STIP 01.03.2011

Soffitti veneziani. Studienkurs Venedig 2011

Venedig, 11.–19.09.2011
Bewerbungsschluss: 29.04.2011

Michaela Boehringer

AUSSCHREIBUNG FÜR DEN STUDIENKURS VENEDIG 2011
vom 11. bis 19. September 2011
(letzter Einsendetermin für die Bewerbung 29. April 2011)

Soffitti veneziani
Deckendekoration und Raumgestaltung im Venedig des 15.-18. Jahrhunderts
Veranstalter: Deutsches Studienzentrum in Venedig

„Zahllos sind die Gebäude, in denen die Decken […] vergoldet und mit anderen Farben gefasst und mit Bildern von hervorragenden Künstlern geschmückt sind.“ So pries Francesco Sansovino 1581 die opulente Gestaltung venezianischer Decken, die für viele Innenräume des 16. Jahrhunderts – etwa im Dogenpalast, in San Sebastiano, in der Scuola Grande di San Rocco – charakteristisch ist. Diese spezifische Ausprägung des ‚soffitto veneziano‘ wurde europaweit, von Augsburg bis Flandern und England, nachgeahmt. Aber auch darüber hinaus wurden in Venedig für die Gestaltung des oberen Raumabschlusses vom 15. bis zum 18. Jahrhundert – von den Mosaiken der Cappella dei Mascoli in San Marco bis zu den Fresken Tiepolos – vielfältige, zum Teil noch wenig bekannte und nur ansatzweise erforschte Lösungen gefunden. Die Flachdecken Venedigs (seltener die Gewölbe) wurden dabei zum bevorzugten Ort einer neuen politischen Ikonographie, hier wurden aber auch neue Möglichkeiten der visuellen Inszenierung ‚überhöhter‘ Welten erprobt.

Das Deutsche Studienzentrum in Venedig veranstaltet vom 11. bis 19. September 2011 (An- und Abreisetag) einen interdisziplinären Studienkurs zu diesem Thema. Die Leitung liegt bei Prof. Dr. Hans Aurenhammer (Frankfurt a. M.) und Prof. Dr. Martina Frank (Venedig).
Am Studienkurs können bis zu 15 fortgeschrittene Studierende und Doktoranden vor allem der Kunstgeschichte, aber auch der Geschichte sowie verwandter Disziplinen teilnehmen. Voraussetzung ist eine bestandene Zwischenprüfung im Magister- bzw. Staatsexamensstudiengang oder ein bestandenes Bachelor-Examen. Die entsprechenden schriftlichen Nachweise sind zusammen mit einem Lebenslauf (mit Übersicht über den Studiengang), einer Kopie des Abiturzeugnisses, dem Text einer Hausarbeit eigener Wahl bzw. einer ausführlichen Zusammenfassung des Promotionsprojekts sowie der kurzen Stellungnahme eines Hochschullehrers (alles in doppelter Ausfertigung) an die Direktorin des Deutschen Studienzentrums in Venedig, PD Dr. Sabine Meine, zu senden. Die Stellungnahme des Hochschullehrers erbitten wir in einem geschlossenen Umschlag. Letzter Einsendetermin für die Bewerbung ist der 29. April 2011 (Poststempel). Eine Benachrichtigung der Teilnehmer/innen erfolgt bis Mitte Juni. Die Bewerbungsunterlagen werden nicht zurückgesandt.
Bitte vergessen Sie nicht, Ihre E-mail-Adresse anzugeben.
Die Teilnehmer/innen sollen den Studienkurs durch einschlägige Lektüre vorbereiten (eine entsprechende Liste wird rechtzeitig übersandt, diese wird auch italienische Publikationen enthalten).

Das Studienzentrum übernimmt und bucht die Übernachtung in einfachen Hotels für acht Nächte. Die Anreise ist von den Teilnehmern selbst zu organisieren und zu finanzieren.
Weitere Informationen finden sich auf der Internetseite des Studienzentrums (www.dszv.it) und können bei der Koordinatorin, dott.ssa Michaela Böhringer (m.boehringerdszv.it) erfragt werden.
PD Dr. Sabine Meine, Direktorin
Deutsches Studienzentrum in Venedig – Palazzo Barbarigo della Terrazza
San Polo 2765/A , I-30125 Venezia

Weitere Informationen zum Studienkurs:
Die Erwähnung in Francesco Sansovinos ‚Venetia città nobilissima' von 1581 belegt, dass die reiche Gestaltung der Decken als ein Charakteristikum der venezianischen visuellen Kultur verstanden wurde. Noch heute zeigt ein Blick nach oben in den Sälen des Dogenpalastes oder der Libreria, in Kirchenräumen wie dem von San Sebastiano oder in der Sala superiore der Scuola Grande di San Rocco, wie stark die Wirkung dieser Interieurs von den opulenten Decken bestimmt wird, in deren plastisch artikuliertes geschnitztes Rahmensystem eine bunte Fülle illusionistischer Gemälde integriert ist.
Im Studienkurs wird es auch um diesen Höhepunkt venezianischer Deckengestaltung gehen, dem Wolfgang Wolters (‚Plastische Deckendekorationen des Cinquecento in Venedig und im Veneto`, 1968) und Jürgen Schulz (‚Venetian Painted Ceilings oft he Renaissance`, 1968) klassisch gewordene Studien gewidmet haben. Der Titel ‚soffitto veneziano` meint aber darüber hinaus generell die Gestaltung des oberen Raumabschlusses in venezianischen profanen und sakralen Innenräumen der Renaissance und des Barock, v. a. - entsprechend der lokalen Bautypologie und im Unterschied zum übrigen Italien - von vergleichsweise niedrigen Flachdecken, aber auch von Gewölben.
Thematisiert werden neben der Vorgeschichte und Ausbildung des soffitto veneziano im engeren Sinn auch alternative Formen der Deckendekoration der Renaissance. Das betrifft etwa das Nachleben der musivischen Gewölbedekoration, die seit dem 15. Jahrhundert fast ausschließlich auf San Marco beschränkt bleibt, während gleichzeitig in Altarbildern u. a. Giovanni Bellinis die sakrale Aura byzantinisierender Apsismosaiken evoziert wird. Andere Sonderfälle stellen Übertragungen außervenezianischer Lösungen wie Andrea da Castagnos Gewölbefresken in San Zaccaria, Pordenones illusionistische Wolkenglorie-Kuppeln oder die Quadraturmalereien der Brüder Rosa dar. Ein besonders reiches Beispiel ‚romanistischer’ Gewölbekunst bedeutet hier die Innenausstattung des Palazzo Grimani in der Nähe des Campo Santa Maria Formosa, deren rezente Restaurierung der wissenschaftlichen Erforschung einen Neuanstoß gab, wie überhaupt in den letzten Jahren Neufunde bzw. Restaurierungen schwer zugänglicher Objekte die Materialkenntnis wesentlich erweitert haben.
Der Studienkurs fokussiert aber auch die weitere Entwicklung der venezianischen Deckengestaltung im 17. und 18. Jahrhundert. Generell gesehen nehmen Aufträge von Seiten der öffentlichen Hand im 17. und 18. Jahrhundert deutlich ab, während private Aufträge sowohl im profanen als auch im kirchlichen Bereich einen eindrucksvollen Aufschwung erleben was wohl auf Veränderungen des sozialen Gefüges, besonders durch die Aufnahme neuer Familien in den Adelsstand ab 1646, zurückzuführen ist.
Ist bis ins spätere 17. Jahrhundert die Leinwand der bevorzugte Bildträger, so setzt sich in den letzten Jahrzehnten des Seicento eine Wiederbelebung der Freskotechnik durch, allerdings ohne dass deshalb das in den Deckenspiegel eingelassene Leinwandbild seine Rolle einbüßt. Entsprechende Veränderungen betreffen auch die Rahmung. Die geschnitzten und meist vergoldeten Rahmen des Cinquecento werden zunehmend von weiß belassenem (nur selten von vergoldetem oder bunt bemaltem) Stuck abgelöst. Das formale Festhalten an der Tradition, wie es etwa die Decke eines Saales von Ca' Pesaro von Nicolò Bambini zeigt, entspricht hingegen einem bewusst am Cinquecento orientierten ikonographischen und ideologischen Inhalt.
Der wohl wichtigste Einschnitt in der Tradition wurde um 1685 in Ca’ Zenobio vollzogen. Den Portego ersetzt hier ein quergelagerter über zwei Stockwerke reichender Ballsaal, dessen Decke von dem in Paris, Rom und Bologna geschulten Louis Dorigny freskiert wurde. Auch im Bereich der sakralen Ausgestaltung schuf Dorigny mit dem nicht erhaltenen soffitto in San Silvestro eine zukunftsweisende Lösung. Erst jüngste Forschungen konnten zeigen, wie sehr Giambattista Tiepolo von den Lösungen des französischen Künstlers beeinflusst wurde. Die Öffnung nach oben und deren illusionistische Verklammerung mit dem Betrachterraum zählen zu den wichtigsten Anliegen der Deckenmalerei in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Auf welch unterschiedliche Art dieses Ziel erreicht werden kann, zeigt der Vergleich zwischen den Lösungen Tiepolos und Giambattista Piazzettas.
Zielsetzung des Studienkurses 2011:
Im Zentrum des Studienkurses steht die Diskussion vor – eigentlich: ‚unter’ – den ja nur durch Autopsie in all ihren Wirkungsmöglichkeiten zu erfassenden Soffitti. Selbstverständlich werden berühmte Schlüsselwerke wie z. B. die Dekorationen des Palazzo Ducale oder des Palazzo Rezzonico besprochen, bevorzugt werden aber weniger bekannte oder kürzlich restaurierte Werke. Dazu kommen einige Sitzungen mit Seminarcharakter, in denen neue methodische Ansätze etwa zur Ikonologie und zum fiktionalen Status der Deckenmalerei erörtert werden.
Das Ziel des Studienkurses ist eine kritische Sensibilisierung für ein für die visuelle Kultur Venedigs charakteristisches, viele offene Fragen aufwerfendes Phänomen. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund:
1. die Relation des oberen Raumabschlusses (Flachdecke, Gewölbe) zu den anderen Raumdimensionen des Interieurs: den seitlichen Wänden und auch dem ‚Spiegel’ der Decke, also dem Fußboden,
2. das Zusammenwirken, aber auch der Kontrast oder die gegenseitige Indifferenz der unterschiedlichen Medien der Deckendekoration (geschnitztes Rahmenwerk und Deckengemälde),
3. medienintern die Frage nach einer spezifisch venezianischen Position der illusionistischen Deckenmalerei (Schrägsicht versus sotto in sù, Illusion des ‚Höhenraums’ versus Flächendekoration, Fragmentierung und ‚surreale’ Verfremdung des untersichtig Dargestellten als ästhetischer Reiz und Mittel zur Generierung neuer Bildwirkungen, metapikturale Reflexion des gemalten Bildes als laut Paolo Pino bloßes soggetto visivo),
4. inhaltlich die Frage nach den durch den Status als ‚Bild an der Decke’, das ein ‚Zwischenreich der halben Schwere’ (W. Schöne) suggeriert, erschlossenen Möglichkeiten der Visualisierung idealer, buchstäblich ‚überhöhter’ Welten (etwa in der politischen Ikonographie von Dogenpalast und Libreria), wobei aber gerade auch Brüche zwischen Programm und Dekorationsschema, Forciertheiten in dessen Anwendung zu berücksichtigen sind.
Die Veranstaltung wird von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung unterstützt.

Quellennachweis:
STIP: Soffitti veneziani. Studienkurs Venedig 2011. In: ArtHist.net, 01.03.2011. Letzter Zugriff 03.11.2025. <https://arthist.net/archive/990>.

^