Das Jagdzimmer. Wohnstile, Geschlechterkonstruktionen und die Aneignung von Natur im Zeichen des erlegten Tieres
Laut Duden ist ein Jagdzimmer ein „mit Jagdtrophäen geschmückter, die Jagdwaffen u.Ä. beherbergender Raum“. In gleichem Tenor definiert das Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG) einen solchen Raum als ein „Zimmer, das nach Jägerart eingerichtet ist“. Entgegen diesen vereinfachenden Erklärungen repräsentiert das Jagdzimmer in der Geschichte des Wohnens jedoch einen weitaus komplexeren Typus. Tatsächlich existiert eine Vielzahl von Raumformen, in denen die (erfolgreiche) Jagd in Form von Jagdutensilien, Bildmotiven oder dem klassischen Beweisstück einer erfolgreichen Hatz, der Jagdtrophäe, inszeniert wird. Auch ein Billard-, Ess- oder Herrenzimmer kann durch jagdliche Accessoires umgedeutet oder einer neuen Funktion zugeführt werden. Zudem scheint es sich beim Jagdzimmer um einen Raum(-typus) zu handeln, der spätestens mit der Aufhebung der adeligen Jagdprivilegien infolge der Französischen Revolution in den bürgerlichen Kontext diffundiert. Entsprechend sind Jagdzimmer sowohl im adeligen als auch im bürgerlichen Umfeld zu finden.
Ausgehend von diesen Beobachtungen widmet sich die Tagung einem Raumtypus, der in der Architekturgeschichtsschreibung sowie der kulturwissenschaftlichen Wohnraumforschung bisher fast vollständig vernachlässigt worden ist. Dabei steht der Versuch, eine Typologie des Jagdzimmers aufzustellen ebenso im Mittelpunkt des Interesses wie die Analyse exemplarischer Räume, Raumfolgen und -konzepte sowie deren kulturelle, soziale und geschlechtliche Implikationen. Auch vonseiten der Cultural Human-Animal Studies ist bislang nur wenig zu Praktiken des Einrichtens und Wohnens mit erlegten Tieren geforscht worden. Folgende Themenfelder können daher als Ausgangspunkt für Beiträge dienen. Wir freuen uns jedoch auch über weiterführende Anregungen zu anderen Aspekten rund ums Jagdzimmer.
Jagdzimmer in Schlössern
Rekonstruierte Jagdzimmer in europäischen Schlössern zeichnen sich gewöhnlich durch das Arrangement vielfältiger Gegenstände aus. Zu den charakteristischen Merkmalen eines jagdlich ausgestatteten Zimmers gehören Tapisserien mit Bildprogrammen zu Stationen und Ritualen der Jagd (Schloss Bruchsal), Deckenmalereien mit fantastischen Jagdszenen (Wasserschloss Wittringen) sowie mit tierlichen Präparaten geschmückte Wände (Schloss Moritzburg). Sowohl Geweihe als auch präparierte Tierköpfe geben Kunde von erfolgreich erlegten Tieren. Als Teil bildlicher Ausstattungsprogramme bezeugen diese Präparate, ebenso wie andere jagdliche Objekte, den Kontakt mit dem ,wilden‘ Tier und dessen Kulturalisierung. Daraus ergeben sich Fragestellungen wie die folgenden: Was zeichnet das adelige Jagdzimmer aus? Welche Praktiken der Jagd lassen sich in solchen räumlichen Arrangements (wieder-)finden? Oder wie werden Jagdzimmer zu höfischen Repräsentationszwecken genutzt?
Geschlechtertopografien jagdlichen Wohnens
Jagdlich ausgestattete Räume in Schlössern stehen in Verbindung mit repräsentativen und gesellschaftlichen Aktivitäten und damit auch mit Positionierungen von Geschlechtlichkeiten. Mit der Verlagerung höfischer Einrichtungsstile in großbürgerliche Wohnarrangements sind diese geschlechtlichen Zuordnungen übernommen und in neue Kontexte überführt worden. So lassen sich im Herrenzimmer häufig Elemente des Jagdlichen finden. Zudem werden repräsentative Räume von Politikern oder Staatsmännern, beispielsweise im Summer White House des ehemaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt, gerne mit Jagdtrophäen ausgestattet. Ein jagdlicher Einrichtungsstil kann aber auch der Selbstinszenierung in anderen Zusammenhängen dienen: In den ehemaligen Wohnhäusern der dänischen Schriftstellerin Karen Blixen in Nairobi und Rungstedlund (unweit von Kopenhagen) finden sich etwa ein ausgelegtes Fell mit Kopfpräparat im Schlafzimmer sowie Pfeile und Gewehre hinter ihrem Schreibtisch. Hier interessieren uns folgende Fragen: Wie werden in jagdlich eingerichteten Wohnräumen Geschlechterpositionen inszeniert? Wie bedingen sich jagdliche Wohnarrangements und Geschlecht? Werden geschlechtliche Dichotomien in Wohnstilen des Jagdlichen aufgebrochen?
Mediale Schnittstellen
Jagdliches gehört in verschiedenen medialen Repräsentationsformen zum Ausstattungsprogramm von Räumen, die der Jagd gewidmet sind, etwa als gerahmter Stich, der Jagdszenen zeigt, als Fotografie von Jagdgesellschaften sowie als Tiertrophäe oder Tierpräparat. Als mediale Schnittstellen fungieren darüber hinaus Displays von Jagdzimmern und deren Einrichtungen in historischen oder zeitgenössischen Zeitschriften zum Thema Jagd oder in Büchern, die sich in literarischer oder dokumentarischer Form mit der Jagd beschäftigen. Auch im Film, insbesondere im Genre des sog. Heimatfilms (nicht allein) der 1950er Jahre werden Jagdzimmer und Ensembles von Objekten der Jagd gezeigt und mit sozialen, geschlechtlichen und nicht zuletzt auch nationalen Bedeutungen aufgeladen. Hier schließen sich Fragen wie die folgenden an: Wie und in welchem Zusammenhang wird das Thema Jagdzimmer in den populären Medien oder Medienverbünden dargestellt und diskutiert? Welche geschlechtlichen Konnotationen oder queeren Lesarten eröffnen die medialen Repräsentationen von Jagdzimmern, etwa auf Fotografien oder im Film?
Koloniale Gefüge
Die Jagd und Inszenierungen des Jagdlichen sind oftmals auch eng mit der Geschichte des europäischen Kolonialismus und folglich mit Darstellungskonventionen kolonialer Macht und Verfügungsgewalt verknüpft. Ebenso wie die Großwildjagd, die in afrikanischen Ländern oder auf dem indischen Subkontinent unabdingbar zur Selbstdarstellung von Vertreter:innen der Kolonialmächte gehörte, prägte das Zeigen/Ausstellen von Jagdtrophäen, Tierfellen sowie von Bildern und Utensilien der Jagd die Ausstattungsprogramme von Häusern und Landsitzen nicht nur in den westeuropäischen Metropolen, sondern auch in der kolonialen Peripherie, auf dem Land. Die Objekte übernahmen dabei (familiale) Erinnerungsfunktion, stehen gleichzeitig jedoch für den Anspruch auf gewaltsame Aneignung des nicht-westlichen ,Fremden‘. Schauräume mit kolonialen Ausstellungsstücken wie das Eastern Museum in Kedleston Hall (Derbyshire), dem Landsitz des Vizekönigs von Indien Lord Curzon im 19. Jahrhundert, finden sich nicht nur in Großbritannien. Das sog. Afrikazimmer diente auch in Deutschland als Erinnerungsort in Verbindung mit dem kolonialen Projekt; heute wird es mitsamt seiner exotistischen Ausstattung zum beliebten Motiv der touristischen Infrastruktur, als Einrichtung etwa in Eventgasthöfen oder Themenhotels. Vor diesem Hintergrund interessieren uns Fragen wie: Welche Beispiele für die Herstellung kolonialer Bezüge durch die/in den Räumlichkeiten des Jagdzimmers gibt es? Welche Bedeutung kommt dem Ausstellen von Objekten aus kolonialen Kontexten zu, insbesondere bei der Einbindung in jagdliche Wohnprogramme?
Zeitgenössische Kunst
Das Jagdzimmer und seine Medialisierungen haben auch in die zeitgenössische Kunst Eingang gefunden. Verwiesen sei etwa auf Neo Rauchs Ölgemälde Jagdzimmer (2008), Mark Dions wohnliche Jagdfantasien für die Gerisch-Stiftung aus dem Jahr 2011 oder die installativen Arbeiten des italienischen Künstlerduos bn+BRINANOVARA, das knallbunte, kopflose Schaumstoff-Trophäen als ,Antitrophäen‘ im White Cube inszeniert. Mögliche Fragen, die uns im Zusammenhang mit der künstlerischen Aneignung dieses Raumtypus interessieren sind beispielsweise: Wie setzen sich zeitgenössische Künstler:innen mit dem Jagdzimmer auseinander? Auf welche Raum- und v.a. Bildtraditionen nehmen sie Bezug bzw. wie brechen sie diese? Wie kritisieren die Werke etablierte Tier-Mensch-Relationen im/des Jagen/s?
Die oben genannten Themenfelder sollen als Orientierung für mögliche Einreichungen dienen. Wir möchten darüber hinaus aber ausdrücklich dazu anregen, weitere Bereiche und Aspekte im Zusammenhang mit der Thematik vorzuschlagen.
Vortragsvorschläge (Titel, Abstract max. 350 Wörter, biografische Angaben) senden Sie bitte bis zum 15. April 2022 an folgende Email-Adressen: silkefoerschlerposteo.de, keimuni-bremen.de, a.schoenhagenuni-bremen.de
Die Tagung ist vom 5.–6. November 2022 in Präsenz an der Universität Bremen geplant. Reise- und Übernachtungskosten können übernommen werden.
Die Tagung findet statt im Rahmen des Projekts c/o Habitat Tier und ist eine Veranstaltung des Forschungsfeldes „wohnen+/-ausstellen“ in der Kooperation des Instituts für Kunstwissenschaft – Filmwissenschaft – Kunstpädagogik an der Universität Bremen mit dem Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender.
Konzept und Tagungsleitung:
Silke Förschler, Christiane Keim, Astrid Silvia Schönhagen
Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender c/o Universität Bremen, FVG M1060/1061, Celsiusstr. 2, 28359 Bremen
www.mariann-steegmann-institut.de
Quellennachweis:
CFP: Das Jagdzimmer (Bremen, 5-6 Nov 22). In: ArtHist.net, 14.03.2022. Letzter Zugriff 22.12.2024. <https://arthist.net/archive/36140>.