DIGITALE GENRES.
kritische berichte 1/2025.
Herausgeber: Jan von Brevern, Bauhaus-Universität Weimar / Julian Blunk, Karl-Franzens-Universität Graz.
Einsendeschluss 31.3.2024
»Genre is disappearing«, titelte der New Yorker im März 2021. In der von Streaming-Diensten dominierten Popmusik, so die amerikanische Musikkritikerin Amanda Petrusich, seien Genres ein Auslaufmodell: einschränkend, »inhärent problematisch« und altmodisch. So ganz taufrisch ist diese Diagnose allerdings selbst nicht. In der Kunsttheorie der Moderne hatten Gattungen einen miserablen Ruf. Im 20. Jahrhundert schien einzig ihre Überwindung angezeigt zu sein. Die Malerei warf nach 1900 das System der Bildgattungen, durch das sie jahrhundertelang geprägt worden war, wie einen zu klein gewordenen Mantel ab. Aber auch wer in der Musik, der Literatur, oder im Film auf sich hielt, hielt sich nicht an Gattungskonventionen. Bei den Avantgarden gehörte und gehört die Ablehnung von Genres zum guten Ton.
Aber stimmt das eigentlich noch? In einigen Künsten deutet sich eine vorsichtige Renaissance der Genres an: Ihre poetologischen und epistemischen Potenziale werden gerade wiederentdeckt. Dietmar Daths epische Science-Fiction-Eloge »Niegeschichte« (2019) zeugt genauso davon wie die Rückkehr des Genrefilms oder das neue Interesse der Literaturwissenschaft an der Gattungstheorie (Keckeis/Michler, »Gattungstheorie«, Suhrkamp 2020). In der jüngsten Gattungstheorie werden Genres vor allem auch als Schnittstellen zur sozialen Wirklichkeit der Rezipient:innen diskutiert. Sie organisieren Weltwahrnehmung und soziale Interaktionen.
Unter digitalen Bedingungen stellt sich die Frage nach der Relevanz, der Funktion und der Persistenz von Genres allerdings tatsächlich noch einmal neu. Gattungssysteme scheinen im Umbruch zu sein, neue wirkmächtige Genres sind in der Schrift-, Ton- und Bildkultur entstanden (Blog, Podcast, Selfie usw.). Nicht nur die Musik, auch den Film haben die digitalen Distributionswege gattungsmäßig neu sortiert. Und auf – akademisch wenig beachteten, aber zunehmende Marktmacht gewinnenden – Plattformen wie Singulart sind Bildgattungen wieder das wichtigste Klassifikationsinstrument für bildende Kunst.
Das Themenheft »Digitale Genres« der kritischen berichte möchte die Ästhetik und die Funktionen von Genres in der digitalen Gegenwart in den Blick nehmen. Besondere Aufmerksamkeit möchten wir dabei auf Gattungssysteme in der visuellen Kultur lenken: ihren Wandel, ihre institutionellen Bedingungen sowie ihre gesellschaftlichen Effekte. Welche Gattungsnormen entstehen gerade, welche neuen Verfransungen? Und was für Folgen hätte es eigentlich, wenn Genres und Genrestrukturen tatsächlich verschwinden würden?
(Ein Hinweis: Die Begriffe ›Genre‹ und ›Gattung‹ wurden historisch und in den verschiedenen Fachdisziplinen sehr unterschiedlich gehandhabt. Im deutschen Sprachgebrauch werden damit meist unterschiedliche Ebenen bezeichnet, z.B.: die Belletristik ist eine Gattung, der Kriminalroman ein Genre. Damit spielen bei Genres, um die es uns hier besonders geht, auch inhaltliche Bestimmungen eine Rolle.)
Wir bitten um Textvorschläge in Form kurzer Exposés (max. 2.000 Zeichen auf Deutsch oder Englisch) mitsamt einer Kurzbiografie bis zum 31. März 2024 an jan.brevernuni-weimar.de. Ausgewählte Beiträger:innen werden bis zum 15. April 2024 informiert. Abgabefrist für die fertigen Beiträge (max. 20.000 Zeichen) ist der 31. August 2024. Ende September 2024 soll ein Autorenworkshop in Weimar stattfinden, danach wird es noch einmal kurze Gelegenheit geben, die Beiträge zu überarbeiten.
Quellennachweis:
CFP: Digitale Genres, kritische berichte 01/2025. In: ArtHist.net, 10.02.2024. Letzter Zugriff 27.12.2024. <https://arthist.net/archive/41169>.