[English version below]
Symposium: "Minne, Mystik und Moral. Sexualität und Erotik zwischen Körper und Geist in der Kunst des Mittelalters", Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 26./27. März 2025.
Mit der Entwicklung von höfisch-profaner Literatur und einer Etablierung von Skriptorien fernab der Klöster, ist ein Anstieg erotischer bis sexuell konnotierter Darstellungen in der Kunst allgemein und speziell in der Buchmalerei des Mittelalters feststellbar. Während im 12. und 13. Jahrhundert profane Bildthemen ikonografisch aus der christlichen Kunst hervorgehen, findet man im fortschreitenden 14. und 15. Jahrhundert eine freiere Entwicklung von zwischenmenschlichen Darstellungsweisen vor, wobei „frei“ sowohl im Sinne von künstlerischer Freiheit als auch Anzüglichkeit verstanden werden kann. Die Darstellung von Sexualität und Erotik in der Kunst im Hoch- und Spätmittelalter unterliegt damit einem faszinierenden Wandel, der transmedial bis in die frühe Neuzeit reicht und darüber hinaus wirkt.
Dieser Veränderungsprozess ist geprägt durch komplexe Wechselwirkungen sozialer, gesellschaftlicher und religiöser Art: Neben dem Etablieren einer moraltheologischen Leitlinie für das Führen einer Ehe im decrretum gratiani, der ersten Liebeslyrik und Entwicklung von Liebestraktaten wie de amore von Andreas Capellanus, definiert sich darüber hinaus ein eigenes Ideal der höfischen Liebe, das sich in Helden- und Minneromanen ausdrückt. Faszinierend sind die Widersprüche bzw. Nachbarschaften unterschiedlicher Auffassungen von Liebe, Erotik und sexuellem Begehren: von der Ehe als ökonomisches Arrangement, der göttlichen Liebe als die einzige wahre Liebesform und der Sehnsucht nach körperlich-seelischer Annäherung, die sich gleichermaßen, wenn auch unterschiedlich ausgerichtet, in der profanen Literatur sowie sakralen Mystik wiederfinden lässt. Die daraus definierten Geschlechterrollen können jedoch in den Text- und Kunstwerken nicht minder widersprüchlich und subversiv unterwandert werden.
Mit den fließenden Grenzen von Zeig- und den immer explizit werdenden Motiven wird deutlich, dass die in der Kunstgeschichte vielfach behandelten erotischen Darstellungen noch weit vor dem 16. Jahrhundert auf eine ikonografische Tradition blicken können, vielmehr noch die erotischen Darstellungen der sog. Renaissance auf einer ikonografischen Tradition des Mittelalters beruhen müssen, die sich mit der Profanisierung von Literatur und Kunst wenige Jahrhunderte davor entwickelt. Es bleibt zu hinterfragen, inwiefern ein Bruch mit der Kunst des sogenannten „Mittelalters“ vorliegt, wenn nicht vielmehr Verbindungslinien und Reflexionen zu antiken und mythologischen Themen nachweisbar sind, die weit über eine einseitige ikonografische Umwandlung einer antiken Venus in „Frau Minne“ reichen.
Das Symposium widmet sich dem ikonografischen Wandel erotischer und sexueller Darstellungen in der mittelalterlichen Kunst, wobei die stilistischen und bildinhaltlichen Entwicklungen von Darstellungen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Entstehungs-, Auftrags- und Bedeutungskontext des Kunstwerks betrachtet werden sollen. Im Zentrum steht die Untersuchung von Bildthemen und ihren Bedeutungen, dem Wegfall oder der Hinzunahme symbolischer Elemente, um nach einer Ikonografie der Erotik und Sinnlichkeit zu fragen. Das Symposium soll einen Blick auf die Entwicklung von subtileren Zeige- und Verweissystemen bis hin zu einer kühneren Exposition von Erotik werfen. Hierbei sind auch zeitgemäße Methoden wie Gender- und Queer Studies angesprochen, mit denen historisch gesetzte Geschlechterrollen und damit zusammenhängend künstlerische Ordnungen kritisch betrachtet und auf ihre Grenzen sowie Transgressionen hin untersucht werden zu können.
Das Symposium bietet eine Plattform für tiefgehende Diskussionen, interaktive Analysen und den Austausch von Ideen, um ein umfassenderes Verständnis für die Vielschichtigkeit, Kontinuität und Weiterentwicklung der Darstellung von Sexualität und Erotik in der mittelalterlichen Kunst zu fördern. Wir laden Expertinnen und Experten, Studierende und Interessierte gleichermaßen dazu ein, gemeinsam diese faszinierende die Geschichte der bildlichen Darstellung von Erotik vor der Renaissance zu erörtern.
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PROGRAMM
MITTWOCH, 26.03.2025
13:00 Uhr: Begrüßung, Einführung durch Jennifer Konrad und Matthias Müller
13:15: Anne-Katharina Oppmann (Jena)
„Solt ich dar an gegriffen han / Des ich wenig mout gewan / Es were mir lithe ergangen“1 – Interaktionsgrenzen innerhalb des Minnediskurses
Diskussion
14:00 Uhr: Daria Ünver (Freiburg)
„Der Herr hat mir Kinder versagt. Geh zu meiner Magd!“ Das Erotische auf den Darstellungen von Abraham und Hagar.
Diskussion
14:45 Uhr: Philine Helas (Rom)
Flammende Lust – Die Darstellung der Feuersteine in der Bestiarienliteratur
Diskussion
15:30 Uhr: Kaffeepause
16:00 Uhr: Jeanette Kohl (California, Riverside)
Heart in a Chest. The Leipzig Liebeszauber Revisited
Diskussion
16:45 Uhr: Annkatrin Kaul-Trivolis (Mainz)
Semplicità. Einfachheit und rationale Bildästhetik in Zeichnungen und Illuminationen im Kloster lebender Künstlerinnen
Diskussion
17:30 Uhr Diskussionsrunde
Sexualität und Erotik in der Kunst bis 1600: Forschungslage, Methoden, Chancen
18:30 Uhr: Weinempfang
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DONNERSTAG, 27.03.2025
10:00 Uhr: Begrüßung, Einführung durch Jennifer Konrad und Matthias Müller
10:15 Uhr: Katja Paul (Dresden)
„Vulnus oder Vulva? Zur Geschlechtsspezifik der Seitenwunde Christi“
Diskussion
11:00 Uhr: Jennifer Konrad (Mainz)
Rosenroman revisited: Erotik und Gewalt im Traum im Traum
Diskussion
11:45 Uhr: Kaffeepause
12:15 Uhr: Frank Schmidt (Dresden)
Der verlorene Sohn im Bordell: Transgressive Sexualität und urbane Handlungs-räume in mittelalterlichen Visualisierungen der Vita luxuriosa
Diskussion
13:00 Uhr: Dilshat Harman (Göttingen)
You can leave your hat on: identity and desire in Dürer's "Women's Bath"
Diskussion
13:45 Uhr: Abschlussdiskussion
Sexualität und Epochenkonstruktionen: Kunst zwischen dem „dunklen“ Mittelalter und der „erleuchteten“ Renaissance?
15:00 Uhr: Ende des Symposiums
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Anmeldungen sind nicht notwendig. Die Veranstaltung ist kostenfrei. Bei Fragen wenden Sie sich an Jennifer Konrad (jekonraduni-mainz.de)
Adresse:
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Georg-Forster-Gebäude
Jakob-Welder-Weg 12
Hörsaal 02.521
55128 Mainz
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Symposium: "Minne, Mysticism and Morality. "Sexuality and eroticism between body and mind in medieval art", Johannes Gutenberg University Mainz, March 26-27, 2025.
With the development of courtly-profane literature and the establishment of scriptoria far from the monasteries, an increase in erotic to sexually connoted depictions can be observed in art in general and in medieval book illumination in particular. While in the 12th and 13th centuries profane pictorial themes emerged iconographically from Christian art, the advancing 14th and 15th centuries saw a freer development of interpersonal depictions, whereby ‘free’ can be understood both in the sense of artistic freedom as well as suggestiveness. The depiction of sexuality and eroticism in art in the High and Late Middle Ages is thus subject to a fascinating transformation that extends transmedially into the early modern period and beyond.
This process of change is characterised by complex interactions of a social, societal and religious nature: in addition to the establishment of a moral-theological guideline for marriage in the decrretum gratiani, the first love poetry and the development of love tracts such as de amore by Andreas Capellanus, a separate ideal of courtly love was also defined, which was expressed in heroic and minor romances. The contradictions and neighbouring views of love, eroticism and sexual desire are fascinating: marriage as an economic arrangement, divine love as the only true form of love and the longing for physical and spiritual rapprochement, which can be found in profane literature and sacred mysticism in equal measure, albeit in different directions. However, the gender roles defined from this can be subverted in the texts and works of art in no less contradictory and subversive ways.
With the fluid boundaries between the depicted and the increasingly explicit motifs, it becomes clear that the erotic depictions often treated in art history can look back on an iconographic tradition long before the 16th century, and that the erotic depictions of the so-called Renaissance must be based on an iconographic tradition of the Middle Ages, which developed with the profanisation of literature and art a few centuries earlier. It remains to be questioned to what extent there is a break with the art of the so-called ‘Middle Ages’ if there are no demonstrable links and reflections on ancient and mythological themes that go far beyond a one-sided iconographic transformation of an ancient Venus into ‘Frau Minne’.
The symposium is dedicated to the iconographic change of erotic and sexual representations in medieval art, whereby the stylistic and pictorial developments of representations are to be considered in connection with the respective context of origin, commission and meaning of the artwork. The focus will be on the examination of pictorial themes and their meanings, the omission or addition of symbolic elements in order to investigate the iconography of eroticism and sensuality.
The symposium will take a look at the development of more subtle pointing and referencing systems through to a bolder exposition of eroticism. Contemporary methods such as gender and queer studies are also addressed, with which historically established gender roles and related artistic orders can be critically examined and analysed with regard to their limits and transgressions.
The workshop offers a platform for in-depth discussions, interactive analyses and the exchange of ideas in order to promote a more comprehensive understanding of the complexity, continuity and further development of the representation of sexuality and eroticism in medieval art. We invite experts, students and interested parties alike to discuss this fascinating history of the pictorial representation of eroticism before the Renaissance.
Advance registration is not required. The event is free of charge.
If you have any questions, please contact Jennifer Konrad: jekonraduni-mainz.de
Address:
Johannes Gutenberg University Mainz
Georg Forster Building
Jakob-Welder-Weg 12
Lecture hall 02.521
55128 Mainz
Quellennachweis:
CONF: Minne, Mystik und Moral (Mainz, 26-27 Mar 25). In: ArtHist.net, 03.03.2025. Letzter Zugriff 03.03.2025. <https://arthist.net/archive/44092>.