließlich der Frage nachgehen, inwieweit die Inventionen der Künste wissenschaftliche Erkenntnis aus Naturwissenschaften wie der Optik vorweg bestimmten. Noch war im 17. Jahrhundert das Wissen und seine Anwendung nicht in die Wissenschaften und die artes liberales geschieden. Dies anhand einer Rekonstruktion der Präsentation im Kunsthaus zu Kassel, dem direkten Vorläufer des Fridericianum, zu erläutern gelang Bjoern Schirmeier sowie Fokko Jan Dijksterhuis (Twente), der sich mit Ehrenfried Walther von Tschirnhaus und seinen Brennspiegeln beschäftigte. Sven Dupré (Gent) über Giovanni Paolo Lomazzo’s „Trattato“ und Karel von Mander’s „Schilderboek“ belegte diese Interaktion von Wissen und künstlerischer Praxis ebenfalls.
Den Schlussakkord des Treffens setzte Hilmar Frank (Berlin) mit einem Beitrag zu Lichtreiz und Lichtempfindung – man könnte auch sagen: zum Verhältnis der objektiv bestimmbaren Lichtstärken und ihrer Wahrnehmung und Empfindung durch den menschlichen Sehsinn. Es war der Mathematiker Daniel Bernoulli (1700-1782), der in seinem ‚Specimen theoriae novae de mensura sortis‘ (Versuch einer neuen Theorie der Wertbestimmung von Glücksfällen) eine so skurril wie naheliegende Lösung anbot, indem er im Kontext des Glücksspiels das Verhältnis der Intensität von Glücksempfindung und (steigendem) Geldgewinn auf eine mathematische Formel brachte. Diese Formel sollte Gustav Theodor Fechner (1801-1887) richtig auf den Zusammenhang von Lichtreiz und Lichtempfindung übertragen. Hilmar Frank ergänzte damit seinen Beitrag zur Vorgängertagung, in dem er über die extreme Diskrepanz von bis zu 100 000 Helligkeitsabstufungen, die der menschliche Sehsinn bei der Wirklichkeitswahrnehmung zu unterscheiden vermag und den nur gut 30 Abstufungen, die die Ölmalerei darstellen kann, referierte. Dass die Maler mit derart eingeschränkten medialen Mitteln dennoch etwa den Eindruck sonnendurchfluteter Landschaften hervorbringen konnten, liegt an ihren in der Werkstattkultur erarbeiteten impliziten Kenntnissen der Wahrnehmungsgesetzlichkeiten, die die Wissenschaft in der Photometrie und in Wahrnehmungspsychologie und -physiologie erst zwei Jahrhunderte später rationalisieren konnte. Es ist das Besondere der Kunst eines Caravaggio, Rembrandt oder Vermeer, eines Nicolas Poussin oder später eines William Turner, Licht so zu malen, dass es im inneren Auge nochmals entsteht.

Anmerkungen:

[1] Bohlmann, Carolin; Fink, Thomas; Weiss, Philipp (Hg.), Lichtgefüge des 17. Jahrhunderts - Rembrandt und Vermeer, Leibniz und Spinoza, München 2008.

Empfohlene Zitation:
Christoph Geissmar-Brandi: [Tagungsbericht zu:] Konferenz/Ausstellung "Lichtgefüge" und "Lichtparcours" (Kunstgewerbemuseum und Gemäldegalerie des Kulturforums, Berlin, 31.03.–02.04.2011). In: ArtHist.net, 08.06.2011. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/1508>.

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