REV-EX 17.12.2024

Die Erfindung des Fremden in der Kunst

Kurpfälzisches Museum Heidelberg, 19.10.–12.01.2024

Rezensiert von Peter Bell, Philipps-Universität Marburg
Redaktion: Livia Cárdenas
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Nachdem sich das Kurpfälzische Museum zuletzt erfolgreich der Fälschung als Verbrechen an der Kunst gewidmet hat, wendet es sich nun einem Verbrechen durch die Kunst zu: der rassistischen und marginalisierenden Darstellung von Fremden von 1493 (mit der Schedelschen Weltchronik) bis in die klassische Moderne. So werden die Maler der Brücke, eben noch Opfer, nunmehr zu Tätern. Während den Fälschungen Polizeiarbeit und Kennerschaft entgegengesetzt wurde, wird nun postkoloniale Theorie und Gegenwartskunst als Antidot präsentiert. Dass sich die Ausstellung dabei nicht vollständig in einer explosiven Konfrontation erschöpft, liegt besonders an der Differenziertheit sowohl der jüngeren Werke wie ihrer Auswahl. Etwa wenn sich Selma Alaçam in ihrer Videoarbeit "Different Conditioning" selbst mit dem Bundesadler abstempelt und damit gleichzeitig zur Deutschen und Fremden wird.

Es entsteht eine Balance, die hoffen lässt, dass koloniale Bilderzählungen ihrerseits als Fälschungen erkannt und überwunden werden können. Die Schau vermittelt wichtige Ergebnisse der Postcolonial Studies, die nach den belastenden Kontroversen um den Nahostkonflikt, hier wieder in Erinnerung gerufen werden. Die Ausstellung hat ohnehin ihr Momentum, denn sie bereitet didaktisch auf, wie Stereotype gebildet werden und wie fremdenfeindliche Polemik visuell agiert. An keiner Stelle stört dabei, dass neben zahlreichen prominenten Leihgaben einiges nur als Kopie oder von unbekannteren bzw. lokalen Künstlern vorhanden ist, denn alle Bilder treten hier in erster Linie als Diskursmanifestationen auf.

Trotz ihrer Ausrichtung, auf Verzerrungen hinweisen zu wollen, hat die Schau allerdings selbst zwei blinde Flecken. Zunächst vermittelt die gelungene Gegenüberstellung kolonialer und postkolonialer Kunst den Eindruck, als hätte sich ein Paradigmenwechsel ereignet, obwohl es einerseits auch schon in der Frühen Neuzeit vermittelnde Positionen gegeben und andererseits die Gegenwart in ihrer visuellen Kultur und Gebrauchskunst (Filme, Games, Comics) Stereotype vielfach nicht überwunden hat.

Der zweite blinde Fleck entsteht, indem den ausgetretenen Pfaden von Orientalismus und Exotismus in weite Ferne gefolgt wird und dabei der ‚nahe Fremde‘ aus dem Blick gerät. Dies betrifft nicht nur Regionen wie Spanien, Polen[1] und den Balkan, die im 19. Jahrhundert von den industrialisierten Zentren Europas marginalisiert wurden, sondern im besonderen Maße die stark stigmatisierten Minderheiten der Juden und der Sinti und Roma. So ist die Documenta nicht der einzige Endpunkt in der Rezeption des mittelalterlichen Schandbilds der „Judensau“, sondern der Begriff fiel auch als Beleidigung in einer Heidelberger Burschenschaft 2020 verbunden mit einem tätlichen Angriff.[2] Es ist richtig, dass in vielen Passionsdarstellungen des 15. Jahrhunderts die Türkengefahr mitschwingt, aber die Passion thematisiert immer auch vermeintliche jüdische Schuld und spiegelt Antijudaismus. Dass die größte europäische Minderheit wiederum nur in Form einer winzigen Radierung (wenngleich von Dürer) erscheint und dies nur in einer noch weitgehend umstrittenen, aber plausiblen Zuschreibung (vormals ‚Türken-Familie‘), ist irritierend in der Stadt des Zentralrats der Sinti und Roma sowie der universitären Forschungsstelle Antiziganismus. Die Erfindungen der nahen Fremden können nicht in gleicher Form mit Sehnsüchten und Fantasien spielen als die Konstruktionen der Ferne, wodurch sie noch perfider erscheinen. Entsprechende Werke einzubeziehen, hätte die schon jetzt durch Gegensätze und Vielfalt der Gattungen ambitionierte Ausstellung auf engem Raum womöglich gesprengt.

Diesen Missstand können die Besucher allerdings selbst kompensieren, indem sie in der Dauerausstellung auf Spurensuche gehen und nach den zur stereotypen Bildchiffre gewordenen Handleserinnen suchen (Brueghel, Magnasco etc.). Darüber hinaus hat man außerdem die Gelegenheit die mit „Normalität“ betitelte Einzelschau des Heidelberger Kunstvereins zu frühen Arbeiten Hito Steyerls im gleichen Gebäude anzuschauen, in denen Steyerl den Antisemitismus der 1990er Jahre in Erinnerung ruft.

Der von Frieder Hepp herausgegebene und von Julia Carrasco eingeführte handliche Katalog und die Ausstellung präsentieren sich als schillernde Wunderkammern, in denen weniger die Bilder als die Praktiken des ‚othering‘ diskutiert werden. Dazu hat das kurpfälzische Museum in diesem Bereich ausgewiesene Autor:innen wie Robert Bohn, Silke Förschler, Birgit Haehnel, Melanie Ulz und Kea Weinand versammelt und verpflichtet in kurzen Essays die Werke in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

In Katalog und Ausstellung kann das versprochene Kaleidoskop nicht in allen Facetten ausgeleuchtet werden. Doch selten sind auf so ästhetische und kurzweilige Weise die Erfindung des Fremden und Versuche ihrer „historical correction“ so kompakt präsentiert worden.

[1] Robert Bohn geht im Katalog beispielsweise auf die (Selbst-)Orientalisierung Polens ein, S. 56.
[2] Jüdische Allgemeine, 27.09.2024; https://www.juedische-allgemeine.de/politik/burschenschaft-normannia-bewaehrungsstrafen-nach-antisemitischem-vorfall-bestaetigt/

Carrasco, Julia; Hepp, Frieder (Hrsg.): Die Erfindung des Fremden in der Kunst. Katalog zur Ausstellung Kurpfälzisches Museum Heidelberg, 19. Oktober 2024 bis 12. Januar 2025, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2024
ISBN-13: 978-3-7319-1093-0, 191 Seiten, EUR 24.95, Inhaltsverzeichnis

Empfohlene Zitation:
Peter Bell: [Rezension zu:] Die Erfindung des Fremden in der Kunst (Kurpfälzisches Museum Heidelberg, 19.10.–12.01.2024). In: ArtHist.net, 17.12.2024. Letzter Zugriff 18.12.2024. <https://arthist.net/reviews/43560>.

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