REV 10.02.2007

Walter S. Gibson: Pieter Bruegel and the art of laughter

Rezensiert von Bertram Kaschek, Technische Universität Dresden
Redaktion: Rainer Donandt

Eine Studie über die Kunst des Lachens verspricht uns Walter S. Gibson mit seinem neuen Buch "Pieter Bruegel and the Art of Laughter". Zweierlei dürfen wir also von dieser Publikation erwarten: Neue Einsichten in das Werk des flämischen Malers sowie erhellende Bemerkungen zum fundamental-menschlichen Phänomen des Lachens. Und vielleicht sogar ein drittes: den Nachweis, wie diese beiden Dinge miteinander zusammenhängen. Inwiefern diese Erwartungen durch die Lektüre erfüllt werden, sei zunächst dahingestellt.

Walter Gibson ist gewiss einer der renommiertesten Historiker auf dem Gebiet der niederländischen Malerei der Frühen Neuzeit. Vor allem seine Arbeiten zu Bosch und Bruegel sowie zur Landschaftsmalerei des 16. und 17. Jahrhunderts zählen aufgrund der bewundernswerten Quellenkenntnis Gibsons zu den unverzichtbaren Standartwerken des Faches. Und so wartet auch seine neuste Publikation mit einer Fülle von interessanten Fußnoten auf, die noch vielen Forschern als materialreiche Fundgrube werden dienen können. Einige seiner Ansichten allerdings hat Gibson bereits in früheren Beiträgen dargelegt - das neue Buch kann also gewissermaßen als Summe seiner Bruegel-Forschungen betrachtet werden.

In sechs Kapiteln zwischen Prolog und Epilog wird uns Bruegel hier als Scherz-Künstler vorgestellt, als malender Meister des Gelächters, der es wie kein zweiter verstand, den menschlichen Körper in schallende Wallung zu versetzen. Im Zentrum stehen hierbei Bruegels Bauern-Bilder, in denen Gibson Bruegels Lach-Kunst idealtypisch verkörpert sieht. Mit seiner Betonung des Lach-Künstlers verfolgt das Buch eine klare Stoßrichtung, die in der Einleitung auch deutlich benannt wird: Es geht in erster Linie um die Zurückweisung aller Deutungsversuche, die in Bruegels Werken anspruchsvolle philosophische oder theologische Reflexionsbilder erkennen wollen.[1] Darüber hinaus lehnt Gibson aber auch Interpretationen ab, die den Bildern einen satirisch-moralischen Gehalt zusprechen.[2] Seine eigene Vision peilt dagegen einen gutmütig spaßenden Künstler an, der in wohliger Gemeinschaft mit Bauern und Auftraggebern seine leutseligen Bilder malte.

Was Gibson also vorschlägt, ist eine Rückkehr zu Karel van Mander, dem ersten Biographen des Künstlers, der bereits in seinem Schilderboeck von 1604 Bruegel als malenden Spaßmacher darstellte. Hatte sich ein Großteil der Forschung des 20. Jahrhunderts noch darum bemüht, Bruegel als intellektuellen Künstler zu etablieren, bläst Gibson nun zum Rückzug. Ganz neu ist dieses Anliegen freilich nicht. Schon zu Beginn der 1970er Jahre hatte Svetlana Alpers vorgeschlagen, Bruegels Realismus als "comic mode" und nicht als moralinsaure Bauernschelte zu begreifen - eine Sicht der Dinge, der damals aus teils guten Gründen, wenn auch recht unhöflich, widersprochen wurde (was zu einer berüchtigten Debatte führte, die Gibson seltsamerweise nicht direkt anspricht).[3]

Die grundsätzlichen Zweifel des Rezensenten gegenüber Gibsons genereller Ablehnung ambitionierter Deutungen müssen an diesem Ort zurückgestellt werden. Was hier zur Diskussion stehen soll, sind allein die Argumente, die Gibson für seine These ins Feld führt, Bruegels Zeitgenossen hätten auf zahlreiche seiner Bilder vornehmlich mit Belustigung und Gelächter reagiert. Gibsons wichtigster Beleg für diese Ansicht ist nun eine Anekdote, die Karel van Mander in seiner Lebensbeschreibung des Hans Vredemann de Vries zum Besten gibt: Bruegel habe auf ein Perspektivfresko, das sein Kollege Vredemann de Vries für den Brüsseler Regierungsbeamten Aert Molckmann gefertigt hatte, heimlich einen Bauern in schmutzigem Hemd gemalt, der sich schamlos an einer Bäuerin vergreift. Dies habe beim reichen Mäzen großes Gelächter hervorgerufen und diesen so sehr begeistert, dass er sich weigerte, die obszöne Szene übermalen zu lassen.

Zweierlei ist äußerst problematisch an diesem Beleg. Zum einen muss Gibson eingestehen, dass sich diese Episode van Mander zufolge in den 1570er Jahren ereignet haben soll - zu einem Zeitpunkt also, als Bruegel bereits verstorben war. Zum anderen ist generell auf den rhetorisch-fiktionalen Exempelcharakter solcher Anekdoten hinzuweisen, die weniger auf historische Ereignisse rekurrieren als vielmehr eine didaktische Funktion haben.[4] So hat van Mander gute Gründe, Bruegel als derben Spaßmacher zu charakterisieren, denn dieser entspricht kaum seinem Ideal eines an der italienischen Malerei geschulten Meisters - und kann von daher auch nicht als strahlendes Vorbild für junge Maler dienen, sondern muss als zotiger Nischenmaler den untersten Rang der Gattungshierarchie verkörpern. Dass Gibson trotz der offenkundigen Fehlinformation - also wider besseres Wissen - volles Vertrauen in die Glaubwürdigkeit van Manders hat, muss bedenklich stimmen.

Um den Mangel an weiteren direkten Quellen zur ursprünglichen Rezeption Bruegels auszugleichen, entfaltet Gibson ein wahrhaft europäisches Panorama des Lachens. Hier paradieren die großen Namen des 16. Jahrhunderts (Erasmus, Juan Luis Vives, Baldassare Castiglione, Rabelais) und fügen sich zur Skizze einer frühneuzeitlichen Kulturgeschichte des Lachens. Doch auch weniger bekannte Zeugnisse wie die niederländischen 'kluchtboeken', Laurent Jouberts 'Traité de ris' oder die 'refereinen in 't sotte' der niederländischen Rederijkers werden als Belege einer ausgeprägten Spaßkultur angeführt, um zu dem Schluss zu gelangen: "In view of the spate of books, plays, and songs in Bruegel's time that were written to elicit amusement and laughter, we may ask if some works of art might have been created for the same purpose" (28).

Dass im 16. Jahrhundert viel und gerne gelacht wurde und dass es eine reiche Produktion an witzigen literarischen Texten gegeben hat, soll hier nicht bestritten werden. Auch soll den Bildern Bruegels keineswegs der Humor abgesprochen werden - ganz im Gegenteil. Was hier aber in Frage gestellt werden muss, ist der methodisch unvermittelte Schritt vom Allgemeinen zum Besonderen, den Gibson vollzieht, wenn er Bruegel umstandslos einer paneuropäischen Lachkultur zuschlägt, der es vermeintlich nur ums schiere Amüsement ging. Denn so lässt er die konkreten Konturen Bruegels verschwimmen, indem er sie nahtlos mit einem hypostasierten Renaissancehorizont verschmilzt. In diesem Sinne spricht Gibson wiederholt von "Bruegel's contemporaries", denen es beim Betrachten von dessen Bildern vor allem ums Gelächter gegangen sei, ohne dass dabei deutlich würde, wer genau (zwischen Boccaccio, flämischen Bauern und Robert Burton) damit gemeint ist.

Im Falle der bekannten Bauernbilder Bruegels ist dies anders. In den Kernkapiteln seines Buches kann Gibson - unter Berufung auf die Forschungen von Luc Smolderen - den Erstbesitzer der Gemälde mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmen. Es handelt sich um den Antwerpener Münzmeister Jean Noirot, der nach einem Finanzskandal aus Antwerpen fliehen musste und in dessen Bankrottinventar unter 50 Gemälden auch fünf Werke Bruegels verzeichnet waren: eine Winterlandschaft, zwei Bauernhochzeiten und zwei Bauernkirmessen. Es steht also fest, dass die Bauernbilder für einen reichen Auftraggeber gemalt wurden. So sieht Gibson in diesen Werken freundliche Schilderungen ländlicher Festivitäten, die mit großer Sympathie und Einfühlung das lustige Landleben für vermögende Städter festhalten. Im Gegensatz zu den Bauernfesten in den Grafiken eines Sebald Beham oder Pieter van der Borcht habe es Bruegel vermieden, die Trunkenheit und Gewalttätigkeit der Bauern darzustellen und stattdessen deren anständiges Benehmen betont und sie gar in einem idealisierten Licht erscheinen lassen.

Ein solches Urteil kann nur fällen, wer sich dem anschaulichen Gehalt der Bilder und ihrer narrativen Struktur verschließt. Denn Gewalt und Trunkenheit liegen allenthalben in der Luft. Bruegel mag deren direkte Darstellung vermeiden, doch ein mitdenkender Betrachter muss erkennen, dass all das, was in der Bauerngrafik explizit gezeigt wird, den Bruegelschen Szenen durchaus noch bevorsteht. Bruegels Bilder rechnen mit einem Rezipienten, der mit dieser Bildtradition vertraut ist und die volle Dimension des Geschehens im Verlauf der Betrachtung selbsttätig erschließt. So entfaltet sich auch die derbe, mitunter bösartige Komik der Bilder nur schrittweise im Prozess der Bildaneignung, wenn man einsehen muss, dass die zunächst so unschuldig anmutenden Bauernfeiern im Exzess enden werden. Bruegel spielt ein Spiel der Täuschung und Enttäuschung, das sich einem aufmerksamen Betrachter ohne hermetische Initiation erschließen kann.

Man mag diese Deutung bestreiten - und kann dies unter Berufung auf die Bilder auch gerne tun. Gegenüber Gibson liegt aber gerade hier der gewichtigste Einwand: Er versäumt es durchgängig, Bruegels Kompositionen als ganze zusammenhängend zu analysieren und ihre bildliche Logik näher zu durchleuchten. Dies hat zur Folge, dass er den Humor dieser Gemälde ständig postuliert, ohne je sagen zu können, worin eigentlich der spezifische Spaß-Effekt der Bruegel-Bilder liegt, der uns zum Lachen bringen könnte. Stattdessen widmet er sich isolierten Details (z.B. den Physiognomien), die er für schlechthin lustig hält. Damit verkennt er die Intelligenz der Bilder und wird seinem eigenen Anspruch, die "Kunst des Lachens" zu erhellen, nicht gerecht.

Dass er hier scheitert, ist in seiner irrigen Annahme begründet, Moral und Witz seien eiserne Kontrahenten. Wolle man also den Humor der Bruegelschen Bilder zeigen, dann müsse man das Moralisieren aus dem Wege schaffen. Das Gegenteil ist der Fall, wie man aus Sebastian Brants Narrenschiff und Erasmus' Lob der Torheit lernen kann, die genau aus dem Spannungsverhältnis zwischen moralischem Anspruch und kalkulierter Narretei ihre Kraft und ihren Witz beziehen. Zwar führt Gibson diese Texte an, doch verkennt er ganz offenbar deren paradoxe Logik, die dem Leser letztlich abverlangt, nicht vorschnell über die vorgebrachten Exempel zu urteilen, sondern sich selbst in Frage zu stellen. In genau diesem Sinne fordern auch die Bilder Bruegels letztlich eine selbstironische Haltung des Betrachters, der - involviert, weil amüsiert schauend - sich nur bedingt vom Gegenstand seines Spotts distanzieren kann. Auch wenn Gibson seinen Epilog mit "Taking laughter seriously" überschreibt, verfehlt er doch diese Pointe des "serio ludere".

So zeigen seine abschließenden Bemerkungen noch einmal in aller Deutlichkeit, dass er sich die Kunst des Lachens bei Bruegel ganz anders vorstellt: "Bruegel's peasant scenes would have contributed mightily to mealtime socialization and relaxation. And thus, despite their many layers of social meaning, his peasant revels functioned ultimately, not in 't wyze, but in 't sot, but not as objects of mockery or moralizing. [...] Bruegel's country revels, I suspect, would more likely have elicited good-natured laughter as host and guest recalled their own pleasant experiences in the countryside." (S. 154 f.) Nicht weise sind die Bilder, sondern schlicht närrisch, ohne dabei aber spöttisch oder moralisch zu sein. Und folgt man dem Autor weiter, so ist es weniger die spezifische Form der Bilder, die das Gelächter hervorruft, als vielmehr die Erinnerung der ursprünglichen Betrachter an eigene Erlebnisse. Worin Bruegels genuine künstlerisch-humoristische Leistung besteht, muss so im Dunkeln bleiben.

Gibson will ein positives Bauernbild, harmlose Scherze und wohlwollendes Lachen. Der Betrachter soll - damals wie heute - die Gemälde ohne intellektuelle Störfaktoren kulinarisch genießen können. Dass Bilder sinnliche Herausforderungen an das Denkvermögen sein können, kommt so nicht in den Blick. Auch die Möglichkeit, dass Auftraggeber in Zeiten der Konfessionalisierung und des Bildersturms ein vitales Interesse am Verhältnis von Glaube und Kunst gehabt haben könnten und dies im Medium des Bildes reflektiert sehen wollten, bleibt jenseits aller Überlegungen. Doch dies sind Kritikpunkte, die Gibsons selbstgesteckten Rahmen überschreiten. Festzuhalten aber bleibt die unzureichende Auseinandersetzung mit dem komplexen visuellen Tatbestand der Gemälde selbst - in Zeiten des Iconic Turn ist solche Bildvergessenheit schwer zu verzeihen. So ist Gibsons Buch als inspirierende Materialsammlung durchaus zu empfehlen - als Studie zu Pieter Bruegel und seiner Kunst des Lachens bleibt es weit hinter den geweckten Erwartungen zurück.

Anmerkungen:

[1] Vgl. etwa Margaret A. Sullivan: Bruegel's Peasants. Art and Audience in the Northern Renaissance. Cambridge 1994; Jürgen Müller: Das Paradox als Bildform. Studien zur Ikonologie Pieter Bruegels d.Ä. München 1999.

[2] Vgl. Hans-Joachim Raupp: Bauernsatiren. Entstehung und Entwicklung des bäuerlichen Genres in der deutschen und niederländischen Kunst ca. 1470-1570. Niederzier 1986.

[3] Vgl. Svetlana Alpers: Bruegel's Festive Peasants. In: Simiolus 6 (1972/73), S. 163-176; dies.: Realism as a Comic Mode: Low Life Painting Seen Through Bredero's Eyes. In: Simiolus 8 (1975/76), S. 115-144; Hessel Miedema: Realism and Comic Mode: The Peasant. In: Simiolus 9 (1977), S. 205-219; Svetlana Alpers: Taking Pictures Seriously: A Reply to Hessel Miedema. In: Simiolus 10 (1978/79), S. 46-50.

[4] Vgl. hierzu allgemein Jürgen Müller: Concordia Pragensis. Karel van Manders Kunsttheorie im Schilder-Boeck. Ein Beitrag zur Rhetorisierung von Kunst und Leben am Beispiel der rudolfinischen Hofkünstler. München 1993. Speziell zum Bruegel-Bild van Manders vgl. Müller 1999, S. 11-19.

Gibson, Walter S.: Pieter Bruegel and the art of laughter, Berkeley, Calif. [u.a.]: University of California Press 2006
ISBN-13: 978-0-520-24521-1, XXI, 266 S., alk. paper

Empfohlene Zitation:
Bertram Kaschek: [Rezension zu:] Gibson, Walter S.: Pieter Bruegel and the art of laughter, Berkeley, Calif. [u.a.] 2006. In: ArtHist.net, 10.02.2007. Letzter Zugriff 24.04.2024. <https://arthist.net/reviews/146>.

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