CFP 30.01.2025

Queer Exile, Jahrbuch Exilforschung 2026

Eingabeschluss : 15.03.2025

Burcu Dogramaci

Queer Exile, hg. v. Janin Afken, Bettina Bannasch, Burcu Dogramaci und Liesa Hellmann.

[for english version see below]

Das „Jahrbuch Exilforschung“ 2026 unter dem Titel „Queer Exile" verbindet Ansätze und Methoden der Exilforschung mit denen der Queer Studies und geht auf queere Exilerfahrungen ein. Während queere Perspektiven seit den 2000er Jahren zunehmend in den Diaspora-Studien Beachtung finden, gibt es bisher nur wenige Arbeiten, die sich mit den historischen und aktuellen Erfahrungen queerer Exilierter oder mit theoretischen Fragen intersektionaler Beziehungen von Queerness und Exil befassen.

Der Begriff „Queer Exile“ lässt sich aus mindestens drei Perspektiven deuten. Erstens als analytische Kategorie, die einen Dialog zwischen Theorieansätzen und Methoden der Exilforschung und der Queer Studies anstrebt. Diese Perspektive eröffnet neue Einsichten in das Zusammenspiel von Queerness und Exilerfahrungen und schafft erweiterte analytische Zugänge. Im Fokus der interdisziplinär agierenden Queer Studies steht die Untersuchung von Geschlecht und Sexualität im intersektionalen Zusammenspiel mit weiteren gesellschaftlichen Normierungsprozessen sowie Macht- und Herrschaftsverhältnissen wie Antisemitismus, Rassismus und Ableismus. Als kritische Heteronormativitätsforschung befassen sich die Queer Studies einerseits mit der Analyse und Dekonstruktion binärer Identitätskonzeptionen und -kategorisierungen und andererseits mit literarischen, künstlerischen und aktivistischen Artikulationen, die binäre Vorstellungen von Geschlecht, Begehren und Sexualität unterlaufen, erweitern, oder ihnen im Sinne eines Queer Worldmaking Alternativen entgegensetzen. Exilforschung ist ebenso interdisziplinär ausgerichtet. Sie untersucht die vielfältigen Ausprägungen und Erfahrungen von Vertreibung, Flucht, Entortung und Migration in Geschichte und Gegenwart, das Verhältnis von Exilerfahrung und künstlerischer Produktion, fragt aber auch nach geschlechtsspezifischen, generationalen oder religiösen Perspektiven, die Erfahrungen und Darstellungen des Exils in spezifischer Weise konturieren. Indem queeren Subjekten und Körpern häufig ex-zentrische (Gopinath 2024) Positionalisierungen in Bezug auf Vorstellungen von Familie, Heimat und Nation zugeschrieben werden, lässt sich mit Ortíz (2006) und Lamm (2008) beispielsweise fragen, ob und inwiefern das Dasein im Exil als queerer Zustand begriffen werden kann.

Zweitens lässt sich Queer Exile als historische und gegenwärtige Erfahrung von queeren Menschen im Exil begreifen, die ihr Heimatland verlassen mussten, um sich vor Verfolgung, Folter und Tod aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität oder ihres Begehrens zu schützen. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde beispielsweise die vielseitige und weitverzweigte queere Subkultur mit ihren Zeitschriften, Clubs, Vereinsheimen, Dachverbänden, Bars sowie dem von Magnus Hirschfeld gegründeten Institut für Sexualwissenschaft zerschlagen und verboten, Aktivist:innen wurden verfolgt und ermordet. Einige Vertreter:innen queerer Literatur und Kunst wie Erica Anderson, Annette Eick, Kurt Hiller, Erika und Klaus Mann, Christa Winsloe und Charlotte Wolff konnten sich ins Exil retten. Welche spezifischen Netzwerke und Freund:innenkreise nutzen und etablieren queere Menschen auf der Flucht und im Exil? Wie und auf welche Weisen konnten queeres Begehren und queeres Leben auch im Exil realisiert werden? Wie wirkte sich die fragile Situation des Exildaseins auf das Selbstverständnis schwuler, lesbischer, bisexueller, nicht-binärer oder von trans Personen aus – gerade, wenn Homosexualität, so wie in Großbritannien oder vielen anderen Ländern des Exils, unter Strafe stand bzw. heute noch unter Strafe steht? Welche literarischen, künstlerischen Tropen, Motive und Narrative kennzeichnen diese Erfahrungen und welche spezifisch queeren Kunstpraxen der Exilierten etablierten sich auch in den jeweiligen Exilgesellschaften? Inwiefern unterscheiden sich historische und gegenwärtige Exilerfahrungen in ihren literarischen und künstlerischen Ausdrucksformen, welche Transformationen, aber womöglich auch Kontinuitäten lassen sich feststellen?

Insbesondere in queeren Selbsterzählungen findet sich drittens häufig das Narrativ von der notwendigen Abkehr von Familie, Zuhause und Geburtsland und der nachfolgenden Migration in eine Stadt oder in ein anderes Land, um in einer selbstgewählten queeren Gemeinschaft selbstbestimmt(er) leben zu können. Zugleich handelt es sich dabei um ein insbesondere westliches Narrativ (vgl. Gopinath 2005). Für die spezifische Situation queerer Menschen aus der Karibik, die aufgrund von Repression und Verfolgung emigrier(t)en, haben Guzmán (1997) und La Fountain-Stokes (2009) den Begriff ‚sexile‘ geprägt. Wie lassen sich queere Exilerfahrungen an der Schnittstelle von Geschlecht, Sexualität, race und Kolonialismus untersuchen? Ein Queer Exile muss des Weiteren nicht zwangsläufig als geografischer Ort verstanden werden, sondern kann auch ein Nicht-Ort wie etwa ein Buch, eine Zeitschrift oder queere Literatur sein. Diese bieten zwar keine geografische Heimat, schaffen jedoch einen textuellen Möglichkeitsraum. Welche Möglichkeiten, aber auch Fallstricke verbinden sich mit breiten ebenso wie mit engen Begriffsverständnissen von Queer Exile?

Für das Jahrbuch Exilforschung 2026 sind Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen (wie Literatur-, Kunst-, Musik-, Film-, Theater-, Kultur-, Geschichtswissenschaften, Soziologie, Psychologie) willkommen. Eingereicht werden können Arbeiten, die sich mit konkreten historischen oder aktuellen queer-exilischen Erfahrungen, der Imagination von Queer Exile oder auch mit theoretischen Fragestellungen auseinandersetzen. Auch künstlerische oder literarische Beiträge, kurze (Visual) Essays sind willkommen.

Bitte reichen Sie Ihre Abstracts (max. 1 DIN A 4 Seite) mit Kurzbiografie in einem PDF bis 15. März 2025 ein.

Die ausgearbeiteten deutsch- oder englischsprachigen Beiträge (Aufsätze bis max. 40.000 Zeichen inkl. Leerzeichen und Bibliografie; Umfang von Essays, künstlerischen/literarischen Beiträgen nach Absprache) sollen bis zum 15. Oktober 2025 eingereicht werden.

Vorschläge sind zu richten an die Herausgeber:innen des Jahrbuchs Exilforschung 2026:
Dr. Janin Afken (janin.afkenhu-berlin.de)
Prof. Bettina Bannasch (bettina.bannaschphilhist.uni-augsburg.de)
Prof. Burcu Dogramaci (burcu.dogramacikunstgeschichte.uni-muenchen.de)
Liesa Hellmann (liesa.hellmannhu-berlin.de)

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The "Jahrbuch Exilforschung" 2026, dedicated to the subject of "Queer Exile", combines approaches and methods of exile research with those of queer studies and addresses queer experiences of exile. While queer perspectives have received increasing attention in diaspora studies since the 2000s, there have only been a few works to date that deal with the historical and current experiences of queer exiles or with theoretical questions of intersectional relationships between queerness and exile.

The term “queer exile” can be understood from at least three perspectives. Firstly, it can be considered as an analytical category that strives for a dialogue between theoretical approaches and methods of exile research and queer studies. This perspective opens up new insights into the interplay between queerness and experiences of exile and provides expanded analytical approaches. The focus of interdisciplinary queer studies is the investigation of gender and sexuality in their intersectional interplay with other social and discursive norm-establishing practices, as well as hegemonic power systems such as antisemitism, racism and ableism. Concerned with deconstructing heteronormativity, queer studies engage, on the one hand, with a critique of binary identity constructions and categorisations and, on the other, with literary, artistic and activist articulations that undermine or expand binary notions of gender, desire and sexuality or counter them with alternatives in the sense of queer worldmaking. Exile research is also interdisciplinary. It examines the diverse manifestations and experiences of displacement, flight, dislocation and migration in the past and present, the relationship between the experience of exile and artistic production, but also enquires into gender-specific, generational or religious perspectives that contour experiences and representations of exile in particular. As queer subjects and bodies are often attributed an ex-centric (Gopinath 2024) positioning in relation to notions of family, home and nation, we can ask, following Ortíz (2006) and Lamm (2008), for example, whether and to what extent being in exile can be understood as a queer condition.

Secondly, queer exile can be understood as the historical and contemporary experience of queer people in exile who had to leave their former country in order to protect themselves from persecution, torture and death due to their sexual or gender identity or desires. When the National Socialists came to power, for example, the diverse and widespread queer subculture with its magazines, clubs, organisations, meeting places, and the Institute for Sexual Science founded by Magnus Hirschfeld was destroyed and banned, and activists were persecuted and murdered. Some notable figures in queer literature and art such as Erica Anderson, Annette Eick, Kurt Hiller, Erika and Klaus Mann, Christa Winsloe and Charlotte Wolff were able to escape into exile. What specific networks and circles of friends did queer people rely on and establish while fleeing and in exile? How and in what ways could queer desire and queer life be realised in exile? How did the fragile situation of being in exile affect the self-understanding of gay, lesbian, bisexual, non-binary or trans people – especially when homosexuality was or still is a punishable offence, as it was in Great Britain or many other countries of exile? Which literary and artistic tropes, motifs, and narratives characterise these experiences and which specifically queer artistic practices of the exiles also became established in the respective exile societies? To what extent do historical and contemporary experiences of exile differ in their literary and artistic forms of expression, and what transformations, but possibly also continuities, can be identified?

Thirdly, queer personal accounts in particular often contain the narrative of a necessary departure from family, home and country of birth and the subsequent migration to a city or another country in order to be able to live (more) self-determinedly in a chosen queer community. At the same time, this is a predominantly Western narrative (cf. Gopinath 2005). Guzmán (1997) and La Fountain-Stokes (2009) have coined the term ‘sexile’ for the specific situation of queer people from the Caribbean who emigrate(d) due to repression and persecution. How can queer experiences of exile be analysed at the intersection of gender, sexuality, race, and colonialism? Furthermore, queer exile does not necessarily have to be understood as a geographical place; it can also be a non-place such as a book, a magazine or queer literature. Although these do not offer a geographical home, they do create a textual space of possibility. What possibilities, but also pitfalls, are associated with both broad and narrow conceptual understandings of queer exile?

Contributions from various disciplines (such as literary, film, theatre and cultural studies, art history, musicology, history, sociology, psychology) are welcome for the Jahrbuch Exilforschung 2026. We invite papers that address specific historical or contemporary queer exile experiences, the imagination of queer exile or theoretical questions. Artistic or literary contributions and short (visual) essays are also welcome.

Please submit your abstracts (max. 1 DIN A 4 page) with a short biography in one PDF by 15 March 2025.

The completed contributions in German or English (essays up to max. 40,000 characters incl. spaces and bibliography; scope of essays, artistic/literary contributions by arrangement) should be submitted by 15 October 2025.

Proposals should be addressed to the editors of the Jahrbuch Exilforschung 2026:
Dr. Janin Afken (janin.afkenhu-berlin.de)
Prof. Bettina Bannasch (bettina.bannaschphilhist.uni-augsburg.de)
Prof. Burcu Dogramaci (burcu.dogramacikunstgeschichte.uni-muenchen.de)
Liesa Hellmann (liesa.hellmannhu-berlin.de)

Quellennachweis:
CFP: Queer Exile, Jahrbuch Exilforschung 2026. In: ArtHist.net, 30.01.2025. Letzter Zugriff 30.01.2025. <https://arthist.net/archive/43827>.

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