"Gesundheit gestalten. Klinische Räume seit den 1960er Jahren" –
Workshop vom 19.-20. März 2026 in Magdeburg, organisiert vom Fachbereich Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Das Großkrankenhaus hat heute einen schweren Stand. Es ist zum Inbegriff einer Medizin ohne menschliches Maß geworden, in der sich eine seelenlose Architektur mit biotechnischen Machbarkeitsfantasien verbindet. Das war nicht immer so. Als die ersten Großkrankenhäuser in den 1960er und 1970er Jahren gebaut wurden, galten sie als neue und beste Form der Organisation klinischer Tätigkeit. Neben der Bewältigung wachsender Patient:innenzahlen barg der klinische Zentralbau das Versprechen nach Zusammenführung der in Spezialdisziplinen und Einzelkliniken zersplitterten Medizin. Dahinter stand das Ideal einer Heilkunst, die den ganzen Menschen in den Blick nahm. Der Aufbau komplexer Krankenhausanlagen war von Überlegungen und Maßnahmen begleitet, die das Ziel hatten, das Krankenhaus „freundlicher“, „wohnlicher“ oder „wärmer“ zu gestalten.
Unter Stichworten wie „Wirtlichkeit“ und „Humanisierung“ wirkte ein bis dahin wohl beispielloser Gestaltungswille auf die „Krankenhausumwelt“ ein, der sich der Schaffung einer „positiven Atmosphäre“ verpflichtet fühlte. Unter dem Blick von (neuen) Expert:innen gerieten neben Fragen der Gestaltung des Interieurs und des Designs medizinischer Apparate auch der Aufbau von „Orts- und Wegraumsystemen“, der Einsatz von Kunst und Medien sowie Versuche eines „patientengerechten“ Geruchs-, Farb- und Geräuschmanagements in den Fokus. Anstatt totale Institution sollte das Krankenhaus zu einem Teil der lebensweltlichen Realität ihrer Nutzer:innen werden.
Diesen Faden möchte der Workshop aufgreifen und nach Konzepten, Vorstellungen und Umsetzungen „idealer“ klinischer Räume und ihrer Wahrnehmung und Nutzung durch Patient:innen und Mitarbeitende von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart fragen. Im Workshop sollen die Gestaltungpraktiken von Gesundheitsräumen in ihrer historisch-gesellschaftlichen Bedingtheit und mit ihren jeweiligen Nutzungsvollzügen in den Blick genommen werden. Dies soll anhand von Beispielen geschehen, die sowohl den deutschsprachigen Raum als auch verschiedene andere Regionen der Welt betreffen.
Insbesondere sind Einreichungen willkommen, die sich auf folgende Themenkomplexe und Fragestellungen beziehen:
- Sinn und Form: Welche Wissenspraktiken, Bedeutungsschichten sowie Werteordnungen (Klasse/Herkunft/Geschlecht) haben sich in die Gestaltung der Räume und des Interieurs, in die Auswahl der Materialien oder in die Form- und Farbgebung von Instrumenten und Apparaten eingeschrieben? In welchen Korrespondenzverhältnissen stehen die geplanten bzw. konkret umgesetzten Formen mit medizinischen Vorstellungen von Körper, Krankheit und Gesundheit sowie des „idealen Patienten“?
- Interdisziplinarität: Klinische Räume können als multidisziplinäre Umgebungen verstanden werden, die sich am Schnittpunkt medizinischen Wissens, hygienischer und therapeutischer Bedürfnisse, architektonischer Erfordernisse und betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten ausbilden. Welche (neuen) Expert:innen und Wissenspraktiken fanden seit den 1960er Jahren Eingang in die Planungs- und Umsetzungsprozesse klinischer Räume, zum Beispiel in so heterogenen Feldern wie der Farbpsychologie, Medizinsoziologie, ökologischen Psychologie oder Informationsästhetik? Wie zeichnete sich die Zusammenarbeit dieser heterogenen Akteur:innen aus und welche Aushandlungsprozesse und (Wissens-)Hierarchien lassen sich dabei rekonstruieren?
- Raum und Nutzung: Räume sind keine statischen Gebilde, sondern konstituieren sich erst in ihrem Verhältnis zu und in der Nutzung durch unterschiedliche Akteur:innen und medizinische Praktiken. Welche Nutzungsgruppen wurden in der Gestaltung adressiert und welche wurden ausgeschlossen? Welche Emotionen sollten dabei erzeugt, verstärkt, unterdrückt oder verhindert werden und welche wurden tatsächlich mobilisiert? Welche Art der Nutzung der klinischen Umgebungen war dabei intendiert und welche widerspenstigen Aneignungen und kreativen Umnutzungen waren demgegenüber zu beobachten? Inwieweit unterscheiden sich Praktiken der Raumgestaltung und -aneignung in Bezug auf unterschiedliche funktionale und fachliche Räume wie Intensiv-, Röntgen- oder Bettenstationen, unterschiedliche Spezialkliniken (Psychiatrie, Kinderklinik, Ambulanz, Poliklinik) oder klinische Grün- und Außenanlagen?
- Begriff und Geschichte: Die Verwendung von Begriffen wie „Atmosphäre“, „Milieu“ oder „Umwelt“ zur Bezeichnung der Krankenhausumgebungen zeugt nicht nur von einer umfassenden multisensorischen Konzeption des Krankenhauses, sondern verweist auch auf die diesen Begriffen zugrundeliegenden Wissensfelder und -traditionen. Im Sinne eines begriffsgeschichtlichen Zugriffs sollen die in diesem Zusammenhang zentralen Begriffe nach ihrem jeweiligen Denkhintergrund befragt und in zeitgenössische Wahrnehmungs- und Deutungshorizonte eingeordnet werden.
Neben diesen möglichen kultur- und medizinhistorischen Zugängen sind Beiträge willkommen, die aus design-, kunst- und architekturhistorischen Perspektiven auf die Praktiken der Gestaltung klinischer Räume schauen.
Interessierte Wissenschaftler:innen aller Karrierestufen sind dazu eingeladen, bis zum 1. Oktober 2025
ein Abstract mit max. 250 Wörtern für eine 20-minütige Präsentation inkl. Kurz-Bio
an christian.vogelmed.ovgu.de zu schicken.
- Die Beiträge können sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache präsentiert werden.
- Die Reise- und Übernachtungskosten der Vortragenden werden im üblichen Rahmen übernommen.
- Eine Publikation der Tagungsbeiträge wird angestrebt.
Reference:
CFP: Gesundheit gestalten. Klinische Räume seit den 1960ern (Magdeburg, 19-20 Mar 26). In: ArtHist.net, Jun 18, 2025 (accessed Jun 20, 2025), <https://arthist.net/archive/49530>.