Oberflächen und Interfaces. Ästhetik und Politik filmischer Bilder in neuen Dispositiven
Die Oberflächen filmischer Bilder kommen prominent in den Blick, seitdem sie auf verschiedenen Apparaturen und Anordnungen das klassische Kinodispositiv — falls es das je als stabile Konfiguration das Sehens gegeben hat — immer weiter auflösen und ablösen. Filme erscheinen auf analogen und digitalen, kleinen und grossen Monitoren, auf interaktiven Bildschirmen, portablen Pads, auf Fassaden und in Projektionen aller Art. In täglichen Praktiken wiederum haben sich Oberflächen unmerklich und zunehmend in Schnittstellen verwandelt, in interfaces. Bildschirme übertragen Bilder nicht einfach, sie kommunizieren. Damit verändert sich auch unser Verhalten zu Bildern.
Oberflächen sind für die Filmforschung ebenso wie für das Kino selbst relevant. Mit und an ihnen wird wirksam, was am Filmbild transparent bleiben sollte. Freilich haben filmische Avantgarden Oberflächen stets sichtbar gemacht: unterschiedliche Farbverfahren, Körnigkeit der Amateurfilmstandards oder manuelle Bearbeitung der Filmschicht haben auf Oberflächeneffekte als Symptom ästhetischer Formen, als Spuren direkter dokumentarischer Intervention sowie des Experimentellen verwiesen.
Gegenwärtig, das dokumentieren Forschungen wie Screen Dynamics, Screen Studies oder Studien zum 3D, sind Oberflächen zum Thema und Topos der Filmtheorie und der Filmkunst geworden.
Neuere Filme von JeanLuc Godard, Lars von Trier, Michael Mann oder Christopher Nolan setzen Oberflächen als Topologien ins Bild, Leos Carax entzieht sie ganz, wenn er von einem Kino jenseits der Leinwände träumt. Filmische Oberflächen imitieren andere, ältere Bilder, Formate oder auch Spielewelten. Die neuen filmischen Oberflächen sind weder Kino noch Game, weder Bild noch Raum, sondern verknüpfen die Filmbilder auf neue Weisen mit unterschiedlichen medialen Wirkungen. Die Hybridität filmischer Bildwelten eröffnet den Blick auf Affekte, Entscheidungen, Bewegungen und Verhaltensformen, denen wir neuerdings im Kino ausgesetzt sind.
Zur Diskussion der Ästhetik und Politik neuer filmischer Oberflächen schlagen wir folgende Aspekte vor:
ERSTENS die Verschränkung von Körpern und Medien: Seit den chronofotografischen Studien des 19. Jahrhunderts haben sich fotografische und filmische Oberflächen als Schnittstelle zur Organisation und Ökonomisierung von Bewegungsformen erwiesen. Auch neue filmische Oberflächen und ihre Dynamiken haben sich in ein interferierendes Verhältnis zu Bewegungsformen gesetzt. Bewegungen der Martial Arts, Parkour und Formen des Skatens und Surfens entstehen aus Verschränkungen von Bildern und Körpern. Kino erscheint damit auch als Apparat der Erziehung und Übertragung. Nachahmung ist als Selbsttechnologie darin eingelassen und verknüpft Habitus und soziale Machtgefüge.
Ähnliches gilt ZWEITENS für die Verschränkung von Bildoberflächen und Räumen. Es fragt sich, wie filmische Bilder, die Formen lokalisierender und navigierender Bildoberflächen imitieren, uns auf neue Art und Weise in Filmhandlungen einbeziehen.
Die Erfahrung, mithilfe von Bildschirmen durch städtische Räume oder durch Landschaften zu navigieren, verändert filmische Orientierung überhaupt. Umgekehrt schaltet sich eine filmische Erfahrung in die alltägliche Navigation am Bildschirm ein.
Mit Filmen, die auf mobilen Geräten und kleinen Schirmen überall angeschaut werden können, geht auch die Eigenzeit und der heterotopische Ort des Kinos verloren. Andererseits führen die gleichen Wahrnehmungsgewohnheiten dazu, dass wir überall vom Raum des Imaginären begleitet sind.
DRITTENS konstellieren filmische Dispositive des Sehens und Korrespondenzen von Oberflächen unser Verhalten neu. Den Rezeptionsanordnungen der Bilder ist eine Beiläufigkeit der Wahrnehmung eigen, die über ein zerstreutes Aufnehmen der Kinobilder hinausgeht. Gehörte es zur klassischen Filmtheorie, der Erfahrung der Moderne und dem Schock der Massenmedien in der Filmästhetik Rechnung zu tragen, so folgen Filme im Postmedialen oder im PostCinema, die auf allen möglichen Kanälen und in verschiedenen Gruppen angeschaut werden, neuen Logiken der Kollektivität und Konnektivität. Das Kino bildet keine oder wenigstens kaum noch Massen, in loser Form jedoch bilden sich Mengen und Multituden im Internet: in Blogs, Foren und Kommentarspalten.
VIERTENS verändert sich auch das Verhältnis von imaginären Bildwelten und Bildelementen, die in ihrer Ähnlichkeit mit programmierten Spielewelten als kontrollierbare erscheinen. Die gerechneten Oberflächen der Filme treten über ihre digitalen Momente in Verbindung zu den prozessierten Bildern der Computerspiele. Es stellt sich die Frage, ob entsprechende Formen der Remediatisierung neue oder alte Erwartungen und Verhaltenspotentiale abrufen.
FÜNFTENS wird der Oberflächencharakter der Bilder insgesamt wichtiger. Gegenwärtige Archivierungs- und Digitalisierungsprojekte haben die Materialität der Oberflächen zu übertragen. Doch tritt zwischen alte Filmformen und neue Oberflächen eine Prozedur der grundsätzlichen Transformation, die einher geht mit einem Prozess des Verschwindens genuin filmischer Ästhetiken. Die Frage, wie die neuen Oberflächen des Alten gestaltet werden können, geht mithin auch Filmhistoriker, Restauratoren und Archivare an.
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Vorschlag für einen Beitrag bis zum 6. Dezember an irina.kaldrackunibas.ch. Wir planen Vorträge von maximal 40 Minuten, denen ca. 20minütige Diskussionen folgen. Die Tagung wird in Kooperation mit dem Stadtkino Basel veranstaltet, so dass Filme und begleitende Ausschnitte adäquat projiziert werden können. Reise und Übernachtungskosten werden übernommen.
Quellennachweis:
CFP: Oberflächen und Interfaces (Basel, 21- 23 Apr 13). In: ArtHist.net, 20.11.2012. Letzter Zugriff 15.12.2025. <https://arthist.net/archive/4267>.