Gerechte Gewalt? Moralische Ambivalenzen in der Kunst der Frühen Neuzeit.
Die Frage, wann Gewalt moralisch verwerflich ist und unter welchen Bedingungen sie sich rechtfertigen lässt, ist gegenwärtig hochaktuell. Gleichzeitig erfordert sie eine kritische Reflexion und historische Perspektivierung – zu beiden soll der an der Biblioteca Hertziana-Max-Planck-Institut in Rom und der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe 'Imaginarien der Kraft' an der Universität Hamburg veranstaltete Workshop einen Beitrag leisten. Ziel ist es, die vielfältigen Darstellungsstrategien zu untersuchen, mit denen Gewalt in der Frühen Neuzeit (14. – 18. Jh.) legitimiert, kritisiert oder ambivalent inszeniert wurde. In vormodernen Diskursen unterlag die moralische Bewertung von Gewalt komplexen Differenzierungen und war keineswegs pauschal verwerflich. Vielmehr war entscheidend, warum Gewalt ausgeübt wurde und gegen wen sie sich richtete. Dante zum Beispiel verortet in der Divina Commedia die Gewalttätigen (violenti) im siebten Kreis der Hölle, doch liegt die Sünde für ihn nicht im Gewaltakt als solchem, sondern in der Absicht und Bosheit der Ausführenden begründet. Deutlich zugespitzt findet sich dieser Aspekt bei Machiavelli, der unmoralisches Handeln als Herrschertugend umdeutet, solange es ‚höheren Zielen‘ diene: Mittels eines an die Kraft (vis) gebundenen Tugendmodells (virtus/virtù) wird Gewalt hier als Durchsetzungsfähigkeit legitimiert, z.B. gegenüber Neidern, zu deren Tötung Machiavelli den „guten und weisen Mann“ explizit animiert. Mit der Aufklärung erhält der Blick auf Gewalt nochmal eine neue moralphilosophische Rahmung, die im Licht von Vernunft, Freiheit und Autonomie beurteilt wird: Denker wie Rousseau begreifen Gewalt nun pauschal als Widerspruch zur menschlichen Natur und zur Idee einer zivilisierten Gesellschaft; für andere bleibt sie hingegen ein notwendiges Übel – etwa in der Strafjustiz oder in revolutionären Umbrüchen.
Die Kunst scheint gerade an diese Uneindeutigkeit moralischer Urteile anzuknüpfen und den schmalen Grat zwischen Gewalt und Macht, Tugend und Unrecht auszuloten. Künstler:innen der Frühen Neuzeit stellen Gewalt nicht nur dar, sondern entwickeln Bildstrategien, die die vielschichtigen moralischen Dimensionen von Gewalt reflektieren. So kann beispielsweise selbst Caritas, Sinnbild der Liebe Gottes, als gewalttätige Personifikation auftreten und in Tugendkreuzigungsdarstellungen den Leib Christi mit einem Dolch verwunden. Und obgleich Judiths Sieg im Kampf gegen Holofernes traditionell als Triumph des Guten über das Böse gilt, bringen in der Nachfolge Caravaggios Künstler:innen wie Artemisia Gentileschi, Peter Paul Rubens oder Adam Elsheimer gerade durch die Darstellung roher Brutalität die moralische Rechtfertigung der Tat an ihre Grenzen. Analoge Bedeutungsverschiebungen und Akzentuierungen lassen sich in den künstlerischen Ausdeutungen zahlloser weiterer biblischer Erzählungen, von Mythen wie auch Personifikationen beobachten - Darstellungen, denen jedoch stets auch Bilder gegenüberstehen, die umgekehrt gerade Gewaltlosigkeit und eine stoische Haltung als Zeichen des Triumphs und von moralischer Überlegenheit feiern. Eine weitere Dimension eröffnet sich bei Inszenierungen von Gewalt gegen die Natur oder Tiere. Die künstlerische Auseinandersetzung öffnet in diesem Zusammenhang den Blick auf moralische Ordnungen jenseits des Zwischenmenschlichen und wirft Fragen nach der Rolle des Menschen in der Schöpfung, nach Verantwortung und nach der Grenze zwischen Legitimität und Grausamkeit auf. Und schließlich gilt es das gewaltvolle Potential von Kunstwerken selbst mit einzubeziehen, etwa in Form visueller Überwältigungsstrategien, und die Frage, inwieweit dieses im Untersuchungszeitraum nicht nur reflektiert, sondern auch moralischen Bewertungen unterzogen wurde.
Der Workshop untersucht vor dem Hintergrund des skizzierten Spannungsfeldes moralischer und rechtlicher Beurteilungen das Verhältnis von Gewalt und Moral in der frühneuzeitlichen Kunst und Kunsttheorie. Wo beginnt aus vormoderner Sicht gerechte Gewalt und wo kippt sie ins Unrecht? Wie wird diese Grenze in den Künsten visualisiert bzw. reflektiert? Welche Vorstellungen von Moral lassen sich aus Inszenierungen der Gewalt im Bild herauslesen und welche Normen und Anschauungen von Gerechtigkeit? Inwiefern reflektieren Künstlerinnen und Künstler der Frühen Neuzeit Gewalt kritisch? Und wann führen sie sie als ambivalentes Phänomen vor, das zwischen Zerstörung und Erneuerung, Macht und Ohnmacht, Rechtfertigung und Grausamkeit, Tugend und Laster oszilliert?
Der Workshop wird in zwei Teilen stattfinden, die jeweils unterschiedliche Perspektiven auf das Verhältnis von Gewalt und Moral in der Kunst der Frühen Neuzeit eröffnen. Der erste Teil findet am 11.12. 2025 in der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom statt, mit Fokus auf den Wechselwirkungen zwischen künstlerischer Praxis und theologisch-moralischen, politischen und juristischen Diskursen. Teil zwei wird am 22.01. 2026 in der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe 'Imaginarien der Kraft' in Hamburg stattfinden. Der Schwerpunkt wird hier auf der Frage liegen, wie Gewalt in Verbindung mit Vorstellungen von Stärke, Durchsetzungsfähigkeit und Herrschaftskraft verhandelt wird. Die Veranstaltung ist als zusammenhängender Workshop konzipiert, bei dem die Teilnahme an beiden Teilen vorgesehen ist.
Wir bitten um Vorschläge für Vorträge von 20 Minuten (Abstracts von 300-500 Wörtern und kurzen Lebenslauf), einzureichen bis 30.6.2025 auf: https://recruitment.biblhertz.it/position/17924101: Doktorand:innen sind ausdrücklich eingeladen, sich zu bewerben.
Kontakt:
Franca Buss (franca.bussuni-hamburg.de)
Jana Graul (jana.grauluni-hamburg.de)
Anna Magnago Lampugnani (anna.magnagolampugnanibiblhertz.it)
Reference:
CFP: Gerechte Gewalt? (Rom/Hamburg, 11 Dec 25-22 Jan 26). In: ArtHist.net, Jun 2, 2025 (accessed Jun 6, 2025), <https://arthist.net/archive/49412>.