Organisation: Prof. Dr. Birgit Mersmann, Hauke Ohls
Sollen in der Epoche des Anthropozäns die Strukturen hinter den ökologischen Krisen sichtbar werden, ist eine Reflexion der gegenwärtigen Extraktivismen unabdingbar. Extremwetterereignisse, Verlust von Biodiversität, steigender Meeresspiegel, globale Erwärmung oder Migrationsbewegungen aufgrund des Klimawandels – für jeden dieser Prozesse wirkt eine extraktivistische Globalwirtschaft als Beschleuniger. Zudem wird durch sie eine ökonomische, ökologische und soziale Ungleichheit befördert, die zum Verlust des natürlichen sowie kulturellen Erbes führt (Willow 2019). Die Kunst der Gegenwart greift in besonderem Maße diese Dynamiken mit einer Vielzahl von künstlerischen Techniken auf, die bis zu einem aktivistischen Vorgehen reichen können.
Der (Neo-)Extraktivismus ist ein gängiges Modell unserer neoliberalen Gegenwart und fußt auf einer 500-jährigen kolonialen Vorgeschichte. Kennzeichnend für ihn ist, dass Ressourcen im großen Maßstab extrahiert und anschließend ohne weitere industrielle Verarbeitung exportiert werden. Besonders betroffen sind davon Länder des Globalen Südens und indigene Territorien, während international agierende Unternehmen aus dem Globalen Norden den Abbau durchführen. Die entnommenen oder angeeigneten Ressourcen sind mannigfaltig, zu ihnen gehören: Öl, Kohle, Gas, Edelmetalle und Seltene Erden, ebenso wie Holz, Wasser, Strom und Landwirtschaftsprodukte, aber auch indigenes Wissen. Explizit vom Neo-Extraktivismus (new extractivism) wird dann gesprochen, wenn Staaten, vornehmlich in Südamerika, den Export von unbearbeiteten Rohstoffen durch Lizenzen fördern, um mit den Einnahmen sozialstaatliche Ausgaben zu finanzieren (Veltmeyer, Petras 2014).
Ziel des Workshops ist es, künstlerische Arbeiten in den wissenschaftlichen Fokus zu nehmen, die Prozesse des (Neo-)Extraktivismus untersuchen, um somit die zeitgenössischen Entwicklungen im Anthropozän besser nachvollziehen zu können. In diesem Zusammenhang ist auch das kulturtheoretische Modell des Kapitalozän wichtig (Moore 2016). Der Workshop geht von der Annahme aus, dass ästhetische Auseinandersetzungen „plural and dissonant narratives“ (Gómez 2021:17) ermöglichen, um Gegenarchive aufzubauen.
Das Themenspektrum des (Neo-)Extraktivismus reicht von Ölförderung in Nigeria, Fracking in Argentinien und Palmölplantagen in Nicaragua, über Abbau von Seltenen Erden in China, internationalen See- und Handelsrouten, bis hin zu Freihandelsabkommen und deren wirtschaftlichen Ideologien. Als Gemeinsamkeit wurde die „violent transformation of life into capitalist commodities“ beschrieben (Demos, Scott, Banerjee 2021: 12). Durch den analytischen Blick der Gegenwartskunst kann der „extractive view“ herausgefordert werden, der ganze Landstriche nur in einer Akkumulationslogik erscheinen lässt und die komplexen Netzwerke aus menschlichen und nicht-menschlichen Wesen negiert (Gómez-Barris 2017).
Die Untersuchungen sollen im Rahmen eines am Institut für Kunst und Kunstwissenschaft der Universität Duisburg-Essen veranstalteten Workshops am 25. November 2022 vorgestellt und anschließend diskutiert werden, mit dem Ziel, daraus eine Anthologie zu erstellen. Bitte schicken Sie ein Exposé mit insgesamt max. 3000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) sowie einen Kurzlebenslauf mit relevanten Publikationen bis zum 30. August 2022 per Mail an hauke.ohlsuni-due.de. Eine finanzielle Unterstützung der Reisekosten ist möglich.
Literatur:
Andermann, Jens; Blackmore, Lisa; Carillo Morell, Dayron (Hg.): Natura. Environmental Aesthetics After Landscape. Zürich 2018.
Ballard, Susan: Art and Nature in the Anthropocene. Planetary Aesthetics. New York, London 2021.
Boetzkes, Amanda: The Ethics of Earth Art. Minneapolis, London 2010.
Bourriaud, Nicolas: Inclusions. Esthétique du capitalocène. Paris 2021.
Cheetham, Mark A.: Landscape into Eco Art. Articulations of Nature Since the ‘60s. University Park, Pennsylvania, 2018.
Demos, T.J.: Against the Anthropocene. Visual Culture and Environment Today. Berlin 2017.
Demos, T.J.; Scott, Emily Eliza, Banerjee, Subhankar (Hg.): The Routeledge Companion to Contemporary Art, Visual Culture, and Climate Change. New York, London 2021.
Gómez, Liliana (Hg.): Performing Human Rights. Contested Amnesia and Aesthetic Practices in the Global South. Zürich 2021.
Gómez-Barris, Macarena: The Extractive Zone. Social Ecologies and Decolonial Perspectives. Durham, London 2017.
Mackert, Gabriele; Petritsch, Paul (Hg.): Mensch macht Natur. Landschaft im Anthropozän. Berlin, Boston 2016.
Miles, Malcom: Eco-Aesthetics. Art, Literature and Architecture in a Period of Climate Change. London 2014.
Moore, Jason (Hg.): Anthropocene or Capitalocene? Nature, History, and the Crisis of Capitalism. Oakland 2016.
Scott, Emily Eliza; Swenson, Kirsten (Hg.): Critical Landscape. Art, Space, Politics. Oakland 2015.
Veltmeyer, Henry; Petras, James (Hg.): The New Extractivism. A Post-Neoliberals Development Model or Imperialism of the Twenty-First Century? London, New York 2014.
Willow, Anna J.: Understanding Extractivism. Culture and Power in Natural Resource Disputes. London, New York 2019.
Witzgall, Susanne; Kesting, Marietta; Muhle, Maria; Nachtigall, Jenny (Hg.): Hybride Ökologien. Zürich 2019.
Weintraub, Linda: What’s Next? Eco Materialism & Contemporary Art. Bristol, Chicago 2019.
Quellennachweis:
CFP: (Neo-)Extraktivismen in der Kunst der Gegenwart (Essen, 25 Nov 22). In: ArtHist.net, 07.07.2022. Letzter Zugriff 14.05.2025. <https://arthist.net/archive/37088>.