CFP Feb 4, 2025

Visuelle Chiffren (Heidelberg, 13-14 Nov 25)

Heidelberg, Nov 13–14, 2025
Deadline: Mar 31, 2025

Alexandra Vinzenz

Visuelle Chiffren in Bildender Kunst, Literatur, Film und anderen Medien.

Soziokulturelle Vorstellungswelten – sei es als »soziales Imaginäres« (Castoriadis, Taylor) oder »imaginierte Gemeinschaft« (Anderson) – produzieren Bilder, die sich nicht als Symbole, Metaphern oder andere gängige Figuren begreifen lassen. Stattdessen verdichten sie sich in intermedialen Ästhetisierungen und palimpsesthaften Schichtungen, die zudem über bloße Repräsentationen gesellschaftlicher Räume oder Praktiken hinausgehen. Sie bleiben mehrdeutig: je nach Rezeption und Kontext sind sie unterschiedlich interpretierbar.
Der geplante Workshop möchte für diese Art der Bilder den Begriff der ›(visuellen) Chiffre‹ als mögliches Begriffskonzept vorschlagen und zugleich erproben: Wurde die Chiffre bislang vor allem als eine Kategorie für jene Phänomene der modernen Lyrik verwendet, die auf eine Krise des symbolischen Sagens antworten (vgl. Marsch), soll der Begriff nun auch für eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive fruchtbar gemacht werden.
Als Grenzfigur des Sagbaren berührt die poetische Chiffre immer schon andere mediale Ausdrucksformen (vgl. Arburg), insbesondere den Bereich des Bildlichen. Meint die Chiffre im modernen Gedicht eine Bildfigur, die Teil eines individuellen imaginären Universums ist, so gilt es nun, sich visuellen Chiffren in soziokulturellen Vorstellungswelten zu nähern. Trotz ihres abstrakten Hintergrunds im Bereich der Zahlen und der Kryptografie und einer häufig hervorgehobenen Tendenz zu Vergeistigung und Transzendenz richtet gerade das Rätselhafte der Chiffre den Blick auf ihre konkret-ästhetische Faktur. Anstatt nur abstrakt-enigmatische Bedeutungen zu transportieren, verankert ihre oft einprägsame sinnliche Gestalt sie in konkreten Welten mit ihren Landschaften, Dingen, Figuren, Lebensstilen und kulturellen Praktiken, wie sie in medialen Bearbeitungen vermittelt und inszeniert werden. So lässt sich die Chiffre auch als Zeichen verstehen, das in Wechselwirkung mit individuellen oder gruppenspezifischen Bedeutungshorizonten steht.
Die Lagunenstadt Venedig kann beispielsweise in ihren zahlreichen Mediatisierungen als »globale Chiffre« gelten (vgl. Freund, Scheppe), die seit Jahrhunderten die künstlerische Imagination anregt und sie als Raum träumerischer Anomalien und Zeichen des Artifiziellen inszeniert (vgl. Nies); zugleich wird sie heute als Chiffre für Massentourismus und ein museales Europa gesehen – »Never visit Venice« lautet der Titel einer »strange story« des britischen Autors Robert Aickman.
Roland Barthes bezeichnet wiederum den Eiffelturm als »unendliche Chiffre«, die »je nach den Appellen unserer Vorstellungskraft« für Paris, Modernität, Kommunikation, Wissenschaft oder das 19. Jahrhundert stehen kann (vgl. Barthes). In zahlreichen medialen Referenzen – von Malerei und Lyrik über Postkarten, Werbekampagnen und Filme – wird er für Barthes zum semiotischen Knotenpunkt, der Bedeutungen anzieht wie ein Blitzableiter den Blitz und zugleich, als Aussichtsturm, ein Blickregime des Entzifferns etabliert.
Als ein weiteres Beispiel für eine solche Chiffre kann etwa ›die autofahrende Frau‹ fungieren. Von Filmen wie »Schwarzwaldmädel« (1950), »To Catch a Thief« (1955) oder »How to Steal a Million« (1966), über Tamara de Lempickas Malerei im Stil der Neuen Sachlichkeit, Françoise Sagans fotografische (Selbst-)Inszenierung und J. G. Ballards Verschmelzung von Körper, Technik und Begehren in »Crash« (1973) bis in die Gegenwart erstreckt sich die Mediengeschichte dieser immer wieder aufgegriffenen Figur. Je nach Kontext entfaltet sie unterschiedliche Bedeutungsnuancen zwischen Fortschritt, Emanzipation, Konsum, Sexualisierung und Diskriminierung und bleibt somit eine wandelbare kulturelle Chiffre.

Der Workshop konzentriert sich auf die Genese und die intermedialen Schicksale solcher insistierenden, aber stets unfertigen, sich entwickelnden Zeichen: Woher stammen diese seriell wiederholten, zu Mustern gerinnenden Bilder, und wie verändern sie sich im Laufe der Zeit? Zwischen toposhafter Kontinuität und Wandel unterliegen sie intermedialen Transformationen, Transfers und Umdeutungen über Epochen und Räume hinweg. Dabei können sie ideologisch aufgeladen und in einer »Politik der Chiffre« bewusst gegeneinander in Stellung gebracht werden.

Ziel des Workshops ist es, die Chiffre als eine eigenständige, bislang vergleichsweise wenig erforschte Form der Zeichenhaftigkeit im Rahmen medienkulturwissenschaftlicher Forschung zu profilieren.

Wir laden zu Beiträgen ein, die
- die Genese oder Umcodierungen einzelner Chiffren – besonders in intermedialen Relationen – beleuchten,
- Anwendungsmöglichkeiten des Chiffren-Begriffs in der Kunstgeschichte, Film-, Medien- und Kulturwissenschaft ausloten,
- spezifische Chiffren-Begriffe in Philosophie, Semiotik und im Kontext verschiedener Gattungen, Genres und Medien der Moderne untersuchen,
- dazu beitragen, den Begriff der Chiffre im Verhältnis zu vergleichbaren oder angrenzenden Konzepten (Symbol, Allegorie, Emblem, Label, Hieroglyphe, Codewort, Motiv, Zeichen, Spur) zu schärfen.

Der Workshop wird vom Teilprojekt C04 Visuelle Chiffren von Heimat des DFG- Sonderforschungsbereichs 1671 Heimat(en) zusammen mit dem Romanischen Seminar und dem Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg ausgerichtet und findet am 13./14. November 2025 in Heidelberg statt. Vortragssprachen sind Deutsch und Englisch. Kosten für Anreise und Übernachtung können übernommen werden.

Bitte senden Sie Ihr Abstract (maximal 300 Wörter) für einen 25-minütigen Vortrag in deutscher oder englischer Sprache zusammen mit einer kurzen biografischen Notiz (max. 15 Zeilen) bis zum 31.03.2025 an Sascha Rothbart: s.rothbartsfb1671.uni-heidelberg.de

Reference:
CFP: Visuelle Chiffren (Heidelberg, 13-14 Nov 25). In: ArtHist.net, Feb 4, 2025 (accessed Feb 14, 2025), <https://arthist.net/archive/43853>.

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