"Künstlerische Praktiken postdigitaler Verflechtungen – Reorganisationen zwischen Aisthesis, Kunst und Medien"; Interdisziplinärer Workshop, 11.-12. Juli 2024, Universität Osnabrück.
Tagungsort:
Institut für Kunst/Kunstpädagogik, Fachbereich I: Kultur- und Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück,
Seminarstraße 33, 49074 Osnabrück
Organisation:
Prof. Dr. Kerstin Hallmann (Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Universität Osnabrück)
Fatma Kargin (Kunst und ihre Vermittlung, Leuphana Universität Lüneburg, GCSC – JLU Gießen)
Prof. Dr. Manuel Zahn (Ästhetische Bildung, Universität zu Köln)
Der interdisziplinäre Workshop widmet sich in bildungstheoretischer Perspektive aktuellen künstlerischen Praktiken vor dem Hintergrund von Digitalisierung und einer Kultur der Digitalität (Stalder 2016) mit einem produktionsästhetischen Fokus. Künstler:innen und Wissenschaft-ler:innen werden zusammen in Vorträgen, entlang von Beispielen und in gemeinsamen praktischen Übungen unterschiedliche Zugänge von Künstler:innen zu ihren Themen, Materialien, Medien und Praktiken in der postdigitalen Kultur (Cramer 2014) aus verschiedenen empirischen und theoretischen Perspektiven erkunden und diskutieren.
Wir gehen dabei von einer leiblichen Grundlage menschlicher Zugänge zur Welt, zu den anderen (auch in materieller wie medientechnischer Hinsicht zu dem anderen) und zu sich selbst aus. Dementsprechend sind aus phänomenologischer wie ästhetischer Perspektive jegliche Wahr-nehmungen, Empfindungen und Handlungen mit sogenannten, digitalen‘ Medien gleichsam analog, sie sind leiblich-sinnlich fundiert. Fast jedes digitale Mediengerät, vom Smartphone über den mp3-Player, der digitalen Foto- und Videokamera bis zur VR-Brille ist ein analog-digitaler Hybrid. Denn aus materieller Perspektive können unsere menschlichen Sinne Informationen nicht in digitaler, sondern nur in analo-ger Form von nicht-diskreten Signalen wie Schall- oder Lichtwellen wahrnehmen. Auch der Umgang mit digitaltechnologischen Din-gen/Geräten, ist durch ein materiell-körperliches Kontinuum grundiert. Kurz: Wir stehen als menschliche, leiblich-sinnliche Wesen auf unter-schiedlichste Weise ästhetisch (wahrnehmend, fühlend, imaginierend, denkend, handelnd, …) in Beziehung zur materiellen, postdigitalen Kul-tur. Dieses dingliche Umfeld partizipiert auch an der zeit-räumlichen Verankerung und Verleiblichung von Vergangenheit, Gegenwart und Zu-kunft, da wir uns, wie Waldenfels (2016, S. 102) argumentiert, stets in einem leiblichen Umfeld bewegen und dieses in der Bewegung mitge-stalten. Das Postdigitale wäre in diesem Sinne nicht als etwas zu denken, das additiv zu einer solchen Verleiblichung käme, sondern vielmehr als eine grundsätzliche Verschränkung, die sich auch durch ihre Eigendynamik kennzeichnet.
Zu fragen ist daher, wie diese postdigitalen Wirklichkeiten in ihrer „Agentialität“ (Barad 2012) Rechnung getragen und in ihrer konstruktiven „Verschränkungen“ (im Original entangle-ments; Barad 2015) erfasst werden können, in denen und durch die Entitäten, Subjekte, Raum und Zeit sich jeweils prozesshaft, temporär und lokal in Kraft setzen.
Zugänge verstehen wir in ästhetischer Perspektive als Prozesse, in denen Personen der Welt begegnen, von ihr affiziert werden, sie erfahren und so die Welt für sich als sinnvoll strukturierte, wahrnehmbare, denkbare und bewertbare Welt erschließen. Sie lassen sich daher auch als Ergebnisse von ästhetischer Arbeit verstehen (vgl. Noë 2013, S. 106), die von bildungstheoretischer Relevanz sind. Zugänge sind nach Noë durch ein komplexes Zusammenwirken von sensorimotor skills, conceptual techniques and affective orientations organisiert (vgl. Noë 2023, S. 98f). Sensorimotor skills beschreibt Noë als das je individuelle Verständnis davon, wie die eigenen Bewegungen das Sensorische, Wahrneh-mungen produzieren und diese anpassen. Während die konzeptuellen Techniken das praktische und intellektuelle Wissen im Umgang mit den Dingen beschreiben, weist die affektive Orientierung darauf hin, dass wir auf Situationen, Begegnungen und Dinge affektiv ausgerichtet (Noë, 2023, S. 98) und immer bereits in einem relationalen Verhältnis sind. Ein Zugang als ästhetische Arbeit lässt sich dementsprechend mit Noë nur vor dem Hintergrund von habits und Dispositionen (Bourdieu, 1979, Audehm, 2017) denken. In diesem Sinne kann ein Zugang gelingen oder versagen und als fragiles, performatives Ereignis verstanden werden.
Vor diesem theoretischen Hintergrund interessiert uns, wie sich Künstler:innen in ihren Arbeitsprozessen Zugänge zu Themen, Materialien und Medien im Kontext einer postdigitalen Kultur erarbeiten und welche unterschiedlichen Praktiken und Strategien sich dabei zeigen, bzw. empirisch rekonstruieren und beschreiben lassen. Wir gehen davon aus, dass die Transformationsdynamiken postdigitaler Kulturen neue Zugänge, neue Arbeitsweisen und Praktiken von Künstler:innen schon hervorbrachten und immer wieder herausfordern. Dabei entwickeln sich nicht zwangsläufig radikal neue Zugänge, sondern vielmehr zeigen sich einige Aspekte in den Zugängen, den künstlerischen Praktiken als neu, anders. Bernhard Waldenfels bezeichnet das beispielsweise als „Verformung“ im Sinne seiner Verfremdungsfiguren (vgl. Waldenfels, 2012, 2019). Mit Käte Meyer-Drawe ließe sich von Prozessen des Umlernens sprechen, die in einer ähnlichen Logik die Veränderung individueller Dispositionen des Wahrnehmens, Denkens und Handelns beschreiben (vgl. Meyer-Drawe 2010, 2008).
In den zuvor skizzierten produktionsästhetischen, bildungstheoretischen und kunstpädagogischen Perspektiven wollen wir unter anderem folgenden Fragen nachgehen:
- Wie verändern, reorganisieren sich künstlerische Praktiken und Strategien während ihres Vollzugs unter postdigitalen Bedingungen?
- Wie werden in diesen Veränderungen verschiedene Zugänge in den künstlerischen Prozessen entworfen?
- Welchen Einfluss haben dabei die bislang habitualisierten künstlerischen Praktiken und die mit ihnen einhergehenden Erwartungen? Und welche Rolle spielen die Dinge, Techniken und Technologien, eben nicht-menschliche Akteure, für künstlerische Praktiken und ihre Reorganisation?
- Wie und woran machen sich Reorganisationen der künstlerischen Praktiken und Strategien sichtbar? Wie lassen sie sich empirisch un-tersuchen?
- Lässt sich die Reorganisation als Bildung verstehen, bzw. lässt sich Ästhetische Bildung als Reorganisation im Sinne Noës reformulie-ren?
- Lässt sich das performative Verständnis von Reorganisationen, die jenseits der Sprache in leiblichen Gesten und Handlungen und in der Wahrnehmung von Subjekten wirksam sind, als Erweiterung oder gar Neuperspektivierung der transformatorischen Bildungstheo-rie (Koller 2012) verstehen?
Der Workshop richtet sich an Wissenschaftler:innen, insbesondere (Post-)Doktorand:innen aus erziehungswissenschaftlichen, philosophi-schen sowie kunst- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen. Er gibt in interdisziplinärer Perspektive die Gelegenheit, künstlerische Praktiken der Reorganisation von Wahrnehmung und Wissen zu erörtern und zu diskutieren.
PROGRAMM
DONNERSTAG, 11. Juli 2024
13.30 - 14.00 Uhr: Ankommen
14.00 - 14.30 Uhr: Kerstin Hallmann, Fatma Kargin und Manuel Zahn – Einführung
14.30 - 15.30 Uhr: Eva Lucia Backhaus – "Myzel, Kompost, Algorithmus – Künstlerische Praktiken im Anthropozän"
15.30 - 16.00 Uhr: Pause
16.00 - 18.00 Uhr: Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten – "Postdigitales Storytelling" (Vortrag und Workshop)
18.00 - 18.45 Uhr: Zwischenreflexion
19.30 Uhr: Gemeinsames Abendessen
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FREITAG, 12. Juli 2024
09.30 - 10.00 Uhr: Ankommen
10.00 - 11.00 Uhr: Anja Gebauer – "Liveness – Hybride Bildverflechtungen in Aisthesis, Kunst und Medien"
11.15 - 12.15 Uhr: Paula Muhr – "NOISE – An Artistic Approach to Exploring Unstable Text-Image Relations in Generative AI and the Underlying ‘Statistical Unconscious'"
12.15 - 14.00 Uhr: Mittagspause
14.00 - 15.00 Uhr: Anna Schober – "Horizontale und post-digitale ästhetische Praktiken und die Popularisierung von Wissen und öffentlicher Initiative in Bezug auf den Klimawandel"
15.00 - 15.30 Uhr: Abschluss
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Anmeldung zum Workshop:
Alle Interessierten sind herzlich zur Teilnahme am Workshop eingeladen. Wir weisen jedoch darauf hin, dass aufgrund des Workshopformats nur eine begrenzte Teilnehmer:innenzahl angenommen werden kann!
Anmeldungen bis spätestens 15. Juni 2024 per Mail an: fatma.karginleuphana.de;
Teilen Sie uns bitte für die Reservierung des Restaurants bei der Anmeldung mit, ob Sie an dem gemeinsamen Abendessen (Selbstzahlung) am Donnerstagabend teilnehmen möchten.
Der Workshop wird durch die Universität Osnabrück gefördert.
Reference:
CONF: Künstlerische Praktiken postdigitaler Verflechtungen (Osnabrück, 11-12 Jul 24). In: ArtHist.net, May 3, 2024 (accessed Dec 27, 2024), <https://arthist.net/archive/41804>.