Fränkische Tafelmalerei des Spätmittelalters – Kontexte, Funktionen, Techniken
Expertentreffen im Rahmen des SAW-Projekts „Die deutsche Tafelmalerei des Spätmittelalters. Kunsthistorische und kunsttechnologische Erforschung der Gemälde im Germanischen Nationalmuseum“.
[ein Bericht der Veranstalter]
Mit dem Ziel, neue Erkenntnisse in erweitertem Kontext zu diskutieren, lud das von der Leibniz-Gemeinschaft geförderte SAW-Projekt zur deutschen Tafelmalerei des Spätmittelalters 30 Spezialisten zu einem zweitägigen Expertentreffen in das Germanische Nationalmuseum (GNM) in Nürnberg ein. Dabei stand der aktuell vom Forschungsteam untersuchte Bestand der fränkischen Gemälde des GNM im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Austausches. Im Rahmen einzelner Themenblöcke, die sich aus Vorträgen von externen Referenten und Mitgliedern des Forschungsprojektes zusammensetzten, wurden kulturhistorische Fragen zu Stiftungstätigkeit, Memorialkultur, Werkstattpraxis und Künstlermobilität erörtert und damit Voraussetzungen und Entstehungsbedingungen der im GNM erforschten Werke näher beleuchtet. Daneben wurden kunsttechnologische Aspekte der spätmittelalterlichen Tafelmalerei diskutiert und neue Einsichten zu materieller Beschaffenheit und Herstellungstechniken fränkischer Tafelgemälde vorgestellt. In den Vorträgen und Plenumsdiskussionen kristallisierten sich zentrale Fragen und Probleme heraus, welche die Richtung für zukünftige Forschungsarbeit weisen.
Den Auftakt der Tagung bildete die Sektion zu Stiftungstätigkeit und Erinnerungskultur in Nürnberg und Franken. Die Projektleiterin Dagmar Hirschfelder (Nürnberg) stellte den umfangreichen Bestand spätmittelalterlicher Tafelgemälde des GNM vor und erläuterte unter anderem, wie durch die Verbindung von Kunstgeschichte und Kunsttechnologie neue Erkenntnisse zu verschiedenen Retabelstiftungen gewonnen werden konnten. Gerhard Weilandt (Greifswald) behandelte am Beispiel verschiedener Nürnberger Stiftungskomplexe wie den Fensterstiftungen von St. Sebald die unterschiedlichen Hierarchien und Motivationen im Stiftungswesen, wobei Letztere nicht einseitig auf die Memorialfunktion reduziert werden sollten. Gerade die Repräsentation des Status der Stifter im öffentlichen Raum spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Darüber hinaus seien die individuellen Beweggründe der Stifter von Retabeln, Epitaphien usw. für die Kirchen Nürnbergs, etwa für die Klosterkirchen, differenzierter zu hinterfragen. Dass trotz allem die Sorge um das Seelenheil und die Jenseitsfürsorge ein zentraler Grund für Stiftungen blieb, unterstrich Thomas Noll (Göttingen) mit seinen Überlegungen zu Gestalt und Funktion der Nürnberger Bildepitaphien. Dabei zeige sich die auf die Stifter bezogene Funktion der Jenseitsfürsorge häufig verschränkt mit Motivwahl und Gestaltung des jeweiligen Epitaphs. Mit dem Hinweis auf die kritische Beurteilung, die bei nicht entstehungszeitlichen Quellen zu Stiftern geboten ist, wurde noch einmal hervorgehoben, dass die Bedachten der Epitaphien in erster Linie Frauen waren. Männer hingegen stifteten Totenschilde, wie Katja Putzer und Elisabeth Taube aus ihrem laufenden Projekt über die spätmittelalterlichen Totenschilde am GNM berichteten. Dabei ergaben sich interessante Analogien zwischen den Totenschilden und den Bildepitaphien, was Herstellungstechniken aber auch die Orte der Anbringung und den Zeithorizont der Herstellung betrifft. Totenschilde wurden in der Regel bereits im ersten Jahr nach dem Tod des Bedachten bezahlt, was die gängige Datierungsmethode von Bildepitaphien anhand des Sterbedatums der Bedachten bestätigt.
Die zweite Sektion des Tages widmete sich kunsttechnologischen Fragestellungen. Thomas Eißing (Bamberg) erläuterte die Möglichkeiten der Differenzierung, welche Dendrochronologie und Dendroprovenancing inzwischen bezüglich der Datierung und räumlichen Verortung der Tafelbretter bieten. Die Verwendung von Nadelhölzern für Nürnberger Gemälde lässt sich auf die forstwirtschaftliche Nutzung des Reichswaldes zurückführen, wobei es hier interessante Parallelen zur Bauholznutzung gibt. Somit versprechen weitere Forschungen zu Holzhandel und -transportwegen in Kombination mit dem Dendroprovenancing neue Erkenntnisse zu den Produktionsbedingungen auch von Tafelgemälden. Im Anschluss berichtete Beate Fücker (Nürnberg) Neues zu Bildträger und Malgrund in der fränkischen Tafelmalerei. In einigen Fällen ließ sich das Abweichen von dem für die Gemäldeproduktion in Franken typischen Nadelholz als Bildträger feststellen. Als Kaschierungsmaterial der Bildträger nutzte man bis etwa 1450 vornehmlich Gewebe, während in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts neben Textilien auch Faserkaschierungen mit Tiersehnen zu beobachten sind.
Auf einen Wandel im Einsatz bestimmter Materialien und Techniken um die Mitte des 15. Jahrhunderts ließ der Beitrag von Lisa Eckstein (Nürnberg) schließen. So erlebten z.B. Pressbrokatapplikationen in der zweiten Jahrhunderthälfte eine enorme Konjunktur in den Werkstätten Hans Pleydenwurffs und Michael Wolgemuts; gegen Ende des 15. Jahrhunderts ebbte das Phänomen wieder ab. Dagegen lassen sich Punzierungen vermehrt für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts feststellen, und auch die Verwendung von schwarzem Poliment ist vor allem zwischen 1420 und 1455 in Franken nachweisbar. Es zeigte sich deutlich, dass Querauswertungen dieser Art neue Erkenntnisse zum regional- und zeitspezifischen Einsatz von Materialien und Techniken versprechen. In größerer Perspektive könnten sie zur Definition von Kunstlandschaften aus technologischer Sicht beitragen.
Die wechselseitige Befruchtung von Kunstgeschichte und Kunsttechnologie demonstrierte einmal mehr Katja von Baum (Nürnberg) am Beispiel verschiedener Rekonstruktionsmodelle zu drei Baldachinretabeln und einem Katharinenretabel. Durch die Verbindung kunsttechnologischer Untersuchungen mit dem Studium und Vergleich von Referenzwerken gelang ihr die Rekonstruktion verlorener Retabelzusammenhänge. Das Plenum unterstrich den hohen Nutzen, der sich für die künftige Forschung daraus ergeben würde, Untersuchungsergebnisse und Daten des Projekts, wie z.B. hochauflösende Infrarot- und Röntgenaufnahmen sowie Detail- und Makroaufnahmen, in einer den Bestandskatalog erweiternden Datenbank verfügbar zu machen.[1]
Beate Fücker, Oliver Mack und Griet Steyaert widmeten sich unterschiedlichen Trägermaterialien der spätmittelalterlichen Bildproduktion. Fücker zeigte die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten bemalter Zinnfolien in der fränkischen Tafelmalerei auf. Wie Griet Steyaert (Brüssel) im Zusammenhang mit ihrer Arbeit an niederländischen Gemälden feststellte, kam die Applikation auf Zinnfolie gemalter Porträtköpfe nicht nur in Franken, sondern auch in den Niederlanden vor. Die Diskussion ergab, dass für den Einsatz von Zinnfolien vermutlich ganz unterschiedliche Gründe in Frage kommen, so z.B. die arbeitsökonomische serielle Fertigung von Motiven, die nachträgliche Stiftung eines Werkes oder auch die räumliche Trennung von Künstler und Werk beim Herstellungsprozess der Einzelmotive. Mack (Nürnberg) beschäftigte sich mit der Verwendung von Pergament und Papier als Trägermaterial von Bildnissen. Seiner These nach könnte bei der Wahl dieser Materialien die Übertragung von Bildinformationen durch Pausvorgänge eine wichtige Rolle gespielt haben. Mit Blick auf die unterschiedlichen Funktionen der Applikationen von Trägermaterialien ist zweifellos noch viel Forschungsarbeit zu leisten.
Der zweite Tag zeigte, dass auf dem Gebiet der Erforschung von Struktur, Organisation, Arbeitsabläufen und Materialgebrauch in spätmittelalterlichen Künstlerwerkstätten ebenfalls Desiderata bestehen. Wie der Vortrag von Andreas Tacke und Ursula Timann (Trier) verdeutlichte, lassen normative Quellen zu Malerausbildung und Werkstattstrukturen in Nürnberg und anderen fränkischen Städten durchaus Rückschlüsse auf die Praxis zu, so bspw. bezüglich der Anzahl und Mobilität von Lehrlingen und Gesellen. Da Zünfte in Nürnberg im 15. Jahrhundert verboten waren, liegen allerdings erst für das 16. Jahrhundert Malerordnungen vor. Das Fehlen einer Malerordnung für das 15. Jahrhundert bedeutete nicht zuletzt, dass auswärtige Künstler ohne große Hürden als Gesellen in Nürnberger Werkstätten arbeiten konnten. Somit ist laut Tacke und Timann mit einer großen Künstlermobilität und dementsprechend mit einem regen künstlerischen Austausch zu rechnen. Den Mobilitätsaspekt unterstrich abermals Stefan Kemperdick (Berlin), der darlegte, wie künstlerische Neuerungen insbesondere aus den Werkstätten Rogier van der Weydens und Dieric Bouts‘ über Hans Pleydenwurff nach Franken vermittelt wurden. Für Pleydenwurff sei die Verarbeitung bestimmter malerischer Spezifika nur durch die direkte Anschauung vor Ort zu erklären, woraus sich die generelle Frage zum Verhältnis zwischen Regionalstil und von außen eingeführten Neuerungen ergab. Ziel künftiger Forschung könnte es sein, normative Quellen mit den Hinweisen abzugleichen, die aus der künstlerischen Praxis zur Verfügung stehen.[2]
Aus der Fortentwicklung spezifischer Untersuchungsmethoden resultieren auch neue Erkenntnisse zum künstlerischen Einsatz von Materialien wie z.B. Blattmetallen. Mit Hilfe von Spotmessungen (REM-EDX) konnte Heike Stege (München) am Beispiel der Goldenen Tafel im Landesmuseum Hannover zunächst Goldlegierungen vom zweischichtigen Zwischgold unterscheiden, bevor sie bei Letzterem mittels Röntgenfluoreszenzanalyse unterschiedliche Zusammensetzungen nachweisen konnte. Dies lässt vermuten, dass in der Werkstatt immer wieder Abfallprodukte im Sinne eines Materialrecyclings eingeschmolzen wurden. Andreas Burmester (München) vertiefte die Thematik, indem er die Berufsgruppe der Goldschläger des 15. Jahrhunderts vorstellte. Im Gegensatz zu Schwabach, wo eine Zentralisierung des Gewerbes zu beobachten sei, habe man in Nürnberg nur mit einer kleinen Anzahl von Goldschlägern zu rechnen, wobei der Vertrieb über Apotheken erfolgte.
Auf die Frage der Arbeitsteilung in Künstlerwerkstätten, die nur durch Händescheidung erhellt werden kann, gingen Joshua Waterman, Stefan Roller und Dagmar Hirschfelder ein. Waterman (Nürnberg) konnte zusammen mit von Baum das von Stange zusammengestellte Oeuvre des Tucher-Meisters überzeugend in zwei Werkkomplexe zweier unterschiedlicher Maler einteilen. Neben dem Meister, der den Tucher-Altar schuf, ist ein weiterer Künstler greifbar geworden, dessen Werke um das Ehenheim-Epitaph gruppiert werden können. Stilistisch voneinander zu trennende Mitarbeiter innerhalb einer einzigen Künstlerwerkstatt sind später bei Michael Wolgemut nachweisbar. Stefan Roller (Frankfurt a.M.) umriss in seinem Vortrag das Oeuvre des bei Wolgemut tätigen Malers der Feuchtwanger Predella. Hirschfelder legte anhand stilkritischer Vergleiche dar, dass in der Werkstatt stets mindestens zwei hauptverantwortliche Gesellen tätig waren, die Altarwerke häufig eigenständig unter Mithilfe weiterer Mitarbeiter, aber ohne malerische Beteiligung Wolgemuts ausführten. Sie wirkten stilprägend, da sich weitere Maler der Werkstatt nicht nur auf das Vorbild des Meisters, sondern auch der „Hauptmaler“ stützten.
Das Expertentreffen schloss mit einer Reihe richtungsweisender Impulse für zukünftige Forschungen, denen im Rahmen des im Jahr 2017 startenden DFG-Projekts „Spätmittelalterliche Tafelmalerei im Spiegel von Geschichte, Material und Technik. Interdisziplinäre Objektforschung am Germanischen Nationalmuseum“ weiter nachgegangen werden soll. Der Band zu den fränkischen Tafelgemälden soll im Jahr 2017 abgeschlossen und publiziert werden.
Anmerkungen
[1] Eine entsprechende Datenbank des Projekts, die als WissKI (Wissenschaftliche Kommunikationsinfrastruktur) angelegt ist, befindet sich im Aufbau und soll zu gegebener Zeit publiziert werden.
[2] Eine Publikation der normativen Quellen ist von Tacke und seinem Team für 2017 im Rahmen des Projekts „Edition der Zunftordnungen für Maler bis um 1800. Quellen zur Künstlersozialgeschichte aus den Archiven der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz“ geplant.
Empfohlene Zitation:
Judith Hentschel: [Tagungsbericht zu:] Fränkische Tafelmalerei des Spätmittelalters – Kontexte, Funktionen, Techniken (Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, 02.–03.06.2016). In: ArtHist.net, 29.10.2016. Letzter Zugriff 27.12.2024. <https://arthist.net/reviews/14087>.
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