REV-CONF 01.03.2016

Artists on the Market

TU Berlin, 13.–14.11.2015

Bericht von Sebastian Baden, Staatliche Hochschule für Gestaltung (HfG) Karlsruhe
Redaktion: Hans Georg Hiller von Gaertringen

Für die Kunstgeschichte war es lange Zeit ein blinder Fleck, dass Kunsthandel und Galeriearbeit für die Bewertung und Vermittlung von Kunst existenziell sind. Auch der Umstand, dass sich Kunstschaffende selbst vermarkten müssen, wird zwar in der künstlerischen Ausbildung heute zunehmend gelehrt, aber von der Kunstwissenschaft noch oft vernachlässigt. Es geht eben um den Wert und die Bedeutung von Werken, nicht um die Arbeit, die dahintersteht. Erst die Sozialgeschichte der Kunst hat ihre Aufmerksamkeit auf das Kunstsystem gerichtet und einer neuen Forschungsrichtung den Weg geebnet, die sich aktuell als „Art Market Studies“ etabliert und ihren Blick auf die ökonomischen und sozialen Beziehungen im Kunstmarkt den Weg richtet. Zu den wichtigen Forschungsnetzwerken zählt das seit 2012 an der TU Berlin im Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne unter der Leitung von Dorothee Wimmer, Bénédicte Savoy und Johannes Nathan angesiedelte „Forum Kunst und Markt“. Es stößt in ebenjene Forschungslücke einer angenommenen Reziprozität zwischen Kunstmarkt und Kunstgeschichte.
Die jüngste, vierte Ausgabe des jährlichen Workshops befasste sich unter dem thematischen Fokus „Artists on the Market“ mit den Strategien von Kunstschaffenden, sich und ihre Kunst in Position zu bringen, um Werke zu verkaufen. Die einzelnen Forschungsinteressen waren in chronologischer Reihenfolge zwei Sektionen unter dem Titel „Peripherie als Zentren“ und „Arbeit und Markt“ zugeordnet. Es zeigte sich, dass über eine Zeitspanne von gut 200 Jahren hinweg eine zunehmende Selbstermächtigung von Künstlerinnen und Künstlern im Markt zu beobachten ist.
Auf den aktuellsten methodologischen Paradigmenwechsel in den „Digital Humanities“ – und damit auch der Kunstmarktforschung – machte gleich zu Beginn des Workshops Christian Huemer vom Getty Research Institute in Los Angeles aufmerksam. Er stellte mit seinem Abendvortrag über „Tools and Methods in the Age of Big Data“ umfassend die Entwicklung und Verfeinerung der computerbasierten Kunstmarktforschung vor. Die Untersuchung von Kunsthandel und Preislisten scheint aufgrund ihrer Datenmenge geradezu prädestiniert für eine Visualisierung. An einem Actor-Location-Netzwerk-Diagramm ist abzulesen [1], wie Verkäufer und Käufer Werke über London und Amsterdam nach Paris vermittelten. Das Programm Cytoscape, das die Händler-Netzwerke des 19. Jahrhunderts bunt und detailliert sichtbar machen kann, nützt nur dort, wo die Nachlässe zugänglich sind. Und gerade der oft mühsame oder gar verschlossene Zugang zu Händlernachlässen erschwert die meisten Ansätze der Kunstmarktforschung. Hier müssen dann indirekte Untersuchungen angestellt werden, etwa über Nachlässe von Sammlungen oder Kunstschaffenden, in denen sich noch alte Rechnungen aufstöbern lassen.
Die Geschichte des neuzeitlichen und modernen Kunstmarktes, die in Rom und Paris ihren Anfang nimmt, ist durch die Anziehungskraft der großen Marktplätze bestimmt. Die erste Sektion des Workshops verfolgte im Gegenzug die Fragestellung, wie auch abseits von Zentrum und Salon ein Kunstmarkt erobert werden konnte. In Frankreich, Deutschland, England, Zentral- und Osteuropa sowie Russland liefen gut vergleichbare Strukturwandlungen ab. Immer im Fokus bleiben die wichtigen Absatzmärkte und ihre Institutionen, selbst wenn Künstler sich von den Niederlanden abwandten und im 18. Jahrhundert neue Wege für ihre Selbstvermarktung suchten, wie etwa jene nach Graz und Ljubljana ausgewanderten niederländischen Maler, die so die zwischen Venedig und Wien verlaufende Kunsthandelsroute strategisch besetzten. Tina Košak (Lubljana) zeigte am Beispiel von Justus van der Nypoort, Ludwig de Clerick und Pieter Auwerx, wie es gelang, in der Nähe der neu am Wiener Hof etablierten Kunstsammlung von Erzherzog Leopold Wilhelm mit deren Niederländerschwerpunkt vom neuen Kunstgeschmack des Habsburgerreiches zu profitieren.
Die Differenz zwischen Peripherie und Zentrum findet sich nicht nur über die lange Distanz, sondern selbst in einer Stadt wie Paris, wo eine zentralisierte Kunstszene auf den Salon hin ausgerichtet war.
Sarah Salomon (Berlin) erläuterte in ihrem Vortrag die Situation junger Künstlerinnen am Ende des Ancien Régime gegenüber der von Männern dominierten französischen Académie Royale. Nur über eine Teilnahme an außerinstitutionellen Ausstellungen erhielt die junge Generation Aufmerksamkeit. Marie Louise Elisabeth Vigée LeBrun zeigte ihre Werke auf der jährlichen „Exposition de la Jeunesse“ auf der Place Dauphin, wo sich „Künstlerinnengemeinschaften“ formierten, die als weibliches Kollektiv verstärkt wahrgenommen wurden, zumal sie sich selbst Modell standen und das Publikum so die lebendigen Vorbilder zu sehen bekam. Dank der guten Beziehungen ihres Mannes wurde Vigée LeBrun im Mai 1781 doch noch Mitglied der königlichen Malerschule.
Hundert Jahre später hatte sich das Sezessionsmodell etabliert, die Avantgarde war erstmals aufgetreten und erkämpfte sich den Markt. Die Tagung zeigte an Hand von Beispielen, dass es sich hierbei um ein internationales Phänomen handelt. Besonders eindrucksvoll war Andrej Shabanovs (St. Petersburg) Präsentation zu der von 1870 bis 1920 bestehenden Künstlergruppe „Peredwischniki“ (dt. Wanderer), die mit erheblichem Aufwand kooperative Wanderausstellungen in entfernte russische Landstriche brachte.
Marie Cambefort-Tavinor (London) berichtete von der etwa zeitgleichen, jedoch nur kurzzeitigen Erfolgsserie der „Glasgow Boys“, deren Karriere 1890 nach einer Ausstellungsteilnahme im Münchner Glaspalast startete. Gefördert wurden die schottischen Künstler 1897 vom Direktor der 2. Biennale von Venedig, Antonio Fradeletto, der ihnen einen zentral gelegenen „Super-Salon“ im großen Pavillon bot und die Presse ausdrücklich auf die „Glasgow Boys“ und deren moderate Preisgestaltung hinwies.
Auffallend war bei allen Beiträgen der Tagung, dass – trotz der Vielfalt der Modelle – eine grundsätzlich hierarchische Struktur des Kunstmarktes zu beobachten ist. Feste Beziehungen zwischen Künstler und Kunsthändler, wie jene zwischen dem englischen Maler John Linnell (1792–1882) und William Agnew (1825–1910), dessen Kunsthandelsdynastie bis heute besteht, erzielten hohe Preise und sogar die ersten Rekorde bei Christie’s in London. Für den Preis von zwei Gemälden Linnells konnten 20 Werke der Glasgow Boys gekauft werden, wie Barbara Pezzini (London) klar vorrechnete.
Erst mit der Postmoderne konnten Werke von Künstlergruppen und Konzeptkunst erfolgreich auf einem breiten Markt angeboten werden, der inzwischen von New York aus dominiert wurde. Wie sich Künstlerinnen hier souverän zu behaupten versuchten, führte Silvia Simoncelli (Mailand/Lüneburg) am Beispiel der amerikanischen Künstlerin Adrian Piper vor, die das Spannungsverhältnis zwischen prekärem Kunstschaffen und reichen Sammlern erstmals zum Thema der Kunst selbst machte. Unter dem Titel „A Proposal for Pricing Works of Art“ (1975) formulierte Piper Kritik an der extremen Differenz zwischen Produktions- und Tauschwert und stellte die Forderung nach einer quasi tariflich geregelten Bezahlung für Kunstschaffende. Sie gehört zu den Impulsgebern einer bis heute andauernden Diskussion über die sogenannte Ausstellungsvergütung. Verwandt mit Pipers konzeptueller Formulierung eines Arbeitsvertrages zwischen Künstlerinnen und Galerien sind die Praktiken der Konzeptkunst selbst, die vor allem von den VertreterInnen der Minimal Art geprägt wurden. Martin Hartung (Zürich) machte anhand von Sol LeWitts „Paragraphs on Conceptual Art“ (1967) deutlich, wie die Grundlage für eine Zertifikatkunst gelegt wurde, die nun auch von Anderen geschaffen werden konnte.
Während auf dem Flyer zur Ankündigung des vierten Workshops des Forum Kunst und Markt die provokative Losung „Tötet Euren Galeristen. Kollegen! Gründet Eure eigene Galerie. Gründet eine Produzentengalerie“, formuliert 1971 von Dieter Hacker, zu lesen war, offenbarte die Summe der Vorträge die Desillusionierung solcher Selbstermächtigungsgesten auf Seiten der KünstlerInnen. Die Chronologie der Ereignisse im Kunstmarkt beruht auf sensiblen Geschäftsbeziehungen zwischen Kunstschaffenden und dem Kunsthandel, wobei jedoch eingestanden werden darf, dass es dem Innovationspotential der KünstlerInnen zuzuschreiben ist, dass aus guten Geschäftsideen auch gute Geschäftsmodelle resultieren. Kollektive künstlerische Anstrengungen und insistierende Einzelkämpfer erreichen auf dem Kunstmarkt, wie zu erwarten, die nachhaltigsten Erfolge.

Webseite: http://www.fokum.org/workshop2015/

[1] Siehe Projektwebsite. URL: http://www.getty.edu/research/tools/provenance/zoomify/index.html (zuletzt besucht am 02.02.2016).

Empfohlene Zitation:
Sebastian Baden: [Tagungsbericht zu:] Artists on the Market (TU Berlin, 13.–14.11.2015). In: ArtHist.net, 01.03.2016. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/12343>.

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